Zu den (50) Dingen, die ein Hesse einfach lieben muss, zählt, ganz klar, Fallschirmspringen. Behauptet zumindest das Hessische Fernsehen. Und um die Stichhaltigkeit dieser These zu begründen und zu dokumentieren, wagte ein TV-Team der “Onkel Ottos” auf und über Breitscheid den Selbstversuch. Dass der Kollege, den die Besucher aus dem Frankfurter Funkhaus für dieses Experiment ausgeguckt hatten, wie ein Hund aussah, möglicherweise auch wie ein solcher litt, als für ihn in 4000 Metern Höhe die Stunde der Wahrheit schlug, ist eine andere Geschichte.Was ein echter Hesse wissen muss, oder was er einmal getan haben sollte, hatte das Regionalfernsehen in den zurückliegenden Jahren im Rahmen entsprechend betitelter Entertainment-Dokus von jeweils 90 Minuten Dauer aufgezeigt. Für das Frühjahr 2015 ist jetzt unter einem leicht variierten Motto eine weitere Auflage dieser Reihe geplant. Die Filmaufnahmen dafür entstehen zum größten Teil in diesen Wochen.
Die Breitscheider “Hub” war einer der Drehorte, die sich die Televisionäre vom Main dafür ausgesucht hatten. Moderator Tobi Kämmerer ließ seinem Kollegen Torben Hagenau gerne den Vortritt, der Sache auf den Grund zu gehen bzw. diesem mit Tempo 200 entgegen zu rasen. Tandemmaster Steve Clebusch hatte sich den jungen Mann, bevor der es sich anders überlegen konnte, kurzerhand vor die Brust geschnallt – und los ging‘s: Ready for Take-off. Während HR-Kameramann Oliver Mayer das Ganze, soweit möglich, lieber von der sicheren Erde aus einfing, war Video-Flyer Marcel Leicher von Skydive Westerwald dicht dran am luftigen Geschehen und für die packenden Air-to-Air-Aufnahmen zuständig.
Ein Hund war Hessens erster Fallschirmspringer
Die Maskerade des Tandempassagiers erinnerte entfernt an das Ergebnis einer Kreuzung zwischen einer brünetten Ausgabe von Scooby-Doo und einer mit Wachstumshormonen behandelten Stretch-Version von Idefix. Das kynologische Outfit war der Tatsache geschuldet, dass es, lang, lang ist’s her, schließlich ein Hund gewesen war, der, wenn auch nicht ganz freiwillig, den ersten Fallschirmabsprung in Hessen absolviert hatte. Und das ist historisch belegt. Am 3. Oktober 1785 hatte der bekannte französische Ballonfahrer Jean-Pierre François Blanchard anlässlich eines Schaufahrens den mit einem selbst konstruierten Rettungsschirm ausgestatteten “Waldi” nach dem Start auf der Bornheimer Heide bei Frankfurt aus beträchtlicher Höhe aus dem Korb gestupst. Der Vierbeiner überlebte das luftige Abenteuer unbeschadet. Blanchard landete eine Stunde später in der Lahn bei Weilburg. Ein bisschen geschichtliche Nachhilfe muss schließlich sein – auch im Fernsehen.
Der Bornheimer Skydive-Bello war damit der Ahnherr jener Spezialabteilung, die die Briten im 2. Weltkrieg gegründet hatten. Die “Paradogs” (Parachuting Dogs) der Tommies fürchteten weder Tod noch Teufel, wurden an Fallschirmen abgesetzt und operierten nach der Landung hinter den feindlichen Linien. Sie leisteten u.a. auch bei der Minensuche, Aufklärung oder Bewachung nützliche Dienste. Selbst am D-Day waren einige dieser Wuffis mit dabei. Siehe auch:
http://www.giessener-zeitung.de/giessen/beitrag/91106/pilotprojekt-para-dogs-such-und-spuerhunde-springen-mit-dem-fallschirm-ueber-unwegsamem-gelaende-ab/
Blanchard war damals, als er das Fifi-Ding durchzog, eine ziemlich große Hausnummer in der Balloner-Szene. Zeitlebens hatte er zudem die Erfindung des Fallschirms für sich reklamiert. Ein solcher, natürlich Marke Eigenbau, sollte ihm eineinhalb Monate nach der Weilburger Wasserlandung das Leben retten. Nachdem seine Gasblase wegen Überdrucks zu platzen drohte, hatte der furchtlose Luftfahrtpionier, um genau das zu verhindern, einige Löcher in die Hülle gestoßen. Das Gas strömte jetzt aber so schnell aus, dass ein Absturz zwangsläufig war und er sich nur noch mit seinem Fallschirm retten konnte. Das war der erste verbürgte Fallschirmabsprung eines Menschen aus großer Höhe – und die erste Luftrettung in der Geschichte der Luftfahrt.
Woher der Ausdruck “Hammelsprung” rührt
Im Juli 1786 war der zu Tierversuchen neigende Blanchard, nach dem übrigens ein etwa 40 km durchmessender Mondkrater benannt ist, ein weiteres Mal in Deutschland aufgestiegen. Über Hamburg ließe er einen Hammel am Fallschirm wohlbehalten zur Erde schweben. Daher rührt auch die Bezeichnung “Hammelsprung”, mit der eine relativ selten im Deutschen Bundestag praktizierte Abstimmungsform umschrieben wird. Die Abgeordneten können auf diese Art den größten Blödsinn beschließen, ihnen passiert ja auch nix.
Jean-Pierre Blanchard schon. Er starb am 7. März 1809 während einer Ballonfahrt – an einem Schlaganfall. Aber es sollte eine Frau aus Hessen sein, die dem Franzmann später Ruhm und Popularität streitig machen würde: Käthchen Paulus hatte 59 Jahre nach dem Tod des berühmten Pioniers in Zellhausen bei Offenbach das Licht der Welt erblickt. “Miss Polly”, so ihr späterer Künstlername, ging als erste deutsche Berufsluftschifferin in die Geschichtsbücher ein und sprang anno 1893 als erste Frau überhaupt mit einem Fallschirm ab – aus 1500 Metern Höhe. Respekt, Madame! Die Lady gilt zudem als Erfinderin des zusammenfaltbaren Paketfallschirms. Die Dinger waren für damalige Verhältnisse schon ziemlich ausgereift und sollten im April 1917 zwanzig deutschen Ballonaufklärern, die während der Schlacht von Verdun abgeschossen worden waren, das Leben retten.
Käthchen selbst hopste im Laufe ihrer Karriere mit selbigen auf dem zierlichen Rücken 147 mal aus dem Korb eines Ballons. Spektakulärstes Kunststück der von ihren Zeitgenossen als Luftheldin gefeierten Dame war der von ihr erfundene “Doppelabsturz”. Ein ziemlich gewagter Stunt, bei dem sie vom Rand einer Ballongondel in die Tiefe hechtete, den Fallschirm aktivierte und dann wieder abtrennte. Nach kurzem freien Fall zog sie die Reißleine eines zweiten Schirms. Ihr ist, trotz aller nicht ganz risikolosen Kapriolen, nie etwas Ernstes passiert – von einem Beinbruch einmal abgesehen.