Von Jürgen Heimann
Für die kleinen flauschigen Wesen macht es keinen Unterschied, für welchen Produktionszweig der industriellen Geflügelwirtschaft sie gedacht und gezüchtet sind. Grundsätzlich geht es hier auch nicht um das Wohl (und das Wehe) der Küken, sondern vor allem anderen um das der Betreiber entsprechender Zuchtfabriken. In der Legebranche werden deshalb jährlich fast 50 Millionen männlicher Eintagsküken gleich nach dem Schlüpfen geschreddert, weil die ja nicht zu gebrauchen sind. Zur Mast taugen sie aus wirtschaftlichen Gründen aber auch kaum. Dafür gibt es andere, speziell auf Schnellwachstum und Gewichtszunahme getrimmte Qualzuchtrassen, die innerhalb von 35 bis 40 Tagen auf ihr Schlachtgewicht gepusht werden. Sie legen so schnell zu, dass die Beine das Gewicht nicht mehr tragen können. Das Privileg, solchen Linien zu entstammen, schützt deren Vertreter aber auch nicht. Mit etwas Glück ist deren Lebenserwartung vielleicht ein paar Tage höher. Die Intensität des Leidens aber ist mindestens die gleiche.
Dass in den Federvieh-KZ’s allen Sonntagsreden der deutschen Geflügelwirtschaft zum Trotz entsetzliche Verwerfungen an der Tagesordnung sind, ist bekannt, zig-fach und bis ins Kleinste dokumentiert. Trotzdem ändert sich nichts. Weder an den Gesetzen, den laschen Kontrollen noch am Konsumverhalten der Verbraucher. Unlängst hat die Tierrechtsorganisation „Animal Equality“ ein weiteres Skandalvideo veröffentlicht, das in einem zufällig ausgewählten Hähnchenmastbetrieb in Niedersachsen entstanden ist:
Die nationale Geflügelindustrie arbeitet hart daran, Deutschland zum besten Geflügelland der Welt zu machen. „Animal Equality“ hat sich angeschaut, was darunter zu verstehen ist.
Etwas „Schwund“ ist immer drin
Der „natürliche Schwund“ in solchen Anstalten ist immens, die Mortalitätsrate erschreckend hoch. Schwache oder verwundete Tiere werden, so man sie bei mehr oder weniger sporadisch erfolgenden Kontrollgängen überhaupt entdeckt, (tot)getreten, mit einer Schaufel erschlagen oder wahlweise auch noch lebend in einem Müllcontainer entsorgt. Wie jenes Küken, das die Aktivisten nach zwölf Stunden aus einem Abfallcontainer hatten retten konnten. Sie nannten es „Finn“. Das Kleine starb aber an den Folgen seiner schweren Verletzungen, die ihm ein „Pfleger“ beigebracht hatte. Ansonsten krepieren diese Wesen, von ihren Artgenossen gepickt, elend zwischen selbigen. Der Todeskampf dauert oft Stunden. Eine tierärztliche Versorgung oder eine „vorschriftsmäßige Tötung“ verletzter Tiere gibt es in den seltensten Fällen. Wo sich 50.000 und mehr solcher Kreaturen auf engstem Raum zusammengepfercht gegenseitig auf den Füßen stehen, kann man sich mit solchen Nebensächlichkeiten nicht aufhalten.
Tierqual als akzeptierte Normalität
Kein Einzelfall, sondern akzeptierte Normalität. Seit vielen Jahren. Bereits 2014 war PETA mit ähnlich schockierenden Aufnahmen an die Öffentlichkeit getreten:
Auch die Tierrechtsorganisation PETA dokumentiert regelmäßig die Verwerfungen in der industriellen Geflügelbranche. Diese Aufnahmen, heimlich gedreht in Aufpäppel-Fabriken der niedersächsischen Rothkötter-Gruppe, sorgten bereits 2014 für Empörung. Aber so etwas ist bis heute Alltag in den deutschen Turbomastbetrieben.
Heimlich aufgenommen worden waren sie in Mastbetrieben der Unternehmensgruppe Rothkötter. Undercover-Drehs bei den lieben Mitbewerbern von Wiesenhof, Heidemark und Grotelüschen hatten zuvor ähnliche schreckliche Motive zutage gefördert. Rothkötter beschäftigt 2.500 Mitarbeiter und zählt mit einem Jahresumsatz von über einer Milliarde Millionen Euro zu den umsatzstärksten Geflügelproduzenten Deutschlands. Der setzt seine Produkte vor allem über Lidl, Aldi-Süd und McDonalds ab. Mit Millionen an öffentlichen Fördergeldern hat der Konzern in Wietze/Niedersachsen den wohl größten Hähnchenschlachtbetrieb Europas errichtet. Der Aufschrei war damals erwartungsgemäß groß. Doch die Aufregung legte sich genauso schnell wieder. Man ging zur Tagesordnung über.
Nirgends wird die Würde des Mitgeschöpfes geringer geachtet, ist das Leben eines Tieres weniger wert als in solchen Chicken-Gulags. Hauptsache das brat- und grifffertige Endprodukt landet später zu geiz-geilen Niedrigpreisen in den Kühlregalen der Discounter. Das ist bei den Wutzen nicht anders, wie die jüngste Schnäppchen-Offensive von Aldi-Süd wieder erschreckend-eindrucksvoll gezeigt hat. Ein 600 Gramm schweres mariniertes BBQ-Schweinenackensteak für 1,99 EUR, da kann doch in der vorangegangenen Produktionskette irgendetwas nicht mit rechten Dingen zugegangen sein. Und das wird dann meist auf den Rücken ihrer schwächsten Glieder ausgetragen, denen der Tiere. Die freundlichen Mitwerber sind da nicht besser. Und sie werben alle dreist mit dem (umstrittenen) „Tierwohl“-Siegel.
Bußgelder werden aus der Portokasse bezahlt
Aber wir reden hier vom Federvieh. Und deshalb sollte man sich das entsprechende Video ruhig einmal anschauen. „Animal Equality“ hat gegen den genannten Mastbetrieb in Niedersachsen Strafanzeige erstattet. Aber bei so etwas kommt in den seltensten Fällen etwas heraus. Bestenfalls ein lächerlicher Bußgeldbescheid, wie er im Business-Plan des Unternehmens vielleicht sowieso schon einkalkuliert ist. Die Geldstrafe zahlen die Verantwortlichen aus der Kaffeekasse und verfahren weiter wie gehabt.
Trotzdem: Steter Tropfen höhlt den Stein. Vielleicht. Mit einer entsprechenden, an Christian Meyer, den niedersächsischen Minister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, adressierten Online-Petition hofft „AE“, diesen etwas mehr für das Thema sensibilisieren zu können. Er möge sich dafür einsetzen, dass diese schockierenden Praktiken gestoppt und die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. Schaun‘ mer mal. Zur Petition, die inzwischen über 46.000 Unterstützer gefunden hat, geht es hier:
„Bio“ ist keine Alternative
Wer nach diesem Film noch Appetit auf einen knusprigen Hähnchenschenkel verspürt, dem ist sowieso nicht zu helfen. Aber mal ehrlich. Schmeckt ja, entsprechend zubereitet, andererseits auch wirklich lecker. Man sieht es dem Teil nicht an, was sein ursprünglicher Besitzer in seinem kurzen Leben zuvor hat erdulden müssen. Und es gibt ja auch keine wirkliche Alternative. Wer auf ethisch korrektere Bio-Fleischprodukte zurückgreifen möchte, und sei es drum, dass die ein Vielfaches von dem kosten, was für 08/15-Massenware verlangt wird, stößt sehr schnell an seine Grenzen.
Dieser Zweig der Geflügelhaltung ist zu unbedeutend, um die immense und immer noch wachsende Nachfrage decken zu können. Da muss der wählerische Verbraucher lange suchen. 2016 beispielsweise betrug das Gesamtschlachtgewicht an Geflügel in Deutschland 1,53 Millionen Tonnen. Mit den dahinter stehenden Stückzahlen halten sich die Statistiker erst gar nicht auf. In dieser Zahl sind Puten, Gänse und Truthühner zwar auch enthalten, aber der Löwenanteil entfiel mit 957.000 Tonnen auf Jungmasthühner.
Dr. Edmund Haferbeck, der streitbare juristische und wissenschaftliche Leiter der Tierrechtsorganisation PETA, hat es einmal so formuliert: „Für Verbraucher, die Fleisch im Discounter einkaufen, gibt es keine tierfreundliche Alternative – außer Verzicht“. Ob einem das nun schmeckt oder nicht…