Von Jürgen Heimann
Alles was recht ist, aber lassen wir die Kathedrale doch im Dorf und die Wildwutz im Wald. Es ist wirklich kein verfrühter Aprilscherz. Aber vielleicht hängt das irgendwie mit Karneval zusammen, der ja in von Katholiken geprägten Regionen besonders intensiv gefeiert wird. Da hat eine Limburgerin tatsächlich durchgesetzt, dass das vermeintlich tierfeindliche “Fuchs, Du hast die Gans gestohlen” von der Playlist des Glockenspiels am hiesigen Rathaus gestrichen wurde. Notabene: Es geht und ging hier nur um die instrumentale Version des volkstümlichen, 1824 von Ernst Anschütz verfassten Kinderliedes. Singen können die Bimmeln ja nicht. Der Text dieses Traditionals dürfte andererseits jedem von klein auf vertraut sein. Dem buschschwänzigen Kidnapper wird darin ultimativ die vom Jäger zu vollstreckende Todesstrafe angedroht, sollte er das geraubte Federvieh nicht umgehend zurück bringen, und zwar unversehrt. Klare Ansage. Und das geht der Frau aus der Hessischen Dom- und Bischofsstadt zu weit.
Als praktizierende Veganerin lehnt die wackere Dame jedweden Fleischverzehr strikt ab. O.K. Muss jeder selbst für sich entscheiden. Aber Handlungsmotiv war nicht so sehr, dass sie sich in ihren Ernährungsgefühlen verletzt sah und deshalb vielleicht auch dem rotrockigen Räuber den Braten nicht gönnen mochte. Schließlich kann man diese Tiere auch mit den überzeugendsten Argumenten nicht dazu bewegen, sich auf Tofu, Salat und Möhren zu beschränken. Und wohin ernährungsbedingte Mangelerscheinungen führen können, sieht man ja in dem aktuellen Fall. Entscheidend war für die Frau einzig und allein die in dem Lied aufgezeigte tödliche Konsequenz – für den Fuchs, nicht die Gans.
Kinderlied-Klassiker vorerst auf dem Index
Bürgermeister Dr. Marius Hahn (SPD) beschied das wie es heißt “höflich vorgetragene Ersuchen” der Antragstellerin positiv und setzte den inkriminierten Evergreen auf den Index – vorerst zumindest. Das sei eine “zeitlich befristete Schonzeit” für die Frau, nicht den Reineke. Erstere arbeitet in unmittelbarer Nähe des Rathauses und wird durch das jeweils einminütige Läuten täglich an die Bedrohung, der sich das arme Tier, sollte es sich als uneinsichtig erweisen, ausgesetzt sah, erinnert. Aber früher oder später, nach einer noch nicht näher definierten Spielpause, wird der historisch-märchenhafte Gansraub hier aber wieder bimmelnd thematisiert, versicherte Verwaltungssprecher Johannes Laubach. Er und sein Chef verstehen die Aufregung um den Fall, der bundesweit eine mediales Echo gefunden hat, überhaupt nicht.
Im läutenden Glockenspiel-Portfolio gibt es noch 32 andere Melodien, unter anderem die Nationalhymnen der Länder aller Partnerstädte sowie 16 Volks- und Kindersongs, die die Lücke bis dahin füllen können. So lange es nicht “Auf, auf zum fröhlichen Jagen” ist geht das wohl auch in Ordnung. Und das Stadtoberhaupt konnte aus der Sache obendrein noch karnevalistischen Honig saugen. In einer Faschingsrede reimte der Verwaltungschef: “Der Hahn, der Hahn ist nicht vegan und er sagt’s ganz unverhohlen: Fuchs, du hast die Gans gestohlen“.
Posse, Lachnummer oder Realsatire?
Der Fall trägt realsatirische Züge. Man/frau kann es mit der Liebe zum Tier auch übertreiben. Die Gefahr, dass die Motive all derjenigen, die sich wirklich ernsthaft und aus voller Überzeugung für das Wohl ihrer faunistischen Mitgeschöpfe einsetzen, durch so etwas per se und kollektiv der Lächerlichkeit preisgegeben werden, ist durchaus real. Aber Tierfreund und -schützer sind weder Spinner noch eine fehlgeleitete Komikertruppe. Auch wenn das von bestimmten Kreisen gerne so dargestellt wird.
Schlachtgesänge jenseits der Schmerzgrenze
Jene zumeist bilingual aufgewachsenen Kreise, die neben oft holprigem Deutsch als zweite Fremdsprache auch Jägerlatein fließend beherrschen, sind ja musisch sehr begabt. Generationen von Komponisten und Librettisten haben ihnen die Schlachtgesänge geliefert, die sie abseits ihres höchst repräsentativen Jagdhorngedudels gerne und bei jeder sich bietenden Gelegenheit zur eigenen Erbauung und Wehrkraftertüchtigung anstimmen. Denn: „Wo man singt, da lass’ Dich ruhig nieder…” Wenn die von ihrem edlen Weidwerk beseelten Damen und Herren im grünen Wams zum gemütlichen Teil übergehen und das Gesangbuch des Deutschen Nimrods zur Hand nehmen, wird es ganz schlimm.
Das „Hasengebet“ steht nicht im Gesangbuch
Wer sich einmal die Mühe macht, ein klein wenig in der einschlägigen Literatur zu blättern, bekommt die volle Dröhnung. Was da, zum Teil auf der von viel alkoholischem Zielwasser diktierten Set-List steht, weia! Reinhard Meys “Hasengebet” gehört allerdings nicht zum Standardrepertoire. Ebenso wenig “Don’t kill the Animals” von Nina Hagen und Lene Lovich oder “Born for a Purpose” von den Pretenders. Aber “Der Jäger aus Kurpfalz” darf da sein Gäulchen schon mal satteln. Wie der durch den grünen Wald galoppiert, das Wild umnietet “gleich wie es ihm gefällt” und das dann auch noch äußerst lustig findet, ist trotzdem noch relativ harmlos.
“Das edle Jägerleben vergnüget meine Brust; den kühnen Fang zu geben, ist meine größte Lust”, heißt es u.a. in dem Lied “Auf, auf zum fröhlichen Jagen”. Und wer der Herr (über Leben und Tod) im Revier ist, wird hier deutlich: “Mein ist der Vogel in der Luft, der Entrich auf dem Teich; mein Feuerrohr, sobald es pufft, erleget sie sogleich” Tataa!! Und weiter: “Der Rehbock, der auf Flügeln eilt, der Hirsch, so schlank, so schön, der Dachs, der in den Klüften weilt, nichts, nichts kann mir entgeh’n!”. Aus dem “Jägerlied”, Strophe 5 und 6. Mehr Stoff in dieser Güteklasse gibt es hier: http://www.lieder-archiv.de/jagdlieder.html
Mit königlicher Lust an des lieben Weibes Brust
Und wer sich so ins Zeug legt, hat auch daheim eine kleine lustvolle Belohnung verdient: “Mit reicher Beute kehrt er dann beladen spät nach Haus und ruht mit königlicher Lust
an seines treuen Weibchens Brust von aller Arbeit aus”. (“Lob der edlen Jägerei“, letzte Strophe). Man merkt schon, Jagen ist sexy und stimulierend, für Männlein und Weiblein. Die Damen schauen voller Stolz und Bewunderung zu ihrem heldenhaften Menne auf, der sich tagtäglich draußen in der von zähnefletschenden Ungeheuern bevölkerten Wildnis im gefahrvollen Überlebenskampf bewähren muss: “Wir Jäger ziehn voll Kampfeslust hinaus in die Reviere, Kraft und Mut schwillt uns die Brust, uns fürchten Mensch und Tiere. Wir fechten manchen harten Strauß allein im wilden Walde aus, wir Jäger vom Reviere”. Solche Heroen braucht das Land!
Alles wird gut, aber kein Happy-End für die wilde Sau
“Kampf heißt die Losung immerdar für uns durchs ganze Leben! Hirsch, Keiler, Wolf und Wilddieb gar, die können Zeugnis geben; drum sind wir ständig auf der Hut und wissen uns zu wehren gut, die Waffen flugs zu heben” heißt es in der zweiten Strophe dieses Liedes (“Wir Jäger zieh’n voll Kampfeslust”). Es ist auch ein verdammt gefährlicher Job: “Doch seht, der Keiler nimmt ihn an, fass’ Mut, du junger Jägersmann! Den Fänger bloß und was du kannst hineingebohret in den Wanst”! Also den Wanst der Sau, nicht den eigenen. Sonst wäre es ja Harakiri. Wir fiebern mit. Ein Duell auf Leben und Tod. Voller Dramatik. Gut gegen Böse. Gibt es ein Happy-End? Ja, natürlich, aber nicht für das wilde Schwein. “Der Eber sinkt vom Schweiß bedeckt, matt taumelnd in das Gras gestreckt. Blast fröhlich, Jäger, auf sein Grab, der junge Waidmann fing ihn ab”! Gut gemacht. Dafür gibt’s die Nahkampfspange mit Eichenlaub und Gamsbart. Da mag man doch aus ganzem Herzen auch in folgende Strophe mit einstimmen: “Preiset die Jäger, hoch preiset die Jagd! Sagt, was auf Erden wohl fröhlicher macht! Draußen auf Beute, zu Hause beim Wein. Glücklich fürwahr ist der Jäger allein”! Wobei das Glück in diesem Fall nicht auf der Straße, sondern im Wald niederliegt.
Die Försterliesel hebt lasziv den Rock
Auf den erschöpft aber noch nicht ganz befriedigt heimkehrenden und mit Adrenalin zugedröhnten Edelmann, also “den Jager mit dem grünen Hut, der die Mädchen lieben tut” (und umgekehrt), wartet als Belohnung aber nicht nur die Försterliesel mit gelupftem Rock. Man(n) hat sich bereits zuvor für die erduldete und tapfer ertragene Unbill des Pirscherlebens entschädigt. Im Kreise gleichgesinnter, ebenso wackerer Kameraden. In der spartanisch eingerichteten, von hohen Bäumen gesäumten Datscha wurde die zur Strecke gebrachte Strecke mit viel Allohol begossen, in selbigem gegebenenfalls sogar leichte Anflüge von Gewissensbissen ertränkt. Denn es gilt ja: “Das Gras ist unser Bette, wir trinken um die Wette! Brüder, das Glas zur Hand und füllt es auf bis an den Rand”. Und das Ganze dann vielstimmig im Dreivierteltakt: “Sinkt dann spät die Nacht hernieder, ziehn wir heim des Wegs entlang, laben dort die müden Glieder froh bei Lied und Becherklang”!
Nach der Jagd wird das Kongobecken renaturiert
Auf die müden, erschlafften Glieder wäre dann später noch zurück zu kommen. Aber man kann nicht alles haben, zumal dann nicht, wenn die “Jäger von echtem Schrot(t) und Korn” zu viel von letzterem genascht haben. Alternativ auch anderes Zeugs: “Ach, wie schön schmeckt so ein Kümmel, nichts doch diesem Labsal gleicht; bei dem größten Jagdgetümmel nach ihm Sehnsucht uns beschleicht”! Dann muss sich die Liesel halt wieder anziehen, um im Falle der Wiederholung den Refrain vom Klang der Hörner dahingehend zu interpretieren, dass sie ihrem erschöpften Helden solche aufsetzt. Wir kennen das ja aus dem legendären Film “Der Schuss ins Brötchen”.
In den meisten Weisen wird gesoffen, dass sich die Balken der Jagdhütten biegen. Wenn es stimmt, was Günther Jauch einst propagierte, dass man nämlich mit einem einzigen Kasten Krombacher einen Quadratmeter Regenwald retten kann, dann schafft es eine kleine, aus nur wenigen Personen zusammengewürfelte Flinten-Clique zwischen Sonnenunter- und Mondaufgang locker und mit links, das gesamte Kongobecken zu renaturieren.