Hah, jetzt haben wir es Schwarz auf Weiß. Endlich mal jemand, der uns hinterwäldlerischen Provinzlern aus dem mittelhessischen Outback den Spiegel vorhält. Sonst glauben wir am Ende noch, wir wären normal und stünden gleichberechtigt und entwicklungstechnisch auf einer Evolutionsstufe mit dem doch überwiegend in Städten wohnenden fortschrittlichen Teil der bundesrepublikanischen Bevölkerung. Da muss erst eine pfiffige und aufgeweckte Journalistin aus der Hauptstadt kommen, um den “Rednecks” des Lahn-Dill-Berglandes den ihnen gebührenden Platz im Universum des Deutschen Michels zuzuweisen. Die Berliner Tageszeitung hat, “taz”-fatz, den Bewohnern des Siegbacher Ortsteils Tringenstein übel mitgespielt und sie in einem wenig schmeichelhaften „Porträt“ als Deppen gebrandmarkt.
Gut (oder eher nicht gut), es hat jetzt halt die Tringensteiner getroffen. Das war Zufall. Genauso hätten es die Waldaubacher, die Hirzenhainer, Eiershäuser oder Seilhofener sein können. Vielleicht beim nächsten Mal…. Die Perle Siegbachs ist da eigentlich auch nur eine Blaupause, eine Schablone. Die daselbst nach umfangreichen soziologischen Studien gewonnenen und von ausgeklügelter Recherchekunst zeugenden Erkenntnisse einer voreingenommenen, nicht besonders talentierten drittklassigen Möchtegern-Journalistin lassen sich sicherlich auch auf andere Käffer übertragen, die in den Augen überheblicher Griffelspitzer und –spitzerinnen mindestens ebenso trist und trostlos daher kommen. Trist? Trostlos?
In den Augen dünkelhafter Großstädter(innen), die ihr Selbstverständnis einzig aus der glücklichen Fügung, in einer pulsierenden Metropole leben zu dürfen (müssen) ableiten, wohl ja. Die Presserat-Rügen gestählte Berliner „taz“, die sich selbst gerne von einer investigativ-kritischen Aura umflort sieht, lässt das beschauliche, im Gladenbacher Bergland versteckten Dörfchen in einem ziemlich miesen Licht erscheinen. Die Aufregung darüber ist unter den Betroffenen und Bloßgestellten verständlicherweise beträchtlich. Aber sie lohnt kaum.
Das Spree-Athener Enthüllungs-Organ zählt mit einer bundesweiten Auflage von 58. 000 (!!!) verkauften Exemplaren nicht unbedingt zu den meinungsbildenden- und beherrschenden Leitmedien im deutschen Blätterdschungel. Die schreibenden, genossenschaftlich organisierten Gutmenschen aus der Berliner Rudi-Dutschke-Strasse würden allzugerne in der Bundesliga der journalistischen Speerspitzen mitfechten. Aber dafür sind ihre Klingen zu stumpf. Und wenn sie dann einmal das Mäuschen beißt und sie in die Niederungen des flachen Landes hinab steigen, kommt ziemlich Verquer-Absurdes dabei heraus. Die Zielformulierung liest sich im Original dann erst einmal so:
Die Suche nach einem durchschnittlichen Dorf
“Wer auf den Karten von Deutschland nach einem durchschnittlichen Dorf Ausschau hält, einem Dorf abseits der dicht besiedelten Räume um die Metropolen und aller großen Straßen, einem möglichst unscheinbaren Dorf ohne besondere Eigenschaften – der landet in Tringenstein”. Autsch! Das hat gesessen. Aber davon abgesehen: Was für ein wuchtig-schräger, verschwurbelter Satz! Und: Wer, bitteschön, hält auf einer Karte schon nach etwas Ausschau??? Man sucht auf einer solchen allenfalls nach etwas. Aber das können Leute, die in jeder halbwegs honorigen Journalistenschule schon an der Putzfrau nicht vorbeigekommen wären, kaum wissen.
Was bei Feldforschungen solch anspruchsvoll-elitärer Tastatur-Quäler des deutschen Qalitäts-Journalismus herauskommt, war in der vorletzten Wochenendausgabe der Berliner Tageszeitung auf drei (!) Seiten nachzulesen. Der Originaltext ist übrigens auch im Internet abrufbar: http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=hi&dig=2014%2F09%2F06%2Fa0031&cHash=0e3ec2795cce3764d68ace5e83521ced
Das ist bzw. war ganz großes Kino. Zweifellos. Ein Lichtspiel, während dessen der Filmvorführer zwischendurch aber immer mal wieder ins Wachkoma gefallen sein dürfte. Als “reales Drama” beschreibt Autorin Steffi Überleber ihren Erguss. Und mit “Drama” ist selbiger zugleich auch treffend skizziert, wenngleich die Bezeichnung „Schmierenkomödie“ angebrachter gewesen wäre. Der strukturelle Aufbau des Berichtes, von dem man nicht so richtig weiß, in welche Kategorie journalistischer Ausdrucksformen er einzuordnen ist, ähnelt dem eines Theaterstücks. Mit Prolog, Aufzügen, Pausen Auf- und Abgängen. Das sollte vermutlich originell sein. Die Sprechpassagen, Monologe wie Dialoge, sind wirr und zusammenhanglos. Aber alle handelnden Personen haben im Alltagsleben eine reale Entsprechung.
Das ortsbekannte Ensemble besteht aus skurrilen Gestalten, schrägen Charakteren, engstirnigen Typen, Deppen und Freaks, Schlaumeiern, Narren, Trinkern, übergewichtigen Lokalpolitikern und Dorfschönheiten. (Immerhin fällt in diesem Kontext der Ausdruck “Inzucht” nicht). Insofern soll und muss Tringenstein hier als Kleinkosmos die gesamte Bandbreite menschlicher Unzulänglichkeiten abbilden. Ein einzigartiges Panoptikum. Es sind Leute, so liest es sich, die überwiegend verschroben sind und die das ihnen vom lieben Gott gegebene intellektuelle Potential ob der Enge ihres begrenzten Lebensraumes auch nicht nur annähernd ausschöpfen (können). Und dann rrrreden sie auch noch wie die Amerrrikaner…. RRRR
Tiefer Zug aus dem Joint des Lokal-Kiffers
Welcher Beelzebub die Autorin beim Verfassen ihres Traktates geritten haben mag, wissen die Götter. Durchaus denkbar, dass sie selbst ein paar zu tiefe Züge aus dem Joint eines der von ihr interviewten Lokal-Kiffers genossen hat. Solche „Hasch-Puppies“ gibt’s nämlich in Tringenstein auch, wenngleich der überwiegende Teil der Bewohner offenbar Vergessen und Trost im Met- und Bierrausch zu suchen pflegt. Die verkappte Edelfeder, eigenem Bekunden nach von Hause aus selbst eine (konvertierte) Land-Pomeranze mit fränkischen Wurzeln, hatte in dem Ort eine Woche lang hart am Mann und der Frau recherchiert. Das genügte, um sich ein (vernichtendes) Urteil bilden zu können. Die Dame übernachtete gemeinsam mit einer Freundin (?) im neu eröffneten Heu-Hotel. Wobei das dortige Frühstück eigentlich nicht in dem (Ver-)Ruf steht, mit Zusatzstoffen versetzt zu sein, die derart drastische Nebenwirkungen zeitigen, wie sie sich in dem Artikel offenbaren. Die „Welt“ hat einmal vermeldet, die „taz“ sei eine Talentschmiede. Große Blätter würden ihr immer wieder die guten Schreiber wegkaufen. Davor braucht Frau Unsleber aber keine Angst zu haben. Davon abgesehen: Das Blatt verortet sich ja auch und durchauseher links. Im aktuellen Fall können wir das „S“ ruhig weglassen…
Seltsame Trinkrituale im Feuerwehrgerätehaus
Es entsteht der Eindruck, als wären die Dörfler, in diesem Fall stellvertretend die Ortsteil-Siegbacher, per se unzufrieden mit ihrem Los, desillusioniert und frustriert ob aller vertaner und verpasster Chancen und Gelegenheiten, die sich ihnen in der engen Beschränktheit ihres Umfeldes halt nun mal nicht bieten. Sei es nun auf gesellschaftlichem, sozialem, kulturellen oder beruflichen Parkett. Die Eingeborenen sind ignorant, ausländerfeindlich und pflegen seltsame Trinkrituale im Feuerwehrgerätehaus. Aber immerhin, sie nutzen bereits Smartphones.
Kaum ein Klischee, kaum ein Vorurteil wird ausgespart. Und es ist ein Leichtes, sich solche bestätigen lassen – und dann mit Originalzitaten zu unterfüttern. Man/frau muss halt nur die richtigen Suggestivfragen stellen und die Leute dann plappern lassen. „Das (dieses) Dorf ist nicht nur eine Kulisse, sondern auch eine soziale Versuchsanordnung. Ein Vergrößerungsglas der zu ergründenden menschlichen Natur“, lässt Unsleber einen von mehreren “Experten” dozieren. Diese Aussage verleiht dem Ganzen irgendwie auch eine gewisse sozio-kulturelle, pseudo-wissenschaftliche Note. Und soll wohl belegen, dass man/frau sich schon und durchaus ernsthaft Gedanken darüber gemacht hat, wie das Kuhkaff-Phänomen näher zu ergründen wäre.
Sie habe, versichert die Journalistin, lediglich das heutige Dorfleben abbilden und Momentaufnahmen machen wollen. Wenn das tatsächlich der ursprüngliche Ansatz gewesen sein sollte, hat die Lady das Klassenziel aber um Längen verfehlt. Setzten! 6! Versetzung akut gefährdet! Nee Mädel, den Pulitzer-Preis bekommst Du für Dein unausgegorenes Geschreibsel sicherlich nicht!
Kein Sterbenswort über die gut funktionierende Dorfgemeinschaft oder die Werte und Ideale, auf die sich die Menschen hier und in anderen Dörfern stützen, Überzeugungen, die sie tagtäglich leben und die durch vielschichtiges ehrenamtliches Engagement ihren Niederschlag finden. Jedes Feuerwehrmitglied, jeder Naturschützer, jeder Heimatkundler und Fußballer in diesem von Gott verlassenen Mondkaff dürfte bisher mehr gesellschaftliche, soziale und kulturelle Kompetenz bewiesen haben, als zu der Du jemals in der Lage sein wirst. Ist ja auch eine Frage des Wollens sowie einer der charakterlichen und persönlichkeitsgereiften Kapazität.
Kein Wort über Tradition und Geschichte. Letztere ist lang, sehr lang. Sie gründet auf der anno 1325 von den Nassauischen Grafen erbauten Burg, deren Reste heute noch auf dem Schlossberg zu besichtigen sind. Nassauische Grafen??? Was is’n das? Vielleicht die Ahnen von Steffi Graf? Das herauszufinden oder herausfinden zu wollen, war natürlich zu mühselig. Passte auch nicht ins Script. Natur und Landschaft, die in und um Tringenstein in einzigartiger Schönheit schwelgen – nicht der Rede wert! Dafür müsste frau ja mal über Tiergarten und Pfaueninsel hinausblinzeln. Zugegeben: Der Schelderwald verfügt nun mal leider über keinen U-Bahn-Anschluss.
600 Einwohner und eine Kneipe
Tringenstein, so erfahren wir stattdessen, das sind 600 Einwohner und eine Wirtschaft. “Wald. Schafe. Auf dem Gipfel eine Burg. Häuser, die einander so ähnlich sind, dass sie sich zu einem Muster verdichten: graues Dach, weiße Wand, grüner Rasen”. Das notiert jemand, der sich sonst vermutlich darüber aufregt, dass die Miete seiner über Etagen-Klo verfügenden Eineinhalb-Zimmer-Wohnung unterm Dach des Altbaus in Kreuzberg mal wieder angehoben wurde. Das schmerzt schon. Die „taz“ bezahlt ihre Redakteure ja auch ziemlich kümmerlich.
Schimmert da vielleicht auch ein klein wenig Neid der Besitzlosen durch? Grün haben ja auch die Berliner genug, nur halt nichts Eigenes. In und um Siegbach hingegen gibt es ausgedehnte Wälder und Wiesen, Natur pur eben. Das wussten Jahrzehntelang auch die Kinder und Jugendlichen aus dem Berliner Stadtteil Wedding zu schätzen, die in den Sommermonaten im hiesigen Ferienlager Erholung suchten und fanden. Und keines von ihnen war den Gastgebern in all den Jahren so hochnäsig und besserwisserisch dahergekommen wie diese unsägliche „taz’lerin“. Gut, ihr Berliner habt den Ku’damm. Wir die Fußgängerzone in Herborn. Ihr habt den neuen Hauptstadtflughafen, wir den Flugplatz in Breitscheid. Aber der ist wenigstens in Betrieb.
Wenigstens gibt es eine Bauern-Disco
Und was soll der geneigte Leser aus all dem schlussfolgern? Dass das Dorf als Lebensraum keine Zukunft hat? Dass das Heil, notabene, im urbanen Paradies der Städte liegt? Und dass die in der Provinz lebenden und kümmerlich dahin vegetierenden Menschen irgendwie alle etwas unterbelichtet sind und einen an der Waffel haben? Hallo??? Geht’s noch??? Aber immerhin lässt die 26-jährige Redakteurin eine Bewohnerin insistieren: So langweilig sei es hier (ja nun) auch wieder nicht. Es gebe ja (schließlich auch) die Bauerndisco!
Der Aufschrei war und ist groß, die Empörung, die sich mit einiger zeitlicher Verzögerung nach dem Erscheinen des “taz”-Artikels in Siegbach (und nicht nur dort) ausbreitete, erreichte hohe Werte auf der emotionalen Aufreger-Skala: Die Leute fühlen sich vorgeführt, diffamiert und verarscht. Gastfreundschaft und Entgegenkommen, die sie der Wissbegierde heuchelnden Chronistin entgegengebracht hätten, und die sich auch in privaten Einladungen zu familiären Essen manifestierten, seien missbraucht worden.
Bleibt einfach cool, liebe Tringensteiner! Besinnt Euch auf Eure stoische Gelassenheit. Und vor allem: Grämt Euch nicht! Die verkappte Schmähschrift der „taz“ entspricht in ihrer Bedeutung und Reichweite dem Nachrichtengehalt, den der berühmte, irgendwo in China umgefallene Sack Reis für sich reklamieren kann. Und, wie war das gleich noch mal mit der Deutschen Eiche, an der sich eine Sau wetzt? Man könnte es, anders formuliert, auch in die rhetorische Frage kleiden: Was macht die Wutz, wenn man sie in einem wunderschönen, gepflegten und aufgeräumten Garten frei herum laufen lässt? Sie fällt als erstes über den Komposthaufen her! Guten Appetit!
Auch der Hessische Rundfunk hat das Thema aufgegriffen:
Für Donnerstag (2. Oktober) ist darüber ein Beitrag im Rahmen der Sendung “Hauptsache Kultur” des Hessenfernsehens geplant. Zu fortgeschrittener Stunde. Ab 22.45 Uhr. (Da liegen alle Tringensteiner, die doch mit den Hühnern ins Bett gehen, schon längst in glückseligem Schlummer). Ein TV-Team hatte sich vergangenen Sonntag in dem kleinen Ort umgesehen. Die Reporter wollten überprüfen, ob die “taz”-Kollegen mit ihrer Schelte vielleicht nicht ein klein wenig übers Ziel hinaus geschossen waren.
Post scriptum:
Aber es trifft nicht nur die (ganz) kleinen Weiler und Posemuckels. An irgendwelchen, vom Standpunkt der Kritiker weit entfernten Örtlichkeiten herumzunörgeln, scheint in Mode. In diesen Chor mochte sich vor kurzem auch eine große, in Hamburg erscheinende Wochenzeitung einreihen, indem sie sich mit Gießen, immerhin eine Universitätsstadt, ein etwas größer dimensioniertes Hilly-Billy-Nest vorknüpfte. Der Stadt gebühre der letzte Platz auf der Skala der Mittelmäßigkeit, heisst es da: http://www.zeit.de/reisen/2014-08/giessen-unterschaetzte-stadt
Der Mann, ein gewisser Oliver Fritsch, scheint aber, was die Stichhaltigkeit seines Befundes angeht, nicht auf der Höhe seines Arbeitgebers, “DER ZEIT”, gewesen zu sein, wie ihm die Kollegen der lokalen Presse eloquent-süffisant nachwiesen: http://www.giessener-allgemeine.de/Home/Nachrichten/Uebersicht/Artikel,-So-schlimm-ists-auch-wieder-nicht-_arid,522117_regid,1_puid,1_pageid,9.html
Offenbar liegen die Jahre, in denen der Zeilenschinder undercover Gießens wildes, studentische Nachtleben ausgekostet hatte, schon etwas zurück. Dinge ändern sich… Aber gut, dass wir mal drüber gesprochen bzw. geschrieben haben.