Von Jürgen Heimann
Sein siegreicher, märchenhafter Wettlauf gegen den Hasen ist legendär, auch wenn er den sprintstarken Lampe letztlich nur durch eine List hat bezwingen können. Auch Wilhelm Busch hat ihm ein poetisches Denkmal gesetzt: “Ganz unverhofft an einem Hügel sind sich begegnet Fuchs und Igel…” Der Igel gilt als ausgewiesener Sympathieträger, obwohl er kein Kuscheltier ist. Die kleinen Kerlchen mit den putzigen Knopfaugen sind eigentlich “everybody’s darling”, und das nicht erst seit der vor vielen Jahren in einer großen deutschen Programmzeitschrift veröffentlichten Comic-Serie von “Micki und Mecki”. Letzterer hat übrigens nichts mit dem phonetisch ähnlich klingenden Macki Messer aus Brechts Dreigroschenoper zu tun. 1999 hatte die Bundespost die Mecki-Figur sogar mit einer Sonderbriefmarke gewürdigt, während die aus der Serie generierten gleichnamigen Bücher bei Kindern heiß begehrt waren. Wir Menschen mögen diese Kobolde der Nacht aber vor allem in ihrer realen Entsprechung, auch wenn wir ihnen das (Über-)Leben mitunter recht schwer machen – oft aus Unwissenheit und/oder Gedankenlosigkeit.
In diesen Tagen und Wochen sind diese stacheligen Gesellen, die zwar nicht gut sehen können, dafür aber über einen ausgeprägten Gehör- und Tastsinn verfügen, nachgerade hyperaktiv. Das hat aber nichts mit AD(H)S zu tun. Denn bevor es zu kalt wird und die Temperaturen tagsüber dauerhaft unter fünf Grad fallen, müssen sich die überwiegend Insekten fressenden Säugetiere die nötigen Fettreserven als Kälteschutz und Nahrungsvorrat für den Winterschlaf anfressen. Daneben halten sie Ausschau nach einem geeigneten, trockenen und frostsicheren Winterschlafquartier. Wir können ihnen dabei helfen.
Noch schnell die Fettreserven auffrischen
Die Herren der Schöpfung unter den Igeln haben sich zum Teil schon verkrochen. Es folgen die Weibchen, nachdem sie sich von der Jungenaufzucht erholt haben. Zuletzt bettet sich der Nachwuchs zur Ruhe, weil er im Bemühen um ein ausreichendes Wintergewicht noch Nachholbedarf hat. Wenigstens 500 Gramm sollte ein junger Igel Anfang November auf die Waage bringen, damit er die nächsten Monate schlummernd überstehen kann. Während dieser Zeit büßen die Schläfer 30 Prozent ihres Körpergewichtes ein.
Durchaus hilfreich können da vorher Zufütterungen durch den Menschen sein. Igel ernähren sich in der Regel von Insekten, Asseln, Würmern und Schnecken. Aber auch Eier und kleine Wirbeltiere – wie beispielsweise junge Mäuse – stehen auf dem Speiseplan. Doch das Angebot wird im Spätherbst zunehmend knapper. Da wird ein von Menschenhand gereichter Imbiss gerne angenommen. Das kann Katzen- oder Hundedosenfutter sein, ungewürztes Rührei, gekochtes Geflügelfleisch oder durchgegartes Hackfleisch. Auch Weizenkleine und Haferflocken werden nicht verschmäht. Speisereste hingegen, ebenso wie Süßes oder Gewürztes, Milchprodukte, Nüsse, Obst und Gemüse gehören nicht auf den tierischen Teller. So etwas vertragen Igel nicht. Sobald es friert und schneit, sollte dieser Essensservice sowieso eingestellt werden. Grund: Nahrungsmangel ist ein wesentlicher Auslöser für den Winterschlaf. Anhaltende Drein- und Beigaben würden den Igel nur künstlich wach halten. Normalerweise kann er sich aber selbst helfen und stellt sich als Selbstversorger ziemlich geschickt an. Ein TV-Team von SWR und WDR hat ihn bei seinen nächtlichen Beutezügen begleitet:
Hin und wieder lässt sich eines dieser Tiere auch mitten im tiefsten Winter blicken. Das bedeutet allerdings nicht, dass es zwingend Hilfe braucht. Oft werden Igel im Winterschlaf aufgeschreckt, wenn allzu eifrige Gartenbesitzer auch noch den letzten Blätter- oder Reisighaufen entfernen. Dann müssen sie sich schleunigst einen neuen Schlafplatz suchen, was in den meisten Fällen auch gelingt. Und die Aufzucht vermeintlich nicht überlebensfähiger Jungtiere ist sowieso eine Wissenschaft für sich. Dazu sollten sich besorgte Tierfreunde grundsätzlich Expertenrat einholen. Bei Aufzucht und Pflege kann man nämlich viel falsch machen. Ein Winterschlaf in menschlicher Umgebung ist für die Igel eine Ausnahmesituation und darf nur vorübergehend sein. Viele nützliche Tipps zum Thema findet man auf der Internetseite des Vereins “Pro Igel.e.V”.:
Die Überlebenshilfe muss früher beginnen
Aber die Überlebenshilfe sollte schon viel früher beginnen. Das fängt bei einer entsprechenden Gartengestaltung mit Nistgelegenheiten in Hecken und Büschen an und hört beim zurückhaltenden Einsatz von motorbetriebenem Gerät wie Rasen- bzw. Fadenmäher oder dem Verzicht auf Laubsauger noch lange nicht auf. Während Uhu, Fuchs, Marder und Dachs zu den natürlichen Feinden des Igels zählen (auch Hunde und Katzen können ihm gefährlich werden), gehören steilwandige Gruben, offene Kellerschächte, Schwimmbäder, Schlagfallen, Giftköder, Beerennetze, Garten- und Brauchtumsfeuer, Pestizide und Kunstdünger zu den künstlichen, vom Menschen generierten Gefahrenquellen. Hinzu kommt, dass Eingriffe des Menschen in die Natur die Lebensräume dieser Tiere zunehmend zerstören. Von Straßen zerschnittene Landstriche führen zur Isolation von Igelpopulationen. Monokulturen in der Landwirtschaft dezimieren die Nahrungstiere. Aufgeräumte Landschaften bieten keinen Unterschlupf.
Für die Jäger ist der Igel als Beute und Trophäe glücklicherweise uninteressant, aber 500.000 von ihnen, also den Igeln, nicht den Waidmännern, kommen jährlich auf den Straßen buchstäblich unter die Räder. Die Zeiten sind hart, die Lebensbedingungen vielerorts auch. Obwohl der Mensch (oft unbewusst) an vorderster Front derer steht, die den Stachelträgern die Existenzgrundlage versauen, suchen sie doch deren Nähe. Igel sind Kulturfolger und leben inzwischen fast ausschließlich in menschlichen Siedlungsräumen. Um einen solchen könnte es sich durchaus auch handeln, wenn der vermeintliche Kaktus mal wieder durch die Wohnstube läuft. In ländlichen Gegenden beträgt das Revier eines einzelnen Igelmännchens oft mehr als 100 Hektar. Diese Tiere sind typische, nachtaktive Einzelgänger, die ihren Aktionsraum aber nicht gegenüber Artgenossen verteidigen. Dennoch gelten sie ob ihres Stachelkleides als Inbegriff der passiven Wehrhaftigkeit. Bei Gefahr rollen sich die Tiere zusammen, die Spitzen ihres Kleides ragen drohend in alle Richtungen, wodurch manchem Fressfeind der Appetit verleidet wird. Das klappt natürlich nicht immer.
Fauchen, schnaufen, schniefen, schmatzen
Je nach Situation und Stimmungslage können die Meckis auf einer breit gefächerten Artikulations-Klaviatur klimpern und veranstalten dann mitunter einen Mordslärm. Da faucht und schnauft es, schnieft, schmatzt und keckert. Mitunter schreien die Tiere sogar. Da mag gar mancher abendliche Terrassen-Relaxer rätseln, was denn in der Nachbarschaft wieder los ist. Am ausdauerndsten und am lautesten lassen Igel ihre Stimme während des Paarungsspieles hören. Die Laute, die sie dabei von sich geben, erinnern an Schnarch- und Sägegeräusche. Beim Menschen sind letztere ja meist erst danach zu vernehmen…
Unser Mecki ist ein Braunbrustigel
Weltweit gibt es 25verschiedene Igelarten, die sich in zwei äußerlich deutlich unterscheidbare Unterfamilien, die Stacheligel und die stachellosen Ratten- oder Haarigel, aufteilen. Von Amerika und Australien abgesehen kommen sie auf allen anderen Kontinenten vor. Hierzulande gehört das Terrain fast ausschließlich dem zur Gattung der Kleinohrigel gehörenden Braunbrustigel, auch West- oder Europäischer Igel genannt. In Ostmittel- und Osteuropa sowie in Teilen Westasiens ist hingegen der ebenfalls zu den Kleinohrigeln zählende Nördliche Weißbrustigel die vorherrschende Art. Die Schutzgemeinschaft Deutsches Wild kürte den Igel 2009 zum „Tier des Jahres”. Er gilt heute nach dem deutschen Bundesnaturschutzgesetz als besonders geschützte Tierart und darf nicht gefangen, verletzt oder getötet werden. Das war nicht immer und überall so.
Igelasche gegen Haarausfall und Blasenschwäche
In früheren Jahren wusste man Igelfleisch in vielen Regionen Europas zu schätzen. Schon die ollen Römer labten sich daran, ebenso die Engländer des 15. Jahrhunderts. Im mittelalterlichen Spanien galt Igelbraten als beliebte Fastenspeise. In der Kultur der Roma ist er heute noch Ernährungsbestandteil, obwohl er bei ihnen als Glücksbringer gilt bzw. galt. Ja, schon in der antiken Volksheilkunde griff man auf ihn, bzw. das, was nach Verbrennen davon übrig blieb, zurück. Igelasche galt als probates Mittel gegen Haarausfall und Glatzenbildung und sollte zudem bei Epilepsie, Wassersucht und Blasenschwäche helfen. Nieren- und Blasensteine versuchte man anno batsch mit getrocknetem Igelblut auszutreiben, das Fett der Tiere sollte den Heilungsprozess bei Knochenbrüchen und offenen Wunden fördern und beschleunigen. Und die altfranzösischen Erotomanen würzten ihre Liebeszauber-Cocktails mit zerriebenen Igelstacheln. Ob’s was geholfen hat?
Als Glücksbringer geschätzt, als “Hexentier” verfolgt
Auch in Märchen und Aberglauben haben die Stacheligen, denen oft mythische Eigenschaften nachgesagt bzw. angedichtet wurden, einen festen Platz. Je nach Standpunkt galten sie als Glücksboten, Unglücksbringer, Hexentiere oder (böse) Schädlinge. Sei es drum, dass sie angeblich die Weinberge heimsuchten und die Trauben mit Stacheln aufspießten, sei es, dass sie für den “Flug”, eine gefürchtete Euterkrankheit bei Kühen, verantwortlich gemacht wurden. Apropos Euter: Letztendlich mussten Igel auch zum Abstillen von Babys herhalten. Um den Kleinen die Mutterbrust madig zu machen, wurden Igelbälge genutzt, die sich Frau Mama zur Abschreckung auf die Brust legte. Diese Methode ist durchaus ausbaufähig und übertragbar…