Rotorman's Blog

Glück auf! „Angie“ in der Unterwelt: Auf
Entdeckungsreise durch die Mergel-Gruben

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Etwas unheimlich ist es hier schon. Die Stille wirkt gespenstig. Im Schein der Lampen ist immer nur ein begrenzter Teil der Höhlengänge einseh- und überschaubar. Im Schein der Lampen ist immer nur ein begrenzter Teil davon einseh- und überschaubar. Foto: Markus/Ingrid Novak

Reden wir mal über Mergel. Nein, nicht über unsere Langzeit-Kanzlerin, und auch nicht über den legendären österreichischen Fußballtrainer mit der großen Klappe. Gott hab ihn selig. Beide schreiben sich außerdem ja auch mit “K”. Mergel ist zudem etwas älter als (die) Merkels. 60 bis 70 Millionen Jahre könnten da hinkommen. Entstanden aus den Ablagerungen abgestorbener Meerstiere, die in jenem Ozean herum gedümpelt waren, der damals, lang, lang ist’ her, noch weite Teile des heutigen Deutschlands bedeckte, Hamburg, den Geburtsort von “Angie” inklusive. Die Wasserfläche reichte von Holland bis Polen und von Südschweden bis Hessen. Der Tafelkreide, die man aus den sedimentierten Rückständen herstellte, verdankt die Epoche übrigens ihren Namen: Kreidezeit.Mergel, nicht Merkel, ist also kein GEL, sondern ein Sedimentgestein. Es fand viele Jahrhunderte lang als Baustoff Verwendung, schon bei den ollen Römern. “Limestone”, so eine andere Bezeichnung, leistete aber auch bei der Trockenlegung von Mooren und Sümpfen gute Dienste und wurde ebenso bei und in der Zementherstellung eingesetzt. Schaffe, schaffe Häusle baue…. Je nachdem, welcher Bestandteil darin überwiegt, spricht man von Kalk- oder Tonmergel. Inzwischen gibt es andere, bessere Materialen. Weshalb die Abbaustätten, in denen das Gestein im großen industriellen Stil gefördert wurde, bis auf einige wenige Ausnahmen längst still gelegt sind. Verschlossen, versteckt, zugeschüttet, gesichert, versiegelt.

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Wo, bitte, geht’s nach draußen? Das von Petromax-Leuchten erzeugte Lichtdesign entreißt der Dunkelheit eine Fülle unterschiedlicher Strukturen und beflügelt die Fantasie. Foto: Markus/Ingrid Novak

Die bekanntesten und bedeutendsten Vorkommen in Mittel- und Westeuropa fanden/finden sich in der Normandie sowie im deutsch-niederländisch-belgischen Grenzgebiet. Dort hat man diesem Bodenschatz immer schon nachgestellt. Zunächst manuell, dann maschinell, erst überirdisch im Tagebau, dann, mindestens seit dem frühen 15. Jahrhundert, vielleicht sogar schon früher, unterirdisch. Auf diese Weise entstanden weitverzweigte Stollensysteme, die sich über viele Quadratkilometer ausdehnen. Der Hades lässt grüßen. Indiana-Jones hätte seine helle Freude daran und darin.

Besuch im Reich der Finsternis

Aber auch abenteuerlustige Fotografen, auf Nervenkitzel gebürstete Motivjäger, dürfen sich hier an der richtigen Adresse wähnen. Für sie ist es eine einzigartige, wenn auch nicht ganz ungefährliche Spielwiese. Dass sie es hier nicht mit natürlich entstandenen Grotten, sondern mit künstlich angelegten Labyrinthen zu tun haben, schmälert das grenzwertige Vergnügen keineswegs. Und ein Besuch im Reich der Finsternis will gut vorbereitet sein.

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Perspektive und Beleuchtung: Selten gelingt ein „Schnappschuss“ auf Anhieb. Die Höhlenfotografen müssen lange experimentieren, bevor die Einstellung stimmt. Foto: Markus/Ingrid Novak

Eine Erkundung alleine, ohne ausreichend Lichtpower und entsprechende Energiereserven ist lebensgefährlich. Ein magnetischer Kompass und exaktes Kartenmaterial sollten Pflicht sein. Aber am besten ist immer noch ein ortskundiger Führer. Der kennt auch die “Riskpoints”. Einige Stellen sind stark einsturzgefährdet, auch wenn man es ihnen nicht ansieht. Die Luftfeuchtigkeit ist extrem hoch, und es ist hier ja erst einmal stockdunkel. Die Gänge scheinen unendlich. Im Schein der Lampen ist immer nur ein begrenzter Teil davon einseh- und überschaubar. Und sie gleichen sich wie ein Ei dem anderen. Nach einigen Drehungen und abrupten Richtungswechseln weiß der Besucher nicht mehr, wo hinten und vorne ist.
Und es kommt, das sei nicht verschwiegen, immer wieder zu Todesfällen, nahezu Jahr für Jahr. Weil es mit dem Orientierungsvermögen sich selbst überschätzender Höhlenerkunder doch nicht so weit her ist. Sie verfranzen sich hoffnungslos und finden den Ausgang nicht mehr.Das kann aber selbst Ortskundigen passieren. So berichtet ein Führer, dass er zu Beginn seiner Tätigkeit einmal vom rechten Wege abgekommen und zwei Tage und Nächte in dem verzweigten Felsgarten herumgegeistert sei. Glücklicherweise hatte er zumindest ausreichend Lichtenergie dabei und fand schließlich halb verdurstet, quasi auf den letzten Drücker, den rettenden Ausstieg. Glück auf!Sowohl in Belgien, als auch in Holland reißen die Diskussionen, die Höhlenssysteme hermetisch zu verschließen und ein Eindringen in selbige unter Strafe zu stellen, deshalb auch nicht ab.

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„Risk-Points“. An nicht wenigen Stellen des unterirdische Reiches droht extreme Einsturzgefahr. Immer wieder mal lösen sich Gesteinsbrocken von Decken und Wänden. Foto: Markus/Ingrid Novak

Niemand kann genau sagen, wie viele es genau sind. Viele, viele Dutzende auf jeden Fall, um das mal vorsichtig zu taxieren. Hundert? Zweihundert? Möglich. Allein auf belgischer Seite sollen 300 Kilometer Stollengänge begehbar sein. Deren Höhe variiert zwischen 10 und stattlichen 30 Metern, die Breite kann zwischen einem und sechs Metern betragen. Ein Videobericht über eine Exkursion in den Hades hier: http://www.youtube.com/watch?v=QOj3hAcxQsY

Zappenduster und unheimlich still

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In den Mergelgruben wechseln sich schmale Gänge mit bis zu sechs Meter breiten Boulevards ab. Nach oben hin werden die „Straßenschluchten“ schmaler. Foto: Markus/Ingrid Novak

Die Zugänge sind verborgen und/oder gut getarnt. Der Einstieg erfolgt meist durch ein unscheinbares Loch in einer Wand oder im Boden. Ein Schlund tut sich auf. Und der ist nur stolpernd und rutschend zu meistern. Je weiter man vordringt, desto mehr schwindet die Hoffnung, auf diesem Wege später auch wieder unbeschadet ins Freie gelangen zu können. Und es ist still, totenstill, unheimlich still. Kein Geräusch, von dem der eigenen Schritte und der eigenen Schnappatmung vielleicht einmal abgesehen. Das Gefühl, lebendig begraben zu sein, bricht sich Bahn.
An der Form der Gänge ist gut zu erkennen, wie sich die Kumpels von “anno batsch” einst von oben nach unten vorgearbeitet haben. Wie viele und wer alles mag wohl hier geschuftet und ebenfalls sein Leben riskiert haben? Die bergbaulichen Sicherheitsvorkehrungen im 15./16./17.Jahrhundert dürften so ausgeprägt ja noch nicht gewesen sein.
Unter der Decke finden sich, kaum noch entzifferbar, alte Zeichen, die die früheren Konzessionsgrenzen markiert haben dürften. Möglicherweise stammen sie sogar noch aus der Zeit,  als hier mit dem Untertageabbau begonnen wurde. An den Wänden ist deutlich zu sehen, wie die Gesteinsblöcke heraus gesägt bzw. herausgebrochen worden sind. Aber da ist noch mehr. Von  früheren Besuchern hinterlassene Zeichnungen, eingeritzte Gesichter, Fratzen, geometrische Figuren, Wappen, Symbole, die Umrisse einer Burg. Aber es gibt, was für eine Fundgrube, auch altertümlich anmutende Höhlenmalereien sowie mittelalterliche Zeichnungen. Darstellungen von Tod und Teufel, Hochzeiten und Arbeit. Das macht diese Stätten auch unter kulturhistorischen Gesichtspunkten so wertvoll.

Radtouren in der Unterwelt

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Scheinbar endlose Fluchten, die sich immer wieder verzweigen. Ohne magnetischen Kompass ist man in diesem Hades verloren. Foto: Markus/Ingrid Novak

Dazwischen großflächige, grellbunte Graffiti-Schmierereien. Aber auch leere Getränkedosen, Plastiktüten und heruntergebrannte Teelichter. Offenbar  die Hinterlassenschaften von Partygängern, die auf der Suche nach der ganz besonderen Location hier fündig geworden waren. Reifenspuren im Staub des Bodens deuten darauf hin, dass sich hier sogar Radler abgestrampelt haben. “Cave-Biking” nennt man diese Disziplin. Wie verrückt ist das denn????
Immer wieder brechen Steine aus den hohen Decken. Ganze Passagen stürzen ein und versperren den Weg. Das Refugium ist ideal für Fledermäuse, von denen es hier reichlich gibt und die in der Finsternis tollkühne Flugmanöver absolvieren. Die Vamps fühlen sich hier wohl. Ihr Radar verhindert, dass sie irgendwo anecken. Man spürt, Schreck lass’ nach, im Vorbeiflug meist nur einen Luftzug. Als ob die Atmosphäre da unten nicht schon beklemmend und bedrückend genug wäre. Von Oktober bis März halten die Tiere Winterruhe. Deshalb, um sie nicht aufzuscheuchen, sollte in dieser Zeit von einer Besichtigung der Höhlen Abstand genommen werden. Draußen, oberhalb der Grasnarbe, sind künstliche, vergitterte Einfluglöcher für sie reserviert. Durch ein solches waren vor einigen Jahren zwei Buben in die Tiefe gestürzt. Man fand ihre Leichen durch Zufall erst drei Wochen später.

Höhlenfotografie – eine Wissenschaft für sich

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Willkommen in der Geisterbahn! Aber die Geste ist eine Regieanweisung an den Beleuchter. Foto: Markus/Ingrid Novak

Die Voraussetzungen, in solchen Unterwelten passable oder gar künstlerisch anspruchsvolle Fotos hinzukriegen, sind alles andere als ideal. Höhlenfotografie ist eine Wissenschaft für sich und selbst für erfahrene Pixelkünstler eine echte Herausforderung. Das Fotografenehepaar Markus und Ingrid Novak aus dem mittelhessischen Ehringshausen hat sich wiederholt in dieses Reich vorgewagt. Den Beiden glückten bei ihren Exkursionen eine Fülle bestechender, atmosphärisch dichter Aufnahmen. Aber natürlich nicht auf Anhieb. Mehr über ihre Arbeit hier: Mehr über ihre Arbeit hier:  Markus Novak und Ingrid Novak
Da muss experimentiert, ausprobiert, taktiert und improvisiert werden. Erschwert und bestimmt wird die Arbeit durch zwei Faktoren: die vollkommene, undurchdringliche Dunkelheit und die räumliche Weite der unterirdischen Anlagen. Mitunter müssen Distanzen von bis zu 70 Metern überbrückt bzw. ausgeleuchtet werden. Und das erfordert nicht nur ein entsprechendes Equipment, sondern auch eine genaue Abstimmung zwischen Fotograf und Beleuchtern. Eine solche Arbeitsteilung hat sich vom Resultat her als die erfolgversprechendste erwiesen. Nicht selten muss man sich beide Seiten, weil die Entfernungen zu groß sind, über Walkie-Talkie verständigen.

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Wie eine unterirdische ägyptische Totenstadt. Wände und Decken sind sauber bearbeitet und zeugen davon, wie akribisch die Bergleute von einst beim Abbau des Mergelgesteins vorgegangen sind. Foto: Markus/Ingrid Novak

Da werden punktuelle Spots gesetzt und gegebenenfalls verschoben. Da sie sich gegenseitig beeinflussen, gilt es, sie in ihrer Wechselwirkung genau aufeinander abzustimmen, um selbige dann in Folge nacheinander abzuarbeiten. Das Erzeugen von Streiflichtern dient dazu, die Konturen, Strukturen und Kontraste an den Wänden zu verstärken bzw. heraus zu arbeiten.
Ein stimmiges, nicht nur funktionelles „Licht-Design“ ist die halbe Miete. Schon ein einziges kleines LED-Licht (oder auch eine Kerze) kann, richtig platziert oder auch nicht, ausschlaggebend für Erfolg oder Misserfolg sein. Lange Verschluss- und Belichtungszeiten, die nicht selten bei bis zu zehn Minuten liegen, sind obligatorisch. Die Novaks arbeiten bei solchen Gelegenheiten gerne mit Petromax-Leuchten, in ihrer Leistung mit einer 350 W Halogenlampe vergleichbar. Das sind spezielle, modifizierte und mit einem Vergaser bestückte Petroleumlampen, die ein ganz besonderes Licht erzeugen, mitunter aber auch recht anfällig sind.

Woher der Begriff „ausgemergelt“ kommt

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Deine Spuren im Sand… Die stammen in diesem Fall von Mountainbike-Reifen. Auf der Suche nach dem besonderen Kick haben inzwischen auch Radfahrer die Mergelgruben als Trainingsparcours für sich entdeckt. Cave-Biking nennt man das. Foto: Markus/Ingrid Novak

Mer(k)gel hat auch in der deutschen Sprache Spuren hinterlassen. Davon leitet sich nämlich die Redewendung “er/das ist augemergelt” ab. Mit “K” geschrieben würde das bedeuten, im deutschen Kanzleramt sitzt jemand anders. Auf den “G”-Punkt gebracht, steht es als Synonym für  “abgemagert”, “kraftlos” und “verbraucht”. In früheren Jahren war “Mergeln” ein gängiger Begriff. Ackerböden beispielsweise wurden durch Aufbringen des feingemahlenen Gesteins “verbessert”. Der enthaltende Kalk  neutralisierte die sauren Böden, Ton stabilisierte den weichen Untergrund. Aber das war’s denn auch. Häufig verwechselte man das mit Mergeln nämlich mit Düngung. Wenn eine solche, beispielsweise durch Beimengung von Mist, Nitraten und Phosphaten, unterblieb, laugten die Felder aus und wurden unfruchtbar. Aber das nur nebenbei.

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