Es war nicht der Förster vom Silberwald, der da einst, lang, lang ist’s her, in der Hirzenhainer Hofstraße Nr. 8 residierte. Der erste seiner Art hieß Hans. Mit Nachnamen Schumacher. Er war der Gründer einer ganzen Dynastie von Waldschraten, Feldschützen und Grenzjägern, die im Laufe der Jahrhunderte in fürstlichem Auftrag die Waldungen in und um Hirzenhain durchstreiften.
Auf diesen Hans als ihren direkten Ur-Ur-Ur-Ahnen kann sich auch „Hannerts Christa“ berufen, die das alte, von der Hofstraße aus etwas zurückgesetzte Gebäude heute mit ihrem Mann Hans-Joachim Müller bewohnt. Beide wissen um die Geschichtsträchtigkeit der Stätte.
Wer es nicht weiß, erkennt kaum, dass das Bauwerk 267 Jahre auf dem Gebälk hat. Mindestens. Es ist damit sogar 23 Jahre älter als das 1775 erbaute und inzwischen leider abgerissene alte Pfarrhaus. Ein solches Schicksal blieb dem Jägerheim jedenfalls erspart. Auch deshalb, weil die Nachfahren des seinerzeitigen Bauherrn es in den Jahren danach immer mal wieder instandgesetzt, erweitert und renoviert haben.
Von außen ist sieht man dem betagten Gemäuer die Last der Jahrhunderte nicht an. Von innen auch nicht. Die Fassade ist in modernem Stil gestaltet, während hinsichtlich der Innenarchitektur nichts mehr an das niedrige, und verwinkelte Damals erinnert. Aber Achim Müller weiß schon genau, wo die alten Linien, Bauelemente und Balken aus der Gründerzeit noch versteckt sind. Verborgen unter Putz, begradigten Wänden und Decken. Apropos Balken: Die Inschrift auf einem solchen, entdeckt während Renovierungsarbeiten vor ein paar Jahren, lässt zumindest vage Rückschlüsse auf die Entstehungszeit zu. Die Jahreszahl 1752 war dort eingeschnitzt, muss aber nicht zwangsläufig das Baujahr markieren. Die Liegenschaft kann durchaus älter sein. Die zu ihr gehörende, daneben stehende Scheune ist es auf jeden Fall.
Weit und breit kein anderes Haus
Sein wir nicht kleinlich und streiten um ein paar Jahre. Überliefert ist, dass das Anwesen zur Zeit seiner Entstehung allein auf weiter Flur stand. Wie es sich für die Wohnstätte eines Försters halt geziemt. Die damalige Ortsbebauung konzentrierte sich um den Bereich um die Kirche, auf Reh- und Johannesgasse. Heute ist das natürlich ein klein wenig anders.
Zurück zu den Schumachern. Den ersten ihrer Art hatte es Anfang 1655 als Berggeselle auf die Hirzenhainer Höhe verschlagen. Weil er sich in den Gruben des Schelderwaldes ein besseres Auskommen versprach als daheim in Clausthal-Zellerfeld im Oberharz. Er heiratete die Hirzenhainerin Veronika Keller und legte damit den Grundstein für ein Geschlecht, das sich in den nächsten Jahrhunderten in hochherrschaftlichem Auftrag der Bewirtschaftung und Bewachung der fürstlichen Waldflächen widmen sollte. Woher freilich der Hausname „Hannerts“ rührt, lässt sich nur vermuten. In der direkten Erbfolge gab es viele Nachkommen mit dem Vor- oder Zweitnamen Johannes. Möglicherweise ist „Hannerts“ eine Verkürzung desselbigen.
Der erste in der langen Reihe der familiären „Eichenbinder, wie die Forstleute früher auch genannt wurden, war Hans, der II. Ein Sohn des Harz-Einwanderers.Er gilt als erster Förster von Hirzenhain. Der Letzte seiner Art war Wilhelm-Moritz Schumacher, der von 1800 bis 1871 lebte. Unter seinen Vorfahren fanden sich immer wieder auch solche, die als fürstliche Grenzjäger auf Patrouille gingen und Wacht hielten.
Grenzjäger waren, so definiert es Wikipedia, „bewaffnete Beamte, die mit der Sicherung der staatlichen Außengrenze betraut waren“. Und Hirzenhain war ja Grenzland. Direkt hinter dem Ort begann das „feindliche Hinterland“.
Unter den Wald- und Pirschgänger befand sich auch ein gewisser Johannes Wilhelm Schumacher, der 1859 verstarb. Der Mann war beruflich trotzdem etwas aus der Art geschlagen, denn: Er amtierte einige Jahre auch als Bürgermeister von Hirzenhain. Aus seinem Nachlass stammt ein in akurater altdeutscher Schrift gehaltenes Diensttagebuch, dessen Inhalt sich der Familie Müller aber nur rudimentär erschließt. Kaum jemand kann diese Feder heute noch lesen. Trotzdem: Der Wälzer dürfte lokal-historisch von beträchtlichem Wert sein und beinhaltet, so ist zumindest ansatzweise zu erkennen, viele interessante Informationen über das Zusammenleben, die Streitereien und besonderen Ereignisse der damaligen Zeit. Eine Transkription wäre eine lohnende Aufgabe, der sich Achim Müller in aller Ruhe nach der 750-Jahr-Feier stellen will. Auf das Ergebnis darf man gespannt sein.
Gutes Zeugnis vom Oranien-Prinz
Es war übrigens auch ein altes, vergilbtes Dokument, dass die heutigen Bewohner des Hauses Hofstraße Nr. 8 etwas tiefer in die Erforschung der Ahnenwelt einstiegen ließ. Bei der Renovierung des Speichers hatten sie vor Jahren auf einem Dachbalken liegend eine zusammengefaltete Urkunde aus Schweinsleder entdeckt. Dabei handelte es sich quasi um einen Gesellenbrief, 1767 ausgestellt von Johannes Hartmann, dem damaligen Amts-Jäger des Amtes Dillenburg. Verfasst im Namen des „Durchlauchtigsten Fürsten“, des Prinzen Wilhelms von Oranien. Darin bescheinigte der Ober-Nimrod seinem früheren Azubi Johann Georg Schumacher, einem „Sohn des dermahligen Herschafftlichen Kräntz-Jägers Wilhelmus Abertus Schumacher“ anerkennend, „die Jägerey sowie alle auch alle übrige dazu gehörige Wissenschaften sowohl des großen als auch des kleinen Weydwercks“ zu beherrschen. In diesen Zeiten gab es noch keine strikte Aufgabentrennung und Abgrenzung zwischen Förstern und Jägern. Heute schon.
Die Hofstraßen-Schumacher-Linie endete, als Anna Maria Schumacher 1857 Wilhelm-Heinrich Busch das Ja-Wort gab. Die Nachkommenn trugen dann die Namen Busch, Holighaus und Hermann. Auch Christa Müller, die heute mit ihrem Mann Hans-Joachim das ehemalige Forsthaus bewohnt, ist eine geborene Hermann. Ihr Großvater Moritz, den alle in Hirzenhain nur den „Hannerts-Moritz“ nannten, war übrigens der, der gegen Ende des Zweiten Weltkriegs um ein Haar von amerikanischen Besatzungssoldaten erschossen worden wäre. Die GI’s hatten hinter seinem Haus Schießübungen veranstaltet. Als Moritz dem Lärm auf den Grund gehen wollte und den zwischen Wohngebäude und Scheune durchführenden „Earn“ betrat, flogen ihm die Kugeln um die Ohren. Einige der Einschußlöcher waren noch Jahre später zu sehen.