Von Jürgen Heimann
Reden wir mal über Schwänze. Also jetzt nicht über die Bommelmaxen, Druckschläuche und Genitalhydranten in den Hosen Testosteron gesteuerter Maskulin-Boliden, sondern die gekringelten und werksseitig am Heck unserer Wutzen angebrachten Anhängsel, mit denen die so lustig wackeln können. So selbige, also die Schwänzchen, denn noch vorhanden sind. Meistens sind sie es aber nicht (mehr). Wie auch immer, es läuft so oder so auf handgemachte Schweinereien hinaus.
In den meisten Zucht- und Mastbetrieben dieser tierfreundlichen Republik ist es üblich, den grunzenden Schnitzellieferanten in spe in den ersten Lebenstagen die auf ihrer Kehrseite verorteten Schniedel zu stutzen. Andernfalls, so die Rechtfertigung, würden sie es untereinander nämlich selbst tun. Aus Langeweile beispielsweise. Was dann schwere mit Entzündungen einhergehende Verletzungen zur Folge hätte. Also macht der Schweinepriester das lieber gleich selbst. Schnapp und ab. Angeblich ist diese mit dem Heißschneider vollzogene Routine-OP sogar schmerzlos. Für den, der amputiert, auf jeden Fall.
Bei gestörten Vertretern der zivilisierten humanoiden Spezies gibt es so etwas ähnliches. Den abgedrehten pathologischen Wunsch nach Verlust eines Körperteils nennt die Wissenschaft „Body Integrity Identity Disorder“ (BIID), was übersetzt so viel wie „Körper-Integritäts-Identitäts-Störung“ bedeutet. Die aber ist im Tierreich weniger verbreitet bzw. gar nicht. In der Fleischindustrie hingegen schon. Nur entspricht das Resultat dann nicht dem Wunsch der Kreatur, sondern dem ihres Herrn. Der sich dadurch ein Mehr an Profit verspricht.
Speckies mit Ringelschwanz nur noch auf PR-Fotos
Deutschlandweit erleiden etwa 99 Prozent aller Ferkel in der konventionellen Tierhaltung ein solches Schicksal. Die weiland von „DJ Mappe“ an seine kindliche Zuhörerschaft gerichtete Frage „Kennt Ihr das Tier mit dem Ringelschwanz“ kann kaum noch jemand mit „Ja“ beantworten. Speckies mit Ringel sieht man allenfalls noch auf Reklamefotos – oder im Film bei Babe, Miss Piggy, Rudi Rüssel oder Schweinchen Dick. Dass ihren realen Entsprechungen der Heck-Propeller gestutzt wird, ist zwar verboten, doch daran stört sich keine Sau. Da wäre Paragraf 6 des Deutschen Tierschutzgesetzes, der das Amputieren von Körperteilen bei Wirbeltieren untersagt. Aber es gibt auch eine entsprechende im Jahr 2008 erlassene EU-Richtlinie (2008/120/EG), die dieses Kupier-Verbot noch einmal konkretisiert hatte. Juckt auch keinen. Es wird munter weiter abgeschnitten, ohne dass das für die Täter (straf-)rechtliche Konsequenzen hätte.
Nun ist es die EU selbst, die ihre eigene und sicherlich gut gemeinte Maßgabe von damals unterläuft und konterkariert. Das zeigt ein Blick nach Niedersachsen. Dort (aber auch in anderen Bundesländern) werden – verkehrte, absurde Welt – Mäster, so sie sich an die Gesetze und Bestimmungen halten, sogar noch finanziell dafür belohnt. Seit 2015 gibt es hier die (umstrittene) und seinerzeit noch von dem grünen Landwirtschaftsminister Christian Meyer eingeführte „Ringelschwanzprämie“. Landwirte bekommen Kohle, wenn sie auf die inkriminierte (und verbotene) Schnipp-Schnapp-Praxis verzichten.
16,50 Euro für jeden intakten Schwanz
Die Penunse stammt, kein Witz, aus EU-Mitteln. Pro Mastschwein mit intaktem Schwanz fließen 16,50 Euro aus Brüssel in die Tasche der Schweinebarone. Fünf Euro gibt es für jedes dahingehend intakte Ferkel. Dieser Logik folgend müssten auch Autofahrer, die innerorts vorschriftsmäßig Tempo 50 einhalten, mit einem Extra-Bonus belohnt werden. Oder der Einbrecher könnte beim Wohnungsinhaber einen Fahrtkostenzuschuss für An- und Abreise geltend machen. Und diesen, wird die Zahlung verweigert, notfalls gerichtlich einklagen.
Dem Lockruf des Geldes erliegen viele Landwirte. Im ersten Jahr wurde der Zuschuss für 59.200 unversehrte Rüsseltiere gezahlt, für die aktuelle Ausschüttung haben die Mäster bereits 201.000 Borstenviehcher gemeldet. Aber längst nicht alle Viehhalter erfüllen, wie sich gezeigt hat, die Kriterien und werden im Nachhinein disqualifiziert. Man kann es ja mal versuchen. Diese 201.000 schwanzbelassenen Wutze sind gemessen am aktuellen niedersächsischen Schweinebestand (9 Millionen) Peanuts. Aber hier geht es ja nicht unbedingt um die Größe des Topfes, aus dem illegale Praktiken subventioniert werden, sondern um ein durch und durch krankes System. Das von gewissen Tierschutzverbänden zu allem Überfluss auch noch als Meilenstein auf dem Wege zu mehr Tierwohl gefeiert wurde. Es therapiert vielleicht die Symptome, kratzt aber nicht an den Ursachen.
Immerhin hat Barbara Otte-Kinast, die derzeitige niedersächsische Agrarministerin, angekündigt, diese ominöse Schwanzprämie auf den Prüfstand stellen zu wollen. Schau‘n mer mal. Vermutlich kommt dabei aber genau so viel heraus wie bei der vollmundigen Ankündigung ihres Amtsvorgängers, das Kupieren landesweit generell zu verbieten. Unverbindliche Absichtserklärungen, darauf verzichten zu wollen, gibt es auch in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen. Aber Papier ist bekanntlich geduldig. Der Bundesverband Tierschutz e.V. hatte bereits Ende 2015 eine entsprechende Kampagne gestartet: „Der Ringelschwanz gehört mir“. Nähere Infos dazu hier:
Schnipp-schnapp als „praktizierter Tierschutz“
Schweine sind Allesfresser. Dass sie sich gegenseitig anknabbern, sei normal, auch in der Bio-Haltung, behaupten die Befürworter des schnellen Schnitts. Sie bezeichnen diese fragwürdige Praxis sogar als „praktizierten Tierschutz“. Andere sprechen von „Massenverstümmelungen“. Bei Wildschweinen kommt das von Fachleuten als „Caudophagie“ bezeichnete Schwanzbeißen allerdings überhaupt nicht vor. Also liegt es nicht in der Natur der Sau begründet, sondern eher an den Haltungsbedingungen, denen sie ausgesetzt ist. Belegdichte, Stallklima, Fütterung, fehlende Bewegungsmöglichkeiten und Langeweile können auslösende Faktoren dafür sein.
Zwei- und vierbeinige Dreckschweine
Diese zu Speckschwarten auf vier Beinen degradierten Geschöpfe sind von Natur aus hoch intelligent, haben einen ausgeprägten Spieltrieb und gelten als ausgesprochen sauber. Die Bezeichnung „Dreckschwein“ trifft mitunter nur in der Intensivhaltung zu – und gilt hier sowohl für Vier- als auch für Zweibeiner. In den industriell betriebenen Massenmästereien müssen die Tiere mit engsten Platzverhältnissen auskommen, haben keine Beschäftigungsmöglichkeiten und keine Gelegenheit, ihren arteigenen Bedürfnissen wie Graben und Suhlen nachzukommen. Zudem sind sie gezwungen, Zeit ihres kurzen, überschaubaren Lebens auf Spaltenböden in den eigenen Exkrementen zu stehen. Für die horizontale Lage reicht oft der Platz nicht aus. Forschungen haben ergeben, dass vor allem hier die Gründe für Kannibalismus zu suchen sind. Dem aktuellen Fleischatlas für 2018, den BUND und Heinrich-Böll-Stiftung kürzlich vorleget haben, ist übrigens zu entnehmen, dass vier von fünf Mastschweinen in deuitschen Ställen verletzt sind oder an Atemwegserkrankungen laborieren.
Die Tiere werden den Haltungsbedingungen angepasst
Anstatt nun die Haltungsbedingungen zu ändern, passt man die Tiere diesen an. So einfach ist es. Weil sich andererseits die Haltungskosten und damit der Fleischpreis ja extrem verteuern würden. Letzterer ist inzwischen wieder mal im Keller. 1,37 Euro pro Kilogramm Lebendgewicht bekommt der Mäster bei Anlieferung im Schlachthof. Wir die Sau stattdessen bei ihm abgeholt, gibt’s gerade noch 0,98 Cents dafür. Da kann so ein kleiner Ringelschwanz-Obolus schon einige Härten abfedern – für den Halter. Umgelegt auf ein Durchschnittsschlachtgewicht von 101 Kilogramm pro Sau bedeutet das ein Plus von 16 Cents pro kg. Klingt wenig, ist aber unter den herrschenden, von einem gnadenlosen Preiskrieg diktierten Marktbedingungen viel. Siehe oben.
Geiler Geiz und arme Schweine
Die Menge macht‘s dann. Und die ungebrochene Geiz-ist-geil-Mentalität der Verbraucher. Jeder Deutsche verputzt im Mittel 60 Kilogramm Fleisch pro Jahr. Davon stammen 40 kg vom Schwein, was einem Verbrauch von knapp fünf Millionen Tonnen pro Jahr entspricht. Und der Kunde schlägt zu, wenn es ein 600 Gramm schweres mariniertes Nacken-Steak beim Discounter mal wieder für 1,99 EUR im Sonderangebot gibt. Da muss man dann keinen Gedanken daran verschwenden, wie es dessen ursprünglichem Besitzer einmal ergangen ist. Dem Gesetzgeber ist das offensichtlich auch egal. Unter der Ägide des noch (kommissarisch) amtierenden Bundesagrarministers Christian Schmidt sind die Lebensbedingungen fürs Nutzvieh eher noch einmal schlechter geworden. Und die Chancen, dass die in absehbarer Zeit besser werden, stehen so gut nicht.
Millionen werden ohne Betäubung kastriert
Das gilt übrigens auch für einen weiteren Aspekt der tolerierten Ferkelei. So ist es gängige Praxis, neugeborenen männlichen Schweinchen in den ersten Lebenstagen die Hoden zu entfernen. Das geschieht mittels eines Skalpells bei vollem Bewusstsein und ohne Betäubung. Dadurch soll der hormonell bedingte Ebergeruch unterbunden werden, der den Konsumenten sonst beim Fleischbraten in die empfindlichen Nasen steigen könnte. Gemäß Tierschutzgesetz ist diese brutale Form der olfaktorisch-präventiven Kastration bis zum siebten Lebenstag des Opfers legal. Rund 22 Millionen Eber werden auf diese Weise jährlich zu Eunuchen gemacht.
Hinter den Kulissen der Mastfabriken
Immer mal wieder tauchen erschreckende Videos auf, die belegen, wie dreckig es den grunzenden Fleischtöpfen in den Mast-Kz’s geht. Die Tierrechtsorganisation „PETA“ hatte im Herbst vergangenen Jahres erneut Udercover-Material veröffentlicht, das in einem Betrieb in Brandenburg entstanden war. Aber solche Missstände sind keine Einzelfälle und nicht nur auf die Niederlausitz beschränkt. In Niedersachsen und anderen Speckzuchtgürteln der Republik gehört solches ebenfalls zum schweinischen Alltag. Sollte man sich vor dem nächsten Griff in die Fleischtheke des Discounters mal anschauen:
Unrecht wird bagatellisiert und subventioniert
Eine detaillierte und chronologische Dokumentation des Skandals ist hier nachzulesen. Dort besteht auch die Möglichkeit, einer an den brandenburgischen Ministerpräsidenten Dr. Dietmar Woidke adressierten Unterschriftenaktion Gewicht zu verleihen. Über 60.000 Unterteichner haben den Regierunsgchef inzwischen aufgefordert, schnellstens dafürzu sorgen, dass die Misstände abgestellt werden. Weder die Staatsanwaltschaft in Frankfurt/Oder, bei der „PETA“ Strafanzeige gegen die Verantwortlichen der Agrargenossenschaft Günthersdorf erstattet hatte, noch das zuständige Veterinäramt des Landkreises Oder-Spree hatten (zunächst) Handlungsbedarf dafür gesehen. Sie zeigten erst dann bescheidenes Interesse, nachdem der der öffentliche Druck zu groß geworden war. Was wieder einmal zeigt: Das Tierschutzgesetz und alle diesbezüglichen EU-Richtlinien sind nicht das Papier wert, auf dem sie gedruckt wurden. Dem Staat fehlen offenbar nicht nur die Mittel, sondern auch der Wille, geltendes Recht gegen die wirtschaftlichen Interessen einer starken Agrarlobby durch zu setzen. Stattdessen wird Unrecht, siehe oben, nicht nur bagatellisiert, sondern auch noch subventioniert.
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