Rotorman's Blog

Bock’n’Roll im Revier: Der Mai ist
gekommen, die Böcke gehen drauf

Visier

Die Bockjagd ist wieder auf“, wie sich die bewaffneten Naturfreunde auszudrücken pflegen. Deshalb heißt es ja auch „Auf auf zum fröhlichen Jagen“. Seit 1. Mai heißt es in den Revieren wieder „Feuer frei“.

Von Jürgen Heimann

Über Geschmack (und Anstand) lässt sich streiten. Auch über die dem Foto eines toten Tiers innewohnende ästhetische Komponente. Zumal dann, wenn das wehrlose Geschöpf ganz gezielt über den Jordan gehetzt wurde, aus Lust und Freude am Meucheln. Wenn es tödlich getroffen zusammenbricht und nach einigen Zuckungen verendet, während sich die Blutlache unter dem geschundenen und jetzt Kadaver genannten Körper langsam ausbreitet und im taufeuchten Erdreich versickert. Ein Anblick, der eigentlich nur Perverse froh stimmen kann, und den sie als erregend und vielleicht auch als stimulierend empfinden.  

Der Nachhall des Schusses liefert den passenden Soundtrack zu diesem als Daily-Soap getarnten Horrorfilm. Der Einschlag des Projektils in den aufplatzenden Körper der Beute ist ein erhebender, magischer, faszinierender und heiliger Moment, den der Schütze, könnte er es, einfrieren würde, um ihn in Slow-Motion später immer wieder zu verinnerlichen  – in Endlosschleife. (Aber-)gläubige Heger fallen demütig auf die Knie und danken Diana, Artemis, Atalante, dem Heiligen und dreist vereinnahmten Hubertus oder dem seligen Eustachius für ihr Glück. Und stecken dem Opfer als Geste der Aussöhnung einen grünen Zweig ins Maul. Ein rührender Akt mit hohem Symbolwert. Er soll den Respekt und die Achtung, die der Täter dem Tier gegenüber empfindet, versinnbildlichen. Tränen der Ergriffenheit fließen. Ein Taschentuch wäre an dieser Stelle jetzt nicht schlecht.

Dem zivilisierten und unbewaffneten Normalo mag sich die Faszination eines solch nervenaufreibenden Erlebnisses kaum erschließen. Da fehlt ganz einfach der Zugang, um die Einzigartigkeit einer solch atmosphärisch dichten und mit Adrenalin aufgeladenen Situation ermessen und würdigen zu können. Das Anpirschen im ersten diffusen Büchsenlicht, das geduldige Ansitzen, die wachsende Spannung. Die Atmung geht schneller, die Pulsfrequenz steigt – und dann der erlösende, finale (Blatt-)Schuss. Whoww! So oder ähnlich müssen sich auch unsere Vorvorvorfahren gefühlt haben, nachdem sie in heroischem Kampf dem Säbelzahntiger eins auf die Mütze gegeben hatten. Hier drängen archaische, im Innersten der Seele verborgene Reize an die Oberfläche. Geben wir uns diesen Eindrücken mal hin:

Wer angesichts dieser Aufnahmen nicht gleich in Euphorie verfällt, sondern Bestürzung empfindet, ist nicht krank. Das sind die anderen.

 Die Bestie Mensch triumphiert über die Kreatur

Ein Gewaltexzess, der sich tagtäglich zigtausendfach in den deutschen Revieren wiederholt und sich Natur- und Artenschutz nennt. In diesen Momenten triumphiert die Bestie Mensch wieder einmal über die Kreatur, die ihm anvertraut und unterstellt ist. Der Herr (oder die Dame) der Schöpfung hat wieder zugeschlagen. Und das ist kein Jägerlatein, sondern blutige, grausame Realität.

Töten als Wettbewerbsdisziplin

So weit so schlecht. “Wild & Hund”, das F(l)achmagazin für lizensierte Heckenschützen, jenes mit  “dem höchsten Anspruch auf Information und Unterhaltung”, erhebt diese Willkürhandlung zur Kunst. “Das Grün sprießt, es duftet nach Frühling, die Böcke gehen auf”, heißt es in pervertierter Poesie auf der Webseite der Pulverdampf-Postille. Eigentlich müsste es ja heißen “die Böcke gehen drauf”. Möglichst viele von ihnen, auch wenn die eigentlich keinen Bock drauf haben, in die ewigen Jagdgründe zu befördern, ist Sinn und Zweck dieses mörderischen Bock ‘n’Roll’s. Eine ziemlich einseitige Bloodsport-Variante, bei der das Töten zum Fun-Event wird, die unfreiwilligen tierischen Mitspieler zur Verfügungsmasse und zu Kanonenfutter degradiert werden und als Verlierer von vornherein feststehen. Des einen Freud’, des anderen Leid.

Stilleben

Stillleben für‘s Familienalbum. Fehlt nur noch die Flasche Jägermeister. Foto: Screenshot

Mit Beginn des Wonnemonats ist die Saison auf die mehr oder weniger stattlich Gehörnten wieder eröffnet. Vornehmlich während der Morgen- und Abenddämmerung kracht es in Wald und Feld an allen Ecken und Enden. Bis einschließlich 31. Januar des Folgejahres dürfen die Reh-Machos jetzt massiv unter Feuer genommen werden. Ricken und Kitzen können vorerst noch etwas durchatmen. Die Hatz auf sie ist erst ab dem 1. September zulässig. Aber dann. Die Abschussquote im Jagdjahr 2015/16 betrug 1.188.066  “Stück”. 48.530 mehr als im vorangegangenen Vergleichszeitraum. Was einer Zunahme von 4,26 Prozent entspricht.

Gehörnsägen für prickelnde “Erlegerfotos”

“Tu’ Gutes und rede darüber”. Dieses Postulat hat die Redaktion von “Wild & Hund” jetzt in widerwärtiger Weise für sich und ihre Klientel zurechtgebogen. Die Leser sind aufgefordert, die schönsten Aufnahmen von sich und ihrer am Stichtag 1. Mai erlegten Beute einzusenden. Und mit etwas Glück erscheinen die abartigen “Erlegerfotos” dann in der “Heldengalerie” der nächsten Printausgabe. Derweil ruft die Deutsche Jagdzeitung zu einem ähnlichen (Foto-)”Shooting”-Wettbewerb auf. Motto: “Her mit Euren Maiböcken!” Unter anderem gibt es, wie praktisch, eine Gehörnsäge zu gewinnen. Eine solche braucht man(n) zum fachgerechten Extrahieren der Trophäe, die dann, entsprechend präpariert, später die Wand des Jagdzimmers schmückt und von den Heldentaten des stolzen Hausherrn kündet. Die richtige Technik des “Abschlagens, Abkochens und Montierens” zeigt dieses informative Video. Aus der Praxis für die Praxis. Eine ziemlich unappetitliche Angelegenheit:

Die schönsten Seiten des Lebens

Da will auch das “Jägermagazin” nicht zurück stehen. Es erscheint im “Jahr Top Special Verlag” in Hamburg, der sich laut Eigenwerbung “den schönsten Seiten des Lebens” widmet. Und das ist nicht satirisch gemeint. “Eine Fahrt durch Wald und Flur am Morgen des ersten Mai erweckt den Anschein, als sei die gesamte deutsche Jägerschaft ausgerückt. An jeder Ecke stehen sie – verlassene Revierfahrzeuge”, heißt es dort zur Einstimmung. Alles klar.

bockparade_logoDas Magazin ruft die Seinen in diesem Jahr zum 22. Male in Folge zur “Jäger-Bockparade” auf. Gesucht werden die “stärksten und abnormsten Gehörne”. Und das sind nicht die, die das Weib dem Pirschgänger daheim vielleicht aufsetzt, während der in Wald und Feld tapfer auf der Lauer liegt. “Nehmen Sie Ihre Kamera zur Hand und fotografieren Ihren Bock im Hoch- und Querformat, so dass sein Gehörn ideal zur Geltung kommt. Je besser die Bilder, desto größer die Chance auf einen Abdruck (…)”. Jungs, das kann doch nicht so schwer sein!

Wo schwarzes Dynamit explodiert

Ach ja, in der Kategorie der “Kapitalen” wird nach Gehörngewicht gewertet. D.h.: Bei abgekochtem ganzen Schädel sind 90 Gramm abzuziehen. Alles klar. Die Erstplatzierten gewinnen Zielfernrohre. Darüber hinaus warten Jagdmesser und Rehbock-Medaillen in Bronze, Silber und Gold auf die erfolgreichsten Flintenmänner und -frauen. So eine Art “Medals of Honor”. Nun sind Weid- und Kriegshandwerk ja so weit auch nicht voneinander entfernt. Zumindest im Duktus und bei der Verwendung bestimmter Begrifflichkeiten gibt es Angleichungen und Übereinstimmungen. So prägte besagte Zeitung, die bis 2013 auch den “Goldenen Keiler” vergab, in ihrer Mai-Ausgabe den Ausdruck vom “schwarzen Dynamit”. Gemeint damit sind Wildschweine, denen man anlastet, eine “Sauen-Explosion im Osten” ausgelöst zu haben. Die “Schadborstler”, eine Bezeichnung, die beweist, dass die Nimrods zumindest nicht unter Wortfindungsstörungen leiden, befänden sich wieder einmal im Angriffsmodus. Ab sofort wird zurück geschossen.

Nun sind die Zurschaustellung erlegter Tiere oder die spätere Präsentation von Gestängen, Schaufeln und Gehörnen ja elementare Bestandteile “weidmännischen“ Protzgehabes und gehören zum tödlichen Spiel einfach dazu. Dafür bedarf es keiner Belohnungsanreize in Gestalt von Preisen für die Einsendung des schönsten oder originellsten Fotos im Rahmen dubioser Pixel-Wettbewerbe. So etwas pflegen die Protagonisten schon aus eigenem Antrieb heraus zu tun.

Die Ästhetik des Todes

Es scheint als Zwang in ihrer Psyche angelegt, sich in Folge mit den fotografischen Beweisen ihrer Heldentaten brüsten zu müssen, um sich in der Bewunderung (oder dem Neid) von ihresgleichen zu sonnen. Die einschlägigen Foren sind voll von abstoßenden Illustrationen und abenteuerlichen, spannenden Geschichten, die von entsprechenden Ruhmestaten künden und zeugen. Nicht selten wird das Beutemotiv, bevor die Kamera klickt, aufwändig  und „liebevoll“ hergerichtet und formvollendet und geschmackvoll in Szene gesetzt bzw. gelegt. Das getötete Geschöpf wird dekorativ  auf grüne Zweige gebettet und mit Jagdhorn, Jägerhut und Flinte geschmückt. Vielleicht noch ein treu dreinblickender tapferer Parson Russel Terrier dabei, der der Schweißfährte des Wilde zuvor unbeirrt gefolgt war.

Ein Stilleben der ganz besonderen Art, wobei die letzte Silbe des Begriffs in diesem Kontext doch ziemlich zynisch anmutet. Solche Aufnahmen werden dann auch gerne als „Eyecatcher“ auf den Webseiten diverser Jagdvereine platziert. Als ob das noch nicht ausreichen würde, steht oft auch noch „wir danken dem Kameraden YXY für diese ästhetische Aufnahme“ darunter. Der Begriff „Ästhetik“ kommt ja aus dem Griechischen. Darunter verstanden die ollen Hellenen die Lehre von der wahrnehmbaren Schönheit. Noch Fragen?  Wenn ja, die Gelben Seiten wissen Rat. Stichwort: Psychotherapie.

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