Von Jürgen Heimann
Dem appetitlich roten Lendenstück im Kühlregal des Discounters sieht man seine Vergangenheit nicht an. Gilt auch für das lecker gebratene, phantasievoll zwischen Pommes, Zwiebelscheiben, Salat- und Kräuter-Deko drapierte Schweinesteak im Gasthof “Zum glücklichen Wutzchen”. Da weiß der Kunde auch nicht, was dessen Lieferantin, als sie sich noch komplett, lebendig und an einem Stück wähnen durfte, in ihrem früheren Leben hat durchmachen müssen. Glücklich, wie es der Name des gut bürgerlichen Speisetempels suggeriert, dürfte die Sau aber in ihrem existentiellen Endstadium kaum gewesen sein. Vermutlich war sie es von klein auf schon nicht. Eingepfercht auf engstem Raum, in Rekordzeit mit Hormonen aufgepäppelt, dann über hunderte Kilometer unter Extrembedingungen zum Schlachthof gekarrt und schließlich ins Gas geschickt. Ja, genau, das ist die übliche Methode, die Rüsseltiere vor dem finalen Abstich ruhig zu stellen.
In Deutschland kommen jährlich 60 Millionen Schweine unters Messer. In ihrem Appetit auf Schweinefleisch sind die Germanen und ihre Exportkunden unersättlich. Die Mehrzahl der Tiere – darunter auch solche aus der Bio-Haltung – wird, bevor der Henker zuschlägt, unter Einsatz von Kohlenstoffdioxid betäubt. Das ist etwa bei 40 Millionen Exemplaren der Fall. Das Gas soll bei den Opfern zu Bewusstlosigkeit führen, so dass sie wahrnehmungs- und empfindungslos sind, bevor der Schlachter ihnen den Garaus macht. Aber das ist nur vorgeschoben. Tatsächlich geht es in erster Linie darum, dass die im Akkord laufende Tötungsmaschinerie nicht ins Stocken gerät. Nur wenn die derart gedopten Wutzen brav lethargisch sind, kann der Scharfrichter sein Soll in der vorgegebenen Zeit erfüllen. Er hat gerade mal fünf Sekunden pro Tier, um diesem den Einblutestich zu verpassen. Fügt sich die Kreatur nicht in ihr Schicksal, verhagelt das die Quote.
Alles andere als ein friedliches Ende
Den meisten Verbrauchern ist überhaupt nicht klar, welche Qualen diese Praxis für die Tiere darstellt. So wird landläufig angenommen, diese würden bei einer Gasbetäubung vor ihrer Schlachtung einfach nur friedlich zu Boden sinken. Das Gegenteil ist der Fall: Die letzten Sekunden ihres Lebens sind ein schrecklicher Todeskampf. Eine einzige Tortur.
Diese CO2-Betäubung , deren tierschutzrechtliche Relevanz auch die Bundesregierung in ihrem 2015 veröffentlichten Tierschutzbericht reklamiert hat, ist höchst umstritten. Zumal es längst alternative Stoffe gibt, die dem zum Tode verurteilten Tier weniger zusetzen. Zum Beispiel Helium oder Argon. Die sind allerdings teurer, weshalb die Schlachtindustrie lieber auf Althergebrachtes setzt. Die Tierrechtsorganisation PETA hat inzwischen 20 Großbetriebe angezeigt – wegen Verdachtes auf Verstoß gegen das Tierschutzgesetz.
Qualvolle Sekunden: Atemnot und Panik
Die Praxis sieht folgendermaßen aus: Die Schweine werden gruppenweise in Gondeln getrieben, die sich dann in eine mit CO2-Gas gefüllte Grube senkt. Bis die Tiere tatsächlich betäubt sind, vergehen qualvolle Sekunden: Es kann bis zu 30 Sekunden dauern, ehe die narkotisierende Wirkung einsetzt. In dieser Zeit leiden die Opfer unter Atemnot und zeigen massive Abwehrreaktionen: Sie geraten in Panik, bäumen sich auf, schreien laut, springen in den Käfigen wild übereinander und recken verzweifelt die Schnauzen in die Höhe. Diese Reaktionen sind im Rahmen von wissenschaftlichen Studien erforscht worden. Da mag es natürlich nicht wundern, wenn im Fleisch erhöhte Konzentrationen typischer Stresshormone wie Adrenalin und Noradrenalin nachgewiesen werden.
Wie dieser Vorgang abläuft, hat PETA in einem erschütternden Video dokumentiert. Unbedingt den Ton anschalten.
Neben den massiven Belastungen durch den CO2-Kontakt besteht die Gefahr, dass Tiere im Laufe des Schlachtprozesses wieder aus der Betäubung erwachen. Eine Nachkontrolle kann bei den “Massenabfertigungen” kaum gewährleistet werden. Bis zu 750 Borstenviecher werden in den größeren Betrieben pro Stunde exekutiert. Da muss jeder einzelne Schlachter sich ganz schön ranhalten. Folge: Im Eifer des Gefechtes unterlaufen Fehler bei der Ausführung des tödlichen Schnittes durch die Kehle. Etwa 1 Prozent der Delinquenten sind danach noch wahrnehmungs- und empfindungsfähig. Das bedeutet, dass pro Jahr über 400.000 in Deutschland abgestochene Schweine noch bei Sinnen sind, wenn sie ins Brühbad getunkt werden. Sie werden bei Bewusstsein durch das 60 Grad heiße Wasser gezogen, um die Borsten zu entfernen.
Es gibt keine “sauberen” Tötungsmethoden
Im Fall der Elektrobetäubung, die in der Industrie ebenfalls massenhaft praktiziert wird, ist die Fehlerquote sogar noch deutlich höher. Grundsätzlich besteht immer die Gefahr, dass Tiere frühzeitig aus der Narkose erwachen. Und die sogenannten Schussapparate sind auch nicht der sauberen, schmerzfreien Weisheit letzter Schluss. Sie kommen bevorzugt beim Exekutieren von Rindern, Schafen und Ziegen zum Einsatz. Die Tiere erleiden eine Gehirnerschütterung, Teile des Gehirns werden zerstört, ehe sie bewusstlos zusammenbrechen (sollen). Dies erfolgt meist in der sogenannten Fixationsbox, aus der nur der Kopf herausschaut.
Aber auch dabei geht, wie im Leben, so mancher Schuss daneben. Vielleicht, weil das Opfer den Kopf beim Auslösen des Drückers bewegt. Mitunter kommen verschmutzte und/oder verschlissene Bolzenschussapparate zum Einsatz, die nicht richtig funktionieren. Oder die Ansatzstelle am Kopf ist falsch gewählt, die Ladung feucht bzw. zu schwach. Möglicherweise erweist sich der Schädelknochen des Tieres als zu dick, oder Haare des Tieres behindern den Schuss. Einige Schlachtereien schießen in einem solchen Fall nicht nach, sondern hängen das noch lebende Tier zum Ausbluten an den Haken. Was der Praxis des Schächtens, der bestialischsten Methode, ein Wesen um die Ecke zu bringen, verdammt nahe kommt.
Unsere Essgewohnheiten überdenken
Begriffe wie „tiergerechtes Schlachten“ oder „humane Schlachtungen“ sind Euphemismen. So etwas gibt es gar nicht. Jede Tötung, selbst ungeachtet aller beschriebenen Pleiten, Pech und Pannen, bedeutet Qual und Schmerz für das Opfer. Deshalb kann auch der Tod im Schlachthof niemals tiergerecht sein. Wenn wir uns mal vor Augen führen, dass in den Schlachtfabriken neben besagten 60 Millionen Sauen jährlich auch über drei Millionen Rinder in die ewigen Jagdgründe befördert werden, 800 Millionen Hühner, Puten, Enten und Gänse sowie 30 Millionen Hasen ihren letzten Atemzug tätigen, sollten auch passionierte Carnivoren unter uns Feinschmeckern mal darüber nachdenken, ob weniger nicht vielleicht doch mehr wäre – und sich vielleicht hin und wieder doch lieber mal eine Seitan-Frikadelle, gebratenen Spitzkohl oder eine Kartoffelpizza mit grünem Spargel auf den Teller laden.
Online-Petition: CO2-Verbot gefordert
Abschaffen lässt sich das industriell betriebene System der Massenabschlachtungen kaum. Aber man könnte versuchen, es dahingehend auszugestalten, dass es für die entsetzlich leidenden Tiere wenigstens ein kleines Stückchen weniger qualvoll ist. Dieses Ziel verfolgt eine von PETA initiierte Online- und Unterschriftenaktion. Sie soll den Bundeslandwirtschaftsminister bewegen, die grausame Methode der CO2-Betäubung zu verbieten. Was ja eigentlich auch nur konsequent wäre, nachdem es doch sein Haus war, das diese Praxis erst im vergangenen Jahr als nicht tierschutzgerecht kritisiert hatte.
Unterschreiben können Sie hier: http://www.peta.de/leidvolle-gasbetaeubung#.V6BDxRI9mD0
NACHTRAG Dezember 2017:
Dass die Zustände in vielen Schlachthöfen im wahrsten Sinne des Wortes unter aller Sau sind, ist bekannt. Es gibt Dutzende schockierende und für jeden frei zugängliche Videodokumentationen, die das belegen. Und, stört es jemand? In der Regel sind es ungelernte Hilfsarbeiter aus dem osteuropäischen Ausland, die in diesen Tötungsfabriken die Messer wetzen und im Akkord und für einen lächerlichen Stundenlohn ihren blutigen Job erledigen. Sie stehen unter Zeitdruck, weshalb es nicht selten zu entsetzlichen Brutalitäten und Übergriffen kommt. Man kann nicht behaupten, dass die dem Tod geweihten Tiere mit Samthandschuhen angefasst werden.
Man kann ja über die Brexitanier jenseits des Kanals sagen was man will. Aber zumindest hier sind sie ein Vorbild. Ab 2018 schreibt das britische Landwirtschaftsministerium für alle Schlachthöfe eine verpflichtende Videoüberwachung vor. Überall dort, wo sie lebende Tiere aufhalten, müssen Kameras installiert werden. Die Amtsveterinäre erhalten 90 Tage lang uneingeschränkten Zugriff auf die Aufnahmen. Vielleicht lassen sich auf diese Weise die übelsten Exzesse verhindern bzw. ahnden. Warum ist das bei uns in Germany nicht möglich? Vielleicht auch deshalb, weil der Bundesagrarminister Christian Schmidt heißt. Der CSU-Mann hat in seiner bisherigen Amtszeit bewiesen, dass ihm das Wohl der Tiere, aber auch das der Verbraucher völlig Am A. vorbeigeht. Aber möglicherweise ist seine Zeit ja auch demächst vorbei.