Von Jürgen Heimann
Die Natur schwelgt im Farbrausch. Die Palette ist zwar im Wesentlichen auf Orange-, Gelb-, Braun- und in etwas geringerem Umfang auf Rottöne beschränkt, entfaltet aber in ihren vielschichtigen Schattierungen und Nuancen immense Leuchtkraft, wie sie nur der oft poetisch verklärt und romantisch besungene Herbst hervorbringt – die vor allen anderen schönste und an Sinneseindrücken reichste Jahreszeit….
Bevor es draußen dunkel, grau und ungemütlich wird, trübe Tristesse und Kälte in winterliche Agonie münden, zieht die Flora noch einmal alle Register und trägt Make-Up auf – und das nicht zu knapp. Mit dieser (welkenden) schöpferischen Pracht und daraus resultierenden stimmungsvollen atmosphärischen Dichte kann keine von Menschenhand erzeugte Kosmetik mithalten. Es blitzt und blendet in diesen Tagen in rauschmalerischer Intensität. Eine Symphonie aus golddurchwirktem Glanz, Licht und raschelnden Blättern. Üppige Farbexplosionen lassen das schrill-bunte Kleid der Bäume leuchten.
Aderlass: Den Blättern wird das Chlorophyll entzogen
Ursachen und Hintergründe und die diesem Phänomen zugrunde liegende Prozess sind freilich weitaus profaner als das optisch derart eindrucksvolle Ergebnis. Die Bäume gähnen und bereiten sich auf die Winterruhe vor. Um die zu überstehen und im Frühjahr neue Triebe und/oder Knospe ausbilden zu können, brauchen sie nährstoffreiche Energie. Und die findet sich in Form von Chlorophyll und darin enthaltenen Stickstoffe in den Blättern, das sie diesen jetzt entziehen und in die Wurzeln leiten, um sie dort für kommende Anstrengungen einzulagern.
Unterdrückte Farbstoffe freigesetzt
Das kräftige Grün dieses wichtigen Blattfarbstoffs hat bis dato die anderen in den Blättern enthaltenen (Farb)Stoffe überdeckt. Sie werden nun freigesetzt. Das gelbe Karotin oder das rote Anthocyan erzeugen die prächtig leuchtenden Herbstfarben, spielen aber, weil sie keinen Stickstoff enthalten, ernährungstechnisch für die nächsten Monate keine weitere Rolle für den Baum. Die Blätter haben ja zuvor ihren Zweck schon erfüllt, indem sie auf dem Weg der komplexen Fotosynthese mit Hilfe des Sonnenlichts aus dem in der Luft enthaltenden Kohlendioxyd und aus Regenwasser Sauerstoff und Traubenzucker generiert und in den Baumkreislauf eingespeist haben. Was freilich keine Einbahnstraße war. Über seine Wurzeln entnimmt der Baum dem Boden seinerseits Wasser und Mineralstoffe und leitet diese wiederum zu den Blättern weiter. Die sollen ja auch nicht leben wie ein Hund.
Angst vor einer winterlichen Durststrecke
Würden die Blätter im Winter nicht abfallen, der Gesamtorganismus trüge Schäden davon, weshalb er sich ihrer nach und nach entledigt. Dies, um nicht zu verdursten. Über die Blätter würde im Winter zu viel Wasser verdunsten, das ja auch sonst, weil im Boden gefroren, Mangelware ist. Der Baum muss mit der von ihm gespeicherten Feuchtigkeit nämlich haushalten, um über die Runden zu kommen. Ein Beispiel: Eine Birke verdunstet an einem normalen Tag 70 Liter Wasser über ihre Blätter, an extrem heißen Tagen bis zu 400 Liter. Solchen Wasserverlust kann sich kein Baum leisten, wenn im Winter der Boden gefroren ist und Niederschlag nicht als Regen in den Boden sickert, sondern als Schnee liegen bleibt.