Von Jürgen Heimann
Hey, das war verdient – kam für sie selbst aber auch ein klein wenig überraschend. So überraschend etwa wie ein Blitz aus heiterem, sonnigen Himmel. Da hat ein Mädel aus dem mittelhessische Outback eben mal im Alleingang und aus dem Stand heraus beim Deutschen Rock- und Pop-Preis abgeräumt – nachhaltig. 3.000 Musiker, Sänger und Bands aus allen Teilen der seit 1989 wieder vereinigten germanischen Michel-Republik hatten in diesem Jahr für diesen ältesten und unabhängigen vom Deutschen Rock & Pop-Musikerverband (DRMV) gemeinsam mit der Deutschen Popstiftung organisierten Contest gemeldet. 72 schafften es ins Finale. Darunter die Hirzenhainerin Ana (mit einem “N”) Maria Nickel.
Die Vokalgranate aus dem Segelfliegerdorf hielt es mit der olympischen Idee (“Dabei sein ist alles”) und hatte sich allenfalls Außenseiterchancen ausgerechnet. Doch es kam anders. Die 37-Jährige sollte die Siegerlandhalle am Abend dieses (nicht nur für sie) denkwürdigen 12. Dezembers glücklich, strahlend und mit erhobenem Kopf verlassen – als 2. Hauptpreisträgerin in der Kategorie “Best Singer”. Bingo!
John Legend wäre begeistert gewesen
Hätte John Legend in der Jury gesessen, das Votum des amerikanischen R&B-Musikers wäre genauso wie das der anderen Punktrichter ausgefallen – und zwar zugunsten der Ortsteil-Eschenburgerin. Von Legend stammt der Song, den sich Ana als Wettbewerbsbeitrag ausgesucht hatte – auch wenn sie behauptet, es sei umgekehrt gewesen. Das Lied habe sie gefunden. Bleibt sich letztlich aber egal. Von dem Stück, das sie kurz zuvor erstmals auf der Hochzeit ihrer Nichte angestimmt hatte, spielte sie innerhalb von drei Tagen eine Demo-CD ein, um damit bei der Wettbewerbsleitung um ein Ticket für den Wettstreit nach Noten zu ersuchen. Der Entschluss, da mitmischen zu wollen, war ziemlich spontan gefasst worden.
Erst mal lieber ein Cover als eine Eigenkomposition
“All Of Me” lautet der Titel dieser anspruchsvollen Ballade, mit der die Vokalistin ins Rennen ging. Nicht gerade einfach zu singen, doch die Kandidatin scheint alles richtig gemacht zu haben – mehr als das. Sie lieferte eine ganz eigene, persönliche Version dieses gefühlvollen Liedes ab und erlag nicht der Versuchung, sich an einer möglichst dicht am Original liegenden Kopie abarbeiten zu wollen. Das zahlte sich letztlich aus. Ebenso wie die Entscheidung, doch nicht auf etwas “Selbstgestricktes” zurück zu greifen. Eigenkompositionen hat die Sängerin nämlich auch etliche in ihrem mehr als 300 Titel umfassenden Repertoire.
Das Lampenfieber war schnell verflogen
Das Lampenfieber war nach den ersten Takten vorbei. Im Auditorium hätte man während des Vortrags eine Stecknadel fallen hören. Danach gab’s Riesenapplaus. Der hörte sich preisverdächtig an. War er denn auch. Händeschütteln. Anerkennendes Schulterklopfen. Von völlig Fremden, aber auch von den vielen mitgereisten Unterstützern. Sie spricht von Freunden, nicht von Fans. Das klinge zu affig. Freunde, die ihr Mut gemacht hatten: “Du schaffst das schon”. Freunde, die an sie geglaubt hatten. Einen kleinen Eindruck von Anas Bühnenperformance vermittelt dieses mit einer Handy-Camera aufgenommene Video:
Musikalisch sehr vielseitig aufgestellt
Apropos glauben: Die talentierte Hirzenhainerin ist stark in der evangelischen Kirchengemeinde ihres Heimatortes engagiert, betreut deren Jugendband, schreibt gemeinsam mit ihrer Freundin Sandra Hermann christliche Songs und ist darüber hinaus in ein ambitioniertes christliches Musicalprojekt involviert, das im kommenden Jahr als konzertante Aufführung auf die Bühne kommen soll. Musik, sagt die Künstlerin, sei ihr Leben. Da verwundert es kaum, dass sie auf eine klassische Gesangsausbildung verweisen kann. Davon zehrt die Frau auch ein klein wenig, wenn sie mit der Marburger Formation “Midnight Soul” unterwegs ist. Eine Band, die sich, Nomen est omen, in Fahrtrichtung Soul bewegt und aus dem Fundus der Supremes, James Brown oder Aretha Franklin schöpft. Party- und Schlagermusik ist hingegen angesagt, wenn Ana mit ihrem Kollegen Karl Schauer als Duo auf Stadt- und Vereinsfesten aufschlägt. Sie ist, wie man sieht, musikalisch sehr vielseitig aufgestellt.
Der Wettbewerb als Startrampe für viele namhafte Künstler
Dass sie berühmte Kollegen und Bands wie „PUR“, „Juli“, „Luxuslärm“, „Fools Garden“, Yvonne Catterfeld oder Rudolf Schenker von den „Scorpions“ zu ihren Vorbildern zählt, ist nicht gesagt. Die gelernte Bürokauffrau hört privat eher ABBA, Michael Buble und Aretha Franklin. Aber die Erstgenannten könnten für die eigene Karriere als Matrix dienen. Für sie alle war die (erfolgreiche) Teilnahme an diesem großen Musik-Wettbewerb, der im 33. Jahr in Folge veranstaltet wurde, die Initialzündung. Von da an ging es mehr oder weniger konstant nach oben. Warum sollte das ausgerechnet bei Ana Maria Nickel anders sein? Etwas “hängen” bleibt bestimmt.
Für den 2. Platz kann sich die Interpretin nix kaufen. Die Belohnung liegt eher im ideellen Bereich. Eine Urkunde lässt sich rahmen und an die Wand hängen, aber sie ist andererseits auch ein Referenzbeweis. Die Karten sind damit bei einer Bewerbung, beispielsweise einer Plattenfirma, ungleich besser. Und da wäre ja noch die Aufmerksamkeit, die die Medien den Preisträgern zollen. Etwas Werbung und PR für die eigene Sache kann schließlich nie schaden. Aber am wichtigsten sind die eigenen Erfahrungen, die man/frau im Vorfeld, während und nach eines solchen bedeutenden Event zwangsläufig einfährt. Und da wäre auch noch die Genugtuung und die Bestätigung, etwas aus eigener Kraft und durch Talent erreicht zu haben. Iwo, nicht „etwas“, viel! Das gibt Auftrieb und spornt an…