Rotorman's Blog

Die Waschbären und das Sommerloch
Verfahren gegen Tierschützer eingestellt

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Kräftesammeln für das Generieren neuer Schlagzeilen. Der Waschbär taucht in den Medien meist als Badboy auf. Und wenn die Fantasie mit dem Schreiberling durchgeht, ist es bis zur Bestie mit Killerinstinkt nicht mehr weit.- Foto: Huskyherz/Pixabay

Von Jürgen Heimann

Wenn das (Nachrichten-)Loch im sehnsüchtig erwarteten Sommer größer wird und Redakteure in Sorge, wie sie die Zeitungsseiten füllen sollen, verzweifelt an den Enden ihrer virtuellen Bleistifte kauen, ist er oft der Retter in der Not: der Waschbär. Die Kleinpetze, von denen inzwischen deutschlandweit über eine halbe Million Exemplare ihr Unwesen treiben, sind immer für plakative Headlines gut. Schließlich gelten die maskierten Raubsäuger inzwischen als Gefahr für die nationale Sicherheit, sind eine Bedrohung für den Menschen und das Gleichgewicht in der Natur. Das jedenfalls versuchen uns die Medien seit Jahren (erfolgreich) glauben zu machen. Da ist von “Terroristen” die Rede, von Bestien, die Rentner attackieren und ganze Häuser verwüsten. In der Kuriositäten-Hitliste entsprechender Schlagzeilen findet sich auch folgende: “Waschbär legt sich nachts zu Frau ins Bett”. Ein ganz schön schlimmer Finger. Das ist ja schon BILD-verdächtig! Man könnte drüber schmunzeln, wäre die Absicht, die dahinter steckt, nicht so offensichtlich. Hinter den reißerisch aufgemachten und gezielt verbreiteten Horrorgeschichten stecken oft mächtige, von durchsichtigen Eigeninteressen geleitete Lobbygruppen. Dazu zählen auch die Jäger und ihre schlagkräftigen Propaganda-Kohorten in Politik, Verwaltung und Landesverbänden.

Waschbären gehören nun mal zu den exponiertesten und beliebtesten Beuteobjekten der schießenden Waid-Wund-Werker, die ihnen in ambivalenter Hassliebe zugetan sind. Weil das so ist, muss man/frau begründen können, warum diese flächendeckende Zielerfassung so zwingend geboten ist. Denn laut Gesetz dürfen keinem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zugefügt werden. So heißt es in § 1 des zuletzt Ende 2015 aktualisierten Bundestierschutzgesetzes. Aber genau darauf läuft es in der täglichen Praxis hinaus.

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Nicht alle Menschen sehen in den maskierten Kleinpetzen Mordbuben. Es sind intelligente und sensible Tiere mit einem ausgeprägten Sozialverhalten. Eine Schüssel mit Leckerlis im Garten wird da gerne angenommen. Foto: Pipsimv/Pixabay

Bei den mitunter hanebüchenen Erklärungsversuchen bleiben Wahrheit und Wahrhaftigkeit oft genug auf der Strecke, genau wie jene 116.068 “Racoons”, die im Jagdjahr 2014/2015 laut offizieller Jägerstatistik durch Gewalteinwirkung in die ewigen Jagdgründe Einzug hielten. Die Abschussquote lag damit um 20,70 Prozent über der des Vorjahres. Essen möchte man das Bärenfleisch nicht, von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen, und für die Pelze gibt es auch keine Verwendung. Keiner mag sich einen solchen um den Hals wickeln oder sich anderweitig damit schmücken. Also müssen andere “Fakten” her, die eine nachhaltige Verfolgung rechtfertigen.

Killerbären meucheln harmlose Waid-Waldis

Da kam der Märtyrer-Tod, der eine Jagdhündin im Februar vergangenen Jahres in der Uckermark ereilte, gerade recht. Die zehnjährige Hundedame “Flora” war in treuer Pflichterfüllung von einem Waschbären angegriffen und unter Wasser gezogen worden, mussten wir lesen. Sie ertrank jämmerlich, berichteten u.a. Focus und n-tv. Dass Herrchen seine Vierbeinerin zuvor auf die Beute gehetzt und das bedrängte Tier sich dann nur seiner Haut erwehrt hatte, kam in den Berichten nicht so richtig rüber. Und “Floras” Ableben war ja auch kein Einzelschicksal. Der Landesjagdverband Brandenburg berichtet von vier weiteren dramatischen Fällen, bei denen Killerbären harmlose Waid-Waldis attackiert und eliminiert hätten. Waschbären seien äußerst aggressiv und operierten oft in der Gruppe, behaupten die Jagdfunktionäre. Mehrere Angreifer würden den armen Hund durch Bisse in die Flanke zunächst ablenken. Dann springe ein weiterer Waschbär dem Hund auf den Rücken und töte ihn durch gezielte Bisse in Nacken und Kehle. Rotkäppchens böser Wolf und dessen Kumpane sind ein Sch…Dreck gegen diese Meute. Was für Bestien! Entsetzlich!

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Die Aufzucht von Waschbärenbabys, deren Eltern unter die Räder gekommen sind oder denen Jägerkugeln den Garaus gemacht haben, ist ein mühseliges Unterfangen. Die Kleinen danken es den Pflegemüttern und -vätern mit Zuneigung und Vertrauen. Foto: mff

Solche und ähnliche Horrorgeschichten zirkulieren zuhauf im digitalen und gedruckten Blätterwald. Es fällt aber auf, dass es sich oft nur um die Variation eines einzigen Geschehnisses handelt, das dann in den unterschiedlichsten Ausschmückungen die Runde macht. Der ihm zu Grunde liegende Wahrheitsgehalt ist allemal mit Vorsicht zu genießen. Irgendwie erinnert das Ganze auch ein klein wenig an die berühmte Spinne in der Yucca-Palme.

Wer Google bemüht, erhält unter der Suchanfrage “gefährliche Waschbären” 20.100 Treffer. Umgedreht, also unter “Waschbären gefährlich” sind es 65.600 Verweise. 416.000 Einträge gibt es unter dem Strichwort “Waschbären”. Aber das ist nur die Spitze des Eisberges. Was aber beweist, dass der kleine Kerl nach wie vor ein großes Thema ist. Er wird dies in der von Journalisten so gefürchteten “Saure-Gurken-Zeit” auch wieder unter Beweis stellen.

Zwischen Jägermeister und Theodor-Wollf-Preis

Da macht auch die ach so progressive linke Berliner Tageszeitung keine Ausnahme  – und ruft –  „taz-fatz“  – zur Hatz! In dem Spree-Athener Intellektuellen-Blatt darf sich, wir erstarren vor Ehrfurcht,  sogar eine veritable Theodor-Wolff-Preis-Preisträgerin  am Thema abarbeiten. Waltraud Schwab tut das, von jedweder Sachkenntnis unbeleckt, mit der ihr eigenen, als stilistischer Esprit getarnten Einfältigkeit. Neben dem Waschbären gehörten auch Nutria und Mink in den Kochtopf. Die wortgewandte Dame empfiehlt Tierschützern zudem, künftig verstärkt auf Pelzmode zu setzen. Von Pelzen gebe es ja genug – und sie seien draußen in freier Wildbahn umsonst zu haben. Dann würden diese Tiere nicht umsonst sterben und es gebe zudem einen verstärkten Anreiz der Jagd, schrieb sie am 4. August 2016 in einem als „Kommentar“ verbrämten Traktat. Klasse! Die Frau hat sich einen doppelten Jägermeister redlich verdient. Dümmer gehts wirklich nimmer!

Ein Nebeneinander ist möglich

Gegen den Trend haben es die Besonnenen schwer. Jene, die ein differenzierteres Bild von diesen klugen Wesen zeichnen, und dies (natürlich) nicht ganz unbeeinflusst von Sympathie und Empathie tun. Ja, es gibt sie: Waschbärenschützer. Landauf, landab. Dazu zählt beispielsweise auch die inzwischen auf fast 400 Mitglieder angewachsene Gruppe der „Waschbärenfreunde“,  die man auf Facebook findet.  Sie investieren viel Zeit, Geduld und Geld, um beispielsweise verwaiste Tiere, deren Eltern unter die Räder ge- oder eine Jägerkugel abbekommen haben, aufzupäppeln und/oder an geeignete Pflegestellen zu vermitteln. Unsere Tierheime sind dazu meist nicht in der Lage oder auch nicht willens. Die Bärchen-Freunde lassen sich wissenschaftlich begleiten und wirken meist mehr oder weniger im Verborgenen. Ihnen schwebt eine Welt vor, in der Platz für Mensch und Waschbär ist. Ein Neben- , nicht ein Gegeneinander. Es gibt genügend leuchtende Beispiele dafür, dass ein solches möglich ist.

Das Problem ist halt der Homo sapiens, der Gebieter der Welt, der Herr über Leben und Tod. Und wenn der dann noch ein grünes Wams trägt, umso schlimmer. Er hat massive Probleme mit denen, die nicht auf (seiner) Linie sind. Waschbärenschützer werden deshalb oft massiv und übel angefeindet. Nicht nur, indem man den Begriff in An- und Abführung setzt. Das soll suggerieren, dass diese Leute, blauäugig wie sie sind, keine Ahnung von der Materie haben und sich selbst zu Experten aufgeschwungen haben, womit sie aber leben können.

Jägerkampagne gegen Tierschützer

Aber es gibt auch wesentlich krassere Formen des Kampfes gegen verhasste Tierrechtler. Das haben zwei engagierte Bürger aus dem Hessischen Vogelsbergkreis bzw. aus Marburg zu spüren bekommen. Wir reden hier nicht von (Be-)Drohungen und Beleidigungen, die inzwischen schon an der Tagesordnung zu sein scheinen. Die Lauterbacher Jägervereinigung und der Deutsche Jagdverband hatten im Sommer/Herbst vergangenen Jahres mit Unterstützung des LJV Hessen gegen die beiden eine beispiellose Verleumdungs- und Rufmordkampagne → inszeniert, die in einer Strafanzeige wegen Vortäuschen einer Straftat und Irreführung der Behörden gipfelte.

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Viererbande: Ab einem gewissen Alter benötigen junge Waschbären ein gesichertes Gehege, das ihnen genügend Auslauf sowie Möglichkeiten zum Klettern und Verstecken bietet. Foto: mff

Vorwurf: Die Tierschützer sollten Ostern 2015 in einem Privatpark im Lauterbacher Stadtteil Sickendorf das bestialische Abschlachten zweier Waschbärenmütter fingiert (wenn nicht sogar selbst vorgenommen) haben. Dies nur zu dem Zwecke, nicht nur die Jagdausübenden der Region, sondern die Jagd allgemein und als solche in Misskredit zu bringen. Zu diesem Zeitpunkt befand sich die organisierte Weidmann- und -frauschaft gerade in einem verzweifelten Abwehrkampf gegen die neue Hessische Jagdverordnung. Es gelang ihr dabei allerdings nicht, alle ihre Privilegien in die neue Zeit herüber zu retten.

Vorwürfe gegenstandslos – Verfahren eingestellt

Der Fall Sickendorf war ein gefundenes Fressen für die Medien. Wobei die Rollen, die beispielsweise die Polizei in Lauterbach oder das örtliche Veterinäramt spielten, so rühmlich nicht waren. Die beiden →Behörden gaben während der laufenden Ermittlungen Interna wie Personalien, Passagen aus Vernehmungsprotokollen oder tiermedizinische Untersuchungsergebnisse gezielt an die Jäger weiter, die diese “Exklusivinformationen” für ihre “Öffentlichkeitsarbeit” nutzten, um die Glaubwürdigkeit der Gegenseite zu untergraben.

Die “Story” wurde breit gestreut – und aufgegriffen. Die beiden Beschuldigten sahen sich deutschlandweit an den Pranger gestellt – in den Zeitungen, im Internet, in Rundfunk und Fernsehen. Die Sache wurde ganz im Sinne der Jäger weidlich und weidgerecht ausgeschlachtet. Auf den Webseiten der Anzeigenerstatter las sich das Ganze dann aber immer noch einen Tick schriller. Freude und Siegesgewissheit wuchsen, als das Landgericht Marburg eine von den Tierfreunden angestrengte einstweilige Verfügung gegen den DJV ablehnte. Aber die Sache sollte für die klagenden Jagenden letztlich ausgehen wie das Hornberger Schießen. Die Staatsanwaltschaft Gießen ließ sich da nichts vormachen und stellte das angestrengte Verfahren gegen die angeblich so kriminell veranlagten Tierschützer ein  – weil an den gegen sie erhobenen Vorwürfen nix dran war bzw. sich diese auch nicht nur ansatzweise beweisen ließen.

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Kaum vorstellbar, dass dieses kleine Kerlchen sich mal zum Terroristen entwickeln wird. Foto: mff

Für die zu Unrecht Diffamierten eine späte Genugtuung, für die für die Diffamierungskampagne Verantwortlichen ein “Schuss ins Brötchen”. Peinlich. Aber darüber haben sie natürlich bislang kein Wort verloren. Die Ermittlungsverfahren wegen der Strafanzeigen seien noch nicht abgeschlossen, heißt es seit Monaten unverändert und wider besseres Wissen auf den Webseiten der Jäger. Vielleicht setzt man zu viel Anstand voraus, wenn man erwartet, dass hier auch der Schluss der Geschichte erzählt wird – auch wenn es kein Happy-End im Sinne der Pirschgänger war.

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