Rotorman's Blog

Schlehenfeuer: Fred Feuerstein und
das Geheimnis der falschen Oliven

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Schlehen sehen zwar appetitlich aus, sind aber erst nach dem ersten Frost zu genießen. Der saure-bittere Geschmack rührt von den in den Früchten enthaltenen Gerbstoffen her. Die werden zum größten Teil abgebaut, wenn das Thermometer unter den Gefrierpunkt fällt. Foto: Pixabay

Von Jürgen Heimann

Schon Familie Feuerstein wusste die blauen runden Dinger zu schätzen. Zumindest legen entsprechende Funde in neolithischen Feuchtbodensiedlungen den Schluss nahe, dass diese Kernobstart bereits den Jungsteinzeitlern nicht unbekannt war. Mit daraus gewonnener Marmelade bestrichen hat eine kross gebratene Höhlenbärenkeule damals bestimmt gleich doppelt so gut geschmeckt. Um sich Wilmas Gekeife erträglich zu trinken, mussten Fred F. und Barnie Gerölleimer freilich zu anderen Mitteln greifen. Auf den Trichter, aus Schlehen Wein, Aufgesetzten, Likör oder Schnaps zu generieren, kamen die Menschen erst viele Jahrhunderte später. Die Früchte des Schleh- oder Schwarzdorns stehen als letzte im Jahresverlauf zur Ernte an. Nach dem ersten Frost ist es an der lohnenden Zeit, sie zu pflücken, um die Beute dann nach und nach einem ihrer vielseitigen Verwendungszwecke zuzuführen.  

Schlehen kann man in der Regel nicht kaufen, sondern muss sich der Mühe, sie zu “fangen”, schon selbst unterziehen. Was, wenn man sich nicht vorsieht, ob der spitzen Dornen an den Zweigen eine recht schmerzhafte Prozedur werden kann. Die wenigsten tun sich das an. Insofern bleibt für den überschaubaren Kreis derer, die drauf stehen, genügend übrig – meistens jedenfalls. Der relativ späte Zeitpunkt, an dem die Beute genießbar ist, erklärt sich durch die in den Früchten enthaltenen Gerbstoffe. Die verleihen ihnen eine extrem bittere Note, sodass es einem bei Verzehr die Hornhäute in den Achselhöhlen wölbt. Daher rührt auch die Redewendung “ein Schlehenmaul machen”. Derjenige welcher blickt so sauer drein, als habe er in eine “Sloe”, wie der Engländer sie nennt, gebissen. Erst durch Frosteinwirkung werden die negativen Geschmacksverstärker zu wesentlichen Teilen abgebaut und die etwa ein Zentimeter großen, schwarzen Früchte als solche genießbar. Man kann aber auch etwas nachhelfen, indem man sie selbst im Gefrierfach frostet. Die Kerne sollten jedoch nicht mitgegessen werden, da sie, wie die von Äpfeln auch, geringe Mengen der giftigen Blausäure enthalten.

Saft oder Sirup, Likör oder Schnaps

Ob man die Früchte nun zur Herstellung von Marmelade, Saft oder Sirup nutzt – letzterer  schmeckt übrigens sehr gut zu Eis, im Sekt und in heißem Tee – sie zu Wein, Likör oder Hochprozentigem veredelt oder verflüssigt als geschmacksverstärkende Dreingabe dem selbst gemachten Apfelwein zusetzt, bleibt jedem selbst überlassen. Zwar brennt das “Schlehenfeuer” auch im Handel munter vor sich hin, während der gleichnamige Geist durch viele Supermarktregale spukt, doch selbst hergestellt ist allemal reizvoller.

Hot Stuff: Gesundheitsfördernd und bekömmlich

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Blüten des Schwarzdorns. Sie enthalten Flavonoide, Quercetin, Kämpferolgykoside und Cumarinderivate. Ein Tee daraus hilft bei Durchfallerkrankungen, Magenbeschwerden sowie Blasen- und Nierenproblemen. Foto: Pixabay

Schon bei den ollen Römern und alten Griechen war die “Prunelle” weit verbreitet. In der Volks- und Naturheilkunde schätzt man/frau seit dem frühen Mittelalter auch die Rinde und die weißen Blüten dieser mit der Pflaume, Mirabelle und Aprikose verwandten Rosengewächse. Sie sind harntreibend, fiebersenkend, magenstärkend und entzündungshemmend. Blütenaufgüsse wurden früher besonders bei Kindern gegen Durchfallerkrankungen, Magenbeschwerden sowie bei Blasen- und Nierenproblemen in Stellung gebracht. Sie, die Blüten, nicht die Kinder, enthalten gesunde Flavonoide, Quercetin, Kämpferolgykoside und Cumarinderivate. Hildegard vom Bingen empfahl das Ganze im 12. Jahrhundert bereits als probates Mittel gegen Gicht und Magenleiden.

Die Früchte hingegen punkten mit Gerbstoffen, Vitamin C und verschiedenen Mineralstoffen. Man kann auch Öl draus machen, das angeblich, weil straffend und durchblutungsfördernd, gut für die eitle, alte Haut ist. Zuvor über einen längeren Zeitraum  in Salzlake konserviert, finden sich “Bockbeerli” zudem als “falsche Oliven” auch auf der Pizza, im Käse oder im Salat, können aber auch zu Pfannengerichten, Gegrilltem oder zum Aperitif gereicht werden.

Aber vor allem und in erster Linie ist die “Deutsche Akazie”, deren Sträucher in wildwachsender Form bis zu drei Meter hoch werden und denen man an Waldrändern, aber auch in kultivierter Variante als Wind- oder Schneeschutzgehölze innerhalb von Ortslagen begegnet, eine ergiebige Nahrungsquelle für die Tierwelt. In dieser Hinsicht zählt sie zu den wichtigsten Wildsträuchern überhaupt. Das “Schlehen-Federgeistchen”, eine schneeweiße, bis zu 35 Millimeter groß werdende Federmotte, bedient sich jedoch woanders, trotz ihres (irreführenden) Namens. Diese Insekten haben andere gourmet-technischen Präferenzen. Der braunfarbene, nur unwesentlich kleinere Schlehen-Bürstenspinner wiederum, ein Nachtfalter, ist hingegen total auf das Angebot des “Hagedorns” fixiert.

Die Spießgesellen des Neuntöters

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Schlehen stellen eine wichtige Nahrungsquelle für die Tierwelt dar. Das nach ihnen benannte „Schlehen-Federgeistchen“, eine schneeweiße Federmottenart, gehört aber, anders als der Name vermuten lässt, nicht zu ihren Kunden. Foto: Pixabay

Für zahlreiche Schmetterlingsarten ist der “Heckendorn”, der übrigens als Stammform unserer Kulturpflaume gilt, ein bedeutender Nektarspender, ebenso für rund 20 Wildbienenarten. Aber auch die Käferfraktion schätzt ihn sehr. Für etwa 20 unserer Vogelarten, beispielsweise Meisen und Grasmücken, sind die Früchte ein wesentlicher Bestandteil der Ernährung. Die Gehölze bieten Strauchbrütern idealen Lebensraum. Auch der Neuntöter hat ihre Vorzüge erkannt. Er spießt an den Dornen der Schlehenbüsche seine Beutetiere, z.B. Insekten und Mäuse, auf. Was für die natürlich nicht so angenehm sein dürfte.

Im Mittelalter wurde aus der Rinde Tinte für die Scriptorien gewonnen. Das Zeug pflegte man außerdem zur besseren Haltbarkeit auch dem Käse beizumengen. Schlehenblätter dienten ferner, Hot Stuff, als Tabakersatz, wobei selbst die Gauloises oder Rothhändles von heute besser schmecken dürften. Weil den dornenreichen Gewächsen starke Schutzwirkung gegen Hexen nachgesagt wurde, waren sie auch als Umpflanzungs-Elemente für Weiden und Höfe beliebt. Davon abgesehen glaubten die Agrarökonomen früherer Zeiten, dass sich mit ihrer Hilfe Ernteerträge und Wettergeschehen voraussagen ließen. Die Tage, die zwischen dem Erblühen der Schlehe und dem 23. April, dem “Georgi-Tag”, lagen, wurden gezählt, um den genauen Termin für die Einfuhr des Getreides zu bestimmen. Ein gehäuftes Auftreten von Schlehen wurde außerdem als Vorzeichen für einen strengen Winter gedeutet.

Na zdrowie! Und darauf einen Slivovitz!

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„Schwarze Olive“: In Salzlake konserviert, verleihen “Bockbeerli” auch der Pizza, dem Käse oder dem Salat eine besondere geschmackliche Note. Sie können aber auch zu Pfannengerichten, Gegrilltem oder zum Aperitif gereicht werden. Foto: Pixabay

Der Name “Schlehe”, im Althochdeutschen “Sleha”, im Neuhochdeutschen “Slehe” genannt, basiert auf der Farbe der Frucht und leitet sich aus dem indogermanischen Wort “Sli” ab, was so viel wie “bläulich” bedeutet. Diese Silbe findet sich ja auch im Pflaumenschnaps, dem legendären “Slivovitz”. Und von dem kann man ja ebenfalls blau werden. Na zdrowie! Deshalb, um den polyglott aufgewachsenen mittelhessischen Hochgebirgs-Brenner zu zitieren: Ergo bibamus!

 

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