Für einen militanten Teil der 7300 Demonstranten, die am Samstag vor Weihnachten im Hamburger Schanzenviertel aufmarschiert waren, war die Forderung nach Erhalt des Kulturzentrums „Rote Flora“ nur ein Vorwand. Und die Themen Bleiberecht für die Flüchtlinge und/oder Gentrifizierung (Räumung der Esso-Häuser )dürften diesen kriminellen Krawallos völlig egal gewesen sein, aber sie boten ihnen einen willkommen Anlass. Die Hansestadt hatte an diesem 21. Dezember die heftigsten Straßenschlachten zwischen Polizei und Protestlern seit Jahren erlebt. Es herrschte Bürgerkrieg.
Der „Frontverlauf“ zwischen vermeintlichen „Sicherheitskräften“ einer- sowie Demonstranten andererseits ist und war undurchsichtig. Da gab es auf Seiten der Protestler friedliche, engagierte Bürger, Angehörige von Stadtteilinitiativen etwa, die gegen Missstände opponieren, und da gab und gibt es die zu exzessivster Gewalt entschlossenen militanten, teils von weit angereisten „Streetfighter“ des „Schwarzen Blocks“, die sich eben unter erstere mischten. Alte Guerilla-Taktik übrigens.
Das Dilemma ist, dass die Polizei, zumindest die von Hamburg, eben nicht zwischen den einen und den anderen unterscheidet, kann oder will. Das ihr gegenüber stehende Lager ist per se der „Feind“, den es mit allen Mitteln nieder zu kämpfen gilt. Und wenn es dann halt ein paar Falsche trifft, wird das als Kollateralschaden hin und bewusst und billigend in Kauf genommen. Zumal man ja selbst, durch die Anonymität der Einheit geschützt, keinerlei Konsequenzen fürchten muss. Na prima. Dass der Fisch aus dem Maul zuerst stinkt, mag die Tatsache belegen, dass auf Seiten der „Ordnungshüter“ ausgerechnet ein Hardliner, der noch aus Zeiten des unseligen Innensenators Ronald „Kokain“ Schill übrig geblieben ist, mit der Einsatzleitung betraut war: http://www.spiegel.de/panorama/debattenbeitrag-zu-ausschreitungen-in-hamburg-a-941360.html
Der Beitrag belegt andererseits, dass „DER SPIEGEL“, was die Beurteilung der Situation und der Hintergründe angeht, hier sehr wohl zu differenzieren weiß, im Gegensatz zu den Herren in den Einsatzstäben und ihren Claqueuren aus den Funktionärsetagen der Polizeigewerkschaften. Die Medien berichten oft auch sehr einseitig, zumal ihre erste Informationsquelle nicht selten die Pressestelle der Polizei ist. Der Fernsehsender n-tv hat in einem überraschend kritischen Beitrag deren Vorgehen und Taktik hinterfragt und beleuchtet: http://www.n-tv.de/politik/politik_kommentare/Was-alles-nicht-gesagt-wird-article11969856.html
War die Eskalation geplant?
Die Eskalation mag vorprogrammiert gewesen sein – und war offenbar auch geplant. Gewalt gegen Polizisten ist aber ebenso wenig tolerierbar wie solche gegen Demonstranten, vor allem wenn sich diese sich nichts zu Schulden haben kommen lassen, außer vielleicht, dass sie eine andere Meinung als die herrschende vertreten und von radikalen Straßenkämpfern eventuell als Schutzschilde missbraucht bzw. unterwandert werden. Aber wenn unsere Polizei da keinen Unterschied mehr macht oder machen kann, ist dies ein Armutszeugnis. Das fördert die Demokratie- und die Staatsverdrossenheit und untergräbt das Vertrauen in den Rechtsstaat, von dem man sich nach den jüngsten Ereignissen an der Alster fragt, ob es einen solchen überhaupt noch gibt. De-Eskalation scheint eine Phrase, die allenfalls für Sonntagsreden taugt, aber nicht gelebt bzw. praktiziert wird.
Wenn behelmte, uniformierte Stoßtrupps, wie geschehen, eine dicht gedrängt stehende Menge, darunter auch Eltern mit kleinen Kindern, attackieren, diese zusammenquetscht und unterschiedslos mit Knüppeln und Pfefferspray beharkt – auf so etwas hatten die unter diesen Demonstranten lauernden „Schwarzblock‘ler“ doch nur gewartet, um ihrerseits alle Register einer sinnlosen Gewalt zu ziehen – fragt man sich schon, was damit eigentlich bezweckt werden sollte. Zumindest eines nicht: auf diese Art und Weise eine brenzlige Situation zu bereinigen. Das sieht mir eher nach Öl ins Feuer gießen aus. Aber zu welchem Zweck? Steht dahinter ein „großer“ Plan, der sich einem (noch) nicht erschließt? Oder handelt es sich bei den dafür verantwortlichen Polizei-Kommandeuren um Leute, die man aufgrund ihres persönlichen, fachlichen und sittlichen Reifegrades eigentlich noch nicht einmal mit der Verkehrsregelung in einer kleinstädtischen Fußgängerzone betrauen dürfte, statt sie mit einem Blankoscheck auszustatten, der sie Kraft eigener Selbstherrlichkeit in die Lage versetzt, über die leibliche Unversehrtheit Tausender von Mitbürgern, die der eigenen Leute inklusive, zu entscheiden?
http://www.taz.de/Demo-fuer-Erhalt-der-Roten-Flora/!129830/
Überfordert oder instrumentalisiert?
Gretchenfrage: Ist die Polizei mit solchen Lagen schlichtweg überfordert, oder lässt sie sich instrumentalisieren? Die schrecklichen Bilder jenes denkwürdigen 21. August, als eine entfesselter, prügelnder Uniformierten-Mob beim Champions-League-Hinspiel zwischen Schalke 04 und PAOK Saloniki in Gelsenkirchen unter den Fans der Gastgeber wütete, drängen sich auf. Da wurden nebenbei, dummer Zufall, auch biedere, friedfertige Zuschauer mit Schlagstöcken niedergeknüppelt und mit Pfefferspray außer Gefecht gesetzt, nur weil sie vieleicht zur falschen Zeit am falschen Platz standen. Vorgeblich wollten die Staatsmacht – meist Angehörige von sogenannten USK’s (Unterstützungskommandos) oder BFE‘s (Beweissicherungs- und Festnahmeeinheiten) – aber gewaltbereite Ultras zähmen, die eine vermeintlich „verbotene“ mazedonische Fahne gehisst hatten. Hallo?
Die meisten Opfer waren gar keine Hooligans. Das scheint mir sowieso eine Art Alibi-Etikett zu sein, das in den Stadien zunehmend als Freifahrtschein dafür verstanden wird, um sinn- und wahllos um sich schlagen und die eigenen Gewaltfantasien endlich mal ausleben zu dürfen. Die Begründungen und Rechtfertigungen für ein solch rigoroses, ja Menschen- und Bürger-verachtendes Vorgehen, fallen zumeist ziemlich lahm, ja abenteuerlich aus. Aber die Gewalt in unseren Fußball-Arenen, und das gilt für die von den Ultras ausgehende, als auch von der Polizei praktizierte, ist wieder eine ganz andere Baustelle.
Schwarz und Weiß
Die Ereignisse in Hamburg lassen keine Schwarz-Weiß-Skizzierung zu. Die Grenze zwischen Gut und Böse ist oft fließend. Eine Woche nach den Krawallen sollen Autonome die David-Wache auf der Reeperbahn überfallen und mehrere Beamte schwer verletzt haben, hatte es zunächst in einer offiziellen Verlautbarung der Polizei-Pressestelle geheißen. Später musste diese einräumen, dass sich das Geschehen doch etwas anders abgespielt hatte: http://www.spiegel.de/panorama/justiz/angriff-auf-davidwache-zweifel-an-darstellung-der-polizei-a-942235.html
Und es kommen immer mehr Details ans Licht, die zu belegen scheinen, dass sich die Dinge bei diesem angeblichen “Überfall” auf die Davidwache wohl ganz, ganz anders abgespielt haben, als von offizieller (Polizei-)Seite dargestellt:
Aber genau dieser angebliche Überfall lieferte der Polizei dann den Vorwand, mehrere Stadtteile zum „Gefahrengebiet“ zu erklären. Sie darf dann hier verdachtsunabhängig kontrollieren, Platzverweise erteilen und Menschen in Gewahrsam nehmen. Sie selbst gibt sich diese Rechte. Kein Gericht.
Zumindest auf Seiten der Polizei, deren „Truppen“ doch dafür ausgebildet sind (oder es zumindest sein sollten), in solche Lagen wie der am 21. Dezember umsichtig und möglichst de-eskalierend zu agieren (was ja in der Vergangenheit auch funktioniert hat), sollte man entsprechendes und adäquates Handeln voraussetzen können und auch einfordern dürfen. Leider ist das nicht der Fall. Und schon werden auf beiden Seiten, der der Polizei und der Autonomen, Szenarien für möglich gehalten, in denen Schüsse fallen. Was hoffentlich nie passiert. Aber wenn, dann ist es bis zur Legendenbildung und Märtyrer-Erschaffung nicht mehr weit. Da wird aus der asozialen, gewaltexzessiven Dumpfbacke, die es vielleicht getroffen hat, schnell ein Freiheitsheld mit hehren moralischen Motiven, während der Bundespräsident der Witwe des in Ausübung seiner Pflicht bei der Verteidigung des Rechtsstaates und unserer Freiheit „gefallenen“ Schutzmannes persönlich kondoliert. Alles schon dagewesen.
Zweifelhafter Korpsgeist
Dass die militanten Bombenleger, die anstelle von Muttermilch mit Molotow-Cocktails aufgezogen worden sein mögen und die nur von der Lust an Gewalt und Zerstörung getrieben werden, ihr Handeln nicht hinterfragen, müssen wir hinnehmen. Die Fähigkeit zur Selbstreflektion bedingt halt nun mal ein gewisses Maß an geistiger Integrität Doch von unserer Staatsmacht erwarte ich so etwas ganz einfach. Und das schließt eine rechtliche Aufarbeitung mit ein. Aber zu einer solchen kommt es in den seltensten Fällen. Keiner der Verantwortlichen will sich da eine Blöße geben, vielleicht überreagiert oder das Falsche getan zu haben.
Schauen wir uns das Beispiel Stuttgart 21 an. Erst Wochen nach dem „Schwarzen Donnerstag“ wurde das ganze Ausmaß, wie schwer die Polizei ihre Dienstpflichten verletzt hatte, publik. 380 Strafanzeigen gegen besonders rüde agierende Beamte wurden gestellt, die in gerade mal 19 Ermittlungsverfahren mündeten.
Und da gibt es ja immer noch diesen zweifelhaften Korpsgeist, wie er noch viel zu häufig in den Reihen auch unserer Polizei anzutreffen ist. Eine Krähe hackt der anderen schließlich kein Auge aus. Andererseits: Keiner verlangt von den Ausführenden des staatlichen Gewaltmonopols, dass sie sich wie wehrlose Schafe zur Schlachtbank führen lassen und/oder ihre Haut auf dem Altar einer vielleicht völlig falsch verstandenen, politisch opportunen Toleranz-Philosophie zu Markte zu tragen.
Überhaupt sieht es so aus, als würden gerade und vor allem unsere Metropolen und Ballungszentren den Nährboden für solche Wucherungen liefern. Offenbar können nur hier, in der zwangsläufigen Anonymität eines Agglomerations-Umfeldes, solche beklagenswerten Fehlentwicklungen und Exzesse gedeihen. In der Provinz, der Fläche, auf dem (gar nicht mal immer) flachen Land, kennt man so etwas nicht. Da scheint die Welt in dieser Hinsicht noch weitestgehend in Ordnung. Ausnahmen bestätigen die Regel.
Freunde und Helfer oder Hooligans in Uniform?
Nein, um dem Eindruck entgegen zu wirken: Ich bin kein Gegner der Polizei. Im Gegenteil. Ich habe Polizisten stets und immer tatsächlich als „Freunde und Helfer“ wahrgenommen, so altmodisch und anachronistisch diese euphemistische Selbsteinschätzung auch inzwischen klingen mag. Und an dieser meiner Sicht der Dinge hat sich auch bis heute nichts geändert. Ich kenne viele Dutzende Beamte persönlich, und weiß aus vielen Gesprächen mit ihnen um die Schattenseiten ihres Jobs. Sie bekommen es in der alltäglichen Praxis ja nicht mit dem Schönen und Hellen unserer Lebenswelt zu tun, sondern werden eher mit deren der Sonne abgewandten Seiten konfrontiert – auch bei uns, in der viel belächelten und oft geschmähten Provinz. Aber es sind auch Exekutiv-Repräsentanten, die in ihrem Umfeld verwurzelt und beheimatet sind und sich mit eben diesem identifizieren. Denen selbst daran gelegen ist, dass das Gemeinwesen, deren Bestandteil sie selbst sind. funktioniert. Keine „Söldner“ wie in Hamburg, die mal eben zu irgendwelchen, entfernt gelegenen Brennpunkten beordert werden, um daselbst verbrannte Erde zurück zu lassen, ohne befürchten zu müssen, für ihr Tun zur Rechenschaft gezogen zu werden. Mich dünkt, das sind die eigentlichen Hooligans.
Aber sie tun das auf Geheiß der örtlichen, mit den Gegebenheiten sehr wohl vertrauten “Kommandeure”. Das investigative Internetportal politropois.de hat dazu ein bemerkenswertes Interview mit Thomas Wüppesahl, dem Sprecher des Verbandes kritischer Polizisten, geführt. Der Mann entlarrvt Vorgehen und Strategie seiner Kollegen als demokatiefeindlich und rtechtswidrig. Eine erschreckende Bilanz, die einem Angst machen kann: