Rotorman's Blog

Schmetterlinge im Bauch: Unser Essen
von morgen krabbelt, kriecht und zirpt

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Streng verdaulich: Da läuft einem doch glatt das Wasser im Munde zusammen: Ein leckerer Seidenraupen-Eintopf. Foto: Pixabay

Von Jürgen Heimann

Gewöhnen wir uns einfach schon mal an die Vorstellung, dass es sich bei der Plastikbox mit den kleinen Löchern im Deckel, unter dem es so verdächtig zirpt, raschelt, kratzt und summt, um unser Lunchpaket der Zukunft handelt. Und wenn der Kollege von Schmetterlingen im Bauch berichtet, ist er nicht verliebt, sondern kommt aus der Werkskantine. Um den (Fleisch-)Hunger dieser Welt zu stillen, führt an Insekten als Nahrungsmittel langfristig kein Weg vorbei. Zumindest ist die Welternährungsorganisation FAO davon überzeugt. Die wachsende Menschheit könne ohne den Verzehr der sechsbeinigen Leckerlis auf Dauer nicht mehr satt werden, heißt es.    Im Jahr 2050 sollen schon 9 Milliarden von uns auf diesem Planeten herumstiefeln. Und die wollen sich ja was zwischen die Kiemen schieben. Ich auch. Da sind Fliegenklatschen unverzichtbar und äußerst zielführend. Aber wenn es dann so richtig eng auf dem Globus wird, dann haben mich die Würmer sowieso schon längst gefressen und nicht umgekehrt. Die binden sich ja heute schon erwartungsvoll die Servietten um, wenn ich nur am Friedhof vorbei gehe. Nichtsdestotrotz: Wasserwanzen, Käfer, Schaben  und Ameisen sind der Schlüssel zum Überleben der humanoiden Spezies. Schöne Aussichten. Und guten Appetit!

Nun hat die Vorstellung von einer kross gebratenen Langfühlerschrecke ja durchaus etwas Bestechendes. Der Kopf kann dranbleiben, aber die Sprungbeine müssen ab. Die sind zwar nicht giftig oder ungenießbar, aber verursachen, weil Widerhaken dran sind, kein gutes „Mundgefühl“. Ein solches garantiert aber ein vor dem Frittieren in Schokoglasur gewälzter Rhino-Käfer, auch wenn man sich Teile des zerkauten Chitinpanzers, der, was die Ballaststoffe angeht, jedes Müller-Müsli in den Schatten stellt, anschließend mühevoll zwischen den Zähnen heraus pulen muss. Auch gekochte Seidenraupen in Manchego-Sauce könnten unseren geschmacklichen Horizont erweitern. Ebenso Mehl- und Buffalowürmer. Bei letzteren handelt es sich um die bis zu 15 Millimeter langen, beigefarbenen Entwicklungsvorstufen des Getreideschimmelkäfers. Die leckeren Larven der längsgestreiften großen Holzschlupfwespe gelten unter Genießern sowieso seit langem als Geheimtipp. Und Grillen heißen ja nicht von ungefähr so. Küchenschaben auch nicht. Da läuft einem das Wasser im Munde zusammen. Und wer es einen Tick größer mag, ist mit einem gerösteten westafrikanischen Kaiserskorpion oder einer asiatischen Vogelspinne gut bedient. Die haben aber auch ihren Preis. Andererseits: Besser, die Viehcher liegen geröstet, erstarrt und appetitlich auf dem Teller, als dass sie unkontrolliert in der Wohnung herumhuschen.

Milliarden Menschen im entomologischen Gourmetparadies

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Gut, das ist (noch) ein Käfer aus Plastik. An die Vorstellung, sich in Zukunft durch Krabbelgetier zu ernähren, müssen sich die Menschen der westlichen Hemisphäre erst mal gewöhnen. Foto: Screenshot youtube

In Thailand, China, Laos, Vietnam und in weiten Teilen Afrikas ist der Verzehr von Insekten völlig  normal und hat weniger mit Armut denn mit Tradition zu tun. Rund zwei Milliarden Menschen weltweit kauen sich durch das entomologische Gourmetparadies. Und das Angebot ist riesig. Etwa 1.400 Insektenarten gelten als ess- und genießbar. Und sie richten auch nicht solche Flurschäden an wie die Rindviecher, die auf der Weide und die aus der Politik. Unser System der Fleischerzeugung ist ein ökologisches Desaster und, wenn man das damit verbundene Tierleid berücksichtigt, nachgerade schöpfungsverachtend. Es bringt unseren blauen Planeten an den Rand des Kollapses.

Der Konsum tierischer Produkte gilt in hohem Maße als mitverantwortlich für den Klimawandel. Je nach Studie werden ihm zwischen 18 und 51 Prozent der gesamten vom Menschen verursachten Treibhausgase zugeschrieben, also mehr als dem gesamten Transportwesen weltweit. Die Emissionen entstehen zum einen direkt durch den Verdauungsprozess oder die Ausscheidungen der Tiere. Besonders Rinder verursachen viel Methan, weshalb das klimaschädlichste Lebensmittel auch die Butter ist, gefolgt von Rindfleisch. Kühe kommen auf ähnliche Emissionswerte wie ein Kleinwagen. Alle 40 Sekunden rülpsen weltweit 1,5 Milliarden von ihnen riesige Methanwolken in die Luft. Toxische Ausstöße entstehen indirekt aber auch durch die Produktionsprozesse und die Abholzung der Wälder für Weideflächen oder die Anpflanzung von Futtermitteln.

Schlachtfest: 776,5 Millionen Kühe, Schweine und Hühner gemetzgert

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12,5 Millionen Rinder sind nach Angaben des Statistischen Bundesamtes 2016 in Deutschland geschlachtet worden – zumeist im Akkord. Unser Hunger nach Fleisch kostete daneben 27,3 Millionen Schweine, 1,6 Millionen Schafe und 40,2 Millionen Legehennen das Leben. Foto: Pixabay

Aber das alles ist ja bekannt. Ohne dass es uns eingefleischte Carnivoren sonderlich stört bzw. negative Auswirkungen auf unser seelisches Gleichgewicht hätte. Die Fleischproduktion in Deutschland läuft unverdrossen hochtourig. 2015 wurden Angaben des Statistischen Bundesamtes zufolge deutschlandweit 776,5 Millionen Tiere gemetzgert, die meisten davon im Akkord. Die Fleischerzeugung stieg auf 8,22 Millionen Tonnen. Der Pro-Kopf-Verbrauch lag zuletzt bei knapp 90 Kilogramm. Bei den Amerikanern beträgt er 120 kg. Jeder Deutsche vertilgt in seinem Leben im statistischen Mittel 1094 Mitgeschöpfe: vier Kühe, 12 Gänse, 37 Enten, 46 Schweine und 964 Hühner.

Nun produziert eine säuisches und meist mit viel Hormonbeigaben aufgepäppeltes Rüsseltier zehn bis hundert Mal mehr Treibhausgase pro Kilogramm Wachstum als zum Beispiel ein Mehlwurm. Dass der aber so groß wird, wusste ich auch nicht. Auf jeden Fall rülpst und pupst er deutlich weniger als eine Wutz und verursacht auch kaum Gülle. Ein anderer Vorteil von Insekten im Vergleich zu Säugetieren ist, dass sie ihre Nahrung schneller in Fleisch umsetzen. “Sie enthalten, wie andere tierische Lebensmittel auch, viel Proteine, sind fast frei von Kohlenhydraten, äußerst fett- und somit cholesterinarm sowie reich an Vitaminen, Mineralstoffen und Spurenelementen“, sagt der medizinische Ernährungsberater Jens Hofmann aus Rostock.  Na, wenn das so ist…

40 Tonnen Insekten auf einen Erdbewohner

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Voilà! Wer die Wahl hat, hat die Qual. Damit wäre das Abendessen schon mal gesichert. Foto: Pixabay

Und: Es gibt mehr als genug davon! Wir reden jetzt nicht von Ernährungsberatern. Weltweit kommen auf jeden Menschen 40 Tonnen Insekten. Eine riesige Ressource. Wäre da nicht der Ekelfaktor. Dahingehend über seinen eigenen Geschmacksschatten zu springen, ist leichter gesagt als getan. Aber wir kloppen andererseits ja auch Garnelen in die Pfanne und schlürfen mit verzücktem Gesicht schlabbrige Muscheln aus. Die sind vom ästhetischen Standpunkt aus betrachtet auch nicht besser. Das Auge isst ja bekanntermaßen immer mit, aber ab und an muss man mal eins oder zwei zudrücken. In der asiatischen Küche kennt man solche Skrupel nicht. Dort zählen Käfer, Larven, Würmer und Spinnen zu den proteinreichen Grundnahrungsmitteln und sind als Spezialitäten hoch geschätzt. Dieses Video vermittelt eine  Eindruck davon:

Insekten-Restaurants gelten inzwischen längst nicht mehr als exotische Ausnahme in der germanischen Gastro-Wüste. Und im Internet kann man sich reizende Appetithäppchen à la carte bestellen, vorfrittiert oder gefrostet, frei von Farb-oder Zusatzstoffen, Geschmacksverstärkern oder Antibiotika. Und das alles natürlich  in umweltschonender Verpackung, die zu 100 Prozent recyclebar ist. Man hat die Wahl zwischen feurig-scharf oder auch schoko-süß. 100 Gramm Heuschrecken besitzen einen Energiewert von 559 Kilokalorien, herkömmliches Rindfleisch kommt auf 100 bis 130 kcal. Man muss also nur ein Viertel an Heuschrecken essen, um die gleiche Menge an Energie aufzunehmen. Und Buffalowürmer haben Null Zucker, punkten aber mit 56 Prozent Eiweißpower.

Lolli mit Skorpion, Mehlwürmer in Schokolade

Es gibt sogar schon Insekten-Lollis, wahlweise mit Wurm, Grille oder Skorpion, Bug-Break- Energieriegel mit Sesam, Mandeln und knusprig gerösteten Sagowürmern, Insektenkekse, Protein-Riegel aus gemahlenen Grillen in drei Geschmacksrichtungen und den Dschungelade-Taler mit gerösteten Mehlwürmern in Schokolade. Hmmm! Demnächst können wir auch Silberfischchen im Mehrwegglas in unseren digitalen Einkaufswagen legen.

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Oh (Heu-)Schreck! Der Kopf kann dranbleiben, aber die Sprungbeine müssen ab. Die sind zwar nicht giftig oder ungenießbar, aber verursachen, weil Widerhaken dran sind, kein gutes „Mundgefühl“. 100 Gramm Heuschrecken besitzen einen Energiewert von 559 Kilokalorien, herkömmliches Rindfleisch kommt auf 100 bis 130 kcal. Foto: Pixabay

Noch sind Insekten in Deutschland aber viel zu teuer, als dass Otto-Normal-Verbraucher sich daran satt essen könnte. Für 100 Gramm gefriergetrockneter und mundgetöpferter Premium-Heuschrecken der Güteklasse 1 aus zertifizierter Freilandhaltung  mit Abstammungsnachweis werden schon mal 79,95 Euro fällig. Eine 20-Gramm-Mischung aus Heuschrecken, Mehlwürmern und Grillen schlägt mit 11,99 Euronen zu Buche. Da kommt man mit einem herkömmlichen Schimanski-Gedeck an der Pommesbude natürlich preiswerter weg. Bis ALDI, LIDL und Co diese Marktnische für sich entdecken, den Krabbelfraß aus seinem Nischendasein befreien und als “Genuss auf sechs Beinen” entsprechend vermarkten, muss unsereins also den Selbstversorger geben – oder sich für‘s RTL-Dschungel-Camp bewerben. Aber dann lieber im eigenen Garten auf die Jagd gehen, statt sich in Australien inmitten so viel dumpfer Beklopptheit zum Affen zu machen.

Den Nachtisch von der Windschutzscheibe kratzen

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Naturbelassen und frei von Farb-oder Zusatzstoffen, Geschmacksverstärkern und Antibiotika. Schon der Chitinpanzer eines einzigen Rhinokäfers hat mehr Ballaststoffe als jedes Müller-Müsli. Foto: Pixabay

Unser Essen liegt (kriecht, krabbelt oder flattert) ja quasi vor der eigenen Haustüre. Dann ist es vorbei mit von wegen „der frühe Vogel fängt den Wurm“. Das besorgen wir dann selbst. Und den Nachtisch kann man sich notfalls von der Windschutzscheibe des Autos kratzen. Garniert mit ein paar Hausstaubmilben, Brotkäfern und Dörrobstmotten lässt sich daraus ein leckeres Sorbet zaubern. Und sollte der Nahkauf unseres Vertrauens schon geschlossen haben, im Zoofachhandel gibt es genügend Auswahl an Lebendfutter: Rosenkäferlarven, Heimchen, Argentinische Waldschaben, Dendro-Rotwürmer, Salinenkugelflöhe und Tubifex-Schlammröhrenwürmer. Hier kann der Kerbtier-Gourmet aus dem Vollen schöpfen und hat die Qual der Wahl. Und abends vor der Glotze haben die fettigen Kartoffelchips ein für allemal ausgedient. Wir langen stattdessen in ein Schächtelchen mit gerösteten Kartoffelkäfern. Und das Glas Tequila mit einem leicht verwesten, aber ansonsten gesund aussehenden Riesenbandwurm drin ist obligatorisch. Alternativ darf es auch ein Kratzwurm aus eigener Züchtung  oder ein bei abnehmendem Vollmond eigesammelter Engerling aus ökologischer Freilandhaltung sein.

Ein Salatkopf kann nicht weglaufen

Irgendwann stellt sich aber trotzdem die ethisch-moralische Gretchen-Frage. Und zwar dergestalt, ob auch wirbellose Tiere Schmerzen empfinden können, beim Schlachten, oder, sofern sie der Pfanne oder dem Topf lebend übereignet werden, beim Kochen, Braten, Dünsten oder Frittieren. Darüber gehen die Ansichten auseinander. Und das weiß man bei Pflanzen ja auch nicht so genau. Das sind ja auch Lebewesen. Damit wird’s jetzt kompliziert. Vertreter der Flora reagieren auf viele Umweltreize wie Hitze, Kälte, Licht oder Dunkelheit. Und vielleicht empfinden sie bei Wassermangel oder beim Ausreißen auch irgendetwas. Die Wutz kann ihrem Schlächter theoretisch davonlaufen, der Salatkopf nicht. Tiere zu essen ist für Vegetarier und Veganer, diese Möhrenschänder, tabu, doch Pflanzen dürfen gefuttert werden. Vielleicht gefällt es ja auch einer Tomate nicht besonders, überbrüht und gehäutet zu werden. Und die Erbsenschote, der man die Babys aus dem grünen Leib reißt, ist sicherlich ebenfalls „not amused“.

Buletten aus tierischen Stammzellen

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Null Zucker, aber viel Eiweißpower: Leckerer Larvenspieße. In Thailand findet man solche Angebote an jeder Ecke. Vielleiht auch demnächst auf dem Herborner Wochenmarkt. Foto: Pixabay

Aber was für Alternativen gibt es?  Einen Weg aus dem Dilemma haben uns unsere holländischen Nachbarn schon 2013 aufgezeigt, und zwar einen jenseits von Gouda und Schnittblumen. Ein findiger Science-Fiction-Metzger aus Maastricht hat Stammzellen einer Kuh in der Petrischale gezüchtet und daraus eine Bulette generiert.  Diese In-vitro-Frikadelle schmeckte laut Gault Michelin zwar nur wie der  mittelmäßige Burger einer großen Fast-Food-Kette, kostete dafür aber damals schon in der Herstellung 250.000 Euro. So was können sich auf Dauer nur Bill Gates und Friedhelm Loh leisten. Was natürlich auch den ungebrochenen Strom an Wohnwagengespannen erklärt, die aus dem Meisjeland kommend über unsere Grenzen rollen. Die Tulpenknicker  wollen sie bei uns nur mal preisgünstig satt essen – mit richtigem Fleisch.

Fließende Grenze zwischen Knack- und Kackwurst

Aber es geht natürlich immer noch einen Tick abgedrehter. Ein japanischer Wissenschaftler hat ein Verfahren entwickelt, aus menschlichen Exkrementen, die ja reich an Proteinen sind, eine Art Fleischersatz herzustellen. Dabei heraus kam der „Shit-Burger“. Ein Produkt, das zu 63 Prozent aus Proteinen, zu 25 Prozent aus Kohlehydraten, zu drei Prozent aus Lipiden und zu neun Prozent aus Mineralien bestand. Eine gesunde Mahlzeit also, die geschmacklich entfernt an Rindfleisch erinnert. Da wird die Grenze zwischen Knack- und Kackwurst irgendwann fließend. Und der Beruf des Abschmeckers in der Klärgrube hat auf einmal doch wieder Zukunft.

Aber dann doch lieber ein blanchierter, durch Chutney verfeinerter und mit Bierteig ummantelter Regenwurm aus garantiert ökologischem Anbau. Hirschkäferlende, Maikäferschaumsüppchen und flambierte Tausendfüßer mit Honigbienenmus wären optional. Klingt doch verlockend, oder?

 

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