Das spektakuläre Schauspiel der Kranichzüge hat den Menschen, die sich irrtümlicherweise selbst als Krone der Schöpfung wähnen, vor einigen Wochen plastisch die Genialität eben dieser vor Augen geführt. Doch die Natur hat noch viel mehr an solchen sensationellen Einlagen zu bieten. Soll Didäääh Bohlen ruhig weiterhin im Namen Deutschlands nach dem Superstar fahnden, in Breitscheid ist er längst gefunden. Gut, es ist kein einzelner, es sind mehrere, viele, Tausende. Und sie haben mehr Talent und Intelligenz als alle Wackelkandidaten dieser unsäglichen RTL-Mach-Dich-zum-Affen-Freakshow. Die Stars sind Stare, und diese kleinen Piepmätze haben es faustdick hinter den Ohren. Singen können sie sowieso besser als die DSDS-Konkurrenz im Kölner Coloneum. Aber was sie im ornithologischen Kosmos so einzigartig macht, sind ihre Flugkünste. Dagegen wirken sogar die imposanten Formationen der Kraniche irgendwie plump. In diesen Tagen ist dieses Phänomen noch an handverlesenen Stellen der Region zu bestaunen, meist in der Abenddämmerung. Nein, es ist kein Hornissenschwarm, der da, einer synchron wabernden Plasmawolke nicht unähnlich, im Luftraum über dem kleinen, von dichtem Gebüsch gesäumten Weiher Kapriolen schlägt und mitunter die Gestalt einer Windhose annimmt. Das sind Starenvögel, viele, viele Starenvögel, die sich unweit ihrer Schlafplätze zu einem himmlischen Flashmob versammelt haben und eine faszinierende Choreografie hinlegen. Sie kommen von weit her, aus dem Gießener Raum, vom Westerwald, dem vorderen Taunus oder aus dem Hinterland, um hier gemeinsam zu nächtigen. Als hätten sie sich verabredet. Um am nächsten Morgen, schwupp-diwupp, sind sie wieder fort. „The Same Procedere“ dann am Abend. Aber es werden nach und nach immer weniger. Stare sind Teilzieher. Das bedeutet: Wenn es ihnen zu kalt und ungemütlich wird und das Wasser friert, suchen sie sich ein Stück weiter südlich wärmere Stellen zum Pennen. Und diese müssen noch nicht einmal sooo weit vom ersten Standort entfernt sein. Ein Teil des Geschwaders bleibt aber auch zurück und versucht sich durchzuschlagen.
Wie machen die das bloß???
Da bilden sich in Nullkommanix surreale Muster und Figuren, fliegenden Teppichen nicht unähnlich, die sich wie auf Kommando in Form und Struktur ständig verändern. Ein aus mehreren Tausend Einzelteilen bestehendes Ganzes. Abrupte Wendungen, plötzliche Richtungswechsel, Fassrollen, Loopings – und das alles in einer unfassbar präzisen Synchronität. Man glaubt es nicht. Luftballett auf höchst Niveau. Das schaffen die besten Kunstflugstaffeln der Welt nach jahrelangem Training mit vielleicht maximal neun Flugzeugen, aber nicht mit vielen Tausenden. Das ist dem Menschen unmöglich. Diese kleinen, singenden Kerlchen hingegen bewerkstelligen das spielerisch mit links, und zwar ohne dass es je zu einer Kollision kommt. Und sie brauchen keinen „Leader“, keinen Anführer dafür. Wie machen die das bloß? Das mag vielleicht auch etwas mit Schwarmintelligenz zu tun haben. Wenn nur ein Vogel die Richtung oder die Geschwindigkeit ändert, tun es alle. Sie fliegen so nah wie möglich beieinander und reagieren auf ihren Nebenmann und die von diesem verursachten Luftverwirbelungen. “Jeder Star achtet auf seine Nachbarn und jede Richtungsänderung reißt somit auch den Schwarmgenossen mit. Die Summe der Einzelentscheidungen ergibt dann das, was wir als einheitlich sich bewegende Wolke wahrnehmen”, beschreibt es Dr. Thomas Rödl, Ornithologe beim Bayerischen Landesbund für Vogelschutz. Mathematisch handelt es sich um ein nichtlineares, dynamisches System – oder anders ausgedrückt: Chaos. Aber ein im Ergebnis geordnetes Chaos.
Da fällt der Sperber aus allen Wolken
Und das Motiv? Reiner Selbstschutz. Für Greifvögel oder auch Krähen sind Stare ein leckeres Zubrot. Die Räuber warten meist an den Schlafplätzen ihrer potentiellen Opfer, um sich die bei der Rückkehr zu schnappen. Die Strategie dagegen ist der Schwarm. So eine lebende „Wolke“ bietet relative Sicherheit. Eine vergleichbare Taktik wenden ja auch Heringe und Sardinen an, die sich im Riesenpulk so dicht zusammen drängen, dass Delfine und Thunfische den einzelnen Beutefisch gar nicht mehr erkennen können. Und die kleinen, schwarz schillernden, zwischen 19 und 20 Zentimeter messenden Vögel haben dieses Abwehrsystem noch einmal perfektioniert. So hat man beobachtet, dass sie, sollte der Feind ihre Reihen einmal tatsächlich durchbrechen, noch enger zusammen rücken. Der Angreifer hat dann keinen Platz mehr um mit dem Flügeln zu schlagen und fällt förmlich aus dem lebenden Schutzschild nach unten heraus. Upps! Da bekommt die Redewendung „aus allen Wolken fallen“ plötzlich eine ganz neue Bedeutungstiefe. Das könnte Keith Richards von den rollenden Ziegelsteinen zu seinem Hit „ Get off of my Cloud“ inspiriert haben.
Die Tricks des Siegbert Werner
Der Medenbacher Natur- und Tierfotograf Siegbert Werner kennt seine Pappenheimer ganz genau. Er weiß auf die Minute, wann diese aufzukreuzen pflegen und liegt dann längst mit der Kamera auf der Lauer. Aber der Mann kommuniziert auch mit den Vögeln – durch Gesten. Er winkt ihnen zu! Ähmmm??? Ja, aber das hat seinen guten Grund. Dieser Willkommensgruß ist gar keiner, sondern dient der Abschreckung. Auf diese Weise lässt sich verhindern, dass ein Schwarm vorzeitig landet. Die schönsten Bilder gibt es schließlich, wenn die aus allen Himmelsrichtungen herbeiflatternden Gesellen möglichst lange kreisen und sich zu immer größeren Formationen vereinigen. Und Dank dieses Tricks sind dem Ortsteil-Breitscheider ein paar wirklich grandiose Aufnahmen geglückt.
Er hat sich viele, viele Tage und Abende lang am „Trainingsgelände“ der gefiederten Luftakrobaten auf die Lauer gelegt und sie bei Pflicht und Kür beobachtet. Ihm gelangen dabei einzigartige Fotos, die eindrucksvoll aufzeigen, zu welchen Leistungen diese Aerokünstler in der geballten Masse in der Lage sind. Er wurde aber auch Zeuge, wie einige unvorsichtige Artgenossen trotz aller Sicherheitsvorkehrungen zur Beute dort auf sie lauernder Wegelagerer wurden. So geht’s nun mal zu in der Natur. Fressen und gefressen werden und ein bisschen etwas vom Gesetz des Stärkeren.
Stare ahmen sogar Handy-Klingeltöne nach
Mindestens ebenso ausgeprägt wie ihre Flugkünste seien die stimmlichen Fähigkeiten der Starenvögel, sagt Werner. Es sind begnadete Sänger – und Imitatoren. Sie ahmen nicht nur die Rufe von Wachtel, Mäusebussard oder Kiebitz nach, sondern daneben auch Hundegebell, das Geräusch von Rasenmähern und sogar Klingeltöne von Mobiltelefonen. Die anhaltenden, schwätzenden und rhythmischen Lieder bestehen aus einer Vielzahl von ansteigenden oder abfallenden Pfeiftönen, Schnalz-, Zisch- und Rätschlauten. Ihren Vortrag unterstreichen die Vögel dabei gerne mit weit geöffneten Flügelbewegungen. Starendamen finden übrigens diejenigen Männchen am attraktivsten, deren Gesang am besten und am ausdauerndsten ist. Wenn das beim Menschen auch so wäre, müssten bei DSDS eigentlich alle männlichen Kandidaten als Junggesellen enden.
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