Rotorman's Blog

Darauf eine Buddel Rum! Turbulenter
Piraten-Showdown beschließt die Saison

Gegen ihn macht Jack Sparrow keinen Stich: Andreas Lichtenberger alias Long John Silver. Der gerissene Maritim-Gauner und seine phantasievoll gewandeten „Funkenmariechen“ brachten Stimmung in den Saal. Foto: Spotlight

Von Jürgen Heimann

Vergessen wir mal den Fluch der Karibik. Die Bewohner der gottverlassenen Schatzinsel haben es eh  besser drauf. Und ihr Held heißt in Wahrheit auch nicht Johnny Depp sondern Friedrich Rau. Das ist jener junge Mann aus Jena, der irgendwann vor ein paar Jahren wie aus dem Nichts auf den Musicalbühnen dieser Republik aufgetaucht war und seitdem einen Erfolg nach dem anderen einsammelt. Und der trotz aller Höhenflüge nie die Bodenhaftung verloren hat. Dabei wollte er nie zum Musiktheater, sondern sich schlicht und ergreifend nur als Sänger durchschlagen. Gut, dass es anders kam.

In der Domstadt Fulda ist Rau seit zwei Jahren der Publikumsliebling Nr. 1. Spätestens  seitdem er sich hier 2016 zum Medicus hatte ausbilden lassen. Den Grundstein für seine Karriere in Osthessen hatte der Künstler bereits im Jahr zuvor gelegt, und zwar als Robert Louis Stevenson. Ob er genauso gut schreiben und sich Geschichten ausdenken kann wie einst der berühmte schottische Schriftsteller, wissen wir nicht. Aber besser singen, tanzen und spielen als der geistige Vater von Long John Silver kann er allemal.

Ein fulminantes Piraten-Epos

Ein Seebär wie aus dem Bilderbuch. Billy Bones (Frank Logemann) quartier sich im „Admiral Benbow“ ein. In seiner geheimnisvollen Kiste verbirgt er die Karte der Schatzinsel. Frau Wirtin (Anna Thorén , die verwitwete Mrs. Hawkins, ist auf jeden zahlenden Gast angewiesen. In der zwieten Erzählebene füllt sie die Rolle der Fanny mit viel Esprit und Spielfreude aus. Foto: Spotlight

Das hat der Tausendsassa im inzwischen abgehakten Fuldaer Musicalsommer 2018 erneut eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Als Rob Cole in der englisch-persischen Emergency-Room-Adaption und eben als Held der Schatzinsel, die viele nach wie vor, warum auch immer, für ein Kinderstück halten, was sie aber definitiv nicht ist. Trotz dieser weit verbreiteten Fehleinschätzung ist die Inszenierung der hiesigen Spotlight-Musicals-GmbH ein ständig ausverkaufter Selbstläufer. Aber an proppenvolle Säle im Schlosstheater ist man hier ja sowieso gewöhnt.

In Fulda „everybody’s darling“: Friedrich Rau als (zunächst erfolgloser) Schriftsteller Robert Lois Stevenson. Aber er macht seinen Weg – im Stück selbst wie im realen Leben. Foto: Spotlight

Ein fulminantes Piraten-Epos, bei dem Regisseur Stanislav Slovak und Choreograf Michal Matej ganz tief in die Trickkiste gegriffen und gegenüber den Vorgängerversionen sogar noch eins draufgesetzt haben. Das gilt für Bühnenbild und Kostüme ebenso wie für das Licht- und das Sounddesign. Nach der Päpstin und dem Medicus haben Produzent Peter Scholz und Komponist Dennis Martin, die beiden kreativen Köpfe hinter Spotlight, mit dem spannenden farbenprächtigen Maritim-Spektakel einen bis dahin sowieso schon perfekten Musical-Sommer krönen können.  Alle guten Dinge sind ja bekanntlich drei.

Zwei Handlungsebenen geschickt miteinander verwoben

Das Außergewöhnliche an diesem Bühnen-Hit ist die Erzähltechnik. Die Story funktioniert auf zwei verschiedenen Handlungsebenen, die mitunter fließend ineinander übergehen. Gegenstand ist einmal die Lebensphase, in der der Autor seine berühmte Schatzinsel aus den Wellen der Karibik hat auftauchen lassen und die Suche nach den Klunkern zu Papier gebracht hatte. Parallel dazu erwachen Käpt’n Flint, Long John Silver und Jim Hawkins, der in der Romanvorlage (Originaltitel: Treasure Isand) als Ich-Erzähler auftritt, und alle anderen aus dem Buch zum Leben. Und ziehen ihr Ding durch.

Er führt das Kommando: Reinhard Brussmann (rechts) entpuppte sich als großer Gewinn für die Produktion. Seine Rolle als Käpt’n Smollet hatte sich der Österreicher in gerade mal sieben Tagen reingezogen – und die des Vaters von Louis Stevenson gleich mit. Hier erklärt er Richter Squire Trelawney (Kristian Lucas) gerade, wer an Bord der „Hispaniola“ das Sagen hat. Foto: Spotlight

Die Übergänge zwischen den beiden Strängen haben die Macher hervorragend angelegt. Die Wechsel gelingen reibungslos und geschmeidig. Sie stören den Erzählfluss nicht, sondern beflügeln ihn. Da mutiert der gestrenge alte Herr des kleinen Louis in Sekundenbruchteilen zu Käpt’n Smollet, während sich der aufgeweckte kleine Loyd in seine fiktive Entsprechung Jim Hawkins verwandelt. Der lange vom Erfolg gemiedene Schriftsteller (Friedrich Rau) taucht nach dem Sprung in der Zeit zurück t als Dr. Livesey wieder auf und gibt daselbst nebenbei auch noch den Gollum-haften Ben Gunn.

Das macht ganz einfach Spaß!

01-27 Die Schatzinsel

Die vielen Gesichter des Friedrich Rau. Er ist auf der Schatzinsel zurückgeblieben und in deren Einsamkeit durchgedreht. Foto: Spotlight

Das ist Entertainment par Excellence, Unterhaltung vom Feinsten, die einfach Spaß macht und  mitreißt. Präsentiert von einem der spielfreudigsten Ensembles der Saison. Und das, obwohl viele der Beteiligten zu diesem Zeitpunkt im selben Haus schon zwei Produktionen hinter sich hatten, nämlich die Päpstin und den Medicus. Und wenn das dem ein oder anderen auf die Knochen gegangen sein sollte, die Zuschauer merkten nichts davon. Aber sie merkten, dass das Ganze den Akteuren offensichtlich riesige Freude bereitete. Ihnen selbst ja auch. Da wurde auf der Stage der berühmte Funke gezündet, der übersprang.

Das Stück lebt nicht nur von der starken Geschichte und ihrer einfallsreichen, kreativen  Bühnenadaption, sondern vor allem von den Personalien. Neben dem erwähnten Friedrich Rau, der ob seiner warmen Stimme und seines ausdrucksstarken, intensiven Spiels von der ersten Sekunde an „everybody‘s Darling war“, macht Anna Thorén als Amerikanerin Fanny Osbourne, in die sich der Autor verliebt, eine Top-Figur. Deren Sohn Lloyd inspiriert den Schreiberling zu seiner Erfolgsgeschichte.

Der Junge, der ein Mädchen war

Andreas Lichtenberger ist ein Pirat wie aus dem Bilderbuch. Egal, ob er nun den fiesen Flint, oder den einbeinigen Silver  gibt. Hat er sich als letzterer erst einmal eingehumpelt, gibt es kein Halten mehr. Einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen die Darsteller des kleinen Lloyd , in dessen Rolle im Wechsel Kinder im Alter zwischen 10 und 12 Jahren schlüpfen. Und dass hinter der Maske, wie im Fall der zwölfjährigen Anna Maria Eichler geschehen, zur Überraschung des Publikums ein Mädchen zum Vorschein kommt, ist umso bemerkenswerter.

01-04 Die Schatzinse

Autoritär und beherrschend: Roberts Papa (Reinhard Brussmann) hält rein gar nix von den Plänen seines Juniors , der, statt in einer Anwaltskanzlei zu arbeiten, sein Brot lieber als Schriftsteller verdienen will. Was sich zunächst als gar nicht so einfach erweist. Foto: Spotlight

Der größte Gewinn für die Inszenierung kam aber in Gestalt von Reinhard Brussmann daher. Der  österreichische Haudegen hatte sich seinen Part – streng genommen waren es derer ja zwei, weil er auch noch in die gestrenge Vaterrolle des jungen Stevenson schlüpfte – in gerade mal sieben Tagen reingepfiffen, legte dann aber einen Käpt’n Smollet hin, als hätte er sein ganzes Bühnenleben hindurch nichts anderes getan. Zuvor hatte Brussmann in den beiden anderen Stücken des Musicalsommers große Fußspuren hinterlassen. Einmal wieder als weiser Heilprofessor Ibn Sina in „Der Medicus“, und dann erstmals als „Aeskulapius“ in „Die Päpstin“. Die Figur dieses griechischen Gelehrten war in den bisherigen Aufführungsstaffeln  eher untergegangen, durch Brussmann legte sie massiv an Gewicht und Bedeutung zu.

Volle Punktzahl für Reinhard Brussmann

Und jetzt also  als Schiffskommandant. Man darf getrost unterstellen, dass der Künstler  von Sextanten, Chronometern, Astro- und Koppelnavigation genau so viel versteht wie ein Bewohner der Sahelzone vom technischen Innenleben eines Kühlschrankes. Aber er mimte den Boss an Bord so überzeugend, als sei er auf den Planken einer zwischen Jamaika und den Kaimanninseln kreuzenden  Schaluppe  zur Welt gekommen. Das „Ich bin das Kommando“  zählt in Brussmanns Interpretation zu den Highlights der an Ohrwürmern nicht gerade armen Partitur. Für letztere zeichnete wieder „Hauskomponist“ Dennis Martin verantwortlich. Ein Mann, von dem man sich immer wieder  fragt, aus welchen (offenbar nie versiegenden) Quellen er seine Melodien schöpft. Er hat dem Stück tolle, und abwechslungsreiche Songs spendiert, eingängig, treibend und emotional dicht. Die Lieder wirken lange nach. Hei-Hoo, Hei-Hoo! Darauf eine Buddel mit Rum! Zum Wohl!

01-29 Die Schatzinsel

The Pirates Song: Die Seeräuber stochern im Nebel. Choreograf Michal Matej seinen Seebären und Seebärinnen ein fantasievolles Bewegungsvokabular buchstabiert. Foto: Sportlight

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