Von Jürgen Heimann
Wäre der deutsche Automobilist eine Kuh, was er von seiner finanziellen Milchleistung her ja eigentlich auch ist, er bekäme seit Jahren bei der DLG-Prämierung regelmäßig Brillant-besetzte Goldmedaillen mit Eichenlaub und Schwertern. Ohne die germanischen Gaspedalos hätte unser Staat längst Konkurs anmelden müssen – und der schwarze, rot schnäuzige Adler im Wappen müsste dem Pleitegeier weichen. Aber so… Die motorisierte Basis trägt inzwischen sogar einen großen Anteil an Mitschuld daran, dass der Schäuble-Gierschlund derzeit wieder Sorgen hat. Dahingehend, dass der oberste Kassenwart der Republik nicht weiß, wohin mit den aktuellen Überschuss-Milliarden im Haushalt. Im Jahre 2015 beispielsweise hat das fahrende deutsche Volk 8,6 Milliarden Euro allein an Kfz-Steuer abgedrückt. Weitere 39,595 Milliarden flossen an Energiesteuer. Da müsste man jetzt halt herausrechnen, wie viel von dieser astronomischen Summe auf die Besteuerung des Sprits entfallen ist. Aber egal: Schon der Evangelist Lukas hat ja gesagt: “Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist“! Und an dieser Maxime halten wir bis heute unverbrüchlich fest. …
Damit ist es aber längst nicht getan. Der straßengebundene Individual- und Güterverkehr muss ja auch den permanent klammen Kommunen mit großzügig bemessenen Zuwendungen unter die Arme greifen. Was zwar auch nicht ganz freiwillig geschieht, aber bei den Kämmerern eine fest eingeplante, stetig wachsende Größe ist. Jedes noch so kleine Provinzkaff will etwas vom großen Kuchen abhaben. Und deshalb werden die Einnahmen aus der kommunalen “Verkehrsüberwachung”, wie sie beschönigend genannt wird, und die sich sowohl auf das rollende als auch auf das parkende Blech konzentriert, immer wichtiger. Die ist als Geschäftsmodell von hoher Effizienz längst zum Dukatenscheißer geworden. Und der sitzt eigentlich ständig mit Dünnpfiff auf dem Klo.
Es geht längst nicht mehr um Verkehrssicherheit
Vorbei die Zeiten, als Tempokontrollen einzig und allein in die Kompetenz unserer uniformierten Trachtengruppe fielen und vorgeblich und ausschließlich Zwecken der Prävention, Unfallverhütung und Verkehrserziehung dienten. Seit den 90er Jahren mischen da auch die Städte und Gemeinden eifrig mit und sorgen, Peace, Bruder, somit für mehr Frieden auf den Asphaltpisten. Seitdem sind selbst auf dem platten Land die Unfall- und Opferzahlen in den Keller gesackt, oder etwa nicht? Das hat natürlich seinen Preis. 600 Millionen Euro. So viel hofften die deutschen Ordnungsämter im vergangenen Jahr mit dem Einsatz von Starenkästen und mobilen Anlagen generieren zu können. Aber etwas Understatement muss sein. Real ist vermutlich ein Vielfaches an Kohle geflossen. Andere Schätzungen sprechen sogar von bis zu drei Milliarden Euro, die den Börsen der Verkehrsteilnehmer auf diese und ähnliche Weise entnommen werden und die Kommunalhaushalte stabilisieren bzw. sanieren. In diesem Betrag sind freilich die gebührenpflichtigen Parksünder-Verwarnungen auch enthalten. Und die Erlöse daraus übersteigen nicht selten die der Gewerbesteuereinnahmen.
Frankurt ist Äbbelwoi- und Knöllchen-Hochburg
Die Schnellfahrer sind für die Städte und Gemeinden eine Goldgrube. Und wenn sie lediglich parken wollen auch. Die Überwachung und Disziplinierung des ruhenden Verkehrs ist für die Kommunen nämlich eine fast ebenso einträglich sprudelnde und konjunktur-unabhängige Einnahmequelle. Der Äbbelwoi-Metropole am Main bescherte das Park & Roll-Paket im vergangenen Jahr 18,5 Millionen Euro zusätzlich. Von einem solchen Umsatz können die Wirte in der Klappergass‘ trotz wachsender Zahlen ambitionierter Schoppepetzer, die in ihre Stuben drängen, nur träumen. Einen entsprechenden „Stöffche“-Umsatz erreichen Frau Rauschers Erben auch nicht nur annähernd. Und das hat jetzt nix damit zu tun, dass die versuchsweise Einrichtung von Tempo-30-Zonen in Sachsenhausen inzwischen wieder aufgehoben wurde. Trotzdem konnten die Frankfurter Knöllchen-Dealer ihr Ergebnis im Vergleich zum Abrechnungszeitraum des Vorjahres noch mal um 1,4 Millionen steigern. Auch die Marburger legten erneut zu, gaben sich aber, bescheiden wie sie nun mal sind, mit 1,675 Knöllchen-Euronen zufrieden. Gießen kassierte 1,5 Millionen, Kassel 2,591 Millionen. Da muss man sich doch nicht wundern, wenn Auswärtige um solche Abzock-Reviere einen großen Bogen machen und wieder die beschauliche Provinz für sich entdecken. Wenn sie da mal nur nicht vom Regen in die Traufe kommen.
Geblitzt wird da, wo viel Umsatz winkt
Inzwischen bleibt es sich gehüpft wie geblitzt und somit egal, ob es sich bei den Stellen, an denen sich die Geldeintreiber auf die Lauer legen, um Unfallschwerpunkte handelt oder nicht. Die Ertragsaussichten sind längst zum entscheidenden Kriterium für die Standortwahl geworden. In NRW und mehreren anderen Bundesländern haben die Wegelagerer inzwischen eine unbegrenzte Lizenz zum Gelddrucken. Sie dürfen sich postieren, wo sie wollen. Hauptsache der Rubel rollt. Und das tut er, je mehr der Verkehr das tut. Wo und wie sonst kann man blitzschnell reich werden? Selbst die Gewerkschaft der Polizei kritisiert, dass es hierbei längst nicht mehr um Verkehrssicherheit und /oder die Disziplinierung notorischer Tempomaten geht, sondern ums Geschäft. Das diesem innewohnende Potential ist aber noch längst nicht ausgereizt.
Privatfirmen als General- und Komplettabwickler
Es soll tatsächlich noch Gemeinden geben, die ihre eigenen Hilfssheriffs auf die Jagd schicken. Aber inzwischen locken da längst andere lukrative Businessmodelle. Immer mehr private Blitzerfirmen drängen auf diesen (Wachstums-)Markt und empfehlen sich als Freund und Helfer. Was übrigens beiden Geschäftspartnern nutzt. Reden wir nicht von den Herstellern der Hardware. Meist sind die Produzenten dieser High-Tech-Big-Brothers nämlich mit ihren späteren Anwendern identisch. Heißt: Die Hersteller treten im Rahmen des Gesamtprozesses zugleich auch als General- und Komplettabwickler auf. In dem von ihnen offerierten Rundum-Sorglos-Paket kann sogar das Inkasso schon enthalten sein. Das ist für die Auftraggeber billiger, als selbst teure Kamera-Nistkästen, die auch schon mal 80.000 bis 100.000 Riesen kosten können, zu erwerben, zu installieren, zu betreiben und zu warten. Von dem ganzen bürokratischen Aufwand in Folge ganz zu schweigen. Das bindet Manpower im Rathaus, was vor allem auch für den Einsatz mobiler Anlagen gilt. Deshalb geht der Trend hin zu den festen Fallen. Derer gibt es bundesweit inzwischen mehr als 3.800. Mobil sind etwa 2.000 unterwegs. Das hatten die rockenden Holländer mit den goldenen Ohrringen 1973 natürlich nicht voraussehen können. Sonst hätten sie einen weniger missverständlicheren Titel als „Radar Love“ gewählt.
Die Gemeinden brauchen, so weit sind wir schon, im Land der zunehmenden Radardichte lediglich die Standorte festzulegen. Oft noch nicht einmal das. Dann übernehmen die Externen. Das beginnt bei der Finanzierung, Installation und Wartung der Geräte und hört bei der Personalbereitstellung noch lange nicht auf. Die Privaten sind dabei natürlich auf Umsatz abonniert. Zeitigt ein Messpunkt nicht das erwünschte Ergebnis, wird er kurzerhand verlegt. Wo höheres Verkehrsaufkommen herrscht, winkt auch mehr Reibach.
Highway to (Knöllchen)Hell
In der kleinen, 20 Kilometer nördlich von Marburg gelegenen Gemeinde Münchhausen lässt sich exemplarisch beobachten, wie so ein Deal zur vollsten Zufriedenheit aller, ausgenommen der der Autofahrer, funktionieren kann. Dort, auf “der schlimmsten Blitzermeile Deutschlands”, hatte man quasi als Pioniertat entlang der B 252 schon vor Jahren vier stationäre und privat betriebene Highspeed-Säulen aufgestellt. Die spülten jährlich 650.000 Euro in den Haushalt. Zumindest anfänglich war das so. Inzwischen sind es etwas weniger, weil die Nutzer der Route auf Dauer ja auch nicht ganz resistent gegen schlechte Er-Fahrungen sind. Der Dienstleister kassierte pro “Fall” (anfänglich 60.000 im Jahr) fünf Euro je Foto. Machte in den besten Zeiten per anno 300.000 EU-Dollars. Für beide Partner eine klassische Win-Win-Situation. Und für die Kommune bedurfte es noch nicht einmal eines Cents an Anschubfinanzierung. Sie „verpachtet“ lediglich klitzekleine Flächen ihres Hoheitsgebietes an den Serviceanbieter. Was sich durch exorbitante Mieteinnahmen auszahlt. Freitagabends von 19 bis 20 Uhr ist hier übrigens immer Happy Hour. Dann gibt’s 10 Prozent Rabatt für Stammkunden nebst Treuebonus. Und der Schnellste wird von der bildschönen Ordnungsamtsleiterin zum Essen beim Italiener eingeladen. Das Lokal heißt bezeichnenderweise “Formula uno”.
Ob Dein Tacho richtig dreht, weißt Du wenn das Licht angeht
Münchhausen ist nur ein Gewächs am oberhessischen Straßenrand von Deutschlands berüchtigtster Blitzerallee. Die führt durch die Gemeinden Lahntal, Münchhausen, Burgwald und die Stadt Wetter. Die Ballung an “Messpunkten” hier ist immens. Wäre der Grund, dass es sich um einen Unfallschwerpunkt handelt, hätten sich hier in der Vergangenheit mindestens 120 Menschen die Köpfe einfahren müssen – täglich. 37 Mal wechselt auf dem kurzen Stück das Tempolimit. Ein stetes Hin und Her von 100 über 80, 70, 60, 50 bis 30 km/h erfordert höchste Konzentration. Größerem Stress ist selbst der Pilot eines Überschall-Jets nicht ausgesetzt. Mal gilt innerorts Tempo 30 nur in den Nachtstunden von 22 bis 6 Uhr, mal für ein paar hundert Meter auch tagsüber zwischen 13.15 und 13.22 Uhr. Innerhalb der Ortsdurchfahrt kommt man da schon mal schnell oder ganz schnell durcheinander. Hier gilt dann auch immer der Grundsatz: „Ob Dein Tacho richtig dreht, weißt Du wenn das Licht angeht“ – blitz! Bitte lächeln!
Der große Bruder kleidet sich chic
Die Überwachungstechnik wird immer ausgefeilter. Die schlichten grau-grünen Arme-Leute-Standard-Boxen mit den unter- oder nebeneinander angeordneten Doppelaugen werden nach und nach ausgemustert, weil sie zu fehleranfällig und zu wenig mess-flexibel sind. Die Modelle der neueren Generation hingegen sehen aus, als wären sie von Luigi Colanis behinderten Adoptiv-Cousins designt worden und kommen wesentlich ansprechender daher. Grell-bunt mitunter, lustig-peppig angemalt, mit Smileys versehen. Sie haben auch mehr innere Werte. Modernste, Laser-gestützte und mit Micro-Four-System ausgestattete High-Definition-Speed-Cameras mit integrierter Kontrast- und Farbkorrektur, 6-Achsen-Stabilisierung, Phasen-AF-Sensoren, Belichtungsautomatik, Bildstabilisator, schwenkbarem Display und protzigem Pufferspeicher sind längst Standard. Sie decken natürlich beide Fahrtrichtungen und jeweils die gesamte Straßenbreite ab, von hinten und vorne, oben und unten, Tag und Nacht und sogar zwischendurch.
Wenn der Mauersegler den Nachbrenner einschaltet
Selbst ein vorbeifliegender Mauersegler, der bis zu 200 Sachen drauf haben kann, entgeht den wachsamen elektronischen Spähern nicht. Tauben (Spitzengeschwindigkeit: bis zu 110 km/h) auch nicht. Einen vorbeitrabenden Vogel Strauß zu ertappen, der bis zu 70 Stundenkilometer schnell sprinten kann, zählt da eher zu den leichteren Übungen. Aber die großen Laufvögel sind ja bei uns im öffentlichen Verkehrsraum eher dünner gesät. Die entsprechenden Fotos begegnen einem dann später bei National Geographics. So kann sich der unterbezahlte Wartungstechniker über das Bildhonorar ein kleines Zubrot verdienen.
Die Daten, die bereits das Vorstrafenregister sowie den aktuellen Konto- und Familienstand des Delinquenten beinhalten, werden anschließend via WhatsApp in die Zentrale übermittelt, wo sich der Sachbearbeiter dann schon mal mit der hübschen Ehefrau des Ertappten hinter dessen Rücken zum Lunch verabredet. Auf Wunsch erscheinen die Beweisfotos dann auch zeitgleich im Facebook-Profil des Pechvogels oder tauchen dekorativ in dessen Twitter-Account auf. Diesen Service braucht er nicht extra zu bezahlen. Er ist frei Haus.
Tarnen und Täuschen: Unterflurhydrant mit langem Hals
Tarnung ist in diesem Geschäft natürlich alles. Täuschung auch. Mal sehen die Dinger aus wie Altkleidersammelbehälter der Malteser, dann wiederum ähneln sie frappant einer Straßenlaterne. Sie hinter Hecken, Mülltonnen oder geparkten Autos zu verstecken, wäre auch langweilig. Da gibt es kreativere Methoden. Beispielsweise die, dass der Zigarettenautomat gar keiner ist, sondern ein Blitzer. Inzwischen gibt es aber auch schon Geräte, die beinhalten beides: Eine Kamera und Glimmstengel. Was ganz schön irritierend sein kann, wenn man sich nur eine Schachtel Marlboro ziehen will und die dann ein Passfoto von einem machen. Das kommt später als Schockbild auf die Vorderseite der nächsten Packung, wie sie ja, um potentielle Quarzer abzuschrecken, seit 2016 EU-weit vorgeschrieben sind. Und wenn der Unterflurhydrant plötzlich einen langen Hals bekommt, ist ebenfalls Vorsicht geboten.
Die schnellen Ladies stehen auf Jena-Optik
Was auch für die einsam am Straßenrand stehende Restmülltonne gilt. Da steckt kein Müll drin, sondern vielleicht ein Multanova F6 von Jena-Optik, wie es unter Freunden rund 40.000 Euro kostet. Aber den Anschaffungspreis hat das Gerät schnell wieder herein geholt. Der Apparat, der vom Aussehen ein klein wenig an einen Granatwerfer erinnert, ist weit verbreitet, weil er auch bei missen Lichtverhältnissen gestochen scharfe Fotos liefert. Und die schnellen Ladies lieben ihn. Auf Wunsch zauberte die integrierte Software nämlich störende Pickel, Lachfältchen und Krähenfüße aus dem Gesicht der Porträtierten – allerdings gegen Aufpreis.
Frauke Petry als taktische Geheimwaffe
Ein solches Auge in einer lebensecht wirkenden und lasziv am Wegesrand dastehenden Puppe im aufregenden Minikleid, mit tiefem Ausschnitt und Beinen bis zum Himmel zu verstecken, hat sich hingegen als kontraproduktiv erwiesen. Da latschen die Autofahrer ja schon lange vorher voll auf die Bremse. Eine bessere Alternative, nicht nur für Deutschland, wäre da schon ein entsprechend präpariertes Wahlplakat der AfD mit Frauke Petrys Konterfei im Vollformat. Das löst bei vielen Schleichern automatisch einen temposteigernden Fluchtreflex aus. Was sich dann in Euro und Cent auszahlt – nur nicht für sie. Wir reden jetzt von den Autofahrern, nicht von Frau Petry.
Nachtrag:
Interessant in diesem Kontext wäre vielleicht noch ein Urteil aus berufenem Munde, dem von Martin H. Heller. Das ist der Leiter der Lokalredaktion der Wetzlarer Neuen Zeitung. „Geblitzt wird nur, wer schneller fährt als erlaubt“, schrieb der Mann mir. So einfach ist das. Da hätte ich auch selbst drauf kommen können. Als Vertreter eines Berufsstandes, der sich als vierte Gewalt im Staate sieht, weiß der erfahrene Redakteur natürlich, wovon er redet. Warum also die Dinge unnötig verkomplizieren? Wer die Guten und wer die Bösen sind, wäre damit ja wohl klar.
Bemerkenswert ist, was Hans Gnisa, der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes, zum Thema zu sagen hat: “Wenn Bußgelder nicht mehr den Kommunen zugutekämen, sondern an gemeinnützige Organisationen gehen müssten, würde es Blitzer nur noch geben, wo man sie braucht, und nicht mehr dort, wo vor allem die Kasse klingelt!”