Sie heißt Bettina, Betty genannt, aber nicht Barclay mit Nachnamen. Und sie kann alles, weiß alles und hat alles schon mal (viel besser) gemacht. Sie organisiert mal eben aushilfsweise und am Telefon Unternehmensumzüge inklusive die der 2000 Mitarbeiter, jettet nach Bären zur Kanada-Jagd, nee, nach Kanada zur Bärenjagd, wo sie, um sich den Spaß zu finanzieren, nebenbei als Animateurin im Streichelzoo von Winnipeg jobbt, um sich dort aufopferungsvoll um traumatisierte Silberfischchen zu kümmern. Und das Mädel hat die Kapitaldecke des regionalen Energieversorgers, bei dem es natürlich Prokura hatte, durch riskante Overnight-Geschäfte in Millionenhöhe gemehrt, ist mittlerweile bei einer großen, automobilen Edelmarke, deren Börsenkurs seitdem unentwegt nach oben klettert, im Management tätig und wartet, weil als Ladenhüter unverkäuflich, aber wählerisch, immer noch auf den Prinz mit dem weißen Pferd. Notfalls würde es, wenn alle Stricke reißen, auch ein blindes, hinkendes Maultier vom örtlichen Gnadenhof tun. Oder ein Bobby-Car mit abgelaufenem TÜV, dafür aber mit Vierradantrieb….
Ich kenne sie nicht, hab‘ sie noch nie persönlich gesehen und will es, ehrlich gesagt, auch nicht. Aber mich verbindet eine abgrundtiefe Abneigung mit ihr. Weil ich, und nicht nur ich, mir täglich bis zum Überdruss anhören muss, was diese Super-Schickse was wann wo gesagt, gemeint, getan und geleistet hat bzw. noch sagen, meinen, tun und leisten will. Ach Betty! Ihre Mutter sitzt mir gegenüber, meine Arbeitskollegin Hilde. Solange es “s‘Betty” gibt, geht der Frau der Gesprächsstoff nicht aus. “s‘Betty” ist ein Einzelkind, natürlich. Ein ganz besonderes. Gepflegte Erscheinung, intellent und überdurchschnittlich begabt, gut aussehend (na ja…), sportlich, kreativ. Mamas ganzer Stolz, und der von Papa auch. Beide Elternteile definieren sich ausschließlich über diesen ihren verzogenen, unverwechselbaren, einzigartigen Balg. Wir, die Kollegen ringsherum, eher weniger. Aber wird müssen es ausbaden. Und wir müssen da durch.
Bettys Porträtfoto im Wechselrahmen auf Hildes Schreibtisch wird wöchentlich ausgetauscht und dann jeweils durch ein neues Foto ersetzt. Die Aufnahmen ähneln sich dergestalt, dass “s’Betty” auf jeder einzelnen so aussieht, als sei sie bei Vollmond von der Schlange Ka aus dem Dschungelbuch ins Wachkoma geknutscht worden. Hilde sieht das mit anderen Augen: “Wie ein Engel, der vom Himmel gefallen ist!” Jepp, und zwar mitten aufs Gesicht!
Glühwein von glücklichen Glühen
Dreht sich die Unterhaltung um den aktuellsten Blockbuster im Kino, hat, wir erfahren es prompt und ob wir wollen oder nicht, “s‘Betty” ihn natürlich schon längst gesehen und findet ihn gut/ nicht gut. (Zutreffendes bitte ankreuzen.) Dem jüngsten Tatort hat es Bettys unmaßgeblicher Meinung zufolge aber an logischer Stringenz (was immer das auch sein mag) gefehlt, dafür findet sie die neueste CD von Mickey & den Spearmintgums gut. Hääh?? Keiner der Kollegen würde sich trauen, sich ein neues Smartphone zuzulegen, ohne zuvor über Hilde den Rat von Betty eingeholt zu haben. Die kennt sich nämlich auch mit so etwas aus. Ganz davon abgesehen trinkt sie nur Glühwein von glücklichen Glühen – winters wie sommers.
Gefühlte 20 mal pro Tag und Schicht fällt der Name Betty. Eher öfter. Das ist tagesformabhängig. “s’Betty sagt”, ist längst ein geflügeltes Wort. Wobei das Verb variiert und situationsbedingt durch “will”, “hat”, “denkt”, “meint” “kann”, “mag”, “befürwortet”, “wählt”, “kauft” oder “hasst” ersetzt werden kann und wird. Da gibt es Zig-Tausende Variationen. Und die Frage “Was macht eigentlich Betty” ist nur rhetorisch gemeint und wird ausschließlich dann gestellt, wenn Hilde nicht im Raum ist.
“s’Betty” hat am Wochenende auch einen Möhren-Kuchen gebacken, und der war natürlich ganz lecker! Um nicht zu sagen einzigartig. Superp!! Logo.”s’Betty” hat, eigenhändig (!!!), die Winterreifen am Rasenmäher gewechselt und ihren Eltern anlässlich deren Silberhochzeit ein Wellness-Wochenende in Klein K(r)otzenburg organisiert. Unterbringung in der Präsidenten-Suite des “Hotel zum röhrenden Hirschen”, dem ersten Haus am Platze. Das war vielleicht eine Überraschung. Die größte war “s’Betty” selbst, denn sie war wie aus dem Nichts als unerwarteter Ehren- und Stargast aufgekreuzt. Tataaa!! Tolles Hotel, tolles Essen. Natürlich. Hat ja auch “s‘Betty” ausgesucht. Ich kann den Namen nicht mehr hören!!! Betty!!!!!
Was war gleich noch mal am 11. September 2001, außer, dass es sich dabei um den 254. Tag im Gregorianischen Kalender handelt? Da war “s’Betty” 21 Jahre alt und hielt sich gerade oben im Bad auf, als die Nachricht von den Terroranschlägen in NY die Welt entsetzte. Gut zu wissen. Anhand dieser Systematik kann man sich aber sehr gut Jahreszahlen von zeitgeschichtlicher Bedeutung merken.
Das Jahr der Katastrophen
1980 war ein Jahr der Katastrophen. Ein Erdbeben in Süditalien fordert 3000 Tote, auf Teneriffa knallt eine dänische Boeing gegen einen Berg, Hurrikan „Allan“ tobt durch die Karibik, ein Erdbeben in Algerien kostet 20.000 Menschenleben – und “s’Betty” wird geboren. Am Tag, als Jugoslawiens Staatspräsident Tito das Zeitliche segnet, am 4. Mai 1980, bekam “s’Betty” ihren ersten Zahn. Hilde hat immer noch nicht entschieden, welches von beiden Ereignissen bedeutender war und den Lauf der Geschichte nachhaltiger beeinflusst hat. Am 1. September 1983 kam “s’Betty” in den Kindergarten, an jenem Tag also, als die sowjetische Luftwaffe bei Sachalin eine vollbesetzte, vom Kurs abgekommene südkoreanische Boeing 747 abschoss. Nachdem “s’Betty” die Einschulung mehrmals aus Gewissensgründen verweigert hatte, führte dann am 1. August 1987 kein Weg mehr daran vorbei. Zeitgleich gewinnt Mike Tyson in Las Vegas den Weltmeistertitel im Schwergewicht gegen Tony Tucker, während die Bundesregierung noch im gleichen Monat das Begrüßungsgeld für DDR-Bürger anhebt.
“s’Betty” war schon als Kind ein Wirbelwind, erfahren wir. Und in der Schule immer unter den Besten und Ersten. Bettys Ex-Freund hätte auch mal so einen cleveren Golden Retriever gehabt, streut Hilde in die Unterhaltung über die Vorzüge gewisser Hunderassen ein. Der sei sogar schlauer als sein Herrchen gewesen. Ex-Freund? Kluges Kerlchen. Und was “s’Betty” schon alles für Krankheiten hatte! Dagegen ist die serbokroatische Beulenpest ein Sch…Dreck! Das arme Kind leidet unentwegt an irgendwelchen eingebildeten oder tatsächlichen Wehwechen, trägt ihr Leid aber mit (großer) Geduld. Tapfer, tapfer! Ein Vorbild. Und wir alle leiden und fühlen natürlich mit.
Zwischen Beauty-Shop, Burkas und Uschi Glas
Als Feldtesterin für die neue Pflegeserie von Weleda hat sich das Mädel unlängst ein paar Euronen hinzu verdient, aber wirklich geholfen hat das Zeugs wohl nicht. Ihr zumindest nicht. Vielleicht sollte sie es mal mit der Gesichtscreme von Uschi Glas versuchen … Die ist im Iran der ganz große Renner. Deshalb laufen die Frauen dort auch alle so tief verschleiert mit Burka und Nikab durch die Gegend. Den Plan, einen “Beauty-Shop” zu eröffnen, hat “s’Betty” inzwischen wieder fallen gelassen. Die Gefahr, als lebender Beweise für jene These herhalten zu müssen, der zufolge der Schuster die schlechtesten Leisten hat, war einfach zu groß.
Mama Hilde saugt die Stichwörter, um die Rede auf ihre Tochter zu bringen, quasi aus der Luft. Irgendwie und auf unnachahmliche Weise kriegt die Frau die Kurve dahingehend immer – mit traumwandlerischer Sicherheit. Wir anderen trauen uns schon gar nicht mehr ein Gespräch zu beginnen – über irgendetwas X-Beliebiges. Es könnte ja gegen uns und für Betty verwendet werden. Also: Heute keine Diskussion über das Länderspiel von gestern Abend. Doch früher oder später wird uns die Geschichte, wie “s’Betty” der Damenfußballmannschaft des SSV den Klassenerhalt sicherte, einholen. Wetten? Schon oft haben wir uns insgeheim gewünscht, Betty möge während des morgendlichen Toilettengangs der Blitz beim Sch… treffen. Doch das würde Hilde dann Gesprächsstoff für die nächsten hundert Jahre liefern.