Von Jürgen Heimann
Der (längst fällige) Ausbau der Hirzenhainer Ortsdurchfahrt geht in die zweite Woche. Und die Postboten kriegen abends schon Alpträume, weil sie nicht wissen, wie sie aufgrund der oft spontan geänderten Verkehrsführungen am nächsten Morgen wo, ob und wie überhaupt zu ihrem Ziel gelangen sollen. Da helfen auch Google-Maps und ein gutes Navi der gehobenen Preisklasse nicht weiter. Früher oder später stehen die Briefe- und Päckchenverteiler vor verschlossenen Türen bzw. gesperrten Zufahrten. Das ihnen von oben auferlegte Pensum ist ja schon zu normalen Zeiten ziemlich sportlich… Aber jetzt? Die Zeiten werden rauer. Oder halt „The Times They Are a-Changin’“ nuschelte Robert Zimmerman, der sich heuer Bob Dylan nennt, weiland ins Mikro.
Doch: Ab jetzt gibt es eine Lösung für deren Probleme, und die der Empfänger gleich mit. Also für all jene, die in den letzten Tagen oft vergeblich in ihre Briefkästen gelinst und gähnende Leere vorgefunden hatten. Wieder nix drinne. Und wenn doch, dann viel zu spät. Die abonnierte Tageszeitung verliert, wenn sie erst nachmittags im Schlitz steckt, auch an Relevanz. Gut, der Verlag hat ein eigenes Verteilersystem. Dessen Austräger sind aber zu dunkler, nachtschlafender Zeit ebenfalls überfordert, wenn sie plötzlich vor einer Baugrube stehen.
DHL-Aviation, eine hundertprozentige Tochter der Deutschen Post AG mit Sitz im belgischen Zaventem, die mit ihren Großraum-Jets weltweit auf dem Luftweg Post befördert, hat mit dem örtlichen Segelfliegerclub aber jetzt eine zeitlich befristete Kooperationsvereinbarung geschlossen. Bedeutet: Die Thermikjäger aus dem renitenten Höhendorf übernehmen bis auf weiteres die postalische Versorgung ihrer Mitbürger– und zwar aus der Luft. Hoch in selbiger kennen sie sich ja bestens aus.
Das dafür benötigte Equipment sponsern DHL und Post. Dafür dürfen die beiden Versandriesen auch ihre Werbeaufkleber auf die quietschgelbe Ka-8 pappen. Das ist ein gemütlicher Einsitzer, dessen auffällige Lackierung Flugzeugen der großen Partner verblüffend ähnelt. Jeden Morgen rollt künftig bis auf Widerruf ein im nächstgelegenen Verteilzentrum der Post beladener gelber Kleintransporter auf die Startbahn des Sonderlandeplatzes. Die Säcke, in denen sich Postkarten, Zeitschriften, Briefe, Mahnungen, Rechnungen und Werbung für Hundefutter sowie diskret etikettierte Päckchen des Online-Sextoy-Versenders Orion befinden, werden flugs umgeladen. Und dann gibt der Windenfahrer Gas.
Die von vielen schon sehnlichst erwartete Ladung wird über den unzugänglichen Wohngebieten und Ortsstraßen Hirzenhains abgeworfen. Dafür muss der Transportpilot schon mal dicht an der gesetzlich vorgegebenen Mindestflughöhe schrammen. Denn: Je tiefer er fliegt, umso höher ist die Trefferquote. Der Flugzeugführer hat dabei natürlich auch Abdrift und Seitenwinde zu berücksichtigen. Vogel- bzw. Taubenschlag können die Rechnung ebenfalls durchkreuzen. Weil das so ist, wurden die dienstbaren Luftikusse auch in einem mehrwöchigen Intensiv-Crash-Kurs sorgfältig auf ihre neue Aufgabe vorbereitet, für die in Wechselschicht zunächst vier Luftfahrer im Stand-by stehen. Und für den denkbaren Fall, dass die Sendung doch einmal am falschen Ort landet, ist sie mit folgendem Aufkleber versehen: „Sorry! Wenn Irrläufer, bitte beim Nachbarn abgeben“.
Einen Teil der Kosten für Personal und Material wollen die Projektverantwortlichen „Hessen Mobil“ in Rechnung stellen. Denn: Die Straßenplaner aus Dillenburg haben sich die Umleitungsempfehlungen, die selbst ortskundige HIrzenhainer mit Pfadfinder-Diplom mitunter in den Wahnsinn treiben, ja schließlich auch ausgedacht.
Das Postgeheimnis ist natürlich auch bei dieser Sache sankt und heilig und jederzeit gewahrt. Bei einem ersten, erfolgreichen Probelauf/-flug am Sonntag konnte ein TV-Team des investigativen DHL-Fernsehkanals „Excellently simply delivered“ – heißt so viel wie „Exzellent bzw. dement einfach zugestellt“ (oder so ähnlich) – jedoch einen scheuen Blick auf die Empfängerzeilen werfen. Ein Maxiformat-Brief war mit dem Zusatz „Gebühr zahlt Empfänger“ „An unseren GOURE, z.Z. Unterm Klein-Loh in 35713 Eschenburg-Hirzenhain“ adressiert. Ein Einschreiben richtete sich an die Fliegerklause am Nord-West-Hang. Vermutlich war da ein Verrechnungsscheck drin, durch den der Absender seinen Deckel ablösen wollte. Ja, und eine Beate-Uhse-Zweigstelle gibt es offensichtlich in Hirzenhain ebenfalls. In der Ringstraße 38. Wusste ich noch gar nicht. Da muss ich unbedingt mal klingeln….