Von Jürgen Heimann
Wie sagte doch gleich die Frau, nachdem sie in ein Stück Seife gebissen hatte? Alles Geschmacksache! So isses. Deshalb kann man es auch sagen. Ich persönlich halte die Inszenierung von „Sister Act“ für eine der besten und trubulentesten, die die Tecklenburger Freilichtspiele jemals auf ihre großen Open-Ar-Bühne gebracht haben. Und es ist keine Deutschland-, Europa- oder sogar Weltpremiere, wie sie die Theatermacher aus dem Münsterland in der Vergangenheit schon mehrmals hingelegt haben. Sondern „nur“ eine Art Neuauflage, bei der die Verantwortlichen des deutschen „Sommer-Broadways“ aber wieder Zeichen setzen und der sie ihren eigenen, unverwechselbaren Stempel aufdrücken konnten. Die rasante Komödie hat sich in den letzten Jahren bereits die Zuschauer in Hamburg, Stuttgart, Oberhausen und Berlin auf die Schenkel klopfen lassen. 2017 gab es außerdem noch eine mobile Aufführungsreihe im Rahmen einer Deutschland-Tournee.
Dieses „himmlische Musical“ basiert auf dem gleichnamigen Film „Sister Act“ mit Whoopi Goldberg in der Hauptrolle. Die Musik dazu schrieb Alan Menken. Sie hat aber keinerlei Bezug zum seinerzeitigen Soundtrack des Kino-Hits. Der US-amerikanische Komponist hat ja inzwischen acht Oscars für seine Filmmusiken der Disney-Blockbuster „Arielle, die Meerjungfrau“, „Die Schöne und das Biest“, „Aladdin“ und „Pocahontas“ eingesackt. Doch hier zeigt er, dass er auch als Musical-Komponist ‚ne Menge drauf hat.
In Teck mischen die abgedrehten Nonnen seit dem 24. Juni ihr Kloster samt Mutter Oberin (Masha Karell) auf. Am kommenden Wochenende (Samstag und Sonntag) tun sie das ein letztes Mal. Dann ist nach 26 Vorstellungen Schluss mit Lustig. Für ihre Version des Stücks hatten sich Intendant Radulf Beuleke und die Seinen die Unterstützung von Werner Bauer als Regiemeister gesichert. Das Multi-Talent kommt ja aus den Bereichen Schauspiel und Musical, gehörte u.a. schon zur Premieren-Cast von „Tanz der Vampire“ und „Titanic“ und stand 25 Jahre lang als Sänger, Musicaldarsteller und Schauspieler auf den Brettern, ehe er die Seiten und ins Regiefach wechselte. Der Mann weiß genau, worauf es ankommt.
Im Umfeld des Beichtstuhls und dem des Nonnenklosters geht die berühmte Post ab, überschlagen sich die Ereignisse. Da gibt es mehr als zwei Stunden lang gute Laune non-stop. Ein ganzes Panoptikum schräger und schriller, aber liebenswerter Charaktere läuft auf, und das zu Höchstform. Gute Unterhaltung per excellence.
Die nicht unbedingt auf einer Welle des Erfolgs schwimmende Nachtclubsängerin Deloris van Cartier (Peti van der Velde) wird hier, in den die Sinne (und Triebe) abtötenden Klostermauern quasi zwangseingewiesen, weil sie Zeugin eines von ihrem verheirateten Liebhaber Curtis Jackson (Martin Pasching) in Auftrag gegeben Mordes wurde und letzterer nun seine schweren Jungs auf sie hetzt, um sie zu eliminieren. Um das zu verhindern, „mietet“ Cop Eddie Fritzinger (Fabio Diso) die langmähnige, dunkelhäutige Schönheit, in die er seit Schultagen verliebt ist, als Schwester Mary Clarence in dem strenggläubigen und von der Äbtissin mit harter Hand regierten katholischen „Mädchenpensionat“ ein. Und das ist für die lebenslustige Nightclub-Diva kein Platz an der Sonne. Aber sie macht das Beste draus und bringt den tristen Alltag ihrer Mit-Schwestern gehörig durcheinander.
Den schief singenden Kloster-Chor bringt die Neue auf Vordermann und formt daraus einen Headliner, der Monsignore (Andreas Goebel) in Folge und auf Dauer eine vollbesetzte Kirche und durch die Decke schießende Kollekte-Einnahmen beschert. Selbst der Papst wird auf diese Erfolgsgeschichte aufmerksam und sitzt bei einem Konzert der fidelen Ordensschwestern quasi in der ersten Reihe. Anfänglich noch in züchtige, an Pinguine erinnernde schwarz-weiße Buß-Gewänder mit Häubchen gekleidet, kommt darunter im Laufe der Show scharfer, sexy-roter Glitter zum Vorschein. Die prächtigen Kostüme hatte, wie in den vielen Jahren zuvor, wieder Karin Alberti kreiert.
Das Orchster unter der Stabführung von Giorgio Radoja spielte auf, als gebe es kein Morgen. Man/frau konnte hören, die Instrumentalisten hatten selbst Spaß an der Menken’schen Partitur, die hier bei Sister-Act als pulsierender, aufregender Mix aus Soul, Blues, Disco, Gospel und kontemplativen Chorweisen daherkommt. Ab und an hatte man dabei den Eindruck, als würde noch einmal das „Saturday Night Fever“ grassieren. Aber davon lassen wir uns doch gerne infizieren. Als Bühnenbildner hat sich Jens Janke in Tecklenburg inzwischen fest etabliert. Das ist auf einer so großen Freilichtbühne kein leichter Job. Die künstliche Kulisse muss zwangsläufig minimalistisch, aber auch wandelbar sein. Sie bei Szenenwechseln binnen weniger Sekunden ins Gegenteil zu verkehren, aus einer zwielichtigen Gangster-Bar ein Kloster zu formen, ist schon eine Herausforderung. Die er aber gemeistert hat.
Die Choreografie, verantwortet von Till Nau, ist neben den pointierten, spritzigen Dialogen ein weiterer Eckpfeiler des Gelingens: Let’s dance!“. Die Macher der gleichnamigen Fernsehsendung dürften angesichts dieses kreativen Bewegungs-Vokabulars vor Neid erblassen. Präzise Ensemble-Szenen in perfekter Synchronizität einfalls- und ideenreich umgesetzt. Und als dann auch noch die Messdiener mit ihren Weihrauch-Bembeln das Parkett rockten, gab es auch im Publikum kein Halten mehr. Michaela Ronzoni und Werner Sobotka haben die entsprechenden Originaltexte von Douglas Carter Beane mit Furor und einfallsreich ins Deutsche übertragen und, wo es not tat, entsprechend angepasst. Die Pointen zünden und sorgen wiederholt für offenen Szenenapplaus.
Ja und bei der Auswahl derjenigen, die das Gerüst mit Leben füllen müssen, waren die darin geübten und routinierten Bühnen-Verantwortlichen diesmal gezwungen, sich umzustellen und ihre ursprünglichen Personalvorstellungen ganz schnell den neuen Gegebenheiten anzupassen. Denn: Sister-Act hatte ja schon zweimal Corona-bedingt verschoben werden müssen. Viele der ursprünglich ins Auge gefassten und vertraglich gebundenen Künstler waren auf einmal nicht mehr verfügbar, weil sie notgedrungen andere Engagements suchen und annehmen mussten. Trotzdem gelang es, eine Cast zusammen zu stellen, die dermaßen homogen, enthuiastisch und koordiniert agierte, als wäre es nie anders geplant gewesen.
Eine Niederländerin ist bzw. war es erst einmal, die das Ganze reißt: Peti van der Velde. Wir kennen die studierte Jazzsängerin und Querflötistin aus diversen Musical-Produktionen. Da reicht die Brandbreite von Tabaluga & Lilli über den King der Löwen bis hin zu „We will rock you“; mit Zwischenstationen bei „Hair“, „Snow White“, „Tarzan“ und „Freak out“. In Tecklenburg fand die Aktrice jetzt aber als Deloris van Cartier ihre Bestimmung. Mit welch unglaublicher Intensität, Authentizität, Mimik, Körpereinsatz und vokaler Brillanz diese außergewöhnliche Frau die ihr zugedachte Rolle ausfüllt, ist bemerkenswert. Ein Glücksgriff für die Festspiele! Die Idealbesetzung schlechthin.
Gut, man kann nicht allen gerecht werden. Aber Katia Bischoff muss hier unbedingt Erwähnung finden. Als Nonnen-Azubi stellt diese herausragende Künstlerin zunächst über weite Teile der Inszenierung ihr Licht Script-konform unter den Scheffel. Um dann im letzten Drittel förmlich zu explodieren. Ganz großes Kino!
Irgendwann ist auch der schönste Spaß vorbei. Wie hier in Tecklenburg am 11. September. Aber diese Produktion wird nachwirken. Garantiert. Schauen wir aber in die Zukunft. Noch nicht offiziell Meldungen zufolge soll Mozart! In der Spielsaison 2023 in Tecklenburg wieder seine Rasta-Locken schwingen. Als Zweitstück ist dann das Dance-Feuerwerk „Miami Nights“ gesetzt. Alles zwar schon mal dagewesen, aber immer wieder gerne….