Von Jürgen Heimann
Der Landesjagdverband Nordrhein-Westfalen, mit 63.600 Waffenträgern der größte und schießwütigste DJV-Landesverband in Deutschland, träumt ja immer noch davon, als Tierschutzorganisation anerkannt zu werden. Genauso gut könnte man aber auch dem „Islamischen Staat“ den Friedensnobelpreis antragen und Rosamunde Pilcher mit dem für Literatur ehren. Das verwegene Ansinnen der Waidleute war Mitte Dezember des vergangenen Jahres aber vom Verwaltungsgericht in Gelsenkirchen abgeschmettert worden. Nachdem das NRW-Umweltministerium bereits im August 2013 einen entsprechenden Antrag der Jäger abgelehnt hatte, hatten die sich in ihrer Tätigkeit völlig verkannt fühlenden Pirschgänger versucht, die Anerkennung mit juristischen Mittel durchzusetzen.
Ein Jahr nach dem für sie ach so enttäuschenden Gerichtsentscheid haben sie jetzt aber auf einem anderen Sektor einen Teilerfolg verbuchen können. Das neue, erst am 28. Mai 2015 in Kraft getretene und von den Betroffenen als „Gefälligkeitsgesetzgebung gegen die Mehrheit von Land und Leuten“ bezeichnete Landesjagdgesetz wird neu aufgerollt und verhandelt. Der Landtag muss sich ein weiteres Mal damit befassen.
Das ist das Ergebnis einer Kampagne, in deren Verlauf ein kühn als „Volksinitiative für ein ideologiefreies, praxisgerechtes Jagdrecht in NRW“ getauftes Bündnis (klingt ein bisschen nach „Volksbefreiungsarmee“ oder „Wir sind das Volk“-Getöse) 126.000 Unterschriften zusammengetragen und damit die in der Landesverfassung vorgegebenen Kriterien für ein solches Bürgerbegehren erfüllt hatte. Die Liste – 117.601 Unterschriften bestanden den Gültigkeitstest – wurde vor wenigen Tagen an Landtagspräsidentin Carina Gödecke übergeben. Sie muss das leidige Thema deshalb ein weiteres Mal auf die Parlaments-Tagesordnung setzen. Damit wäre gleichzeitig ein neues Wahlkampfthema für die im Mai anstehende Landtagswahl gegeben. Was ganz im Sinne der Initiatoren sein dürfte. Und die Freunde aus Hessen könnten die Fährte aufnehmen. Dort wird Ende 2018 gewählt.
Kampf auf der Straße und hinter den Kulissen
Der Verabschiedung der novellierten Jagdverordnung vorausgegangen waren monatelange, teils auf der Straße geführte Auseinandersetzungen. Die NRW-Jäger hatten zehntausende Gleichgesinnte mobilisiert und auf Demos gegen die rot-grüne Regierung in Stellung gebracht. Sie sahen ihre Felle davonschwimmen und fürchteten (zu Recht) wesentliche Einschränkungen, die ihrem blutigen Treiben in Wald und Feld Grenzen setzen würden. Da ihre Argumente aber wohl so glaubwürdig und stichhaltig nicht waren, verlegen sie sich jetzt aufs Formelle und zweifeln die Rechtmäßigkeit des Gesetzgebungsverfahrens an. Das sei nämlich nicht „sachorientiert“ gewesen. Keine einzige Neuregelung sei im Parlament sachlich erörtert worden, nicht einmal im zuständigen Fachausschuss.
Ganz davon abgesehen hätte der Landtag seine Kompetenzen überschritten, indem er “maßlos“ in die von der Verfassung garantierte Eigentums- und Handlungsfreiheit der Jäger eingreife. Nichts anderes nämlich sei die Beschränkung des Katalogs der jagdbaren Tierarten und die Reduzierung der Jagdzeiten. Das gelte ebenso für das Verbot, bleihaltige Munition zu verwenden. Ein 70 Seiten starkes Gutachten des Verfassungsrechtlers Thomas Dünchheim war damals freilich zu einem ganz anderen Ergebnis gekommen: „Mit der ökologischen Ausrichtung des Gesetzes überschreitet das Land NRW seine Kompetenzen nicht“; die Festlegung, dass Tiere nur noch “aus einem vernünftigen Grund” getötet werden dürften, schränke das Jagdrecht jedenfalls nicht über Gebühr ein. Auch die Einführung eines jährlichen Schießnachweises hielt der Jurist für zulässig.
Doch die zweibeinigen und gut organisierten Beutegreifer in NRW sehen das etwas anders. Schließlich würde man mit der Ausübung der Jagd einen gesetzlichen Auftrag umsetzen und handele im öffentlichen Interesse, rechtfertigen sie sich und ihr Tun. So ist es zumindest auf der Webseite des Landesverbandes nach zu lesen. LJV- Präsident Ralph Müller-Schallenberg und seine Kohorten glauben das anscheinend wirklich selbst. Man stünde für praktizierten, gelebten (!!) Artenschutz und hätte die Mehrheit von Land und Leuten auf seiner Seite. Aber genau das darf bezweifelt werden. Die Jäger schreien nur am lautesten und wissen ihre (wahren) Interessen am geschicktesten zu wahren bzw. zu verschleiern. Kaum ein Lobbyistenverband spielt so virtuos auf der Klaviatur der Desinformation. Und aus 126.000 Unterschriften die These abzuleiten, die Mehrheit der Bevölkerung stünde hinter den Jägern, ist hanebüchen. Aber im dunklen Wald soll man ja schließlich auch pfeifen, um sich selbst Mut zu machen.
Euphemistiker im grünen Lodenwand
Die Akzeptanz des blutigen, meist als Freizeitspaß betriebenen Waidwerkes bröckelt. 70 Prozent der Deutschen, so eine andere Erhebung, lehnen die Hobbyjagd ab. Deshalb sind die Wildtöter ziemlich bedächtig bei der Wahl ihrer Worte. Wäre Euphemistik eine olympische Disziplin, niemand könnte ihnen die Goldmedaille streitig machen. Man fordert ja schließlich auch nur Vernünftiges und Nachvollziehbares, „angemessene Jagdzeiten“ beispielsweise auch auf nicht im Bestand bedrohte (geschützte) Arten. Oder eine „Erleichterung von Schonzeitaufhebungen zur Vermeidung übermäßiger Wildschäden“. Und auch die „Sicherstellung einer flächendeckenden Bejagungsmöglichkeit“ ist doch nicht zu viel verlangt, oder? Jagdbeschränkungen und Jagdverbote auch in Schutzgebieten müssten die Ausnahme bleiben, heißt es weiter. Da wird schon deutlicher, wohin der Hase hoppelt.
Hunde gegen Enten und Weltverbesserer
Im Klartext heißt das alles nichts anderes als „weg mit allen Beschränkungen, die den Wald- und Feldschützen das Leben schwer machen, ihren potentiellen Opfern es aber erleichtern oder zumindest temporär garantieren”. Schonzeiten werden als Gängelung und Bevormundung empfunden. Sie sind anachronistisch und nur einer kleingeistigen Regulierungswut gutmenschelnder Weltverbesserer geschuldet. Natürlich dürfen auch ausgewiesene Schutzgebiete nicht länger „No-Go-Areas“ für das waidende Volk sein. Und wenn von „tierschutzgerechte Regelungen zur Ausbildung von Jagdhunden, die sich am Einsatz der Hunde in der Jagdpraxis orientieren“ die Rede ist, möchte man lediglich zur alten Praxis, bei der sich Jagdbellos zu Trainingszwecken in zuvor „fluguntauglich gemachte“ Enten verbeißen dürfen, zurückkehren. Und wenn wir schon mal dabei sind: Das Verbot, die Wuffis auf Füchse und Dachse zu hetzen, gehört ebenfalls in den Abfalleimer der Jagdgeschichte.
Natürlich ist auch die „Wiedereinführung praxis- und tierschutzgerechter Regelungen zum Füttern und Kirren von Wild“ überfällig. Diese Praxis ist sowieso ein Kapitel für sich. Kirrungen sind Köderfütterungen, um die Beute in einen Hinterhalt zu locken und dann bequem abschießen zu können. Bei den Leckerlies kann es sich um Mais oder andere nichtfleischliche Stoffe (Eier, Käse usw.) handeln. Das Anlocken von Raubwild, das sich vorwiegend karnivorisch ernährt, erfolgt in der Regel mit Innereien und dem Fleisch anderer erlegter Tiere. In diesen Fällen spricht der wackere Jäger von „Anludern“.
Poetische Höhenflüge auf dem Hochsitz
Die Landesjagdgesetze begrenzen die Anzahl der Kirr- und Luderplätze. Auch dürfen diese von ihrer Menge und Ausdehnung her nicht den Charakter von Fütterungen haben. Es ist vorgeschrieben, dass das „Kirrgut“ nur für eine ganz bestimmte Wildart zugänglich sein darf. Raubwild bleibt außen vor, oder soll es zumindest. Doch das ist Theorie. In der Praxis scheren sich die Revierpächter und ihre Gäste wenig um solche Reglements, in NRW wie in Hessen, Niedersachsen oder andernorts. Gerade Waschbären und Füchse gehen ihren Häschern auf diese Weise zu Tausenden auf den bleihaltigen Leim. Zur Bestätigung braucht man sich nur ein klein wenig in den einschlägigen Jägerforen umzuschauen. Da wird auch deutlich, wessen Geistes Kinder die sich dort Tummelnden sind, aber auch zu welchen poetischen Höhenflügen die Ansitzer fähig sind, sollten sie erfolgreich zum Schuss gekommen sein.
Die Sauer 202 Forest schickt den Bären über den Regenbogen
Beispiel: „Der erste Schatten wird anvisiert und der Knall meiner Sauer 202 Forest zerreißt die Nacht. Die .308 Win mit Norma Vulkan verrichtet Ihre Arbeit und verbannt den ersten (Wasch-)Bären an seinen Platz. Als die Blendung des Mündungsblitzes nachlässt, sind Kollege 2 und 3 immer noch vor Ort“. (Anmerkung der Redaktion: Der Held meint mit dem Begriff „Kollegen“ nicht seine eigenen, sondern die Tiere). Und weiter: „Verwirrt ob der groben Ruhestörung, folgt Bär Nr. 2 seinem Artgenossen über die Regenbogenbrücke. Der neuerliche Donnerhall befreit nun auch Bär Nr. 3 aus seiner Starre und lässt Ihn sein Heil in der Flucht finden. Die Sauen wollten nun nicht mehr erscheinen. Aber hochzufrieden genieße ich das Restlicht auf der Kanzel und erfreue mich meiner ersten Doublette“.
Wo freche “Racoons” die Maistrommel schlagen
An anderer Stelle ist von einer Fähe die Rede, die mit drei Jungen im Schlepptau eine Kirrung aufsuchte, übrigens zum letzten Male in ihrem Leben. Das Resümee des Schützen: „Der nächtliche Ansitz auf den Waschbären lohnt sich!“. Aber die Opfer sind ja selbst dran schuld und haben nix anderes verdient. Was unterstehen sich diese als „Gängster“ bezeichneten Viecher auch, Mais auf einer Kirrung zu stehlen? Frechheit! In solchen Fällen muss man sie halt „sprengen“, wie es ein anderer Kamerad formulierte. Zumal sich sein Kollege im Geiste des Dankes von Niederwild und Bodenbrütern gewiss ist: „Nach den letzten 10 nächtlichen Ansitzen auf Sauen konnte ich eine Population an Waschbären zählen die schon einem Ausnahmezustand nahe kommt und wenn dann noch auf der Kirrung Sambatöne der Maistrommel entlockt werden die mir die Sauen verdrängen und das gleich zweimal in 20 Minuten ist Schluss mit lustig“ . . Orthografie und Interpunktion sind jetzt nicht unbedingt auf dem neuesten Stand. Und wie der Autor die Jägerprüfung bestanden hat, ist mir ein Rätsel. Wahrscheinlich hat ihm jemand die Aufgabe vorgelesen und er hat die Antworten auf Band gesprochen.
Füchsen und Dachsen, diesen Ludern, ergeht es an den Luderplätzen ähnlich. Siehe oben. Ersteren widmen die grünuniformierten Schießsportler traditionsgemäß besonderes Augenmerk. Wohl nicht von ungefähr taucht ein verschlagen dreinblickender Reineke auch als „Eyecatcher“ im Kopf der LJV-Homepage auf. In der Saison 2015/16 haben die Mitglieder lauf amtlicher Statistik 49.135 dieser gefährlichen Räuber in die ewigen Jagdgründe befördert. Ab und an trifft es, wie Anfang dieses Jahres während einer Fuchsjagd im Mönchengladbacher Kothausen geschehen, auch mal jemand aus den eigenen Reihen. „Killed by friendly Fire“ nennen die Amerikaner so etwas. Aber in diesem Fall kam der 73-jährige glücklicherweise mit dem Leben davon, wenn auch schwer verletzt. Vielleicht hatte er rote Haare und sah einem Buschschwänzigen entfernt ähnlich…
Gute Nacht hat! Fuchs und Hase auf der Abschussliste
Die Kollegen im Kreis Warendorf sind besonders scharf hinter diesen hinterlistigen Wildhunden her und greifen mit Ausnahmegenehmigung der Jagdbehörde dabei auch auf die längst überwunden geglaubte und verpönte Praxis der Baujagd zurück. Dies angeblich auch, um der in den vergangenen Jahren um 36 Prozent geschrumpften Feldhasen-Population eine Atempause zu verschaffen. Die Langohren stehen seit 2009 in Deutschland auf der „roten Liste“ bestandsgefährdeter Arten. Wohl deshalb hat die nordrhein-westfälische Lodenmantel-Fraktion im letzten Jagdjahr auch nur 41.309 Meister Lampes eliminiert…
Aber zurück zum Thema. Natürlich werden die Heldentaten in den jagdlichen Kirr- nd Ludenparadiesen auch fotografisch dokumentiert und die Beute bildgerecht in Szene gesetzt. Da darf man, was das Posing anbelangt, ruhig auch schon mal etwas nachhelfen. Es kann einem schlecht werden! Das folgende Zitat stammt übrigens nicht von Hans-Peter Wieth, dem Ersten Bevollmächtigen der IG Metall Ortsverwaltung in Herborn, sondern von dem Berliner Künstler Max Liebermann (1847 – 1935): “Ich kann gar nicht so viel fressen, wie ich kotzen möchte!“ Ich auch nicht.