Von Jürgen Heimann
Irgendwie scheint in diesem Jahr der Wurm drin. Aber es ist ein gutes, ertragreiches Jahr. Zumindest für den Sensenmann. Der hat den Turbo eingeschaltet. David Bowie. Prince. Peter Lustig. Erika Berger. Roger Willemsen. Sein vorläufig letztes Opfer: Bud Spencer. Aber dessen Ableben hat mich eigentlich weniger berührt bzw. betroffen gemacht. Der Dicke war zwar eine ehrliche Haut, aber irgendwie konnte ich mich mit diesem sympathischen Haudrauf nie wirklich so richtig identifizieren. Da fehlte die emotionale Nähe, die Tiefe des Spiels. Das war bei „Schimi“ ganz anders. Aber jetzt hat es auch ihn erwischt. Meinen Lieblingskommissar. Den einzig wahren deutschen Bullen. Die Ermittlungen sind abgeschlossen. Er starb im Bett, nicht im Dienst. 77jährig. Bereits am 19. Juni. Tilt, game over!
Was hat er mich beeindruckt, dieser famose, schnauzbärtige Schmuddel-Sheriff! Ich habe mitgefiebert, mitgelitten und mitgesoffen. Und in Folge habe ich dann natürlich die Currywurst, wahlweise mit oder ohne weiß-rote Pommes, als Grundnahrungsmittel für mich entdeckt. Leider habe ich aber nie eine dieser grau-beigen M65-Feldjacken an Land ziehen können, wie sie Schimanski salonfähig gemacht hat und fast in jeder Folge trug – in der speckigen Variante, versteht sich, ohne die Schulterklappen des militärischen Originals. Ferner ist nach mir ja auch keine Strasse benannt worden. Seit März 2014 gibt es in Duisburg-Ruhrort eine “Horst-Schimanski-Gasse”, in Erinnerung an den großen, fiktiven Sohn der Stadt. Im Stadtteil Ruhrort hatte nämlich alles angefangen. So weit jedoch, wie von den Jusos gefordert, die Universität-Gesamthochschule nach ihm zu brennen, ging die Verehrung dann aber doch nicht.
Scheiße! Scheiße! Scheiße!
Scheiße! Scheiße! Scheiße! Das war „Schimis“ Lieblingswort. Und ein Skandal, als es erstmals öffentlich-rechtlich über seine Lippen kam. Von ihm, einem Mann wie ein Baum, den nix umhauen konnte. Und wenn doch, stand er gleich wieder auf, vielleicht sogar etwas wackelig. Bereit für die nächste Runde. Und die endete dann meist mit einem K.O., aber nicht mit dem seinigen. Wie bei Muhammad Ali. Aber auch der hat seinen letzten Kampf inzwischen ja verloren.
Für “den Größten” unter den Faustkämpfern habe ich mich nächtens zu den unchristlichsten Zeiten aus den Federn gequält, um mir auf der Glotze anzuschauen, wie er seinen nächsten Gegner auseinander nimmt und auf die Matte schickt. Der Ausgang des Kampfes war meist vorhersehbar. Zumindest hoffte ich das. Und dann fielen mir am nächsten Morgen in der Schule natürlich die Augen zu. Folge: die Mathearbeit versiebt. Aber das war’s allemal wert gewesen. Für “den Größten” unter den Kriminalkommissaren hingegen brauchte ich mir die Nacht nicht um die Ohren zu schlagen. Horst Schimanski kam da etwas benutzerfreundlicher daher. Er und Christian Thanner alias Eberhard Feik traten zwar in der Chronologie meiner von Sturm und Drang gekennzeichneten Lebenszeit erst etwas später auf den Plan, prügelten sich dann aber sonntagabends pünktlich bereits ab 20.15 Uhr durch den Duisburger Ring. Hätten sie das morgens um Fünf getan, ich wäre als Zeuge natürlich auch am Tatort gewesen. Ehrensache!
Pöbeln und Vögeln
So oder so: Ich habe keine einzige der 29 Folgen verpasst. Auch keine Spätfolgen, als der Horst längst den Dienst quittiert hatte und sich als Privatschnüffler und Solist unter eigenem “Label” durchschlug. Das dann ohne seinen leider viel zu früh verstorbenen Sidekick Eberhard Feik, dessen Lebens- und Dienstauffassung der seinigen zu Lebzeiten diametral entgegengesetzt war. Die Beziehung zwischen den beiden ungleichen Schnüfflern war nicht ganz unproblematisch, aber sie ergänzten sich trefflich. Der eine überkorrekt und pendantisch, während der andere unverdrossen durch sein Revier pöbelte und vögelte. Aber auch in der neuen Schimanski-Reihe, die im November 1997 an den TV-Start ging und die es dann nochmal auf 16 Fortsetzungen brachte, waren bei meinem Helden von Altersweisheit und -milde erwartungsgemäß wenig zu spüren. Und ich kann immer noch nicht sagen, welcher „Schimi“ mir besser gefallen hat, der junge oder der spätere. Er wirkte zu jeder Zeit und in jeder Situation authentisch, war unkonformistisch, ehrlich, respektlos, schnodderig, draufgängerisch, furchtlos und, ja das auch, sentimental und romantisch. Ein Heißsporn. Und er blieb sich, seiner Herkunft und seinen Idealen bis zum Schluss treu. Verriet sie nicht. Ließ sich nicht verbiegen. Von keinem.
Schon sein Tatort-Einstand, “Duisburg Ruhrort”, war 1981 eine Offenbarung gewesen. Wow! Was lief denn hier ab? Das Wehgeschrei im öffentlich-rechtlichen Diskurs war immens. Ein Skandal! Fäkalsprache im Fernsehen! Ein übernächtigter, verkaterter, halbnackter Zivilbulle, der frühmorgens trüben Blickes zum Frühstück zwei rohe Eier aus dem Glas schlürft. Das brave Publikum war schockiert. Das ging gar nicht! Doch, es ging! Und das war erst der Anfang. Man(n)/frau durfte sich auf entsprechende Steigerungen freuen. Aber die andere Hälfte der Fernsehnation wandte sich erst mal angewidert ab, um Erik Ode, Siegfried Lowitz oder Horst Tappert nachzutrauern.
Dass die alte Garde der braven und biederen Tatortermittler damit aber erst mal ausgedient hatte und aus dem Rennen war, verdeutlicht eine Szene des Erstlings: Schimanski bleibt vor einem Werbeplakat für Sofortbildkameras stehen und bindet sich die Schuhe. Auf dem Plakat sieht man den Schauspieler Hansjörg Felmy, der zuvor in Tatort-Folgen des WDR den langweiligen Kommissar Haferkamp gegeben hatte. Da ging der Schlafmittelabsatz bei Ratiopharm drastisch zurück.
Erst Reiz-, dann Kultfigur
Aber aus der anfänglichen Reiz- wurde schließlich ziemlich schnell eine Kultfigur, auch wenn sich Vorgesetzte, wie Kriminaloberrat Karl Königsberg, und Kollegen immer noch heftigst die schütteren Haare rauften. Oder gerade weil sie es taten. Mehr als einmal nämlich wurde das Raubein mit der grauen Jacke in Folge ob seiner kruden Methoden vom Dienst suspendiert. Weil er mal wieder alle Regeln gebrochen hatte. Aber zum Schluss triumphierte er doch. Immer. Oder jedenfalls meistens. Und wie er austeilen konnte. Aber er musste auch gewaltig einstecken. Das mit der Haue war ein Geben und Nehmen.
Am liebsten waren mir die Folgen, bei denen Hajo Gies Regie geführt hatte: “Der unsichtbare Gegner”, “Kuscheltiere”, “Kielwasser”, “Doppelspiel”, oder “Moltke” gehörten dazu. Aber auch andere namhafte Regisseure, waren es nun Dominik Graf, Klaus Emmerich, Peter Adam und viele weitere, durften sich an „Schimi“ versuchen, ohne dass der stets ambivalente Charakter des Protagonisten darunter leiden musste. Sie fügten ihm weitere Facetten hinzu.
Einzigartig und unerreicht
Dieser Ruhrpott-Rambo hat die bis dahin spießige und biedere deutsche Krimiszene aufgemischt wie kein anderer zuvor und kein anderer nach ihm. Ein Nick Tschiller, den ich ebenfalls mag, kann es noch so krachen lassen, aber er reicht nun mal nicht an das Niveau des altvorderen Amtskollegen und seine Pioniertaten heran, trotz des aufgeblähteren Budgets. „Schimi“ war einzigartig und bleibt unerreicht. Alle Ermittler, die nach ihm kamen, mussten gegen ihn einfach blass aussehen. Trotz aller künstlich konstruierten Manierismen und ihres verzweifelten Bemühens um Originalität. Gegen ihn wirkten sie wie Chorknaben vor dem Stimmbruch.
Schimanski war in erster Linie Mensch. Und erst danach Polizist. Und er hat als erster auf alle Dienstanweisungen (ganz dicke Haufen) geschissen. Die – die Dienstanordnungen, nicht die Haufen – waren ihm, dem pragmatisch gestrickten Gerechtigkeitsfanatiker, völlig egal. Vor allem dann, wenn es darum ging, schreiendes Unrecht zu sühnen, den Schwachen, Gebeutelten und zu kurz Gekommenen Gehör zu verschaffen, um ihnen etwas von ihrer ursprünglichen Würde zurück zu geben. Unter ihnen fühlte er sich wohler und geborgener als unter Nadelstreifen-, Schlips- und Kragenträgern.
Oft die Fresse voll gekriegt
Auf seiner persönlichen Werteskala genossen desillusionierte Huren, kleine Ganoven, Penner, Säufer, verzweifelte Arbeitslose, Entrechtete und von persönlichen Schicksalen gezeichnete Versager und Verlierer ein höheres Ansehen. „Schimi“ hat die Halbwelt immer der Upperclass vorgezogen. Die größeren Drecksäcke, die Schuldigen, residierten, das wusste er aus Erfahrung, nicht in den tristen, grauen, heruntergekommenen Armeleutevierteln oder sozialen Brennpunkten der Stadt, sondern ganz woanders. In den Villen und Vorstandsetagen oder halt, gut getarnt, hinter der Maske bürgerlicher Wohlanständigkeit. Aber diese Typen waren skrupelloser- und deshalb im Leben erfolgreicher. Schimanski ist keinen Konflikt mit diesem Gesocks aus dem Weg gegangen. Und hat sich oft genug die Finger dabei verbrannt und die Fresse voll gekriegt. So, wie es Klaus Lage in seinem Song “Faust auf Faust”, dem Titellied zum ersten Kinofilm “Zahn um Zahn” (1985), so plastisch und treffend rübergebracht hat: http://www.youtube.com/watch?v=wHerBCYRtNM. Mit “Zabou” kam zwei Jahre später noch ein zweiter Streifen auf die Leinwände der Lichtspielhäuser.
Die Liste der Künstler, die Filmmusiken zu „Schimis“ Tatortreihe beigesteuert haben, liest wie das Who’s Who der Internationalen Rock- und Popmusik. Darunter so erlauchte Namen wie Joe Cocker, Marius Müller-Westernhagen, David Knopfler, The Animals, Roger Chapman, Rio Reiser, Jethro Tull, Radiohead oder Brian Ferry. Den nachhaltigsten Eindruck hinterlassen hat dabei (nicht nur) bei mir aber “Broken Heroes” von Chris Norman aus dem 88-er Tatort “Gebrochene Blüten”:
Aber die “Midnight Lady” des Ex-Smokie-Sängers aus “Der Tausch” (1986) war auch nicht schlecht. Die Tatsache, dass der Song aus der Feder von Dieter Bohlen stammte, der dann auch noch in einer Nebenrolle zu sehen war, hat dem Film zumindest nicht geschadet. Das war die Episode, an deren Ende ein farbiger amerikanischer Geheimdienstler dem wackeren Hauptkommissar voll auf die Zwölf klopfte. Die Wucht des Schlags ließ Schimanski rücklings in einer Schlammkuhle landen. Unvergessen auf jeden Fall auch Bonnie Tyler’s “Against the Wind” aus “Der Fall Schimanski” (1991). Das war sein letzter als offizieller Tatortermittler. Der Abschied vom Dienst erfolgte standesgemäß. Unter einem Drachen hängend segelt der Bulle i.R. von allen lästigen Pflichten befreit und laut “Scheiße” brüllend zur Melodie über Duisburg – neuen Horizonten entgegen.
Der größte deutsche Schauspieler
Hatten sich viele Kritiker zu Anfang der Tatortreihe noch das Maul zerrissen, sind sie, was die Beurteilung des Lebenswerkes von Götz George angeht, inzwischen des Lobes voll. Man wird sich seiner als größten deutschen Schauspieler nach dem zweiten Weltkrieg erinnern. Das Image des Proll-Cops hat er nie wieder ablegen können, doch wird es der immensen Bandbreite seines Talentes und der Vielseitigkeit seines Wirkens nicht gerecht. Ob als Auschwitz-Kommandant Rudolf Höß (“Aus einem deutschen Leben”), als Massenmörder Fritz Haarmann (“Der Totmacher”), KZ-Arzt Josef Mengele (“Nichts als die Wahrheit”), als Skandalreporter Hermann Willie in “Schtonk!”, einer cineastischen Satire um die gefälschten Hitlertagebücher, als komödiantisches doppeltes Lottchen in der Ost-West-Klamotte “Schulz & Schulz” oder als “Novembermann” und “Sturzflieger” – der mit Preisen und Auszeichnungen überhäufte George hat in mehr als 48 Kino- sowie in über 132 TV-Filmen und -Serien mitgewirkt. Von den vielen Rollen auf Theaterbühnen ganz zu schweigen. Er war Komödiant und Kotzbrocken, Fantast und Actionheld, Bestie, Gutmensch und Kumpel, konnte tragisch sein und lustig, traurig und des Lebens überdrüssig, arrogant, fies, charmant, zickig, sympathisch und unnahbar. Und nicht alles davon war gespielt oder einem Drehbuch geschuldet, sondern real und Ausdruck seiner Persönlichkeit.
Ex-Smokie-Sänger Chris Norman interpretierte mit „Midnight Lady“ den Titelsong zu „Der Tausch“. Er hielt sich sechs Wochen lang als Nr. 1 in den deutschen Charts.
Aber ob Götz George nun, wie ganz zu Anfang seiner Kariere, die Fastnachtsbeichte abgelegt oder die Ferien mit Piroschka verbracht hat, den Schatz im Silbersee suchte, im Fahrstuhl abwärts raste oder als Schwerverbrecher Probek in „Die Katze“ die Polizei an der Nase herumführte, alle diese Geschichten verblassen hinter einer einzigen, unnachahmlichen Figur. Danke Schimi!!