Von Jürgen Heimann
Es ist schon ein Weilchen her, 2005 war’s, das ist Robert von Locksley schon mal singend und mit gespantem Flitzebogen durch den Sherwood Forest gehopst. Der wuchs damals noch an der Weser in Bremen. Und verkümmerte ziemlich schnell. Ein veritabler Flop. Das kann dem Waldstück, das aktuell (noch) um Fulda rankt, nicht passieren. Zu dicht und gesund sind dessen Wipfelkronen. Da hat der Borkenkäfer namens Desinteresse und/oder Langeweile nicht den Hauch einer Chance. Der Robin Hood aus der osthessischen Bischofsstadt Fulda ist kerngesund und quicklebendig, sieht man/frau mal von seinem tragischen Bühnentod ab.
Mit der gleichnamigen Produktion hat die hier ansässige und sowieso schon erfolgsverwöhnte Spotlight Musical GmbH einen weiteren veritablen Publikums-Hit gelandet. Und auch die Kritiker überschlagen sich. Selten eine so packende, unterhaltsame, spannende, handlungsdichte und perfekt inszenierte Musical-Show gesehen – durchdrungen trotz des tragischen Sujets immer wieder von Spiel- und Wortwitz. Ja und erst die Partitur. Die ist vom Feinsten. Dran beteiligt: Dennis Martin, den ich persönlich für einen der kreativsten Musical-Komponisten in Deutschland, wenn nicht sogar in Europa halte. Dran beteiligt aber auch ein echter Weltstar: Chris de Burgh. Da haben sich zwei gesucht und gefunden!
Die erste Befürchtung, die Fuldaer hätten den populären, in Irland aufgewachsenen, aber in Argentinien geborenen Künstler nur als Feigenblatt und Werbe-Ikone an Bord geholt, um somit vielleicht eventuelle Schwächen der Produktion und des Liedgutes zu übertünchen, löst sich bereits nach den ersten Takten in Luft auf – aber vollständig! Was die beiden Erfolgskomponisten da an Ohrwürmern und ergreifenden Balladen abliefern, ist fulminant. Es gibt ja (durchaus auch geschickt inszenierte) Musicals, da bleibt keine Melodie, kein Liedtext in den Lauschergängen hängen. Hier sind es fast alle. Ja, und Chris de Burghs Welt-Hit „Don’t pay the Ferryman“ aus dem Jahre 1982 feiert nach einer Frischzellenkur als Reloaded-Version ebenfalls Wiederauferstehung und kommt, Showstopper und Finalkrönung , als “Freiheit für Nottingham“ daher. Die Abräum-Nummer „Wir haben die Kohle, und der König nicht“ hat de Burgh den Worten seines Partners zufolge innerhalb weniger Minuten geschrieben, als letzterer sich während der gemeinsamen Arbeit eine kleine Auszeit für eine Pinkelpause gönnte.
Kreuzritter mit postraumatischen Belastungsstörungen
Schenken wir es uns, den Handlungsstrang zu rekapitulieren. Der ist sowieso ein bisschen anderes gestrickt und akzentuiert als weiland in Bremen. Und man kann ihm ja überall im Internet folgen. Ein mit posttraumatischen Belastungsstörungen vom Kreuzzug heimgekehrter Ritter, der zum Outlaw wird, die wahre Liebe seines Lebens erkennt und dem fiesen, durch Kindesmord auf den Thron gelangten King John den Stinkefinger zeigt. Der Jugendfreund, ein ehrgeiziger, skrupelloser Emporkömmling, der dem Helden nach dem Leben und dessen Weib trachtet. Ein knubbeliger Mönch, der nicht weiß, wie man Askese buchstabiert, eine zwielichtige Äbtissin mit einem dunklen Geheimnis, ein korrupter Earl, der unter jeden Rock packt, dessen Trägerin bei Drei nicht auf dem Baum ist. Das Panoptikum der handelnden Figuren ist groß und charakterlich breit aufgestellt.
Apropos Graf, William von Loxley, der Vater Robin Hoods: Als solchen erleben wir „Bonifatius“ Reinhard Brussmann, einen der ganz, ganz Großen im europäischen Musical-Circus. Und der Österreicher wechselt bei dieser Gelegenheit auch gleich noch die Fronten und mutiert im zweiten Akt zu „John Little“, dem „Leader of the Gang“ der Ausgestoßenen, die sich seit Jahren im Wald vor der Obrigkeit verstecken. Und dieser Wald ist nicht vergleichbar mit dem des Forsthauses Falkenau. Leider hört der begnadete Künstler nach dieser Spielsaison auf und nimmt seinen Bühnenabschied. In Hameln, wo „Robin Hood“ nach Fulda gastiert, ist er schon nicht mehr dabei. Jammerschade!!!
Eine der schillerndsten Gestalten des turbulenten Geschehens ist Christian Schöne als König John. Was der gebürtige Hesse aus dieser Rolle herausholt, ist bestechend. Der Usinger ist der legitime Nachfolger von Kristian Vetter. Der Däne, den man in Fulda ja auch schon erleben durfte, war in seiner aktiven Zeit als Musical-Darsteller auf die fiesesten Charaktere abonniert. Schöne toppt das jetzt noch mal. Gesegnet mit einer wirklich unter die Haut gehenden Stimme, verleiht er dem Drecksack-King Konturen, mit vollem Körpereinsatz, einer unvergleichlichen Mimik und, ja das auch, mit Witz. Allein der Mann wäre den Eintritt, der in Fulda ja sowieso schon immer unter den Marken anderer Theater angesiedelt ist, wert!
Sunnyboy Mark Seibert, noch so ein hessisches Gewächs, hatte in der Startphase des Musicals den Part des Robin von Loxley übernommen. Und füllte auch diesen, wie man es von ihm nicht anders gewohnt ist, mit Wucht, Stimmkraft und fast erschlagender Bühnenpräsenz aus. Ein Recke, Held und Bogenschütze wie aus dem Bilderbuch. Doch dann zog es den Mann nach Wien zu „Rebecca“, wo er als Maxime de Winter sein zweites „Ich“ sucht und lieben lernt. Sascha Kurth und Friedrich Rau, die in der Domstadt längst Heimvorteil genießen, übernahmen in Folge. Keine Notlösung, sondern eine adäquate Personalentscheidung. Die beiden liefern im Wechsel High-Performance ab. Und sie dürften, obwohl schon in vielen Bühnenschlachten erprobt, erst am Anfang steiler Karrieren stehen.
Robin Hoods Jahre auf ihre Hochzeitsnacht wartende Angetraute, Marian de Lacy, haucht Johanna Zett Leben und Überzeugungskraft ein, darstellerisch ebenso wie stimmlich. Ja und da wäre noch Brother Tuck, ein Mönch, der seinen Beruf offensichtlich um Längen verfehlt hat. André Haedicke hat, darauf kann man einen Monatslohn verwetten, die Lacher und Brüller ständig auf seiner Seite. Ein urkomisches Naturtalent.
Fast vergessen, und das wäre unverzeihlich: Thomas Hohler. Das Ruhrpott-Gewächs hat bisher auch noch keine erfolgreiche Musical-Produktion ausgelassen. Hier in Fulda liefert der Bottroper aber sein Meisterstück ab. Als „Guy von Gisbourne“, dem karriere- und machtgeilen Gegenstück des Titelhelden, ist er eine der zentralen und prägenden Figuren der Aufführung. Und wirft sich mit Vehemenz, Vocal-Power und mitreißender Authentizität in die Schlacht. Simply the Best!
„Spotlight“ kann seine Tickets auch deshalb so günstig anbieten, weil die Fuldaer Produktionsfirma bei ihren Inszenierungen auf ein Live-Orchester verzichtet. Die Musik kommt hier traditionsgemäß vom Band, was aber keinen stört. Die Handlungsabläufe sind so dicht, dramatisch und turbulent getaktet, dass dem Publikum das Fehlen eines Stöckchen schwingenden Dirigenten nebst Anhang im sowieso nicht vorhandenen Orchestergraben überhaupt nicht auffällt.
Matthias Davids mit der Regieführung bei „Robin Hood“ zu betrauen, war eine weise Entscheidung – und ein Glücksfall. Stoff, Dramaturgie und Musik kommen hier ja quasi schon als Erfolgsgaranten daher, Davids setzt dem dann noch mit seinen originellen Einfällen das Sahnehäubchen auf. Nicht zu vergessen Kim Duddy und Eleonora Talamini. Die beiden Damen sind für das Bewegungsvokabular zuständig. In vielen anderen Musical-Produktionen unterscheiden sich die Choreografien nur marginal; hier aber werden ganz neue Bewegungs-Muster ausprobiert und bestehen den Praxistest in überaus origineller, sehenswerter und in bestechender Synchronizität locker. Zur Freude aller.
Das Bühnenbild im Schlosstheater ist nicht überladen, aber intelligent und ideenreich konzipiert (Hans Kudlich). Da muss sich kein Tarzan von der Decke schwingen, oder ein Kronleuchter von selbiger fallen. Die Bühne wird durch eine klappbare, von farbigen Displaylinien konturierte Wand, deren Elementen sich verschieben und einzeln öffnen lassen, umrandet. Blitzschnell verschwinden dahinter die Darsteller – und tauchen, tataa, ebenso schnell wieder auf. Sie dient auch als Projektionsfläche für plötzliche Standortwechsel und visuelle, atmosphärisch dichte und stimmige Einspielungen. Hinter selbiger dient eine bewegliche Hub-Plattform, die sich variabel und in unterschiedlichen Winkelgrafen aufrichten lässt, den Künstlern als weitere Spielfläche. Für die stimmigen Kostüme zeichnet Conny Lüders verantwortlich.
Dem Fuldaer Robin gehen jetzt aber langsam die Pfeile im Köcher aus. Am 16. Oktober wird er sie alle verschossen haben – und muss nachladen. Denn: Danach geht’s in die Rattenfänger-Stadt Hameln. Daselbst spannt Loxley dann vom 10. Dezember bis 7. Januar seinen Bogen.