Von Jürgen Heimann
“Bruno” (JJ1) hatte es 2006 bis auf Platz 7 der deutschen Vokabel-Charts geschafft. Als “Problembär” war er damals bei der Wahl zum “Wort des Jahres” bis ins Spitzenfeld vorgestoßen. Schließlich machte aber doch der Begriff “Fanmeile” das Rennen. Jetzt könnte “Pumpak” in die Favoritenrolle schlüpfen, und zwar als “Problemwolf”. Als solcher weiß er schließlich, was er dem Ruf seiner Art schuldig ist. Und die Zahl seiner Fans hält sich in Grenzen. Er frisst sich, was allein schon ungeheuerlich ist, so durch. Welche Probleme der zweijährige Rüde sonst noch bereitet (hat), ist so klar ersichtlich nicht. Aber das Vieh zeigt, was in seiner Vita begründet liegt, wenig Scheu vor Menschen und wird auch hin und wieder innerhalb menschlicher Siedlungen gesichtet. Beispielsweise im sächsischen Rietschen im Landkreis Görlitz. Dort fensterlt das Tier, wie eine hiesige Zeitung empört berichtete, lugt wie ein Spanner frech in die Wohnstuben hinein und erschreckt die Bewohner. Auch das Rotkäppchen soll er dabei schon mal fast schon zu Tode geängstigt haben. Aber jetzt reicht es. Das Maß ist voll. Das sächsische Umweltministerium hat den aus Polen eingewanderten Isegrim, der als Welpe von Menschen gefüttert wurde und deshalb wenig Scheu vor diesen zeigt, zum Abschuss freigegeben. Wir hatten bei uns im Mittelhessischen auch schon mal so einen Fall. Da hatte der Wolf, weil wir sein Klingeln nicht gehört hatten, ans Wohnzimmerfenster geklopft. Aber wir haben nicht auf ihn geschossen. Wolf hieß unser Nachbar mit Nachnamen….
“Der Fette”, so die wörtliche Übersetzung des Namens “Pumpak” – die phonetische Ähnlichkeit mit dem Disney-Warzenschwein „Pumbaa“ aus dem Löwenkönig ist rein zufällig und hat nix zu besagen – wird nicht der erste sein, der durch eine Kugel in die ewigen Jagdgründe einzieht, aber er ist auch nicht der erste, der das mit offiziellem Segen tut. „Kurti“, ein entfernter Verwandter, war ihm Frühjahr 2016 in Niedersachsen auf Anordnung der Behörden schon mal vorausgeeilt. Weil aber auch „Pumpak“ so verhaltensauffällig sei, muss er weg, sagt Minister Thomas Schmidt und hat den Abschussbefehl erteilt. Andernfalls sei eine weitere Eskalation zu befürchten. Die Sicherheit der Menschen habe schließlich Vorrang vor dem Artenschutz. Zumal die Bestie sich ja auch noch erdreistet hatte, das Fell einer von einem bewaffneten Weidmann erlegten Wildsau zu klauen und damit von dannen zu traben. Und das geht schon mal gar nicht. Wenn das jeder machen würde… Jetzt ist endgültig Schluss mit lustig. Feuer frei!
Vielleicht hat der sächsische Inlandsgeheimdienst aber auch Erkenntnisse, die der Öffentlichkeit vorenthalten werden und die den Schluss nahe legen, dass der böse Wolf im Auftrag des „IS“ herumstreunt, einen Sprengstoffgürtel trägt und einen Anschlag auf den Daubitz-Markt in der Dorfstrasse plant. Wer weiß? Auch Bundesagrarminister Christian Schmidt (CSU) hat bereits durchgeladen und plädiert für eine über den aktuellen Fall hinausgehende „beschränkte Abschussfreigabe“. Andere Länder planten so etwas schließlich auch. Aber dagegen regt sich auch Widerstand. Inzwischen wurde eine Online-Petition gestartet, die sich an den Hausherren im sächsischen Umwelt- und Landwirtschaftsministerium richtet und diesen dazu bewegen soll, den Exekutionsbefehl zu widerrufen.
Torschützen in der euphemistischen Oberliga
Natürlich ist man bei der Wahl der Worte sehr, sehr vorsichtig. Von Töten und/oder Abschießen wird nicht geredet. In der offiziellen Diktion ist stattdessen von einer “notwendigen Entnahme aus der Natur” die Rede. Das klingt doch gleich viel besser. Und ist euphemistische Oberliga. Euphemismen sind sprachliche Ausdrücke, die Sachverhalte, Dinge oder Personen beschönigend, mildernd oder in verschleiernder Absicht benennen und deren wahre Bedeutung verharmlosen. “Freistellung” bzw. “Betriebsoptimierung” sind solche Begriffe. Und kommen deutlich eloquenter rüber als “Massenentlassungen”. Und die Jäger geben ihrer angeschossenen Beute ja den Fang und brechen sie nur auf, anstatt sie abzustechen und dann aufzuschlitzen und auszuweiden. Und wenn es darum geht, durch Schuss oder Unfall verletztes Wild zu “erlösen”, wird es “abgenickt” und nicht etwa durch einen Messerstich ins “Hinterhauptloch” (Genick) getötet. Noch mehr Beispiele? “Anwendung körperlichen Zwangs” statt Folter, “Rückführung” statt Abschiebung, “Ausreisezentrum” statt Abschiebehaftanstalt, “durchsetzungsstark” statt rücksichtslos. Da kann auch schon mal der Voyeur zum Astlochastronomen werden, während eine ältere Frau als doppelter Teenager daherkommt. Ach ja, “Eigentumsübertragung” ist ja auch ein viel schöneres Wort als Diebstahl, und statt mir bis zum Platzen den Bauch voll zu schlagen, zeige ich einen “gesunden Appetit”.
Kleine Zicklein, wehrlose Großmütter und hilflose Kinder
Den hat mitunter auch der seit dem Mittelalter dämonisierte und verfolgte Wolf. Aber weniger auf kleine Zicklein, wehrlose Großmütter und hilflose Kinder. Seine Leibspeise sind Wildtiere, die sich mit ihm den Lebensraum teilen. Rehe, Rothirsche, Wildschweine und ab und zu auch mal ein Hase oder eine Ente. Natürlich dürfen es auch schon mal Nutztiere wie Schafe sein. Ungenügend gesicherte Weiden und Pferche sind da wie eine Einladung zum Dinner. Aber vor solch unerwünschten Essensgästen kann man sich ja schützen. Das Land Sachsen bezuschusst beispielsweise die präventiven Zwecken dienende Anschaffung von Elektrozäunen mit bis zu 80 Prozent. Aber gerade mal 311.300 Euro sind davon 2015 abgerufen worden. Das Klagen und Wehgeschrei ist andererseits groß, wenn der böse Wolf mal wieder irgendwo zuschlägt, weil die Küche noch geöffnet hatte. Zwischen Mai 2015 und April 2016 gab es in Sachsen 23 bestätigte (Über-)Fälle mit 135 getöteten Nutztieren.
Die Isegrims geraten zunehmend unter Beschuss
Deutschlandweit leben inzwischen 46 Wolfsrudel, 5 Paare und vier sesshafte Einzeltiere, verteilt auf sechs Bundesländer. Zu wenig, um, wie bei Waschbär und Fuchs üblich, bereits als Volksfeinde zu gelten. Aber was nicht ist, kann ja noch werden. Zumal das ja auch nicht unbedingt eine Frage der Quantität ist. Nach Berechnungen des Bundesamtes für Naturschutz wäre zwischen Kiel und Konstanz, Aachen und Görlitz Platz für maximal 440 Rudel. Ganz Deutschland sei potenziell Wolfserwartungsland, sagen die Experten. Diese Raubtiere – die Wölfe, nicht die Experten – waren vor 150 Jahren ausgerottet worden und vor 20 Jahren über Polen wieder in die Oberlausitz eingesickert. Die meisten Exemplare leben übrigens in Sachsen und Brandenburg. Ihre Population wächst und gerät zunehmend unter Beschuss. Dass die Gründer der Stadt Rom, Romulus und Remus, der Mythologie zufolge von einer Wölfin gesäugt wurden und Kevin Costner (“Der mit dem Rolf wanzt”) mit einem männlichen Exemplar das ein oder andere flotte Tänzchen hingelegt hatte, spielt keine Rolle.
Irrationale Ängste und Stimmungsmache
Da werden Urängste geweckt und bedient. Die Furcht vorm bösen „Ulv“, wie die Dänen und Norweger ihn nennen, sitzt tief. Zu Horrorstorys aufgeblasene Vorfälle in den Medien heizen die Stimmung weiter an und auf. Und damit wurde schon sehr zeitig begonnen. Als ein Wolf im März 2007 am Rande einer Lausitzer Ortschaft eine Hirschkuh riss, lautete die Schlagzeile in der Intellekt-Postille „BILD“: „Wölfe überfallen Lausitzer Dörfchen“. Dahinter steckt halt immer ein kluger Kropf – und offenbar auch System. Das Irrationale obsiegt. Eltern müssten Angst haben, ihre Kinder alleine auf die Straße oder in den Wald zu schicken, begründen Jäger ihre Aversion gegen die vierbeinigen Migranten. Im Grimm’schen Märchen vom Rotkäppi war es ja dann schließlich auch einer der Ihren, der die prekäre Situation souverän bereinigte. Aber es sind weniger diffuse, sich aus der Sorge um das Gemeinwohl speisende Beschützerinstinkte, die die grünen Flurschütze(r)n gegen die Wölfe aufbringen. Wo sie, also die Wölfe, sich herumtreiben, treten sie nicht nur als Beutekonkurrenten auf. Das Wild ist hier auch deutlich vorsichtiger und scheuer und wagt sich weitaus seltener einmal aus der Deckung. Entsprechend seltener kommen die Pirschgänger zum Schuss. So wird ein Schuh draus. Folgender Videobeitrag beschreibt die Lage anschaulich. Er ist zwar schon vier Jahre alt, aber an der Situation hat sich seitdem wenig geändert:
Der Mensch bleibt dennoch weitgehend unbehelligt. Umgekehrt ist es nicht so. Nur 14 der 147 streng geschützten Tiere, die bisher in Deutschland tot aufgefunden worden sind, starben nachweislich eines natürlichen Todes. Gut, der überwiegende Teil wurde überfahren, aber auch viele erschossen, wobei die Dunkelziffer deutlich höher sein dürfte. Selbst in natürlich gestorbenen Tieren wurde schon Jagdmunition gefunden. Andererseits blüht auch das illegale Geschäft mit Wolfspelzen. Und wem das Angebot hierzulande zu dünn ist, weicht nach Rumänien aus. Dort boomt der Jagdtourismus. Auch Hunderte von Jägern aus Deutschland sind im Karpatenstaat auf Trophäen von Bären, Luchsen und Wölfen aus.
Kopf ab! Provokative Zurschaustellung am Wegesrand
Hierzulande sind die Häscher auch nicht immer zimperlich. Erst unlängst war in Brandenburg ein Lupus-Kadaver mit abgetrenntem Kopf gefunden worden. Kein Einzelfall, wie zwei weitere Beispiele aus Sachsen belegen. Die Opfer wurden geköpft und provokativ und gut sichtbar am Wegesrand platziert. Natürlich blieben die Täter unbehelligt, weil sie nicht ermittelt werden konnten. Sollte das aber doch mal gelingen, könnten diese (theoretisch) bis zu fünf Jahre eingebuchtet werden. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass das wirklich mal passiert, ist deutlich geringer als die, dass “Pumpak” in den nächsten Tagen (oder Wochen) durch den finalen Rettungsschuss von seinem zweifelhaften irdischen Dasein erlöst wird. „Stoiber“-Bär “Bruno” war ja nach seiner „letalen Außerdienststellung“ präpariert worden und ist jetzt im ausgestopften Zustand im Museum des Schlosses in Nymphenburg zu bewundern. Vielleicht findet sich ja auch für den „Fetten“ ein entsprechendes Plätzchen – im Erlichthof oder im Schulmuseum in Daubitz….
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