Hierzulande ist der Waschbär ja auf dem besten Wege, den bösen, hinterlistigen Fuchs als „Public Enemy Nr. One“ abzulösen. Der zwielichtige „Schupp“ ist von Natur aus schlecht und stellt eine existentielle Bedrohung für unsere Zivilisation dar. Es gibt viele Gründe, ihm noch vehementer als bisher den Pelz über die Ohren zu ziehen. So sollen diese überwiegend nachtaktiven Räuber zum Beispiel auch für den Bestandsrückgang der europäischen Sumpfschildkröte verantwortlich sein, die es zwar nur noch in Brandenburg in einer Stückzahl von 70 Exemplaren gibt – und neuerdings auch als handverlesene Exponate im Uckersdorfer Vogelpark. Macht aber nix. Als Totschlagsargument, den Tieren bundesweit nachstellen zu müssen (und zu dürfen), und das noch exzessiver als bis dato, reicht das allemal.
Andere, zumeist von Jägern angeführte und angeblich zwingend für einen solche tierischen Genozid sprechende “Fakten“ sind von vergleichbarer inhaltlicher Stringenz. Die kleinen Bären gelten als die Osama-bin-Ladens und Abu Bakr al-Baghdadis unter den Terror-Prädatoren des deutschen Naturhaushaltes. Ausgeburten der Hölle, Manifestation des Schreckens. Deshalb: Feuer frei und Fallen auf! Das einschlägige PR-Trommelfeuer der schießenden Interessenverbände zeigt auch in der öffentlichen Wahrnehmung dieses Problems Wirkung. Headlines wie „Der maskierte Jäger erobert das Land“, „Wilder Waschbär wütet in Wohnung“, „Terror-Waschbär macht Regierungsviertel unsicher“ (wenn der Hintergrund nicht so ernst wäre, müsste man drüber lachen), „Aggressive Waschbären killen Jagdhunde“ oder „Waschbären für Artensterben verantwortlich“ rascheln in Endlosschleife durch den gedruckten und den digitalen Blätterwald. Irgendetwas bleibt schon hängen.
Woher diese Informationen kommen und wer das größte Interesse an ihrer Verbreitung hat, ist offensichtlich. Und deren Wahrheitsgehalt entspricht, auch was die suggestive Aufbereitung anbelangt, oft dem von Aufmachern der Schmuddelzeitung mit den vier großen Buchstaben. Das zu Grunde liegende Prinzip ist aber nicht neu und ein gängiges Hilfsmittel der Manipulation und gezielten Desinformation. So etwas begegnet uns in vielen Bereichen. Als vor drei Jahren der e-Zigaretten-Boom an Fahrt aufnahm, ging, von der Tabakindustrie gesteuert, folgende Nachricht gefühlte Tausend mal um die Welt: Einem Konsumenten, einem Amerikaner, war beim Dampfen die Hardware explodiert und hatte ihm drei Schneidezähne verbeult. Da war der Beweis für die extreme Gefährlichkeit der e-Zigarette. Kommt gleich nach der Atombombe und liegt im Risiko- und Wirkungsranking irgendwo zwischen Chemie- und Biowaffen. Aber dann stellte sich heraus, dass das spätere “Opfer” an dem Gerät herumgebastelt und es mit einem 30 mal stärkeren Akku aufgerüstet hatte. Mit dessen Leistungsenergie hätte man einen Panzer fremdstarten können. Kein Wunder, dass das Teil dem Hobbyschrauber um die Ohren (und anderes) geflogen ist. Das haben Philip Morris, BAT und Co. aber natürlich nicht so gestreut.
500.000 maskierte Teufel bedrohen unseren Wohlstand
Im Jagdjahr 2013/2014haben die germanischen Nimrods laut Jagdstatistik 75.762 „Raccoons“, so der englischsprachige Begriff für den Waschbären, zur Strecke gebracht – offiziell. Die Dunkelziffer könnte darüber liegen, deutlich. Der Gesamt-Bestand dieser Allesfresser wird auf bundesweit 500.000 Exemplare geschätzt. Tendenz: angeblich rasant steigend. Bei unseren Verbündeten jenseits des großen Teiches, deren ethischen Wertvorstellungen mit den unseren angeblich deckungsgleich sind, hopsen ein paar mehr von diesen „Viechern“ durch die Gegend. Waschbären stammen ja ursprünglich aus Nordamerika, lebten aber auch schon vor 25 Millionen Jahren in „Good, old Europe“. Baracks Schusswaffen-verliebten Landsleute sind wesentlich erfahrener, erfolgreicher und auch rigoroser darin, den üblen Gesellen mit der putzigen Physiognomie den Garaus zu machen. Vielleicht mag der ein oder andere Kollege hierzulande insgeheim von solchen paradiesischen Voraussetzungen, wie sie sich den amerikanischen Jägern bieten, träumen.
„Raccoon“-Jagd als Volksbelustigung
Letztere, die zwar nicht Willens und/oder in der Lage sind, den doch ein klein wenig langsameren Anakondas in Florida, die vielleicht cleverer als sie selbst sind, Einhalt zu gebieten, haben die Waschbärenjagd zur Volksbelustigung erhoben. In dem kleinen Städtchen Parsons in Tennessee wird in der Zeit vom 9. bis zum 11. April die laut Veranstalter größte Waschbären-Hatz der Welt ausgetragen. Es ist die 40. in Folge, also ein kleines Jubiläum. Muss man natürlich feiern. Und tut das auch. Aufgezogen ist diese grenzwertige Show wie eine große Kirmes, als ein, allen Ernstes, „Fun-Event für die ganze Familie“ deklarierter Mordsspaß. It’s partytime!
Die Besucher legen, um in den Genuss dieses Spektakels zu kommen, je nach Veranstaltungstag 10 bis 20 Dollar Eintrittsgeld auf die Theke. Organisator ist die Montgomery County Waschbärenjagdgesellschaft (Montgomery County Coon Hunters Association). Man muss sich das mal vorstellen, ein Verein, dessen „Zweck“ einzig und allein darin besteht, einer bestimmten Tierart den Garaus zu machen. Immerhin sind die Pirscher bei uns, was das Zielspektrum anbelangt, ja noch etwas breiter aufgestellt… Die MCCHA als Gastgeber weiß den nationalen US-Verband für Hundezucht und Hundesport, den United Kennel Club (UKC), hinter sich und als Sponsor auf ihrer Seite. Zum Einsatz kommen bei diesem sportiven Wettstreit vor allem sogenannte „Coonhounds“. Das sind speziell für die Waschbärenjagd gezüchtete Hunde, deren Aufgabe es dabei ist, die bärige Beute aufzuspüren, zu stellen und gegebenenfalls auf einen Baum zu scheuchen. Herrchen braucht dann nur noch ritterlich abzudrücken. Wie es aussieht, wenn diese Hunde den Job alleine erledigen, kann man hier goutieren: http://www.youtube.com/watch?v=wNF1nXmNsdc Und hier: http://www.youtube.com/watch?v=LSVZQfhut1Q
Wessen Waldi die meisten „Coons“ stellt, hat gewonnen: The candidate scored 18 points!“Wobei jeder Punkt für einen in diesem fairen Kampf besiegten Gegner steht. Dafür winken stattliche Preisgelder. Männlein und Weiblein gehen teils in unterschiedlichen (Geschlechter-)Klassen an den Start und auf die Jagd, wobei die Ladies, warum auch immer, an den Turniertagen nur bis 19 Uhr ballern dürfen. Das muss man nicht verstehen, was natürlich überhaupt für die Sinnhaftigkeit des Schauspiels gilt. Eingebettet darin sind Show-Acts auf diversen Aktionsbühnen, Grillpartys, gemeinsame Abendessen mit weißen (nicht blauen) Bohnen, Kinderunterhaltungen und, und, und. Das volle Programm.
Mordlust und Nächstenliebe
Und die unterhaltsame Sause dient auch noch einem guten Zweck – in doppelter Hinsicht. Einmal dem natürlich, den Waschbären zu zeigen, wo der Hammer hängt. Und zum Zweiten: Ein caritativer Anstrich steigert Akzeptanz und Vergnügen um ein Vielfaches, macht die Teilnahme an diesem Zinnober quasi zur patriotischen Pflichtübung. Der Reinerlös dieser unter Schießbudenbedingungen ablaufenden Grausamkeits-Olympiade ist auch in diesem Jahr für das St. Jude-Children’s Research-Hospital in Memphis/Tennessee bestimmt, einem der führenden Krankenhäuser für Leukämieforschung und -behandlung. So lassen sich Lust am Töten und gelebte Nächstenliebe mit einander verknüpfen. Eine Geschmacklosigkeit, die an Perfidität eigentlich nicht mehr zu toppen ist. Die Klinik beruft sich mit ihrem Namen auf den christlichen Heiligen Judas Thaddäus, der als Schutzpatron und Helfer in verzweifelten Lebenssituationen und scheinbar ausweglosen Lagen gilt und galt. Natürlich hagelt es weltweit Proteste gegen dieses pervertierte Freizeitvergnügen. Aber das schert die Beteiligten wenig. Sie wollen ihren Spaß – und werden ihn auch in diesem Jahr wieder bekommen.
Apropos: Der Spaßfaktor steht auch bei einer anderen, unter moralischen Aspekten betrachtet ziemlich verunglückten amerikanischen Spielart jagdlicher Abartigkeit im Vordergrund: dem „Eichhörnchen-Slam“ von Holley im US-Bundesstaat New York. Organisiert von der dortigen Feuerwehr, deren Mitglieder nicht mit den verklärten Helden von „Ground Zero“ in New York City identisch sind, werden Erwachsene und Kinder ab 12 Jahren dazu aufgerufen, gegen eine Startgebühr von zehn Dollar Jagd auf die Baumkater zu machen. Die Gesetze des Staates geben es her, dass Minderjährige, geht es gegen die buschschwänzigen Katteker, zur Knarre greifen. Tausende dieser Nager lassen dabei am „Tag X“, dem „D-Day“, ihr Leben.
Halbautomatische Gewehre als Belohnung für Kinder
Als Belohnung u.a. für die kapitalste Beute (es gibt noch weitere Kriterien) winken den erfolgreichsten Nachwuchsschützen dieses unerträglichen „Events“ Geld- und Sachpreise. Letztere beispielsweise auch in Gestalt von Waffen(halbautomatischen Gewehren), wie sie beispielsweise auch im Dezember 2012 beim Schulmassaker an der Sandy Hook Elementary School in Newtown/Connecticut, 100 Kilometer nordöstliche von NY gelegen, verwendet wurden. Die Bilanz: 28 Tote, darunter 20 Kinder. Irgendwie müssen die Aktivisten des Fire Departments von Holley mit dem Slogan ihrer Deutschen Kollegen (Retten, Helfen, Bergen) nix anfangen können. Es sei denn, sie beschränken sich auf das Bergen (und Zählen) erschossener Eichhörnchen oder, im schlimmsten Falle, dem von gemeuchelten Amokopfern, die das Pech haben, zufällig in die Schusslinie eines hochgerüsteten, psychisch Gestörten zu geraten. Wie sagte Obelix einst so treffend? “Ils sont fous, ces Romains!” In Abwandlung dieses Ausspruchs: “Die spinnen, die Amis!“
Bei Yutube gibt es übrigens zahlreiche Videoclips, die den Eichhörnchen-Challenge der US-Florianer thematisieren. Sie sind weniger ob ihrer Grausamkeit relevant. Tatsächlich wird der eigentliche Tötungsakt nicht gezeigt. Erschreckend und beklemmend sind die Reaktionen des Publikums, das jeden zurückkehrenden, stolz die Kadaver vorzeigenden Erfolgsjäger mit euphorischem Gejohle begrüßt und feiert. Die Verrohrung nimmt Fahrt auf. Kotzen könnte man da!