Rotorman's Blog

Packend, mitreißend, emotional
Die beste Päpstin, die es je gab

1-Weckerlin-Seibert

Ohne Fehl und Tadel: Sabrina Weckerlin und Mark Seibert waren die päpstlichen Speerspitzen der Inszenierung. In dieser Konstellation ein Traumpaar mit viel Vokalpower und einem ausdrucksstarken Spiel. Foto: Spotlight

Von Jürgen Heiman

Die Päpstin hat ihr vierwöchiges Pontifikat beendet – zumindest das in Fulda. Es war Ihr fünftes seit der Welturaufführung im Juni 2011. Dass ihr realer, amtierender Kollege jemals ein solches Maß an Begeisterung auslösen könnte, ist bei allem Respekt gegenüber dem ja nicht gerade unpopulären  Franziskus nicht vorstellbar. Ach ja, und singen kann Jorge Mario Bergoglio auch nicht annähernd so gut wie Sabrina Weckerlin oder Anke Fiedler. Diese beiden Power-Frauen saßen, als sich das Schlosstheater in der osthessischen Bischofsstadt vorübergehend in den Lateranpalast verwandelte, abwechselnd auf dem Heiligen Stuhl. Erstere meistens, letztere sporadisch. Während die Zuhörer regelmäßig standen. Die Musicalmacher aus Hessen sind ja inzwischen an euphorische Reaktionen ihres Publikums gewohnt, aber die aktuelle Saison hat dahingehend wieder alles getoppt. Das Medienecho ist entsprechend.

Die hiesige Spotlight-Musical GmbH ist seit 2003 auf der Erfolgs- und Überholspur. Bislang hat hier kein einziges Stück gefloppt. Und es sind und waren keine teuren Lizenz-Produktionen, sondern ausnahmslos Theater-Hits der Marke Eigenbau. „Bonifatius“, „Elisabeth – die Legende einer Heiligen“, „Friedrich – Mythos und Legende“, „Kolpings Traum“, „Die Schatzinsel“ und „Der Medicus“. Das sind und waren die klangvollen Historien-Stoffe, aus denen man Bühnenträume schnitzt. Und das findet in nachgerade abenteuerlichen Auslastungszahlen seinen Niederschlag. 99,9 Prozent. Wo gibt es das sonst noch? Peter Scholz und Dennis Martin, die beiden kreativen Köpfe hinter dem Unternehmen, haben Fulda konsequent  zur Musical-Hauptstadt ausgebaut, deren Glanz weit über die Landesgrenzen hinaus abstrahlt. Was Fremdenverkehr und Übernachtungszahlen boomen lässt.

An vielen Stellschrauben gedreht

1-Weckerlin-Cross

Bestseller-Autorin Donna W. Cross hatte die Legende von der Päpstin 1996 in Romanform gegossen. Von der Bühnen-Adaption war die US-Amerikanische Schriftstellerin nach einem Besuch der Inszenierung in Fulda (hier mit Hauptdarstellerin Sabrina Weckerlin) begeistert. Foto: Spotlight

Man muss nicht jedes Jahr eine Neu-Inszenierung auf die Bühne bringen, um das Publikum bei Laune zu halten. Bewährte Selbstläufer tun es mitunter auch. Zumal dann, wenn sie sich weiter entwickeln und nicht auf der Stelle treten. Was bei dem weiblichen Pontifex Maximus der Fall ist bzw. war. Insofern war das auch keine reine Wiederaufnahme im herkömmlichen Sinne.  Die Besucher – unter ihnen traditionell viele Stammgäste – erlebten ein gegenüber den Vorgänger-Versionen nicht nur dramaturgisch stark getuntes Stück. Produzent Peter Scholz, Komponist Dennis Martin und Regisseur Christoph Jilo haben Rom zwar nicht neu erbaut, aber sie haben  doch an vielen Stellschräubchen der Aufführung gedreht. Szenarisch, choreographisch, optisch.

1-Markttreiben

Farbenfrohes Treiben auf dem Markt in St. Denis. Dorthin begleitet Markgraf Gerold die junge Dame – sehr zum Missfallen seiner Frau Richild. Ob die schon was geahnt hat? Foto: Spotlight

Dialoge wurden verändert und/oder gestrafft, das Bühnenbild (Christoph Weyers )wirkte kompakter und stimmiger, fesselnde Videoeinspielungen erleichterten das Verständnis und den Erzählfluss. Auch Teile des Librettos wurden verändert, und das an über hundert Positionen. Während die musikalischen Arrangements in ihrer Struktur jedoch beibehalten worden sind. Sie kamen aber nach einer Neueinspielung durch das Tschechische National Symphony Orchester noch einen Tick packender rüber. „Die Päpstin“ ist ja eine Hitparade in sich. Komponist Dennis Martin lässt einen mal balladesk, mal opulent gestrickten Ohrwurm nach dem anderen hüpfen, was sich zu einer emotional hinreißenden Achterbahnfahrt verdichtet. Dass die Musik vom Band kommt, stört überhaupt nicht und nimmt der Show nichts von ihrer Dichte und ihrer Faszination.

Die Raben lernen das Fliegen

Es sind viele Kleinigkeiten, marginale Neuerungen, die jedoch in ihrer Summe bewirken, den Lauf der Dinge noch akzentuierter und flüssiger zu gestalten. Dass die üppig kostümierten Raben plötzlich tatsächlich fliegen können, sei  nur am Rande erwähnt. Für die Szenen, die im Kloster Fulda spielen, hatte der Personalchef  einen neuen Abt eingestellt. Ratgar (Daniele Nonnis ) hieß der Knabe. Ein ziemlich unangenehmer Bursche. Durch ihn gewinnt das Geschehen daselbst an Düsternis und Bedrohlichkeit. Die Gefahr, in der die zum Johannes mutierte Johanna durch ihr Versteckspiel schwebt, wird spürbar. Rabanus, der bisherige Klosterchef, wurde zum Prior und Leiter der Klosterschule degradiert.

1-Brussmann

In den vorangegangenen Aufführungsreihen lief “Aeskulapius“ einfach so mit. Das hat sich mit der Besetzung dieser Rolle durch Reinhard Brussmann schlagartig geändert. Die Figur des griechischen Gelehrten wurde enorm aufgewertet. Foto: Spotlight

Reden wir mal über Aeskulapius, den griechischen Gelehrten und Mentor der Päpstin in spe. Ein weiser, gütiger Mann, der später in Rom ebenfalls Karriere macht, in den bisherigen Fassungen des Stücks aber mehr oder weniger so nebenbei mitlief, ohne sonderlich Eindruck zu hinterlassen. Das war diesmal völlig anders, was vielleicht auch an der Neubesetzung mit Reinhard Brussman lag. Der Österreicher verschaffte dieser Figur, die auch als Erzähler durch die Handlung führt, durch sein packendes Spiel, seine starke Bühnenpräsenz und vor allem durch die von ihm gewohnte Stimmpower Respekt, Kontur und Aufmerksamkeit. Ein echter Zugewinn.

Applaus für einen „Kotzbrocken“

1-Cast

Geballte Energie: Die Cast freut sich zusammen mit Produzent Peter Scholz (unten dritter von links) über eine fulminante Aufführungsreihe. Foto: Spotlight

Christian Schöne ist ein „bad boy“  par excellence. Auf fiese Rollen abonniert, holt der auch stimmlich und mimisch bestens disponierte Künstler als Johannas großer, hinterlistiger Gegenspieler „Anastasius“  zum Intrigen-Rundumschlag aus. Den auch von Papa gehegten Traum, „zum Wohle der Familie“ selbst auf den Papst-Thron zu klettern, muss der Tenor schließlich zwar begraben, bringt es aber immerhin bis zum Kardinal. Bis es so weit ist, pflastern Leichen seinen Weg. In dem Namen seines alten Herrn, Arsenius, scheint das Gift ja schon angelegt zu sein. Es ist faszinierend zu verfolgen, wie der Junior im Laufe seiner persönlichen Entwicklung immer bösartiger wird. Es gibt nur wenige, die so überzeugend und herrlich niederträchtig agieren können. Da könnte ein Kristian Vetter Pate gestanden haben. (Wo steckt der eigentlich?) Aber es gibt ja noch mehr schuftig-ekelhafte Charaktere in dem Stück. Den Dorf-Pfaffen beispielsweise, Johannas Vater, verkörpert durch Sebastian Lohse, ist auch so ein Kotzbrocken.

1-Bruder Johannes

Sabrina Weckerlins Paraderolle: „Bruder Johannes“ steigt als Tochter eines Dorfpfarrers und einer sächsischen Heidin auf den Chefsessel des Lateran-Palastes. Anke Fiedler war als alternierende Päpstin zu erleben. Ein glücklicher Griff. Foto: Spotlight

Die bereits erwähnte und als päpstliche Zweitbesetzung gesetzte Anke Fiedler gilt seit Jahren als verlässliche, konstante und erfrischende Größe im Musical-Business. In Fulda hatte sie nicht nur als Johanna-Mutter Gudrun, sondern auch als Bordellchefin Marioza angeheuert, die „Caesarin von Rom“. Um aus beiden Charakteren alles heraus zu holen, was die Rollenprofile hergaben. Als nur sporadisch agierende Titelheldin machte die Aktrice ebenfalls eine blendende, überzeugende Figur.

Ritter ohne Furcht und Tadel

Nun sind die Päpstin und Sabrina Weckerlin zwei untrennbar miteinander verknüpfte Gestalten. Das war und ist ihre (Parade-)Rolle. Das Schwarzwald-Mädel ließ daran in Fulda auch nicht den Hauch eines  Zweifels aufkommen, lieferte eine grandiose Leistung ab und trug das Stück. Ihr Spiel packend, emotional und authentisch, ihre Stimme mitreißend. Gänsehaut pur. Ach ja: Der Mann an ihrer Seite hieß Mark Seibert. Ein Markgraf Gerold wie aus dem Bilderbuch. Eine Art Ritter ohne Furcht und Tadel. Selten in der Geschichte dieses Musicals hat ein Akteur diesen anspruchsvollen Part so wuchtig und nachhaltig ausgefüllt wie dieser in unzähligen Bühnenschlachten erprobte 1,89 Meter große Recke. Dabei haben seine Vorgänger schon verdammt große Fußspuren hinterlassen. Weckerlin und Seibert präsentierten sich in der osthessischen  Barockstadt als  nachgerade kongeniales Traumpaar-Gespann. Da scheinen sich zwei gesucht und gefunden zu haben. Allein ihr Duett „Wehrlos“ würde einen Besuch rechtfertigen.

1-Bischof

Der Dorstädter Bischof ist, wie man sieht, auch kein Kind von Traurigkeit. Fulgentius liebt Wein, Weib und Gesang. Foto: Spotlight

Auch wenn man die zum Oberhaupt der katholischen Weltkirche aufgestiegene Tochter eines tumben und gewalttätigen Ingelheimer Dorfpriesters aus der offiziellen Geschichtsschreibung des Vatikans getilgt hat, sie lebt als fiktive Größe weiter. Selbst vor dem Hintergrund, dass es sie laut akribischer Recherchen eines  investigativen deutschen Enthüllungsorgans (“Die WELT“ ) ja nie gegeben hat. In Ludwigs Festspielhaus in Füssen und in der Neuen Gebläsehalle von Neunkirchen präsentiert sich der feminine Pontifex im November und Dezember dieses Jahres so lebendig wie nie – allerdings in völlig anderen Inszenierungen und entsprechend in abweichender personeller Konstellation. Das Original ist sowieso langlebig und nicht tot zu kriegen. Im Fuldaer Musical-Sommer 2019  wird die katholische Hohepriesterin vom 14. Juni bis 6. Juli erneut Dalmatik, Pallium und Mitra anlegen.

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