Rotorman's Blog

Stilistische Atemnot, Sprach-Skorbut und
Verzweiflungstaten im tiefen Sommerloch

Papst Franziskus und Vorzeige-Unternehmer Friedhelm L. haben Konkurrenz bekommen – durch Alfred Holighaus. Der ist den beiden nicht nur hart auf den Fersen, sondern hat sie locker überholt. Hatten es der Vatikan-Boss und der Milliardär aus Mittelhessen bisher als einzige geschafft, uns mit einem auf drei Spalten aufgeblasenen, fast formatfüllenden, gleich 14 x 14,5 cm großen Porträtfoto aus der (Lokal-)Zeitung entgegen zu blinzeln, hat der aus Eschenburg-Wissenbach stammende Filmexperte diesen Rahmen jetzt deutlich gesprengt.  18 x 26,5 Zentimeter. Nach oben ist halt immer noch Luft. Die entsprechende Premiere feierte der Cinematologe in der Ausgabe vom Donnerstag  vergangener Woche in den Dillkreis-Ausgaben der Mittelhessen-Presse. Im Sommerloch gehen die Uhren halt alle etwas anders

Beim Heiligen Vater mag diese Gigantomanie  in der bildlichen Darstellung weiland noch der Bedeutung seiner Wahl zum Oberhaupt der katholischen Weltkirche geschuldet gewesen sein. Im Falle des Rittal-Chefs ging es hingegen mal wieder um einen (offenbar längst überfälligen) Kotau, wie ihn die lokale Journaille in schöner Regelmäßigkeit in ihren Blättern einpflegt.

Alfred Holighaus-klein

Das hat bislang noch keiner geschafft: Mit einem hochformatigen, auf vier Spalten aufgeblasenen Porträtfoto eines Filmexperten aus Eschenburg Wissenbach hat „meine“ Lokalzeitung den Kampf gegen das Sommerloch aufgenommen.

Ja und bei der aktuellen Veröffentlichung war es wohl das berüchtigte Sommerloch, dessen erschreckende Bodenlosigkeit dem verantwortlichen Redakteur den Angstschweiß auf die kreative Stirn getrieben hatte. Wie tief wird dieser unerforschte Schacht der ferienbedingten Nachrichtenarmut und Ereignislosigkeit wohl noch werden? Dass es die ideenreichen Macher „meines“ investigativen und hyperkritischen Weltblattes schon Mitte der ersten Ferienwoche zu solchen Verzweiflungstaten treibt, lässt ja noch einiges befürchten…  Zumal Kreativität und sprachliche Ausdruckskraft offenbar nicht allen Kollegen in den Redaktionsstuben eigen sind.

In einen professionell veredelten, auf acht Zeilen eingedampften Fremdtext dreimal das Wort „Vollmond“ hinein zu redigieren, dazu gehört schon was… Man/frau muss ja nicht gleich zum Mächtigkeitsspringen auf dem Synonyme-Parcours antreten, oder ein Freund des paraphrasierten Dressurreitens sein. Aber etwas Phantasie bei Wort- und Begriffsfindung kann nicht schaden.  Wortwiederholungen müssen nicht zwingend und per se von stilistischer Atemnot und sprachlichem Skorbut zeugen, sondern können auch die Wirkung von Aussagen verstärken und diese  eindringlicher machen. Können…   In einem anderen Kontext. Aber vielleicht sehe ich das ja auch alles viel zu eng…

Vollmond-klein

Stilistische Atemnot und sprachlicher Skorbut: Wortfindung ist Glückssache!

Und wenn man dann glaubt, das wäre nicht mehr zu toppen, legen die Kollegen/innen vier Ausgaben später in einem Follow-Up zum gleichen Thema noch eine Schippe drauf. Da scheint der Mond gleich sieben Mal zwischen 11 Zeilen hervor. Langsam glaube ich doch, dass dieser vollgesichtige Kerl irgendwie Einfluss auf das Verhalten der Menschen hat… Auf unseren kranken Nachbarn natürlich auch!

Denn etwas Bildung wird dem unbedarften Leser ja gleich mit untergeschoben. Wir lesen von Matthias Claudius und seinem weltberühmten Abendlied, das ja schließlich mit der Zeile „Der Mond ist aufgegangen“ beginne. Wieder was gelernt! Nur, dass eben dieses Lied angeblich auch bei Beerdigungen (sehr) gerne angestimmt wird, wie uns der Redakteur weismachen will, halte ich für eine ziemlich gewagte und abenteuerliche These. Da hat unser redaktioneller Generalist mit der spitzen Redigierfeder im Eifer des Gefechts etwas durcheinander geworfen.

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Dass nenn’ ich doch mal kreative Wortfindung. Und wenn derm Mond dann noch nachmittags zur Beisetzug scheint, um so besser1

Ich will ja hier nicht den Klugscheißer raushängen, aber ich weiß es in dem Fall wirklich besser! Der Claudius’sche Evening-Hit hat zwar Einzug in die evangelischen und katholischen Kirchengesangbücher gefunden, bei Trauerfeiern jedoch wird, wenn überhaupt – und das aber dann ganz, ganz selten – nicht selbiger, sondern Paul Gerhardts 132 Jahre zuvor entstandene Vorlage „Nun ruhen alle Wälder“, intoniert. Von dieser hat der Dichter, Journalist(!!)  und Lyriker aus dem Holsteinischen Reinfeld später für seinen Mondsong ja abgekupfert. Paul Gehrhardts Text hingegen geht ein klein wenig anders und passt auch eher zu Schmerz, Abschied und Tod. Davon abgesehen: Vom aufgehenden Mond bei einer um 14 Uhr angesetzten Beisetzung zu singen, wäre ja auch wirklich etwas daneben. Unser alter Ortspfarrer, den ich sehr schätze, hat den zumindest in seinen fast 50 Dienstjahren noch nie am Grab leuchten sehen. Genau so gut könnte man bei der Beerdigung von Tante Frieda den alten Tony-Marshall-Gassenhauer “Schöne Maid” (hast Du heut’ für mich Zeit) anstimmen. Zumindest würde das die gedrückte Stimmung etwas heben…

Es wäre ein Leichtes gewesen, das alles mit einigen Klicks heraus zu finden. Manchmal wünsche ich mir zusammen mit Matthias Claudius  auch jene stille Kammer herbei, in der ich des Tages Jammer, in diesem Falle jenen, den mir die Lokalzeitung ab und an zumutet, verschlafen und vergessen kann.

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