Von Jürgen Heimann
Hauptberuflich jagt der Polizeioberkommissar zwielichtigen Gestalten hinterher oder klopft Verkehrssündern auf die Finger. Doch in seiner Freizeit macht der 51-jährige Jagd auf Rekorde. Markus Beckmann, genannt „Becki“, hat endlich geschafft, was andere vor ihm und er selbst auch immer wieder vergeblich versucht haben: die im Mai anno 1959 von dem unvergessenen Hirzenhainer Top-Piloten Reinhard Göst erkämpfte Bestleistung im Dauersegelflug am Eiershäuser Hang zu knacken. Damals, als der Acro-Pionier im Cockpit eines doppelsitzigen Kranichs nach den Sternen griff, um 15 Stunden und 40 Minuten in der Luft zu bleiben, war Beckmann selbst noch gar nicht auf der Welt gewesen.
Reinhard Göst, der leider schon 1999 verstorben ist, wäre stolz auf seinen ambitionierten Vereinskameraden und Schüler gewesen, den er zu Lebzeiten als Mentor immer nach Kräften gefördert und ermuntert hat. Dessen ehrgeiziges Ziel: Es sollte mindestens eine 16 vor dem Komma stehen. Letztendlich waren es noch acht Minuten darüber hinaus. Und es hätte nach Lage der Dinge noch für weitere 45 Minuten gereicht. Aber irgendwann hat selbst der ausgebuffteste Marathonflieger die Faxen dicke. Dann reicht es.
Markus fühlt sich seit 37 Jahren am Himmel am wohlsten. 3.500 Flugstunden mit über 2.000 Starts schlagen bei ihm zu Buche. Von Hause aus eher ein Langstreck‘ler, der bei den einschlägigen Wettbewerben und nationalen High-Distanz-Meisterschaften immer ganz vorne mitmischt und inzwischen auch souverän das Hessen-Ranking in der Doppelsitzer-Klasse anführt, war diesmal für ihn doch nur ein sehr begrenzter Aktionsradius abgesteckt.. Es ging ja auch nicht um Meilen, sondern um Zeit. Das (sich zunächst wie Gummi hinziehende) aero-tische Geschehen spielte sich überwiegend im Luftraum Hirzenhains, dem von Dietzhölztal, Angelburg und Laasphe ab. Dem Fernweh des Luftfahrers waren also erst einmal enge Grenzen gesetzt. Und zwischendurch ging es zum „Auftanken“ immer mal wieder zurück zum Nord-West-Hang, wo die Bärte wuchsen.
Gut. So etwas ist nix für Langschläfer. Da muss man doch schon recht früh aus den Federn hopsen. Start auf dem Sonderlandeplatz um 4.45 Uhr. Sohnemann Felix gab auf der Schleppwinde Gas. Ausklinkhöhe: 600 Meter über Grund. Das Abenteuer begann. Es war doch noch recht düster. Drunten im Tal, in Eiershausen, Eibelshausen oder Simmersbach, drehten sich viele gerade noch mal auf die andere Seite. Da kreiste der Holzadler bereits lautlos über ihren vom verbleichenden Mond illuminierten Dächern.
Apropos: Ja es war „Woodwork“, das sich „Kommissar X“ da unter den Hintern geklemmt hatte. Eine betagte einsitzige (Sperr-)Holz-K 8 aus den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Also schon ein Oldie. Die K 8 ist gewichtsmäßig ein ziemlich leichtes Etwas, das im Langsamflug auch schon mal temporäre Aufwind-Flauten verzeiht und überbrückt. Mit einem der heutigen, superschnellen und hochgezüchteten Glasfieber- und Verbundstoff-Orchideen hätte man in einer solchen Situation wesentlich schlechtere Karten. Aber das nur nebenbei.
Der Windsack auf der alten großen Flughalle stand stramm wie Max, und auch in der richtigen Position. Ab Höhe 120 war klar, dass der Hangwind ausreichend tragen würde. Vielleicht hätte man doch noch in ein paar zusätzliche lange Unterhosen schlüpfen sollen. Es war nämlich verdammt kalt, auch wenn alle potentiellen Ritzen in dem alten Segler zuvor akribisch abgedichtet worden waren. Ab und an zog es trotzdem wie Hechtsuppe.
Der Rekordjäger hatte sich zuvor mit ausreichend Proviant eingedeckt. So ein Marsriegel zwischendurch bringt verbrauchte Energie sofort zurück. Und wenn’s dann doch mal auf’s Bläschen drückt, für solche Fälle haben er und die Seinen stets eine verkleinerte Dixie-Klo-Version mit an Bord. Die körperliche und psychische Belastung auf so einem Dauerflug ist beträchtlich. Es ist nicht so, dass die Minuten auf blutenden Füßen dahinkriechen, aber irgendwann wird es doch ein klein wenig eintönig. Aber wenn der Segler dann in 60 Metern Höhe herumfuhrwerkt und beinahe die Baumwipfel küsst, ist der Steuermann wieder hellwach. So richtig komfortabel ist es in dem engen Cockpit einer K 8 auch nicht gerade. Dehn- Streck- und Lockerungsübungen sind da nicht drin. Der gebürtige Mescheder und überzeugte Wahl-Hirzenhainer hatte jedoch, so viel “Luxus” darf sein, ein zusätzliches und gut gepolstertes Sitzkissen “eingebaut”. So war es auf dem schmalen Sitz auf Dauer zumindest einigermaßen erträglich.
Ob sich der Überflieger in weniger Adrenalin-lastigen Phasen seiner Reise die ein oder andere Netflix-Serie auf dem Smartphone reingezogen hat, bleibt sein Geheimnis. Die Zeit, behauptet er, sei aber im Großen und Ganzen wie im sprichwörtlichen Flug vergangen. Er habe sich in entspannten Momenten auch mal selbst ein Liedchen vorgesungen. Gut, dass das niemand anders gehört hat. Zwischendurch auch immer mal wieder ein paar aufmunternde WhatsApp-Nachrichten von Freunden und Vereinskollegen, durchzuhalten und bloß nicht schlapp zu machen. Hatte Markus Beckmann auch nicht so vor.
Es gibt nicht viele Fluggebiete in Deutschland, die ob ihrer Lage, Ausrichtung und meterologischen Gegebenheiten die Voraussetzungen für derlei ehrgeizige Unterfangen bieten. Der Hirzenhainer Nord-West-Hang hat es in dieser Hinsicht zu einer gewissen Berühmtheit in den einschlägigen Kreisen gebracht. Dennoch gibt es viele Parameter, die die aufeinandertreffen und stimmen müssen, damit so etwas gelingt. Und das Zeitfenster dafür ist klein. Ende Mai bis Mitte Juni, wenn es morgens früh hell und abends erst spät dunkel wird. Der Nord-West muss gut in Form sein, die Außentemperaturen stimmen, die Sonneneinstrahlung beim Erwachen des ereignisreichen Tages engsprechend intensiv sein. Und diesmal passte alles. Doch mehr als einmal hatten Beckmanns Versuche, den Rekord einzustellen, in den Jahren zuvor auf der Notlandewiese im Eiershäuser Tal geendet. Anderen ging es genauso. Try it again! Klar doch.
Das Empfangskomitee nach über 16 ermüdenden Flugstunden war eindrucksvoll. Fast hundert Vereinsfreunde und Schlachtenbummler hatten sich, mit Plakaten und Transparenten bewaffnet, an der Flughalle am Hang eingefunden, um die Leistung und glückliche Landung ihres neuen Rekordhalters gebührend zu würdigen. Der war, was nachvollziehbar ist, platt wie eine Flunder, doch für ein paar Euphorie-Bierchen aus dem eigens dafür angestochenen Fass reichte es noch allemal. Congratulations! So etwas muss gefeiert werden. Und eine Steilvorlage für nächstes Jahr. Dann wird der SFC HiHai 100 Jahre alt. Mir freue sich!
Was ist jetzt noch für den mit drei Diamanten dekorierten Gold-C-Überflieger zu holen? Den Vereinsrekord im Streckenflug mit 944 Kilometer macht ihm seit 2018 keiner der lokalen Kameraden streitig. Jetzt peilen wir mal die 1000-Kilometer-Hürde an. Wird schon. Toi, toi, toi!