Rotorman's Blog

eBooks auf dem Vormarsch: Pixel und
Lichtpunkte lösen die Druckerschwärze ab

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Der Trend geht hin zum elektronischen Lesen. Bis zu 2000 Bände finden in einem Lesegerät Platz – abhängig von der Größe der Festplatte. Um die als gedruckte Ausgaben zu transportieren, bräuchte man einen Klein-Lkw. Foto: Pixabay

Von Jürgen Heimann

Niemand vermag zu sagen, wohin die Reise geht. Aber dass der Buchmarkt sich in einer Phase gewaltiger Umwälzungen befindet, ist offensichtlich. Das “eBook” hat die Branche revolutioniert und stellt sie vor enorme Herausforderungen. Möglicherweise bleibt der klassische Buchhändler in Folge dabei sogar auf der Strecke. Musik- und Filmindustrie haben bereits eine ähnliche Entwicklung durchstehen müssen, nachdem auch deren Produkte im Zuge der Digitalisierung nicht mehr zwingend an physische Trägermedien gebunden waren, wodurch dann ganz neue Nutzungspotentiale entstanden sind. Seit einigen Jahren hat diese Welle auch das gedruckte Wort erfasst. Pixel und Lichtpunkte sind dabei, die Druckerschwärze abzulösen.  

Heute würde Carl Spitzweg seinem berühmten 1850 erstmals in Öl auf Leinwand verewigtem „Bücherwurm“ sicherlich ein paar e-books in die Hände drücken bzw. unter die Arme und zwischen die Beine klemmen. Während der „Arme Poet“ des bajuwarischen Spätromantikers statt eines zerfledderten Notizbuches sicherlich ein Tablet für seine Aufzeichnungen benutzt hätte. Aber wie hatte der Dylan-Robert schon 1964 festgestellt: „The Times They are a-Changin‘“. Weder der designierte Friedensnobelpreisträger, noch seine Zeitgenossen konnten damals im Entstehungsjahr dieses Folk-Klassikers das Schicksal des gedruckten Wortes voraussehen. Es gibt unterschiedliche Szenarien, wie (schnell) die Entwicklung weiter verlaufen wird und was an deren Ende steht. Sie wird nicht so Tsunami-gleich über Anbieter und Nutzer hereinbrechen wie im Falle von mp3, WMA, FlAC, DiviX. MPEG, AVI oder MOV. Der Seegang ist flacher, die Wellen kräuseln sich noch sanft am Lesestrand. Aber wie war das gleich noch mit dem steten Tropfen und dem hohlen Stein?

 Das gedruckte Buch gerät in Bedrängnis

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Das eBook hat in Deutschland einen Marktanteil von bisher nur 5,2 Prozent. In den USA sind es sechsmal so viel. Hierzulande kommen nur 37 Prozent aller Neuerscheinungen auch als digitale Ausgaben daher. Das bremst die Verbreitung etwas aus.

Eine Koexistenz von gedruckten und digitalen Büchern wird wohl noch für längere Zeit bestehen, denn das Schmökern in physischem, also „echtem” Schriftgut ist im Leseverhalten der meisten Menschen noch immer (ganz) tief verwurzelt. Doch als sicher gilt: Das gute alte Buch wird früher oder später in (arge) Bedrängnis geraten. Das gilt, Einschränkung, jedoch weniger für „olle Kamellen“, also Publikationen aus der antiquarischen Ecke. Es lohnt sich für die Verlage finanziell nämlich kaum, Druckerzeugnisse, die vor 5, 10, 15 oder 20 Jahren erschienen sind, im Nachhinein digital aufzumotzen. Dafür ist die Nachfrage in der Regel zu gering. Insofern dürften Gebrauchtbücher-Portale wie Booklooker, Medimops, AbeBooks oder Rebuy ihre Daseinsberechtigung und Geschäftsgrundlage behalten.

Der Marktanteil an elektronischen Büchern in Deutschland beträgt aktuell gerade mal 5,2 Prozent. Im vergangenen Jahr wanderten 27 Millionen Exemplare davon über die virtuelle Ladentheke. Von Januar bis September 2016 stieg der Absatz um 1,7 Prozent, wobei die Zahl der Käufer gegenüber dem Vorjahr mit 3,9 Millionen Kunden aber relativ konstant blieb. Sie hat sich seit 2010 allerdings mehr als verfünffacht. Der noch relativ geringe Marktanteil (in den USA liegt er immerhin bei 30 Prozent) erklärt sich zum Teil auch dadurch, dass hierzulande nur etwa 37 Prozent aller Neuerscheinungen auch als digitale Ausgaben erhältlich sind. Bei Fachbüchern sind es immerhin bereits 51 Prozent.

Neue Lesezielgruppen kommen hinzu

43 Prozent der Bundesbürger haben im Rahmen einer repräsentativen Umfrage angegeben, nur gedruckte Bücher zu lesen. Die Konsumenten spalten sich (noch) in pragmatische „Verbraucher“, die auf eine schnelle Verfügbarkeit und effiziente Archivierung von Inhalten Wert legen, sowie Genussleser, die auf gedruckte Bücher als lineare und entschleunigende Freizeitlektüre zurückgreifen. Aber die Fronten weichen auf. Zumal mit computeraffinen Lesern, den sogenannten “Digital Natives”, eine neue Zielgruppe hinzukommt, die sonst eher nicht zu einem konventionellen Buch greifen würde, sich aber durch die Möglichkeit, ein solches mobil nutzen zu können, angesprochen fühlen. In diesem Segment wird der eBook-Leseranteil mit Sicherheit größer ausfallen und zusätzliche Wachstumsimpulse auslösen.

Auf dem Zeitungssektor gibt es eine ähnliche Tendenz. Junge Menschen lassen sich kaum noch für ein klassisches Abo gewinnen, zeigen sich aber digitalen Versionen gegenüber  durchaus offen. Allerdings ist der Mehrwert einer digitalen Zeitung eher gering, da die meisten Inhalte, vor allem die der lokalen Blätter, zu beliebig und altbacken sind und meist auch nur 1:1 übernommen werden. Das ist bei (e-)Büchern mitunter anders. Da können Konsumenten gezielt nach interessengerechten Inhalten und Themen suchen und kaufen nicht die Katze im Sack.

 Schmökern als sinnliche Erfahrung

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Heute würde Carl Spitzweg seinem berühmten „Bücherwurm“ sicherlich ein Kindle in die Hand drücken.

In einem veritablen Buch zu schmökern ist für viele hingegen auch eine sinnliche Erfahrung und nicht nur von olfaktorischer Relevanz. Auch das sich beim Umblättern der Seiten einstellende haptische Empfinden lässt sich durch nichts ersetzen. Für viele eigentlich der Hauptgrund, bei dieser Lektüreform zu bleiben. Gilt ebenso für die Zeitung auf bzw. am Frühstückstisch. Das Rascheln des Papiers wird als Erlebnis wahrgenommen, das man nicht missen möchte. Also geht es hier eher um die Verpackung bzw. das Trägermaterial denn den Inhalt. Und so ein bisschen romantische, sich aus der Gewohnheit speisende Verklärung spielt wohl auch eine (entscheidende) Rolle. Dagegen ist das Antippen eines eBook-Touchscreens, wodurch sich in unmittelbarer Folge wie von Zauberhand bewegt die nächste Seite aufbaut, doch ein schnöder Akt, oder?

Ein veritables Buch wird gelesen, man knickt sogar Eselsohren in die Seiten, streicht Passagen an und riecht am Papier. Man kann es einpacken und lieben Freunden als Geschenk überreichen. Und unter einem wackligen Tisch bewirken selbst schlechte Romane noch Wunder. Das Geruchserlebnis in einer Bibliothek ist einzigartig, die von Tausenden von Schwarten emittierten Duftnoten erzeugen eine unvergleichliche Atmosphäre, im Gegensatz zu den hermetisch verschlossenen und uns sowieso nicht interessierenden klimatisierten Serverräumen von Amazon, Thalia, Hugendubel und Co.

 1971 kam das erste „Elektric-Book“ heraus

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Lesehilfen braucht man bei eBüchern seltener. Helligkeit und Schriftgröße sind individuell einstellbar. Foto: Pixabay

Die Entwicklung des Buches hat, wenn wir die Papyri-Kritzeleien der alten Ägypter im 3. Jahrtausend vor Christi zum Ausgangspunkt nehmen, über 50 Jahrhunderte gedauert. Die des eBooks im Vergleich gerade mal 43 Jahre. 1971, noch bevor das World Wide Web auf Touren kam, war das erste noch sehr schlicht und einfach gehaltene Electric-Book erschienen: eine digitalisierte Form der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung. Heuer sind die Werke natürlich viel ausgereifter und ermöglichen, je nach Ausstattung des Lesegerätes, sogar die Wiedergabe integrierter Audio- und Videodateien, interaktiver Grafiken und Animationen. Einige dieser Reader haben sogar eine Vorlesefunktion. Skalierbares Schriftbild, Notizfunktionen und Internetanbindung sind längst Standard. Die Displays kommen in der Regel völlig blendfrei daher. Die angezeigten Seiten sehen fast aus wie gedrucktes Papier. Das ermöglicht eine als „e-Ink“ bezeichnete Technologie. Dank dieser und der integrierten Hintergrundbeleuchtung ermüden die Augen beim Lesen von eBooks auch weniger schnell als beim Studium gedruckter Bücher.

Und es lassen sich, abhängig von der Größe der Festplatte, bis zu 2000 Schmöker drauf packen. Um die in konventioneller Form zu transportieren, würde man sonst einen kleinen Lkw brauchen. Hier passen sie in die Jackentasche. Das erste kommerzielle elektronische Buch, das sich vollständig am Computerbildschirm lesen ließ, wurde übrigens 1988 veröffentlicht. Es war der Roman “Mona Lisa Overdrive” von William Gibson.

Benutzungsbeschränkungen als großer Nachteil

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In einem alten Buch zu blättern, die Seiten zu berühren, das Papier zu riechen, das kann auch ein sinnliches Erlebnis sein. Die Romantik bleibt bei Nutzung elektronischer Publikationen etwas auf der Strecke. Foto: Pixabay

Es ist  ein Glaubenskrieg drum entbrannt. Gegner und Befürworter des eBooks haben gewichtige Argumente. Zu den Nachteilen zählen sicherlich auch die Anschaffungskosten fürs Lesegerät, die, je nach Modell und Ausführung, zwischen 60 Und 229 EUR liegen. Ob die Dinger nun Kindl, Tolino, Kobo oder PocketBook heißen. Allerdings lassen sich Digital-Bücher auch auf Smartphones, Tablet-Computern und stationären PC’s lesen – die entsprechende Software vorausgesetzt. Hinzu kommen mangelnde Verleihoptionen und (erhebliche) Benutzungsbeschränkungen. Mit dem Kauf einer eBook-Datei erwirbt der Kunde lediglich das nicht übertragbare Recht, den Titel zum ausschließlich persönlichen Gebrauch gemäß Urheberrechtsgesetz zu nutzen, also zu lesen. Es ist ihm nicht erlaubt, die Downloads für Dritte zu kopieren, diese weiterzuverkaufen oder zu verleihen.

Ob der “Preisvorteil” von J.K. Rowlings “Harry Potter und das verwunschene Kind” in Höhe von 5 EUR diese Nachteile wettmacht, muss jeder für sich entscheiden. Amazon bietet das Buch als gebundene Ausgabe für 19,99 EUR an. In der Kindl-Version kostet es 14,99. Noch bescheidener, nämlich um schlappe zwei EUR, fällt die Ersparnis bei Wolf Biermanns Biografie “Warte nicht auf bessere Zeiten” aus. Immerhin diskutieren die Justizminister seit Anfang dieses Jahres aber darüber, ob das Weitergabeverbot für “gebrauchte” eBücher überhaupt noch zeitgemäß ist und gegebenenfalls aufgehoben werden könnte.

 Neuer Stoff jederzeit verfügbar

Man muss ja jetzt nicht gleich so weit gehen und behaupten, dass das eBook die bedeutendste Erfindung der Literaturgeschichte seit Erfindung des Buchdrucks sei.  Allerdings stimmt es, dass Literatur noch nie so einfach, schnell und umweltschonend verbreitet (und bezogen) werden konnte, und das oft zu einem günstigeren Preis. Lesesüchtige können sich jederzeit neuen Stoff besorgen, wo auch immer sie gerade sind. Einige wenige Klicks, und in weniger als drei Minuten liegt der neueste Bestseller oder die heiß ersehnte Neuerscheinung des Lieblingsautors gebrauchsfertig vor. Und da ist es egal, ob man sich bei Amazons Kindl-Store, in Apples iBookStore, bei Thalia, Weltbild, buecher.de, im Sony ReaderStore oder auf dem PagePlace der Telekom bedient.

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Das Ambiente einer Buchhandlung, die Inaugenscheinnahme des Angebots, das In-die-Hand-Nehmen der Lektüre, das Wandern zwischen den Regalen, das alles kann eine sterile Internet-Bestellung nicht bieten. Foto: Pixabay

Das Ganze hat auch wesentlich zur Demokratisierung des Lesens und des Schreibens beigetragen. Jeder kann mit relativ geringem technischem Aufwand sein eigenes Buch erstellen und veröffentlichen. “Selfpublishing” nennt man so etwas. eBooks haben unser Leseverhalten stark verändert. Während wir früher hauptsächlich zu Hause ein Buch zur Hand nahmen, lesen wir heute viel mehr unterwegs in Bus und Bahn. Das digitale Lesen hat auch die durchschnittliche Lesedauer pro Tag von 35 auf 47 Minuten erhöht. Das ist doch auch schon mal was.

„Social Reading“ als neuer Trend

Aber damit ist das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht. Nicht zuletzt von und durch den eBook-Boom beflügelt, entwickelt sich ein ganz neuer Trend: das “social Reading”. Leser teilen online ihre Erfahrungen, tauschen Meinungen aus, kommentieren Autorenaussagen und bilden Lese- und Interessengruppen. Schon heute sind Autorenlesungen in sozialen Netzwerken keine Seltenheit, stehen Schriftsteller in Blogs im Kontakt zu ihren Lesern und Fangemeinden. Das Ganze steckt zwar noch in den Anfängen, dürfte  aber in nicht allzu ferner Zukunft Leselebnisse und soziale Aktivitäten zusammenführen.

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