Rotorman's Blog


Exzesse in der Schlachtfabrik: Wenn das
Fleisch auf unseren Tellern reden könnte

Videoüberwachung

In Großbritannien, Frankreich und den Niederlanden müssen die Schlachthöfe ab 2018 ein Video-Überwachungssystem installieren, das alle Arbeitsschritte aufzeichnet – von der Anlieferung der Tiere über deren Schlachtung bis hin zur Zerlegung. Agrarminister Christian Schmidt (CSU) hat dies in Deutschland bislang erfolgreich verhindern können.

Von Jürgen Heimann

Dass die Zustände in vielen Schlachthöfen im wahrsten Sinne des Wortes unter aller Sau sind, ist bekannt. Es gibt Dutzende schockierende und für jeden frei zugängliche Dokumentationen, die das belegen. Und es ist kein nationales Problem, sondern eins, das in ganz Europa vorherrscht. Nun kann man ja über die links fahrenden Brexitanier jenseits des Kanals sagen, was man will. Aber es nicht alles Murks, was die Tommies da so generieren. Theresa May mag ja vielleicht einen an der Klatsche haben, ihr erst im Juni dieses Jahres als Agrarminister ins Kabinett eingestiegener Parteifreund und Ex-Justizminister Michael Gove ebenfalls. Aber der Mann setzt um, was seine Vorgänger auf massiven öffentlichen Druck hin angeleiert haben. Und das könnte richtungsweisend und beispielgebend sein. Weil auch in den Schlachtstätten des Vereinigten Königreichs krasse Zustände herrschen und die Akkordmetzger dort mit der dem Tod geweihten “Ware” nicht immer unbedingt fürsorglich umgehen, ist auf der Insel ab dem kommenden Jahr eine durchgängige Videoüberwachung Pflicht.  

Überall dort, wo sich in den Todesfabriken (noch lebende) Tiere aufhalten, müssen Kameras installiert werden. Dabei kommt ein betriebsinternes geschlossenes Überwachungssystem (CCTV = Closed Circuit Television) zum Einsatz. Für die verpflichtende Einführung eines solchen ist es auch allerhöchste Zeit. Diese Aufzeichnungssysteme sind bei der Observierung auf öffentlichen Plätzen und Einrichtungen ebenfalls gebräuchlich. Die Amtsveterinäre erhalten dann 90 Tage lang uneingeschränkten Zugriff auf die Aufnahmen. Vielleicht lassen sich auf diese Weise die übelsten Exzesse verhindern bzw. ahnden. Oder aber sie werden verlagert und spielen sich künftig nur dort ab, wo das elektronische Auge nicht hinschaut. Wäre doch gelacht, wenn sich da kein Hintertürchen finden ließe. Aber es ist ein längst überfälliger Schritt in die richtige Richtung.

Auch Frankreich setzt auf Video-Überwachung

Teller

Ein saftiges Steak ist doch was Feines. Aber hinter jedem Bissen steht ein Schicksal. Die Menschen verdrängen, dass jährlich Millionen von Tieren für ihre Ernährungsvorlieben mit dem Leben bezahlen. Und dabei geht es meist nicht unbedingt appetitlich zu.

Warum ist das bei uns in Germany nicht möglich? Vielleicht auch deshalb, weil der Bundesagrarminister (noch) Christian Schmidt heißt. Der CSU-Mann hat in seiner bisherigen Amtszeit bewiesen, dass ihm das Wohl der Tiere, aber auch das der Verbraucher, völlig am dicken A… vorbeigeht. Aber möglicherweise ist seine Zeit ja auch demnächst vorbei. Inzwischen formiert sich europaweit Widerstand. Immer mehr Menschen wollen die Gewaltorgien, die in den Schlachthöllen an der Tagesordnung sind, nicht mehr hinnehmen. Eine von mehreren Hundert Tierschutzorganisationen  und Einzelpersonen getragene und an die EU-Kommission gerichtete Petitions-Initiative fordert die verbindliche und europaweite  Einführung einer entsprechenden Videoüberwachung. Wer diese Aktion unterstützen möchte, kann das hier tun.

Frankreich ist den Deutschen auf diesem Sektor ebenfalls deutlich voraus. Auch bei unseren westlichen Nachbarn müssen die Akkord-Metzger ab 2018 mit folgendem rechnen: Le grand frère te regarde. Anders ausgedrückt: Big brother is watching you! Eine entsprechende Videoüberwachung wird zudem auch bei den Niederländern eingeführt. Jenseits der Maginot-Linie war es die Tierschutzorganisation „L 214“, die die Welle losgetreten und die alltäglichen Grausamkeiten in den französischen Schlachthöfen an die große Glocke gehängt hatte. Undercover gedrehtes und bei Youtube eingestelltes Videomaterial  dokumentierte das unvorstellbare Leid gepeinigter Kreaturen. Über eine Million Menschen sahen diese Bilder, die so grausam und verstörend waren, dass es zu heftigen Protestwellen in sozialen Netzwerken und sogar zu Demonstrationen in Paris kam.

Verrohte “Fachkräfte” töten im Akkord

Das Bildmaterial zeigt Pferde und Rinder, denen bei vollem Bewusstsein die Kehle durchtrennt wird, die panisch um sich treten oder sich an einem Bein aufgehängt im Todeskampf aufbäumen. Schreiende Schweine, schwer misshandelte Schafe und jeglichen Tierschutz missachtende Schlachthofmitarbeiter. Bei letzteren handelt es sich in der Regel um ungelernte, verrohte und oft aus dem osteuropäischen Ausland stammende “Fachkräfte”, die in diesen Tötungsfabriken die Messer wetzen und im Akkord und für einen lächerlichen Stundenlohn ihren blutigen Job erledigen. Sie stehen unter Zeitdruck, weshalb es nicht selten zu entsetzlichen Brutalitäten und Übergriffen kommt. Die L 214-Aktivisten hatten über 50 Stunden Videomaterial zusammengetragen. Unter anderem die folgenden Szenen. Der Beitrag ist zwar auf Französisch, aber die nur schwer erträglichen Bilder sprechen für sich:

Wegen des großen öffentlichen Drucks mussten die französischen Behörden damals sofort handeln. Das Landwirtschaftsministerium ließ 259 Schlachthöfe überprüfen. Drei Standorte wurden geschlossen, 80 weitere durften nur unter Vorbehalt und der Auflage, die gravierendsten Mängel abzustellen, weiter machen. Doch die Folgekontrollen waren eher lasch. Das Elend ging und geht  weiter. Auch bei uns. Da ist die Situation ja nicht besser. Hierzulande werden jährlich etwa eine Milliarde Tiere geschlachtet, für den Eigenbedarf und den Export. Allein die Deutschen verputzen im statistischen Mittel pro Kopf 60 Kilogramm Fleisch pro Jahr.  Da lässt sich nur erahnen, was sich hinter den Mauern der großen und kleinen Schlachthöllen tagtäglich abspielt. Eine angehende Tierärztin aus der Schweiz hat im Rahmen ihres Studiums ein Praktikum in einer dieser  Exitus-Anstalten absolvieren müssen und darüber Tagebuch geführt. Ihre Aufzeichnungen hier:

Wo Schweine an ihrem eigenen Blut ersticken

Bei Geflügel und Schweinen ist die genaue Ermittlung der Fehlbetäubungen kaum möglich. Beim Schwein wird da eine Rate von einem Prozent angenommen. Hinzu kommt die Gefahr des zu kurzen Ausblutens. Umgerechnet auf die Schlachtzahl von 60 Millionen Rüsseltieren  pro Jahr bedeutet dies, dass jährlich 600.000 Ringelschwänzler an ihrem Blut ersticken oder nach zu kurzem Ausbluten in der Brühmaschine bei lebendigem Leib gekocht werden. Diese Zahlen nennt die Organisation “Provieh”,  ein gemeinnütziger Verband, der seit 1973 für eine artgemäße, wertschätzende Tierhaltung streitet. Sein Motto: „respektiere leben“.  Im Auftrag der in Kiel registrierten Vereinigung hat der Tierschutzaktivist Felix Martin „with a little help from his friends“ eine Grafik entwickelt, die jeweils aktuell anzeigt, wie viele Tiere (Schweine, Rinder, Schafe/Ziegen, Fische und Geflügel) in ausgewählten Ländern pro Sekunde abgemurkst werden und welche Umweltbelastungen mit der Massentierhaltung einhergehen. Die Werte werden live hoch gerechnet . China ist da auf allen Feldern führend, die Türken hängen beim Wutz-Abmetzeln etwas durch. Aber das hat andere Gründe. Ansehen kann man sich das aktuelle Abschlachten hier.

Im Leben geht mancher Schuss daneben…

Big Brother

Die Mitarbeiter in den Tötungsfabriken wissen, dass sie künftig unter Beobachtung stehen – allerdings nicht bei uns. Amtsveterinäre haben 90 Tage lang uneingeschränkt Zugriff auf das Material. So hofft man, die übelsten Exzesse und Übergriffe auf das Schlachtvieh verhindern bzw. ahnden zu können.

Beim Schlachten von Rindern ist Hochrechnungen zufolge demnach ein knappes Drittel der Bolzenschüsse fehlerhaft. Unter Umständen werden die Tiere zwar dadurch gelähmt, sind aber noch bei vollem Bewusstsein. Etwa eine Million Opfer erleben so wegen mangelhafter oder nicht vorhandener Betäubung ihre eigene Schlachtung unmittelbar mit. Daran sollten wir denken, wenn der leckere Weihnachtsbraten auf dem Tisch dampft. Aber viele lassen sich ja traditionell eine knusprige Weihnachtsgans, eine Pute oder eine Ente schmecken. Denen ist es ja zu Lebzeiten und bis über den Tod hinaus deutlich besser gegangen, oder etwa nicht? Nee. Eigentlich nicht.

Die fatalen Folgen der Turbomast

In den Geflügelfabriken bei uns und anderswo geht es kaum weniger brutal und schöpfungsverachtend zu. Zeit, Platz und Futter sind auch in dieser Branche bares Geld und entscheiden über die Profitrate. Deshalb werden bevorzugt solche gefiederten Fleischlieferanten gezüchtet, die schnell aufgepäppelt sind und in Rekordzeit ihr Schlachtgewicht erreichen. Folge der Turbomast: Viele der über- und hochgezüchteten Tiere leiden an Bein- und Skelettschwäche, fallen immer wieder auf den Rücken und schaffen es nicht mehr, sich wieder aufzurichten. Und kommen dann natürlich auch nicht mehr an Futter und Trinkwasser. Was sie als potentiellen Braten schon mal disqualifiziert.

Kollateralschäden: Einkalkulierter Schwund

Gänse schlachten

Auch das Federvieh hat es nicht immer einfach. Im Kühlregal des Supermarktes sieht man der handlich verpackten und gefrorenen Mahlzeit nicht an, wie sie gelebt und gestorben ist.

Dieser Schwund ist aber einkalkuliert. Wer aus diesen Gründen vorzeitig schlapp macht, wird aussortiert und der sogenannten “Nottötung” zugeführt. Wie die erfolgt, hat die Tierrechtsorganisation PETA erst unlängst wieder in einem industriell geführten Entenmastbetrieb dokumentiert. Arbeiter schneiden den Tieren bei vollem Bewusstsein die Kehle durch und werfen sie auf einen Haufen mit bereits toten Artgenossen, wo sie verbluten oder an ihrem eigenen Blut ersticken. Gesetzlich vorgeschrieben ist in solchen Fällen,  sie vorher, wenn schon nicht per Strom, so doch wenigstens durch einen Schlag auf den Kopf zu betäuben. Aber das nutzt ihnen letztendlich ja auch nix.

Aber wer besucht schon solche Stätten des Grauens? Schlachthöfe sind uns zwar vom Hörensagen bekannt, aber einen von innen gesehen haben die wenigsten. Fleisch ist für die meisten Konsumenten ein anonymes Produkt, das so verpackt und präsentiert wird, dass nichts mehr an das Tier, von dem es stammt, erinnert. So genau wollen wir es ja auch gar nicht wissen. Wir verdrängen, und das kollektiv, dass für diese Form der menschlichen Ernährung andere Wesen ihr Leben lassen müssen.

Schlachten unter den Augen der Kunden

Weihnachtsgans-to-go

Bis die Weihnachtsgans als Festtagsbraten auf dem Teller landet, hat sie oft einen monatelangen Leidensweg hinter sich. Da ist der Tod vielfach sogar eine Erlösung. Und den traurigen Rest lassen wir uns dann auf der Zunge zergehen.

In diesem Zusammenhang  hat es Anfang Dezember in der Kölner Innenstadt ein höchst interessantes Experiment gegeben. Um herauszufinden, wie Menschen reagieren, wenn sie beim Fleischkauf direkt mit dem Töten  derer, die es liefern, konfrontiert werden, ließ die Wissenschaftsredaktion des WDR dort einen Geflügelmäster aus Essen seine Produkte anbieten. In einem Freigehege schnatterten prächtige Weihnachtsgänse munter und vergnügt vor sich hin. Sie stammten sogar aus Bio-Haltung. Ihnen war es also, zumindest zeitlebens,  gut gegangen – im  Gegensatz zu ihren viele Millionen zählenden kasernierten Brüdern und Schwestern in den Mastfabriken. Die Kunden konnten sich ein Federvieh aussuchen, dem der Schlachter in Folge direkt unter ihren Augen fachmännisch und unter Einhaltung aller gesetzlichen Vorgaben den Garaus machte:

Zwischen Entsetzen und kollektiver Verdrängung

Die Reaktionen der Passanten reichten von Entsetzen bis Fassungslosigkeit. Und es flossen sogar vereinzelt Tränen, während ganz coole, abgebrühte Zeitgenossen das Prozedere hingegen ganz o.k. fanden. Zumal es ja, wenn auch in viel größerem Umfang, tagtäglich stattfindet. Nur bekommt der Verbraucher das nicht in dieser unmittelbaren Direktheit mit – und will es auch gar nicht. Ein solcher Akt des Tötens, der zumeist noch viel bestialischer verläuft, geht grundsätzlich jedem Griff ins entsprechende Kühlregal des Supermarktes voraus. Was viele verdrängen. Womit sich gleichzeitig ein neuer (moralischer) Widerspruch offenbart. Der liegt darin, dass wir “Nutztiere” verspeisen, Haustiere wie Bellos und Katzen aber als treue Freunde betrachten und verhätscheln – meistens jedenfalls. Dieses paradoxe Verhalten kennt die Sozial-Psychologie unter der Bezeichnung “Karnismus”. Es kommt nur das Tier auf den Teller, das wir abends nicht auf dem Sofa streicheln. Gut, in China essen sie auch Hunde.  Mahlzeit!

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