Von Jürgen Heimann
Möglicherweise gehen die Hersteller entsprechender Produkte nicht ganz zu Unrecht davon aus, dass sich viele ihrer potentiellen Kunden im Fitness-Studio bereits den letzten Rest an Gehirn abtrainiert oder wahlweise beim Joggen aus der Lunge gekeucht haben. Deshalb sind diese reif und empfänglich für eine Marketingmasche, für die sie teuer bezahlen, ohne einen tatsächlichen Mehrwert zu erhalten. Dass sich ein Mehr an Proteinen oder Eiweiß leistungssteigernd in Sport, Freizeit und Beruf auswirkt, ist ein Mythos, der Millionen, wenn nicht Milliarden einbringt. Die Nachfrage nach entsprechend aufgepimpten Lebensmitteln, seien es nun Brote, Müslis Milch oder Energieriegel, ist ungebrochen. Aber sie sind überflüssig – und überteuert. Darauf hat jetzt Verbraucherorganisation “Foodwatch” hingewiesen. Ob’s die Kunden hören wollen?
“Foodwatch” ist ein gemeinnütziger im Oktober 2002 vom ehemaligen Greenpeace-Geschäftsführer Thilo Bode gegründeter Idealverein, der sich mit den Rechten von Verbrauchern und der Qualität von Lebensmitteln auseinandersetzt. Doch die Essenswächter stehen mit ihrer Sicht der Dinge nicht alleine. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) haut in die gleiche Kerbe. Extra mit Proteinen angereicherte Lebensmittel seien völlig überflüssig. Braucht man/frau nicht. Selbst wer sich viermal pro Woche auf dem Jogging-Trail austobt, kann ruhigen Gewissens auf so etwas verzichten. Zumal die durchschnittliche Proteinzufuhr, die der deutsche Michel aus “normaler” Kost bezieht, sowieso schon deutlich über der empfohlenen Menge (1,6 Gramm pro Kilogramm Körpergewicht) liegt. Der Schuss kann sogar nach hinten losgehen. Beispielsweise für Menschen mit Nierenproblemen. Zu viel Eiweiß belastet das Organ zusätzlich. Davon abgesehen: In Hülsenfrüchten (Erbsen, Linsen), in Champignons, Rosenkohl und Kartoffeln steckt genügend Polypeptid drinne. Ebenso in magerem Schweine- und Rindfleisch, Geflügel und Fisch. Wer dahingehend ausgewogen spachtelt, braucht keine Extras.
Riesen-Reibach mit Eiweißzusätzen
Doch das Kalkül der Lebensmittelindustrie, mit überflüssigen Eiweißzusätzen Reibach zu machen, geht bisher voll und ganz auf. Protein-Produkte sind der große Trend in der Branche. Die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) spricht vom „Wachstumssegment des Jahres“ – mit einem durchschnittlichen jährlichen Zuwachs von 62,2 Prozent.
Kluge Köpfe, die nicht rechnen können
“Ein kluger Kopf nimmt Oetker” hatte der geschäftstüchtige westfälische Nahrungsmittelhersteller (Jahresumsatz 2016: 11.704 Milliarden EUR) seinen Kunden schon Ende des 19. Jahrhunderts erfolgreich eingeredet. Aber klüger geworden sind die den Bielefeldern in Treue verbundenen User bis heute nicht. Zumindest jene nicht, die im Supermarktregal bevorzugt nach dem Vitalis-Supermüsli greifen. Das hat nämlich einen um 30 Prozent höheren Proteinanteil als der klassische Stoff, ist dafür aber auch mehr als doppelt so teuer. Kostet 1,06 Euro pro 100-Gramm-Einheit. Der “normale” Körnerfraß ist für 49 Cents zu haben. Und beide Produkte schenken sich ernährungstechnisch nix. Das ist nur ein exemplarisches Beispiel unter vielen anderen, die “Foodwatch” anführt. Bei Nestlé oder Seitenbacher sieht es ähnlich aus.
Überteuert, nutz- und hoffnungslos
Mit den hypen, klebrig schmeckenden Eiweißbroten ist das auch so eine Sache. Die sollen ja gut für die schlanke Linie sein und das Abnehmen erleichtern, weil sie kaum Kohlehydrate haben und stattdessen vor pflanzlichem Eiweiß strotzen. Dass Fettgehalt und Kalorienmenge deutlich über den entsprechenden Werten normaler Stullen liegen, sei nur nebenbei bemerkt. Wer sich abends damit den Ranzen vollschlägt, wird auf Dauer nicht zwangsläufig weniger bzw. leichter. Die Hoffnung (darauf) stirbt aber bekanntlich zuletzt. Doch der Kauf lohnt sich – für die Hersteller. Ob da nun der Markenaufdruck von “Wasa”, “Pema”, “Aerzener”, “Grafschafter”, “Alnatura” oder “Mestemacher” drauf ist. Die Gütersloher Großbäckerei bietet ihr Produkt für 3,18 pro 500 Gramm an. Normales Vollkornbrot aus dem gleichen Haus kostet weniger als die Hälfte – 1,55 EUR.
„Oscars“ für füer die dreistesten Werbelügen
Großer Beliebtheit bei “fitnessorientierten und alltagsaktiven” Zeitgenossen erfreuen sich auch mit Proteinen versetzte Getränke. Auch die sind für die Hersteller eine Goldgrube. Wie der “Protein Drink Vanille” der Großmolkerei Bauer. Die aromatisierte Plörre kostet fast dreimal mehr als vergleichbare Produkte ohne entsprechende Ingredienzen. Das hätte fast für einen “Oscar” gereicht. Bei “Foodwatch” firmieren solche Auszeichnungen allerdings unter einem anderen Namen: “Goldene Windbeutel”. Selbige werden seit 2009 einmal jährlich vergeben – für Etikettenschwindel, Verbrauchertäuschung und besonders dreiste Werbelügen. Das sind harte Worte. Offiziell heißt es, dass man damit “auf den Unterschied zwischen beworbenen Qualitätsversprechen und den tatsächlichen Eigenschaften von Lebensmitteln” hinweisen wolle.
Fitmacher und Gesundheitswunder
Da werden überzuckerte Frühstücksflocken schon mal als „Fitmacher“ beworben, stinknormale Joghurts zu Gesundheitswundern aufgeblasen und Industrie-Standardware als „Premium“ vermarktet. Zu den Preisträgern gehörten in der Vergangenheit Alete, Wild, HIPP, Ferrero, Zott und Danone. Keins der mit diesem Award bedachten Unternehmen hat ihn bisher aber angenommen. Warum wohl? Die Verbraucher hatten in diesem Jahr wieder online darüber abstimmen können, wem 2017 der windige Beutel gebührt.
Leckere Kekse für den kleinen Wonneproppen
Aktuell im Rennenwaren neben dem erwähnten bäuerlichen Softdrink die “babygerechten” Kinderkekse von Alete, die viel Süßes für die Süßen bieten. Die Plätzchen für den kleinen Wonneproppen, die der Hersteller für Säuglinge ab dem 8. Monat empfiehlt, bestehen zu einem Viertel aus Zucker. Aber mit “babygerecht” ist nicht gemeint, dass das Zeugs gut für den Mini ist. Das bezieht sich auf die Größe der Kekse, die in die kleine Kinderhand passen, erfährt der erstaunte Käufer in einer Fußnote auf der Verpackung. Das Etikett soll aber jetzt geändert, der inkriminierte Passus entfernt werden, versprach das Unternehmen. Zu spät: Der Titelgewinn war ihm nicht zu nehmen. Auf besagte Kekse entfielen 50 Prozent der abgegebenen Stimmen. “Foodwatch” sprach in diesem Zusammenhang von “Marketing am Rande der Körperverletzung”. Bereits 2014 hatte Alete, das in Deutschland hinter Hipp und Danone einen Marktanteil von 17,8 Prozent hält, die güldene Sturmtüte bekommen, ebenfalls für ein Produkt mit zu hohem Zuckeranteil, eine Trinkmahlzeit für Kleinkinder. Hier wird schon zeitig der Grundstein für spätere Fettlebigkeit, Osteoporose, Immunschwäche und Diabetes gelegt.
Zucker ist im Grunde genommen ein Gift, das krank und süchtig macht. Und schlaff, antriebslos, müde und depressiv obendrein. Es kommt in den unterschiedlichsten Tarnungen und Verkleidungen daher und versteckt sich in vielen Produkten bzw. wird dort versteckt, wo es keiner vermutet. In Tomatensauce, in Schinken, in Sekt, Ketchup, Würzmitteln, Salat-Dressing, Senf, Essig und in der Wurst. In den Zutatenlisten wird Zucker oft nicht als solcher deklariert. Und wenn doch, dann meist ganz hinten und unter einer anderen Bezeichnung. Beispielsweise als Saccharose oder Glucosesirup. Oder als Fructose (Fruchtzucker), Laktose (Milchzucker) oder Maltose (Malzzucker). Egal, es handelt sich um raffinierten Industriezucker, ob der nun aus Milch oder Früchten gewonnen wird. Brauner Zucker, Rüben- oder Rohrzucker ist da auch nicht besser als weißer – und nicht selten sogar nur mit entsprechenden Farbstoffen und anderen Chemikalien eingefärbt.
Das System der Täuschung und der Verschleierung ist so alt wie die industrielle Lebensmittelindustrie – und legal. Der Gesetzgeber lässt den Panschern und Giftmischern dahingehend viel Spielraum. Das führt dazu, dass sich der Durchschnitts-Deutsche im Schnitt 40 Kilogramm reinen Zuckers pro Jahr reinzieht. Das entspricht 37 Zuckerwürfeln pro Tag. Da muss man sich nicht wundern, dass aktuell jeder vierte Erwachsene und jeder zehnte Jugendliche in Deutschland fettleibig ist. Etwa sechs Millionen Menschen sind an Typ-2-Diabetes erkrankt. Allein durch Adipositas entstehen in Deutschland jedes Jahr etwa 63 Milliarden Euro Folgekosten. Eine horrende Zeche, die jene, die vorher mächtig dran verdient haben, natürlich nicht zahlen. Sie inszenieren sich zynisch als Fitness-Gurus und machen mit irreführenden, dreisten Gesundheitsversprechen Kasse. „Foodwatch“ hat dahingehend die fünf krassesten Werbelügen zusammengefasst:
Guten Appetit! Und wohl bekomm’s!
Aber wir schweifen vom eigentlichen Thema davon. Zurück zur Windbeutel-Miss-Wahl – und den Nächstplatzierten. Die Ochsenschwanzsuppe von “Continental Foods” , als „kleiner kulinarischer Höhepunkt des Tages“ gepriesen, hat es auch in sich. Da ist alles oder alles Mögliche drin. Auch Zucker. Nur kein Ochsenschwanz. Das hätte, so die abenteuerliche Erklärung des Herstellers, “Qualitätsgründe”. Weil Ochsenschwanz häufig knorpeliges und mit Sehnen durchwachsenes Fleisch enthalte. Titelhoffnungen durfte man ursprünglich auch bei Kellogg’s hegen. Das “Urlegenden Müsli” der Company mit Quinoa, Apfel, Cranberries und Chia-Samen galt ebenfalls als Favorit. Weil da groß mit “Urkorn” geworben wird, das Erzeugnis aber gerade mal einen2,5-prozentigen Anteil davon enthält. Dafür aber Palmöl und viel Aroma. Und dann das Becel Omega-3 Pflanzenöl von Unilever zum stolzen Preis von 6,58 EUR pro Liter. Es soll laut Propaganda besonders viele essentielle n-Fettsäuren enthalten. Stinknormales Rapsöl bietet aber deutlich mehr davon – und ist deutlich preiswerter.