Von Jürgen Heimann
Auch Hirzenhain hatte mal ein Rotlichtviertel. Gut, nur ein ganz kleines. Und selbiges und seine freizügigen Bewohnerinnen sollten dem beschaulichen Dorf kurzzeitig bundesweite Schlagzeilen bescheren. Das war vor 37 Jahren. Im Herbst 1982. Verdammt lang her. Zumindest gemessen an der Zeit, die dem schlüpfrigen Etablissement damals existentiell blieb und vergönnt war. Nach wenigen Wochen war hier nämlich wieder Schicht im Schacht. Aus die Maus. Tilt, game over! Der sündige Pfuhl mit dem unverfänglichen Namen wurde trocken gelegt. Das „Landhaus Hornberg“ war Geschichte. Hat aber auch Geschichte geschrieben, solche mit Lokalkolorit.
Dass ihr als „Stätte der Begegnung“ deklariertes „Start(me)-Up“ im Eschenburger Bergdorf keine Zukunft haben würde, hätte den Betreibern von Anfang an klar sein müssen. Nicht nur deshalb, weil die Hirzenhainer ja sittlich und moralisch als überaus gefestigt galten und gelten. Aber vermutlich hatte das Management ja bei seinen auf Angebot und Nachfrage basierenden Modell- und Wirtschaftlichkeitsberechnungen als Zielgruppe sowieso von Anfang an eine eher von extern kommende Klientel auf dem Radar gehabt.
Wie dem auch gewesen sein mag, die Hirzenhainer, oder zumindest weite Teile von ihnen, fürchteten um den guten Ruf ihres Heimatdorfes und wollten sich dahingehend nicht kompromittieren lassen. Dahingehend stand viel auf dem Spiel. Erschwerend hinzu bei diesem Prozess kam die Standortwahl und, damit einhergehend, die Tatsache, dass die Bettfedern zu allem Überfluss auch noch in Sicht- und Hörweite der Ortskirche quietschten. Mit dieser kleinen, aber gravierenden Nutzungsänderung der Räumlichkeiten, die früher die Traditionsgastwirtschaften Stoll und Lengenberg beherbergten, hatten die neuen Eigentümer/Pächter den Bogen dann definitiv überspannt.
Schlechte Tarnung: Vorne hui, hinten pfui
Zwischen Freuden- und Gotteshaus lagen nur wenige Meter. Exakt 53 Schritte, wie die BILD-Zeitung damals akribisch ausgemessen (oder geschätzt) hatte. Das Revolver-Blatt sah die Gläubigen bereits zunehmend auf Abwegen. Die Versuchung wäre mit Händen greifbar gewesen. Zumal die Tarnung der Knallhütte auch noch denkbar schlecht und dilettantisch war. Nach außen hin wirkte das provinziale „Chez-Nous“ wie eine normale Kneipe. Doch die Gegner hatten das Spiel durchschaut: Vorne hui, hinten pfui!
Aus dem Gottes- direkt ins Freudenhaus?
haus direkt Neben der investigativen Four-Letter-Word-Postille aus dem Axel-Springer-Haus berichteten damals auch andere überregionale Medien groß und ausführlich über den Kampf zwischen Gut und Böse. Die „Quick“ ebenso wie der „Stern“. Wobei, was die Korrektheit der Darstellung anbelangt, durchaus Zweifel erlaubt sind. Zeitzeugen haben das alles etwas anders in Erinnerung. Vor allem Deutschlands größtes Boulevardblatt ist ja bekannt dafür, die Wirklichkeit ab und an etwas zu biegen und es mit den Fakten nicht so genau zu nehmen.
Es war nicht so, dass der Betreiber die Rechnung ohne den Wirt gemacht hätte. Der war er ja selbst, quasi in Personalunion. Aber er hatte wohl nicht mit einem solchen massiven Widerstand gerechnet. Selbigen steuerte und kanalisierte (erfolgreich) der damalige Ortspfarrer Dietrich Eizenhöfer. Aktion „Saubere Landschaft“. Er habe, so stellte es BILD dar, den Braten aber erst gerochen, nachdem auffällig viele männliche Gottesdienstbesucher nach dem Kirchgang regelmäßig direkt im Landhaus verschwunden wären. Vermutlich deshalb, um mit den dort stationierten Damen zeitnah im Separee (wegen mir auch Sèparèe) über die Bundesligaergebnisse oder das Wetter zu diskutieren. Hallo? So blöd war und ist kein Hirzenhainer! Die waren und sind schon immer sehr geschickt darin, verräterische Spuren, so es sie in diesem Fall überhaupt gegeben hat, erfolgreich zu verwischen. Eine solch offenkundige Blöße hätten die sich nimmer gegeben. Zumal es in diesem Fall andere Wege und Möglichkeiten gegeben hätte.
Der Unterschied zwischen Protestanten und Prostitution
Der unerschrockene Geistliche hatte sich an die Spitze der Bewegung gesetzt und binnen weniger Tage über 700 Unterschriften zusammen getragen. Gegen das Landhaus wohlgemerkt. Wie er selbst vermochten aber auch noch andere sehr wohl zwischen Protestanten und Prostitution zu unterscheiden. Beispielsweise die Mitglieder des Gemeindevorstandes und die Kreisverwaltung. Gegen diese Phalanx hatten der rotlichternde Geschäftsmann und seine offenherzige Belegschaft keine Chance. Der Mann klemmte den Schwanz ein. Er wagte in Folge mit dem „Landhaus am Stöcke“ in Eiershausen einen zweiten Versuch, doch auch dieser scheiterte kläglich. Im Nachbarort flutschte es auch nicht so wie erhofft.
33 Jahre später sollten die Hirzenhainer dann erneut auf die Probe gestellt werden. Anno 2013 war versucht worden, in einem Privathaus im „Klein-Loh“ einen Swinger-Club zu etablieren. Um Missverständnissen vorzubeugen: Das war keine Musikkneipe, in der bevorzugt die gleichnamige amerikanische Jazz-Variante gespielt wurde bzw. werden sollte. Aber mit Wein, Weib und Gangbang war es auch hier schnell wieder vorbei. Schwamm drüber. Was kommt als Nächstes?