Ich weiß ja nicht genau, wie locker unseren regionalen Waidmännern die Knarre im Futteral steckt, aber beim Studieren diverser, sich häufender Schreckensmeldungen aus allen Teilen Deutschlands kann einen schon mal ein mulmiges Gefühl beschleichen. Zumindest beim Betreten des Waldes, selbst wenn der nicht dunkel ist. Sollte er es sein, könnte man ja pfeifen. Hilft aber auch nicht immer. Wenn mich jemand, der über Kimme und Korn schielt, für einen Waschbären hält, habe ich denkbar schlechte Karten. Im freien Gelände ist das Risiko, ins Visier eines Schießwütigen zu geraten, ebenfalls latent. Beide Lebensräume scheinen ziemlich heiße Pflaster zu sein. Feindesland. Im übertragenen Sinne “vermintes Terrain”. Voller Hinterhalte. Da mag hinter jedem zweiten knorrigen Baumstamm oder hinter jeder von Hecken umrandeten Bodensenke Unheil lauern, wenn nicht gar der Tod. Hier leben nicht nur die Tiere gefährlich, sondern auch die Menschen. Die Luft ist ganz schon bleihaltig und schrotkörnig geworden. Aber war sie das nicht schon immer?Zugegeben, ich habe Probleme damit zu verstehen, warum bei uns in Hessen seit der Jagdsaison 2009/10 laut offizieller Jagdstatistik 1.442.016 Tiere abgeknallt werden oder in Todesfallen verrecken mussten. (Die Dunkelziffer mag hier deutlich höher liegen). Und ich glaube auch nicht an die Mär vom Umwelt-, Natur- und Artenschutz durch Kugel, Schrot und (Doppel-) Korn. Im Baller-Zeitraum 20123/14 waren es landesweit 265.445 tote Tiere. Darunter 30.955 Füchse, 21.614 Waschbären, 5.500 in ihrem Bestand gefährdete Feldhasen und 10.429 Ringeltauben.
Massentötung als Hausaufgabe? Über 8,7 Millionen Tiere erlegt
Und das, wie erwähnt, nur in Hessen. Bundesweit hat die Lodenmantelfraktion in den beiden zurückliegenden „Spielzeiten“, also in den Jagdjahren 2012/13 und 2013/14, insgesamt 8.730.770 Mitgeschöpfe in die ewigen Jagdgründe befördert. Welche Tierart es in welchen teils unvorstellbaren Mengen erwischt hat, siehe Grafik. Ein paar Beispiele: 557.811 Feldhasen (obwohl seit 1995 auf der „roten Liste“ der bestandsgefährdeten Arten), 200.533 Waschbären, die „Public Enemies Nr. One“ schlechthin, 777.611 Wildenten und sagenhafte 2.343.939 Rehe. Eine stolze Bilanz. Auf der Webseite „www.wald.de“, einem von der Stiftung „Unternehmen Wald“ getragenem Internetportal, lassen die Herausgeber deshalb auch ein DJV-Präsidiumsmitglied stolz verkünden: „Wir (die Jäger,) haben unsere Hausaufgaben gemacht!“. Toll. Setzen, Sechs! Die Kommentarfunktion auf besagter Seite ist wohlweislich deaktiviert. Warum wohl? Ein Schelm , der Schlechtes dabei denkt!. Die Auflistung basiert übrigens auf der offiziellen Statistik des Deutschen Jagd-Verbandes. Sie kann vollständig sein. Muss aber nicht. Berechtiget Zweifel daran sind angebracht. Vermutlich war die „Strecke“ um ein Vielfaches länger, pardon, größer. (Ein Jagdjahr umschließt jeweils den Zeitraum vom 1. April bis zum 31. Mär des Folgejahres)
Tödlicher Irrtum: Liebespaar mit Reh verwechselt
Aber davon mal ganz abgesehen. Ein Liebespaar mit einem Reh zu verwechseln, dazu gehört schon was. Genau das ist einem übereifrigen, offenbar vom branchentypischen Fieber befallenen Nimrod unlängst im brandenburgischen Nauen passiert. Passiert ist seinen Opfern aber noch mehr. Der Mann im Fadenkreuz blieb auf der (Jagd-)Strecke: tot. Seine 23-jährige Freundin wurde lebensgefährlich verletzt.
Das kommt davon, wenn man/frau sich jn einem Maisfeld zum Schäferstündchen trifft und es dabei krachen bzw. rascheln lässt. Seinen tragischen Irrtum bemerkte der Schütze erst, nachdem er vom Hochsitz herabgestiegen war, um seine Beute in Augenschein zu nehmen. Wenigstens hat er sie nicht aufgebrochen….
In Sachsen-Anhalt traf es ein paar Tage später zwei Traktorfahrer, während in unmittelbarer Nachbarschaft eine Treibjagd auf Wildschweine im Gange war, in Lübeck eine Radfahrerin – und das jeweils im wahrsten Sinne des Wortes. Im Neckar-Odenwald-Kreis holte ein Jäger einen 12-Jährigen vom Beifahrersitz eines Maishäckslers – mit einem mehr oder weniger gezielten Schuss. Die Notärzte im Krankenhaus gaben ihr Bestes. Dem Jogger, den es im Januar in Detmold erwischt hatte, soll es inzwischen auch wieder gut gehen….
Fünf aktuelle Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit. Lediglich eine zufällige Häufung unglücklicher Zwischenfälle? Eher nicht. Solches ist seit Jahren die Regel, waidmännischer Alltag. Auch wenn Katja Ebstein schon 1974 kolportiert hat, dass im Leben so mancher Schuss daneben geht: Häufig tut er das zwar, häufig aber eben auch nicht. Und dann sitzt er oft genau im Ziel, wenn auch dem falschen.
Zwischen 800 und 1600 Jagdunfälle jährlich
Den Landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften werden jährlich 800 sogenannte Jagdunfälle gemeldet. Andere Quellen sprechen von bis zu 1600. Aber nicht immer und ausschließlich sind zivile Unbeteiligte die Opfer. Oft wüten die Pirschgänger auch in den eigenen Reihen. Unsere amerikanischen Freunde haben dafür einen euphemistischen Begriff geprägt: “Killed by friendly Fire”. Ein Treiber oder ein um Beute konkurrierenden Waidgenossen kann aus gewisser Distanz einer Wildsau durchaus schon mal täuschend ähnlich sehen….
Da halten die Jäger aber mit argumentativer Wucht dagegen: „Auf Sicherheit im Jagdbetrieb wird in Ausbildung und Praxis allergrößter Wert gelegt. Um die Jagdteilnehmer vor Gefahren zu schützen, gelten strenge Regeln“, heißt es auf der Webseite jagd-fakten.de. Beruhigend zu wissen! Dem Portal wird eine gewisse Nähe zur bewaffneten Heger-Community nachgesagt. Was nicht von ungefähr kommt. Das Impressum weist den Deutschen Jagdverband als Herausgeber aus.
„Putzen ist gefährlicher als Jagen
Und weiter ist dort zu lesen, dass Jagen gar nicht so gefährlich sei, wie immer behauptet: „Die Wahrscheinlichkeit, als Jagdbeteiligter tödlich zu verunglücken, liegt bei 0,00085 Prozent“. Diese Angabe gilt jetzt nicht für die Tiere. Nicht in dieser Rechnung berücksichtigt sind auch „Kollateralschäden“ wie die oben angeführten. Das Risiko, im Hausbereich tödlich zu verunglücken, sei hingegen deutlich höher, erfährt unsereins weiter. Mit anderen Worten: Putzen ist statistisch gesehen wesentlich riskanter als Jagen! Mag sein. Doch so ganz sicher wähnen darf und kann man/frau sich auch in den eigenen vier Wänden nicht.
In rheinland-pfälzischen Rockenhausen hatte im Januar dieses Jahres die Kugel aus einem Jagdgewehr den Rollladen und Fensterrahmen eines Hauses durchschlagen und ein Kinderbett, in dem ein sieben Monate altes Mädchen lag, getroffen. Glücklicherweise blieb der Säugling unverletzt. Glück im Unglück hatte im gleichen Monat auch ein Niedersachse in Papenrode. Teile einer während einer draußen vor der Tür stattfindenden Treibjagd abgefeuerte Schrotladung durchschlugen zunächst das doppelt verglaste Fenster seines Hauses und bohrten sich dann in den Parkettboden. Der Hausbesitzer befand sich zu dieser Zeit im Raum, blieb aber unverletzt. Mit dem Schrecken davon kamen im März auch die Bewohner eines Einfamilienhauses im Hessischen Eich. Der Schuss hatte eigentlich einer Gans gegolten, aber ein Gebäude ist natürlich leichter zu treffen. Das Projektil durchstieß ein Fenster und zwei Türen und blieb schließlich in einer Außenwand stecken.
Jährlich 40 Tote durch Jäger und Jagdwaffen
Die Tierrechtsorganisation „PETA“ listet seit 2013 penibel alle diesbezüglichen, ihr bekannt gewordenen Zwischenfälle auf: http://www.peta.de/jagdunfaelle#.Vf0k-VLy6Ac Und da kommt und kam einiges zusammen. Gewalttaten von Jägern außerhalb der Jagdausübung inklusive. Die bundesweit operierende “Initiative zur Abschaffung der Jagd”, die die Herr- und Frauschaften mit dem „grünen Abitur“ lieber heute als morgen entwaffnet sehen würde, dokumentiert solche Fälle seit 2002: http://www.abschaffung-der-jagd.de/menschenalsjaegeropfer Sie spricht von bis zu 40 Toten durch Jäger und Jagdwaffen jährlich. Das sind mehr, als unsere Bundeswehr bisher in Afghanistan zu beklagen hatte. Hinzu kämen die erschreckend viele Fälle, bei denen die Opfer “nur” verletzt worden seien, ob das nun Jägerkameraden, Treiber, Ehefrauen, andere Familienmitglieder, Nachbarn, Spaziergänger, Radfahrer, Bergwanderer, Reiter oder spielende Kinder waren. Da aber weder die Jagdverbände, noch staatliche Behörden oder das statistische Bundesamt Buch über Tote und Verwundete durch Jagd und Jägerwaffen führen, gibt es keine belastbaren Zahlen. „Und die Jäger zählen ja nur die ‚Strecke‘ der von ihnen getöteten Tiere, nicht aber die menschlichen Opfer ihres blutigen Hobbys“, sagt Kurt Eicher, Biologe und Sprecher der Initiative zur Abschaffung der Jagd.
Ernst, Kurt und Kevlarwesten
Viele der Opfer sind ja zum Teil auch an dem ihnen widerfahrenden Unheil selbst schuld. Weil sie sich so gut tarnen. Wohl deshalb auch legt der Jagdverband Schleswig-Holstein Joggern und Spaziergänger inzwischen allen Ernstes (und Kurtes) nahe, vor Betreten des Waldes eine Warnweste anzulegen, wie das Flensburger Tageblatt in seiner Ausgabe vom 16. September berichtet. Das ist jetzt hoffentlich nicht als Zielmarkierung zu verstehen. Vielleicht meinte Verbandssprecher Marcus Börner ja aber tatsächlich keine Warn-, sondern beschusshemmende Kevlarwesten….
Ich selbst neige dazu, mir zusätzlich noch ein RKL-Blinklicht, also eine gelb strahlende Rundumkennleuchte an die Mütze zu schrauben. Auch wenn das bestimmt Sch.. aussieht: sicher ist sicher…Und ein kleines Martinshorn, in diesem Fall dürfte eine Hubertus-Tröte genau das Richtige sein, wäre auch nicht schlecht. Mein weiß ja nie. Für den Fall, dass der Schütze im Hinterhalt nicht nur was an den Augen, sondern auch etwas auf den Ohren hat. Waidmanns Heil!