Von Jürgen Heimann
Eigentlich wollen wir ja gar nicht wissen, woher die Currywurst, das Schnitzel oder der Schinkenbelag auf dem Frühstücksbrötchen kommt. Und wenn doch, interessieren uns die Umstände, unter denen diese fleischlichen Lebensmittel erzeugt worden sind, kaum. Zumal das Siegel auf der Verpackung ja offenbart: Der Sau, die den Rohstoff geliefert hat, ging es zu Lebzeiten saugut. Der “Tierwohl”-Papperl verheißt dahingehend jedenfalls Genuss ohne Reue und Gewissensbisse. Eine klassische Win-Win-Situation für Mensch und (Schlacht-)Vieh. Alles ist (oder wird) gut. Oder vielleicht doch nicht? Wenn’s denn so einfach wäre.
Die Schlachtunternehmen in Deutschland haben im vergangenen Jahr so viel Fleisch wie nie „erzeugt“: 8,25 Millionen Tonnen waren es den Angaben des Statistische Bundesamtes zufolge. Geschlachtet wurden mehr als 59 Millionen Schweine und 3,6 Millionen Rinder. Die Menge an Geflügelfleisch betrug rund 1,5 Millionen Tonnen.
Jeder Deutsche isst 60 kg Fleisch pro Jahr
Die Deutschen schaufeln sich pro Jahr im Durchschnitt 60 Kilogramm Fleisch auf den Teller. Zwei Drittel davon stammen von der Wutz. Und weil die Verbraucher auch längst nicht mehr alles wahllos in sich hineinschlingen, müssen die Waren einen Güte- oder Qualitätsaufdruck tragen. Sonst bleiben Speck und Braten, preiswert hin, preiswert her, im Kühlregal des Discounters liegen.
Diese Qualitäts- und Nachhaltigkeitssiegel sind oft von zweifelhafter Herkunft. Zumindest halten sie nicht das, was sich der Konsument davon verspricht, oder umgekehrt, was diese dem Konsumenten versprechen bzw. suggerieren. Und kaum einer weiß, wer wirklich dahinter steht und steckt. Die “Zertifikate” können über die Auswüchse der industriellen Massentierhaltung auch nur bedingt hinweg täuschen. In dieser Hinsicht hat sich in den vergangenen Jahren wenig geändert oder verbessert, trotz der vielen bunten Buttons.
Wenig Platz, aber viel Antibiotika
Es ist nach wie vor gang und gäbe, dass Zucht- und Schlachttiere in Mega-Anstalten auf engstem Raum gehalten werden, auf Betonböden, in Ställen ohne Tageslicht und ausreichenden Auslauf. Da sind die gesetzlich vorgegebenen Mindeststandards sehr großzügig. Die dem Tod Geweihten leiden unter Verhaltensstörungen, verletzen sich gegenseitig und fangen sich häufig Infektionskrankheiten ein. Die dann mit viel Antibiotika bekämpft werden.
Kastrierung ohne Betäubung
Die Kastrierung von Mastferkeln ohne Betäubung ist Standard, um so spätere unangenehme Geruchs- und Geschmacksauffälligkeiten beim Fleisch zu vermeiden. Den kleinen Rüsseltieren werden zudem mit einem glühenden Heißschneider die Ringelschwänze abgeschnippelt. Kupieren nennt man diese Verstümmelungspraxis, die EU-weit eigentlich verboten ist. Aber viele Bauern und die meisten Mäster schert das wenig. Angeblich soll dadurch verhindert werden, dass sich die Tiere in der Enge des Raums selbst die Schwänze abbeißen, warum auch immer sie das tun. Der Fachbegriff für diese Eigenart heißt „Caudophagie“, ist aber bei Wildschweinen unbekannt. Folgen können blutige Akutverletzungen, böse Abszesse und Entzündungen im gesamten Rückenbereich sein. Dem möchte man vorbeugen. Die Täter nennen das sogar “praktizierten Tierschutz”.
“Die Tiere werden der Haltung angepasst, anstatt die Haltung den Bedürfnissen der Tiere anzupassen”, sagt Greenpeace. Die global operierende Umwelt- und Tierschutzorganisation hat jetzt die gängigsten “Nachhaltigkeits”-Siegel auf ihre Seriosität hin abgeklopft und die Spreu vom Gen-Weizen getrennt. Fazit: Es ist nicht alles Gold was glänzt. Nehmen wir das oben erwähnte Logo der Initiative “Tierwohl”. Damit gekennzeichnete Waren werden unter anderem auch von Lidl, Aldi, Rewe, Penny, Kaufland, Netto oder Tengelmann vertickt.
Das 2015 ins Leben gerufene Projekt ist eine der größten PR-Lügen der vergangenen Jahre, sagt Thomas Schröder, der Vorsitzende des Deutschen Tierschutzbundes. Die Tierrechtsorganisation PETA hat unlängst zehn Schweinehalter wegen Verstoßes gegen das Tierschutzgesetz angezeigt. Sieben dieser Betriebe gehörten der Initiative an. Wie es dort zugeht, ist hier nachzulesen. Videoaufnahmen zeigen sind Tiere, die völlig zerkratzt sind oder faustdicke Abzesse mit sich herumtragen. Einige sind so schwach, dass sie nicht mehr hochkommen und von ihren Artgenossen überrannt werden. PETA berichtet: “Hustende Tiere im krankhaften Hundesitz, abgenagte Ringelschwänze, Hoden- und Nabelbrüche sowie zahlreiche andere Verletzungen, die offensichtlich nicht oder unzureichend behandelt wurden. Die Schweine verletzen sich gegenseitig in Rangkämpfen, die aufgrund der Enge und Langweile zum Teil noch heftiger ausfallen. Zahlreiche Bissverletzungen sind die Folge der belastenden Haltung. Sauen in engen Kastenständen sind auch bei der „Initiative Tierwohl“ Standard – eine unvorstellbare Qual für die intelligenten Tiere”. Dieses Video belegt diese Aussagen:
Die Tierrechtsorganisation PETA hat sich undercover in der “Initiative Tierwohl” angehörenden Schweinemastbetrieben umgesehen. Die Ergebnisse dieser Rccherchen sind erschreckend.
Ziel einer an die Bundesregierung gerichteten Online-Petition ist es, die legalisierte Tierquälerei zu stoppen. Wer diese Initiative unterstützen möchte, kann das hier tun.
Viel Tierleid statt „Tierwohl“
Hinter den Tierwohltätern verbirgt sich ein Zusammenschluss aus Landwirtschaft, Fleischindustrie und Lebensmitteleinzelhandel. Letzterer finanziert das Ganze auch. Vier Cents pro Kilogramm verkauften Schweine- oder Geflügelfleisches landen in einem Fonds, aus dem Bauern, die sich den Kriterien unterwerfen, gefördert werden, um die Lebensbedingungen ihres Kapitals zu verbessern. Der Handel ist natürlich nicht ganz uneigennützig so spendabel. Ein Schalk, der Schlechtes dabei denkt. Er will ja seinen Umsatz steigern, also der Handel, nicht der Schalk. Und das mit vermeintlich tiergerecht erzeugten Lebensmitteln. Und der Kunde verkennt, dass sich hinter dem angeblichen “Tierwohl” auch viel Tierleid verbergen kann. Die so gekennzeichneten Produkte stammen nicht zwangsläufig aus besserer Haltung. Siehe oben. Die Kriterien dafür unterscheiden sich nur geringfügig von laschen gesetzlichen Mindeststandards – und sind für die angeschlossenen Lieferanten und Erzeuger noch nicht einmal verpflichtend, sondern freiwillig.
Schönfärberei mit dem „QS“-Aufkleber
Auch bei mit dem “QS”-Siegel versehenden Fleischprodukten ist Vorsicht geboten. Dahinter steht eine Initiative der Ernährungswirtschaft, in der sich Futtermittelhersteller, Landwirtschaft, Schlacht- und Zerlegebetriebe zusammengeschlossen haben. Das zeigt schon, worauf es hinaus läuft: Es geht darum, das Produkt schön zu reden. Aber in den angeschlossenen QS-zertifizierten Betrieben haben die Tiere meist keinen Auslauf. Auch Gen-Futter ist erlaubt, das Abschneiden der Ringelschwänze sowieso. Selbst gegen den Transport des Schlachtviehs bis zu einer Dauer von 24 Stunden haben die honorigen QS’ler nix.
Die von der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG) inflationär verteilte Qualitäts-Plakette hat überhaupt keine Aussagekraft darüber, wie mit den Tieren umgegangen wird. Das ist ein reines Marketinginstrument der Ernährungs- und Agrarindustrie. Hier geht es einzig und allein um Geschmack, Aussehen und Geruch.
Das Bio-Siegel nach der EU-Richtlinie ist erste Wahl
Als beste Wahl bei Fleischverzehr bezeichnet Greenpeace solche Produkte, die das Bio-Siegel nach der EG-Öko-Verordnung tragen. Die angeschlossenen Verbände (Demeter, Naturland, Bioland) orientieren sich bei der Tierhaltung an Standards, die zum Teil noch deutlich höher sind, als es die relativ strenge EG-Öko-Verordnung vorschreibt. Gifteinsatz und Gentechnik sind hier sowieso obsolet. Es wird auch kein Soja aus Regenwaldabholzung verfüttert. Die Tiere haben mehr Platz im Stall und regelmäßig Auslauf.
Ein „Papperl“ für Einsteiger und Fortgeschrittene
Den höchsten konventionellen Standard bietet aktuell “Neuland”, während der Deutsche Tierschutzbund ein Einstiegs- und ein Premiumsiegel vergibt. Fleisch mit letzterer Etikettierung ist natürlich vorzuziehen, weil ihm noch enger gefasste Anforderungen zu Grunde liegen. Dabei ist im Gegensatz zur Einstiegsklasse Genfutter untersagt, die maximale Bestandsdichte pro Stall auf 2000 statt 3000 Tiere begrenzt. Aber das Siegel gibt es derzeit nur auf wenigen Produkten. Auch das der Tierschutzorganisation “Vier Pfoten”, die ein eigenes Papperl für “Einsteiger” und “Fortgeschrittene” vergibt, ist nicht weit verbreitet.
Greenpeace hat dieser Tage einen Wegweiser veröffentlicht, der dem Verbraucher die Orientierung beim Kauf von Schweinefleisch etwas erleichtern soll. Der ist hier abrufbar.
Höhere Mehrwertsteuere auf Fleischprodukte?
Viele der gebräuchlichen Siegel – und es gibt ja noch viel mehr – haben allenfalls Feigenblattfunktion. Dadurch ändert sich weder die Preispolitik der Supermarktketten noch werden dadurch Verbesserungen in der Mast angeschoben. Wie auch, wenn ein Kilo Schweinehack mitunter für 3,19 Euro verramscht wird? Oder ein 600 Gramm schweres mariniertes Schweinenacken-Steak für 1,99 EUR? Schon vor Jahren hat Greenpeace deshalb eine Anhebung der Mehrwertsteuer auf Fleischprodukte gefordert. Der hohe Konsumrate mit seinen Klima- und Umweltschäden könne sinken, wenn Fleischwaren nicht weiter über den ermäßigten Mehrwertsteuersatz von sieben Prozent subventioniert würden, hieß es. Statt Fleisch zu Spottpreisen zu verkaufen, sollte auch weniger und besserer „Stoff“ mit geringeren Umweltkosten produziert werden. Vor allem Billigfleisch aus Intensivtierhaltung verursache gewaltige ökologische Folgekosten. Außerdem äßen die Deutschen im Durchschnitt sowieso mehr als doppelt so viel Fleisch wie von Gesundheitsorganisationen empfohlen.
Die meisten Verbraucher würden mehr bezahlen
Einer aktuellen Umfrage zufolge wären 85 Prozent der Kunden auch bereit, bis zu 5 Euro mehr für das Kilo Schweinefleisch hinzublättern, sofern die Tiere anständig gehalten würden. Ob das nur Lippenbekenntnisse sind, käme auf einen Versuch an. Die Discounter könnten ihre Marktmacht schon dazu nutzen, um die Bedingungen positiv zu beeinflussen. Aber bis es so weit ist, müsste sich der Metzger um die Ecke, der ja angeblich jede Sau, die er verwurstelt hat, mit Vornamen kannte, der seine Produkte aber hochpreisiger anbieten muss als die großen Handelsketten, vor Kundenandrang nicht retten können. Dem ist aber nicht so.
Der Siegelcheck im Internet
Der Siegel-Dschungel ist freilich noch viel größer und undurchdringlicher. Ob für Textilien oder Kakao, Getreide, Gemüse, Fisch, Kosmetik, Säfte, Milchprodukte oder Tee, es gibt kaum ein Produkt, das nicht mit irgendeiner Plakette oder einem Zertifikat versehen ist. Da blickt inzwischen kaum einer mehr durch. Der Naturschutzbund Deutschland (NABU) bietet da etwas Orientierung. Auf seiner Siegel-Check-Seite sind online detaillierte Informationen zu den gängigsten „Stempeln“ abrufbar, und zwar hier: http://siegelcheck.nabu.de/
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