Rotorman's Blog

Von Kammerjägern im Outdoor-Einsatz
und haarigen Gespenstern, die rumspinnen

Wer spinnt hier eigentlich rum? Uns bleibt aber auch nichts erspart!

Von Jürgen Heimann

Ein neues Gespenst geht um in Deutschland. Aber es ist kein kommunistisches Remake des ollen Karl Marx. Und diese Horror-Inkarnation geht auch nicht, sondern kriecht. Ist behaart wie Wolfgang Thierse und Fidel Castro in ihren besten Zeiten. Und genau da liegt das Problem. Ach so: Wir reden vom Eichen-Prozessionsspinner, dem man in diesen Tagen bundesweit den Prozess zu machen versucht. Er sorgt unablässig für für Schlagzeilen, weil er nicht nur Eichenbestände ratzekahl frisst,  sondern auch dem Homo sapiens gefährlich werden kann. Wegen ihm sind schon Kindergärten, Spielplätze und Schwimmbäder geschlossen worden.

Die Viecher haben sich in den vergangenen Jahren rasant verbreitet und sind mittlerweile bundesweit zu Hause. Bis vor einigen Jahren waren ihre Bestände regional begrenzt. Dass sie sich an Eichen gütlich tun, wurmt den Forstmann, dass sie aber auch dem Menschen ans Leder gehen, alarmiert die Gesundheitsbehörden. Und wo ein Nest oder mehrere entdeckt werden, rückt eine martialisch aufgerüstete Armada an. Kammerjäger im Outdoor-Einsatz. Sehen in ihren Schutzanzügen aus wie Astronauten bei der Erdbeerernte nach der Reaktor-Katastrophe in Fukushima.

Giftpfeile: Bei Haarausfall wird’s gefährlich

Eine haarige Sache. Der Kollege müsste auch dringend mal zum Friseur. Die kleinen mit Widerhaken versehenen Härchen des Prozessionsspinners lösen bei Hauptkontakt mitunter heftige allergische Reaktionen aus. Atmet man sie ein, können Bronchitis und Asthma die Folge sein. Foto: R. Altenkamp (CC BY-SA 3.0)

Es sind die kleinen, mit Widerhaken versehenen Brennhärchen der Spinner, die so respekteinflößend wirken. Bei Hautkontakt kommt es zu allergischen Reaktionen. Es bilden sich heftigst juckende Knötchen, Quaddeln und Entzündungen. Mediziner sprechen in diesem Zusammenhang von “Raupendermatitis”. Hervorgerufen wird sie durch das Nesselgift Thaumetopein, mit dem diese Insekten werksseitig ausgestattet sind. Und fliegen können die auch. Gut, jetzt nicht richtig und proaktiv. Aber ein laues Lüftchen reicht schon aus, um diese Giftpfeile hunderte von Metern  weit zu treiben. Die Raupen verlieren die Haare im Frühsommer massenhaft wie ein zur Glatzenbildung neigender Endfünfziger auf den Spuren von Kojak oder Homer Simpson.

Asthma, Schwindel, Fieber – das volle Programm

Wer sie einatmet, muss sich über eine Bronchitis nicht wundern. Selbst Asthma kann dadurch ausgelöst werden. Schwindel, Fieber, Müdigkeit und Bindehautentzündungen sind weitere Symptome. Kommt es ganz dicke,  ist ein anaphylaktischer Schock die Folge. Was immer das auch sein mag…. Aber auch Hunde und Katzen, die an den niedlichen Tierchen schnüffeln, bereuen das in der Regel schon kurze Zeit später bitter.

Schauen wir uns die Kameraden mal im Film an:

Das Endprodukt ist harmlos

Wenn die Raupen ihr Pulver verschossen haben und sich verpuppen – was meist Ender Juni der Fall ist – hört der Spuk noch lange nicht auf. Die abgesonderten Härchen haben ein hohes Mindesthaltbarkeitsdatum, sind ziemlich resistent und bleiben bis zu zwei Jahre lang gefährlich. Ihre ehemaligen Besitzer hingegen sind nur während ihrer Sturm-und-Drang-Zeit mit Vorsicht zu genießen. Der unscheinbare Nachtfalter, der einmal draus wird, ist harmlos und will nur spielen. Aber bis dahin können die Kameraden schon viel Unheil anrichten. Wirtschaftliche Schäden an den von ihnen befallenen Baumbeständen inklusive.

Viele Grüße vom Eichenprozessionsspinner: Kommt man ihnen zu nahe, bilden sich heftigst juckende Knötchen, Quaddeln und Entzündungen auf der Haut. Mediziner sprechen in diesem Zusammenhang von “Raupendermatitis”. Hervorgerufen wird sie durch das Nesselgift Thaumetopein, mit dem diese Insekten werksseitig ausgestattet sind. Foto: Daniel Ullrich

Oft werden die bis zu vier Zentimeter großen Raupen auch mit denen der Gespinstmotte verwechselt. Wenn die Gondeln Trauer und Bäume und Büsche einen weißen Schleier tragen, kann das auch auf das Konto letzterer gehen. Die Gespinstmotten sind allerdings kleiner, unbehaart und hüllen ihre Objekte in der Regel komplett ein, wie Christo früher den Reichstag. Die von ihnen befallenen Gewächse erholen sich innerhalb einer Saison. Sie sind Nahrungsquelle für 80 andere Insekten- und auch zahlreiche Singvogelarten. Deshalb sollte man nicht gleich mit Kanonen auf Spatzen schießen.

Die Prozessions-Eichler hingegen bilden einzelne Nester. Jedoch nicht an Obstbäumen oder Beerensträuchern. Auch sie haben natürliche Feinde wie Wanzen, Schlupfwespen, Raupenfliegen und Kuckuck.  Aber die schaffen die nicht alle. Das Angebot übersteigt die Nachfrage deutlich. Aus den Raupen selbst entwickelt sich in einem späteren Stadium ein relativ unscheinbarer und harmloser Nachtfalter

Gartenfreunde von Feinden umzingelt

Passionierten Obst- und Gartenbauern droht noch aus einer anderen Ecke Ungemach. Sie fühlen sich  ja mehr oder weniger von Feinden umzingelt, was schon an Verfolgungswahn grenzt. Da wären nicht nur die vielen streunenden Katzen, die, auf der Suche nach leckeren Singvögeln, durch die Büsche tigern, oder die Kleffer von Frau Nachbarin, die hier dicke Haufen kacken. Da gibt es ja auch noch andere Gegner. Je kleiner, desto gemeiner.

Und da wäre noch der Apfelwickler

Eigentlich kann man die Raupen des Apfelwicklers nicht mit denen der Prozessionsspinner verwechseln. Sie sind völlig unbehaart, schwarz-gepunktet und auch anders gefärbt. Die kleinen Kerlchen werden auch nicht dem Menschen gefährlich, sondern den Obstbäumen. Foto: Pixabay

Die Raupen der Gespinstmotte hatten wir ja schon erwähnt. Aber die  gelten da ja noch als minimales Übel.  Zu deren kreativ-künstlerischen Höchstleistungen sind die Kollegen von der Apfelwickler-Fraktion überhaupt nicht in der Lage. Die fressen nur und haben sich ihren schlechten Ruf als bedeutendste Obstschädlinge in Europa mühsam erarbeitet. Ihnen fällt, wenn sie gut drauf sind, jeweils ein erheblicher Teil der gewerblichen und privaten Kernobsternte zum Opfer. Wobei sie, wie der Name schon besagt, vor allem auf Äpfel stehen bzw. darin herumkriechen. Aber es gibt sie auch in der Trauben- und Pflaumenvariante.

Auch hier ist es nicht das fertige ausgewachsene Endprodukt, das unangenehm auffällt, sondern die Raupe. Die frisst sich meist über die Fruchtspitze zum Kerngehäuse vor. Dabei wird der mehlartige Kot, der wie gemahlener Kaffee aussieht, über die Eintrittsstelle ausgeschieden und entsorgt. Ist übrigens geschmacksneutral. Die gängigste Methode, den ungebetenen und aufdringlichen Gästen beizukommen, ist das Aufstellen von mit Leib bestrichenen Lockstofffallen. Da hängen die dann eben mal fest.  Als Bio-Waffen gelten Ohrwürmer, Wanzen und Schlupfwespen. Und bei einem ganz starken Befall greift dann die Verwirrmethode. Eine (für die Betroffenen) ganz fiese Masche:

Mit Yves-Rocher ins Wachkoma

Im realen Leben verströmen die Obstmaden-Weibchen, um ihre Verehrer anzulocken, Pheromone. Dieses Insekten-Parfüm wird nun künstlich hergestellt und an der Front in größeren Mengen versprüht. Dadurch werden die Männchen angelockt. Steigt ihnen der Duft in die Nase, werden sie orientierungslos und fallen ins Wachkoma. Auf diesem System beruht ja auch der anhaltende wirtschaftliche Erfolg von Douglas, Aurel, Yves-Rocher und DM.

Nachtfalter

Der Nachtfalter, der sich aus den Eichenprozessionsspinner-Raupen entwickelt, macht optisch nicht besonders viel her. Er tut auch niemand etwas. Foto: Gyorgy Csoka/ CC BY 3.0 us

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