Rotorman's Blog

Hirzenhain: Das Grab des toten Fliegers
Verwahrlost, verfallen und vergessen

Gepflegt geht anders. Die letzte Ruhestätte des in den letzten Kriegstagen am Rettungsschirm ermordeten deutschen Piloten Willi Ehrecke. Die Schrift auf dem Grabstein ist kaum mehr zu entziffern. Immerhin hat sich in den vergangenen Tagen jemand erbarmt und das zerfledderte, noch vom Volkstrauertag 2019 übrig gebliebene Bukett entfernt.

Von Jürgen Heimann

Für Soldatengräber gelten Liegefristen auf den Friedhöfen nicht. Diese Ruhestätten genießen quasi Bestandsschutz. Es sind Orte des Erinnerns und der Mahnung für Frieden, gegen Krieg und Gewalt. In Hirzenhain gibt es zwei davon. In einem dieser Gräber ist ein Jüngelchen von 21 Jahren aus dem Brandenburgischen Breitenfeld bestattet. Es war Opfer eines feigen Kriegsverbrechens geworden. Aus seinem brennenden Düsenjäger, einer Me 262, mit dem Rettungsschirm abgesprungen, hatten ihn drei US-amerikanische Jabo-Piloten am Himmel Hirzenhains unter Feuer genommen, als er hilflos der Erde entgegen schwebte. Viele Einwohner waren Zeuge dieser abscheulichen, barbarischen Tat. Niemand im Ort kannte Willi Ehrecke, aber fast das ganze Dorf war auf den Beinen, als der ermordete Flugzeugführer am 25. März 1945 zu Grabe getragen wurde.

Das ist lange her. 75 Jahre. Seitdem ist viel Wasser den Breitebach hinunter geplätschert. Die Zeit hat den Schleier des Vergessens über den Vorfall und das Opfer gelegt. Die von einer Hirzenhainerin Jahrzehntelang liebevoll und ehrenamtlich gepflegte Grabstätte ist, seitdem die Frau dahingehend aus gesundheitlichen Gründen kürzer treten musste, total verwahrlost, die Schrift auf dem Grabstein nahezu unleserlich und verblasst. Niemand fühlt sich offensichtlich mehr zuständig, auch die Gemeinde nicht. Aber gerade sie ist es! Also zuständig. Da gibt es keine Zweifel. Das bereits 1952 erlassene deutsche Gräbergesetz (GräbG) weist den jeweiligen Kommunen eindeutig diese Aufgabe zu.

17 Soldatengräber in Eschenburg

Und damit die Kommunen nicht ganz auf den Kosten sitzen bleiben, erhalten sie für die Unterhaltung aus Bundesmitteln sogenannte „Pflegepauschalen“, die über die Länder ausgeschüttet werden. 38,4 Millionen EUR waren es in 2018. In Hessen hat das Innenministerium die Beträge im vergangenen Jahr neu festgesetzt. So fließen nach Auskunft des Regierungspräsidiums in Gießen pro Jahr und Einzelgrab 23,50 EUR, auch nach Eschenburg. 17 Soldatengräber gibt es hier insgesamt. An der letzten Ruhestätte des toten Fliegers Ehrecke lässt sich jedoch ablesen, dass die Mittel nicht immer und überall zweckgebunden eingesetzt werden.

Gemeinde kassierte Jahrzehnte für private Grabpflege

Und damit noch nicht genug. Besagte Hirzenhainerin, die sich bis vor zwei Jahren um die letzte  Ruhestätte des gemeuchelten Piloten kümmerte, hat nie aber auch nur einen einzigen Cent aus diesem Topf als kleine Aufwandsentschädigung gesehen. Das Geld hat sich die Gemeinde immer und stillschweigend selbst unter den Nagel gerissen.

Die Billiglösung. Um das zweite Soldatengrab auf dem Hirzenhainer Friedhof braucht sich die Gemeinde jedenfalls nicht mehr zu kümmern. Das hat man kurzerhand und lieblos mit „pflegeleichten“ Gesteinsbrocken zugepflastert. Nicht schön, aber wohl praktisch. Da braucht keiner mehr Unkraut jäten oder Blümchen zu gießen.

Der hiesige VdK, der bis 2018 auf dem Friedhof die Gedenkfeiern zum Volkstrauertag organisierte, hat sich bei diesen Anlässen immerhin  stets und artig bei der Frau für deren Arbeit bedankt. Diese zu würdigen, war dem früheren Vorsitzenden eine Herzensangelegenheit. Die Honoratioren und Offiziellen fanden dann bei diesen Feierstunden auch gesetzte und wohlformulierte Worte, was man dem Gedenken der Gefallenen schuldig sei. Nur: Taten folgten diesen Plattitüden zuletzt leider keine mehr.  Ein Dillenburger Geschäftsmann hatte  Mitte der 90er Jahre tausend Mark gespendet, damit die mehr und mehr zerfallene Ruhestätte wieder in einen ordentlichen Zustand versetzt werden konnte.

Große Sprünge lassen sich mit den 23,50 EUR, die der Bund über das Land für die Grabpflege ausschüttet, natürlich nicht machen. Erwarten könnte man aber doch zumindest, dass die Gemeindeverwaltung den Betrag auch tatsächlich dafür einsetzt, wofür er gezahlt wird. Wenn sich schon kein Dummer mehr findet, der ihr diese Aufgabe abnimmt. Fairerweise muss man jedoch sagen, dass die Pflege des hiesigen Friedhofs als Gesamtanlage sonst keine Wünsche offen lässt. Die obliegt u.a. einem Privatunternehmen, dessen Mitarbeiter sich um die Freiflächen, Bäume und Hecken kümmern. Und das kostet natürlich auch Geld. Geld, das an anderer Stelle nicht da sein soll?  Angesichts eines (ausgeglichenen) Eschenburger Friedhofsetats in Höhe von 127.500 EUR eigentlich kaum vorstellbar. Das kommunale Friedhofswesen trägt sich durch Beiträge und Gebühreneinnahmen von selbst.  Da müssten doch ein paar Euro für die Pflege von Soldatengräbern locker drin sein.

 Die Inschrift ist nahezu unleserlich

Willi Ehrecke, damals gerade mal 21 Jahre alt, wurde am 21. März 1945 am Himmel über Hirzenhain Opfer eines feigen Kriegsverbrechens. Drei US-amerikanische Jagdbomber-Piloten nahmen den Mann in die Zange und unter Feuer, während er hilflos am Rettungsfallschirm der Erde entgegen schwebte.

Ehreckes Grab bedarf einer dringenden Sanierung. Vor allem der Gedenkstein ist so verwittert, dass man das, was draufsteht, nur erahnen kann. Das wäre doch vielleicht mal eine sinnvolle Aufgabe für den Hirzenhainer „Förderverein“, der, wie zu hören ist, auch nicht gerade am Hungertuch nagt und dessen Kassen gut gefüllt sind. Aber von dieser Seite wird wohl kaum etwas zu erwarten sein. Ein Vorstandsmitglied dieses erlauchten und seinerzeit aus dem einstigen „Hirzenhainer Härtefonds“ hervorgegangenen Gremiums soll sich, als Mitglied des Ortsbeirates, Zeugen zufolge und (wie so oft) in völliger Unkenntnis der (Rechts-)Lage in einer Sitzung einmal wie folgt geäußert haben: Man solle das Grab doch einfach platt machen. Das koste nur Geld. Andere Gräber auf dem Friedhof würden ja schließlich auch nach 25 Jahren eingeebnet. Noch Fragen?

Pflegeleichte Billiglösung

Immerhin hat sich jemand, wer auch immer, in den vergangenen Tagen erbarmt und das noch vom Volkstrauertag des vergangenen Jahres übriggebliebene und im Laufe der Zeit vergammelte Blumenbukett abgeräumt.  Wie eine Billiglösung aussieht, ist auf dem zweiten, oberhalb davon gelegenen Hirzenhainer Soldatengrabs zu besichtigen. Das hat man kurzerhand und lieblos mit „pflegeleichten“ Gesteinsbrocken zugepflastert. Nicht schön, aber wohl praktisch. Da braucht keiner mehr Unkraut jäten oder Blümchen zu gießen.

Noch kurz zum Schicksal dessen, der unterhalb davon seine letzte Ruhe gefunden hat. Willi Ehrecke war mitnichten eine große Nummer unter den großdeutschen Jagdfliegern. Dafür fehlten ihm ob seines Alters ganz einfach auch Praxis und Erfahrung. Man hatte ihn nach einer Schnellausbildung  Hals über Kopf ins Cockpit dieses als „Wunderwaffe“ gepriesenen und düsengetriebenen „Sturmvogels“ gesetzt. Gemeinsam mit fünf weiteren Jet-Me’s, die zur 1. Staffel der I. Gruppe des bei Giebelstadt in der Nähe von Würzburg stationierten Kampfgeschwaders K 54 gehörten, war er in 3000 Metern Höhe über Manderbach/Frohnhausen in Luftkämpfe verwickelt worden. Ihm und seinen Mitstreitern gegenüber zehn bis zwölf P-47-Begleitjäger eines Bomberpulks, der es vermutlich auf Kassel abgesehen hatte. (Jabos dieses Typs waren es auch, die zwei Tage später den Eschenburg-Turm in Brand schießen sollten). Ehreckes Flugzeug kassierte mindestens einen schweren Treffer und drehte, dichte Rauschschwaden hinter sich herziehend, nach Osten ab. Notausstieg unweit von Hirzenhain, und dann nahm das Schicksal seinen Lauf. Siehe oben.

Ein einfaches und leicht zu treffendes “weiches” Ziel

Für die drei angreifenden US-Piloten war die am Fallschirm hängende Gestalt ein einfaches und leichtes Ziel. Hirzenhainer Buben beobachten, wie sich der getroffene Pilot unter den Einschlägen zusammen krümmte. Dann hing er reglos in den Fangleinen. Eine Junge, der zufällig in der Nähe war, hatte die Gestalt in Höhe des den Hirzenhainern als „B-Kopf“ bekannten Geländestreifens am Eiershäuser Hang kurz vor dem Aufprall am Boden noch auffangen können, doch hier kam jede Hilfe zu spät. Willi Ehrecke war vermutlich innerlich verblutet. In den Taschen des toten Unteroffiziers (Erkennungsmarken-Nummer 67412/419) fand man neben einem Zigarettenetui und einem leeren Notizbuch einen Trauring und einen Siegelring aus Edelstahl, beide mit den Initialen „W.H“. Was den Schluss nahelegt, dass er zumindest verlobt war.

Die führerlose, brennende Me 262 war nach dem Ausstieg des Flugzeugführers in Richtung Roth getrudelt und unter lautem Getöse in einer Fichtenschonung im Eibelshäuser Gemarkungsteil „An der Burg“ unweit des Geländepunktes, den die Ortsansässigen „Eierbank“ nennen, zerschellt. An einer Mulde im Erdreich ist die Absturzstelle heute noch gut zu erkennen. Sie wurde in Folge zum Anlaufpunkt ungezählter Sammler und Souvenirjäger. Noch Jahrzehnte nach dem Crash wurden hier Wrackteile der Maschine gefunden.

Das Kriegsverbrechen ist nie gesühnt worden

Die „Sturmvogel“ genannte Me 262 (hier ein Nachbau) war der erste in Serie gefertigte Düsenjäger der Welt. Die Alliierten fürchteten diese Jets wie der Teufel das Weihwasser. Deshalb gab es für havarierte Piloten dieses Jets auch keine Gnade. Foto: Wilfried Birkholz

Gesühnt werden konnte die furchtbare Tat, die jedweden Vorstellungen vermeintlicher Ritterlichkeit unter Fliegern Hohn sprach, nie. Bekannt ist nur, dass die amerikanischen Thunderbolt-Flugzeuge zur 9. Luftflotte der US Army Air-Force gehörten. Die 404th Fightergroup hatte an diesem Tag Angriffe gegen Eisenbahnwagen zwischen Sechshelden und Haiger geflogen und das Haigerer Bahngelände mit Bomben eingedeckt. Dabei wurde der Bahnhof zerstört. Acht P-47 der 53th Sqadron der 36th Fightergroup griffen hinter Driedorf in Richtung Herborn einen Wehrmachtstransportzug an und zerstörten dabei eine Lok. Auf der Straße von Münchhausen nach Seilhofen attackierte dieselbe Einheit drei Lastwagen, während auch ein Haus in der Altstadt von Herborn zahlreiche Treffer abbekam. Die Verwüstungen waren so erheblich, dass die in dem Gebäude untergebrachte Post in die Aula der Hohen Schule verlegt werden musste. Diese Informationen entstammen dem vom „Arbeitskreis Luftkrieg“ des Herborner Geschichtsvereins herausgegebenen Buch „Der Luftkrieg im Dillgebiet“, der umfassendsten Dokumentation dessen, was sich zwischen 1939 und 1945 am Himmel unserer Region (und darunter) ereignet hat.

Doch die Erkenntnisse und Forschungsergebnisse waren zu dürftig, um jene, die Willi Ehricke auf dem Gewissen haben, im Nachhinein zu ermitteln und zur Rechenschaft zu ziehen. Möglicherweise wollte man das ja auch gar nicht. Gelegenheit verpasst. Aber die Gelegenheit, dem Opfer dieses grausames Aktes im Nachhinein Respekt zu erweisen, besteht eigentlich immer noch.  Die Gemeinde Eschenburg nutzt sie jedoch nicht. Ein Trauerspiel.

 

 

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