Da lag der Maffay-Peter mit seinen sieben Brücken, über die man gehen müsse, aber mächtig daneben. Gut, strenggenommen waren es ja die Karat-Jungs „von drieben“, aus Dunkeldeutschland, die dieses Fass aufgemacht hatten. Und als solches ohne Boden erweist sich auch die Misere mit den bundesdeutschen (Autobahn)Brücken, über die wir zwar nicht wandern, aber fahren. Das Fernstraßennetz der Bundesrepublik verfügt über 38 700 davon; ein Viertel, 9675 an der Zahl, ist sanierungsbedürftig oder muss in den kommenden Jahren komplett erneuert werden. Ganz vorsichtige Berechnungen des Bundesverkehrsministeriums gehen von einer Investitionssumme von zehn Milliarden Euro aus. Dafür muss eine Oma lange stricken.
Auf der „Sauerlandlinie“ ist diese Ross- und Radikalkur in vollem Gange. Und so werden die Verkehrsteilnehmer auf dem Abschnitt zwischen Gambacher Kreuz und der Landesgrenze zu Nordrhein-Westfalen noch auf Jahre hinaus mit baustellenbedingten Einschränkungen und Engpässen leben müssen. Voraussichtlich bis zum Jahr 2027 dürfte es dauern, bis alle geplanten Instandsetzungs- und Neubauarbeiten an den großen Talbrücken in diesem Bereich der A 45 abgeschlossen sind. Diese stark frequentierte und 1971 fertiggestellte Verbindungsstrecke zwischen Ruhr- und östlichem Rhein-Main-Gebiet weist eine der größten Talbrückendichten Europas auf. Im hessischen Abschnitt finden sich auf 60 Kilometern Länge allein 23 davon. Und die sind in die Jahre gekommen, marode geworden und ächzen vor allem unter den Folgen des zunehmenden Schwerlastverkehrs.
Exemplarisch dafür ist die Lahntalbrücke bei Dorlar im Bereich der BAB-Anschlussstelle Wetzlar-Ost, mit deren Ersatzneubau im Herbst vergangenen Jahres begonnen worden war. Seitdem brauchen die Automobilisten und Brummi-Kapitäne (nicht nur) hier mitunter Geduld, wenn sich auf dem verbliebenen Teil des Viaduktes der auf jeweils zwei verengte Richtungsspuren verdichtete Verkehr zu Spitzenzeiten staut und nur noch als zähflüssige Blechmasse dahinrollt bzw. -kriecht. Außerhalb der Rushhour halten sich die Beeinträchtigungen jedoch in Grenzen.
Erst am Symptom kuriert, jetzt die Radikal-OP
Flickschustereien der vorangegangenen Jahre hatten hier, wie andernorts, nicht die erhoffte lebensverlängernde Wirkung gezeitigt. So waren quer zur Fahrtrichtung von unten stählerne Träger in den Beton geschraubt worden, um die vierspurig darüber verlaufende Autobahn wie Schienen eines gebrochenen Beins zu stützen. Doch das glich eher einem Kurieren am Symptom. Die Bauwerke kränkelten von innen heraus. Die Stahlbewehrungen innerhalb des Betons korrodierten wesentlich schneller, als es die Planer seinerzeit vorausgesehen hatten bzw. hatten können. Der unaufhaltsame Verwitterungsprozess sollte die ursprünglich einmal auf 90 Jahre ausgelegte Lebensdauer letztendlich halbieren.
Und deshalb kam man bei Dorlar, wie auch andernorts, nicht um eine Radikalkur herum. Tabula rasa. Zunächst war die Brückenhälfte, über die der Verkehr in Richtung Hanau führte, abgerissen worden. Sie wird jetzt sukzessive durch neue Bauelemente ersetzt, was bis Mitte kommenden Jahres dauern dürfte. Dann, gleiche Welle, gleiche Stelle, erfolgen die Arbeiten in Gegenrichtung: Abriss, Neubau. Das dürfte dann noch mal bis 2017 dauern. Während die Fahrtrichtung Dortmund noch einen zusätzlichen Standstreifen erhält, soll in Richtung Süden die Abfahrt auf die B 49 in Fahrtrichtung Limburg komfortabler gestaltet werden. Veranschlagte Gesamtkosten: 50 Millionen Euro. Aber das sind Peanuts im Vergleich zur bundesweiten Kosten-Dimension dieser Problematik. Siehe oben.
Exponierter Blick von oben
Der „gemeine“ Autobahnnutzer bekommt nur wenig davon mit, was sich an der Anschluss-Stelle Wetzlar-Ost da jenseits und unterhalb des von ihm einsehbaren Bereichs abspielt. Erst aus der Luft ist das nachgerade gigantische Ausmaß des gewaltigen Bauprojektes zu überblicken. Was für ein Jonglieren mit Masse und Material, zum Teil in schwindelerregender Höhe. Eine eigene, emsige Welt für sich, in der viele kleine Rädchen ineinander greifen. Dennoch kein typisches Baustellenbild. Was fehlt sind die Menschen, die man eigentlich, wenn auch nur in Ameisengröße, zwischen den gewaltigen Stahl-bewehrten Eisenbetonpfeilern, Last- und Hebekränen, Materiallagern, Fundamenten, Radladern, Kiesbergen und Schaufelbaggern herumwuseln sehen müsste.
Die haben aber gerade frei, Wochenend-frei. Die Aufnahme hat der Medenbacher Fotograf Siegbert Werner am vergangenen Sonntag von Bord eines Gyrocopters aus „geschossen“. Das erklärt auch die vergleichsweise geringe Verkehrsdichte auf der Autobahn. Die Ruhe vor dem Sturm. Verkehrsprognosen gehen davon aus, dass bis 2025 täglich 79.400 Fahrzeuge diesen Abschnitt passieren werden. Einem solchen Ansturm hätte die marode Lahntalbrücke in ihrer bisherigen Form nie und nimmer standgehalten. Den übrigen 22 BAB-„Stegen“ entlang der hiesigen Sauerland-Route geht es ähnlich. 18 davon müssen bzw. mussten völlig neu errichtet werden.