Von Jürgen Heimann
Es geht wieder los. Die Tönung unserer Nasen korreliert mit der Farbe der würzig- süffigen Plörre, die in unzähligen Verkaufsbuden an allen Ecken und Enden in Kesseln und Töpfen dampft oder wahlweise auch aus Durchlauferhitzern strömt. Weihnachtsmärkte dienen nur als Kulisse, sind Mittel zum Zweck und liefern Anlass und Legitimation, um mit dem duftig-wärmenden Gesöff um die Wette zu glühen. Vordergründig natürlich nur, um sich aufzuwärmen. Auch wenn der Schnee und die richtigen (Minus-)Temperaturen noch auf sich warten lassen: Es ist Glühweinzeit. Prost!
Schon die genuss-süchtigen Römer wussten das aromatisierte Zeugs zu schätzen. Und dazu brauchten sie keine Christkindlmärkte. Bei ihnen wurde es als “Conditum Paradoxum” vermarktet. Die Packungsbeilagen wiesen Honig, Pfeffer, Mastix, Lorbeer-Blätter, Safran, geröstete Dattelkerne und Datteln als deklarationspflichtige Inhaltsstoffe aus. Die Herstellung war recht aufwändig. Deshalb begnügte sich das einfache Volk mit “Vina condita” bzw. “Vina piperata”. Wobei es sich aber um nichts anderes als mit Pfeffer versetzte Billig-Weine handelte. Jedenfalls waren sie erschwinglicher, wurden aber kalt geschluckt, ebenso wie “Hypocras”, eine mittelalterliche Weiterentwicklung.
Geboren und erfunden in 1956: Ein guter Jahrgang
Erst ein Winzer aus dem Augsburger Umfeld kam 1956 auf den Trichter, dem Fusel bei gleichzeitiger Dreingabe von Gewürzen und Zucker Feuer unterm Oechsle zu machen. Dafür gab’s dann erst mal einen mit einem Bußgeldbescheid einhergehenden Rüffel vom städtischen Marktamt. Weniger deshalb, weil dieser Rudolf Kunzmann ausdrücklich empfohlen hatte, das erstmals in Flaschen abgefüllte Getränk vor Gebrauch zu erwärmen, sondern wegen Verstoßes gegen das damals gültige Weinrecht. Die Beigabe von Saccharose, also Zucker, galt bis dahin nämlich als Sakrileg, wurde dann aber mehr oder weniger salonfähig, zumindest aber toleriert. Damit begann der Siegeszug des bevorzugt im Stehen getrunkenen Glühweins als winterlicher Traditionscocktail, wenngleich sich seriöse, zu Purismus neigende Rebenzüchter bis heute kopfschüttelnd fragen, was ein Wein verbrochen haben muss, um so zu enden. Für sie erfüllt die Herstellung vom “mulled wine” nämlich nach wie vor den Tatbestand der Panscherei.
Keine Skrupel auf der Glühwein-EXPO
Aber den in die Millionen gehenden Konsumenten sind derlei Skrupel völlig fremd. Sie gehen auch zur “Glühwein-EXPO” und reden von “Koch-Schnaps”. Wobei die Bezeichnung “Schnaps” natürlich maßlos übertrieben ist. Jedes doppelt gebrannte Pennerglück aus dem ALDI hat mehr PS. Bei uns in Germanien muss der bei den Schweden als “Glögg” bekannte und von den Franzosen als “vin brûlé” geschätzte Trunk mindestens 7,5 Prozent Alkohol aufweisen, wobei dieser Wert nach oben hin auf 14,5 vol. gedeckelt ist. Zur Herstellung darf auch nur auf Rot- oder Weißwein zurückgegriffen werden. Der Zusatz von Wasser ist untersagt. Dennoch ist Vorsicht geboten. Das Zeug hat es in sich. Das hört sich dann am Tresen des Verkaufsstandes mitunter so an: Ein Glühwein. Swei Glühwein. Rhei Lühwei. Hie Hühei. Flünei. Snlwnl!
Die rot-farbene Variante ist bei uns am weitesten verbreitet, während man in Franken oder Norditalien eher zur weißen Alternative greift. Aber überwiegend ist das Ausgangsmaterial minderer Qualität. Industriell hergestellter Glühwein wird aus Massenwein der untersten Stufe gewonnen und dann stark gesüßt, um den Gütemangel zu kaschieren. Die Regale der Supermärkte sind voll davon. Werden der “Suppe” Rum, Weinbrand oder Liköre wie Amaretto beigegeben, spricht man von Punsch.
Zum Vorglühen und Aufwärmen
Zum Vorglühen eignen sich aber beide, beispielsweise während eines der betrieblichen Weihnachtsfeier vorgeschalteten Besuchs auf dem Nikolausmarkt. Somit lässt sich die folgende Pflichtveranstaltung besser durchstehen. Aber man kann es auch von etymologischer Warte aus sehen. Dahingehend ist das Wort “glühen” ja positiv besetzt und weist auf die heiße Mitte der lodernden Flamme hin. Die bedeute Leben, Leidenschaft und Sinnlichkeit. Glühwein habe etwas Heilsames. Schon das rituelle schluckweise Trinken im Freien und in der Gemeinschaft käme einer therapeutischen Kuranwendung nahe. Aber um zu dieser Erkenntnis zu gelangen, muss man schon eine Menge von der Plempe intus haben.
Was die Ingredienzen anbelangt, sind Phantasie und Kreativität kaum Grenzen gesetzt. Üblicherweise werden Zimt, Gewürznelken, Zitronenschalen und Sternanis zur Geschmacksanreicherung verwendet. Aber auch Orangenschalen, Ingwer, Vanille, Kardamom, Anis, Kakaoschalen oder Pfeffer sind als Zutaten gebräuchlich. Was der Heißweinbrüher auf dem Herborner Weihnachtsmarkt sonst noch an Exotischem beigibt, verrät er nicht. Das wollen wir auch gar nicht so genau wissen.
Unterstellen wir zu seiner Entlastung, dass es nicht Hydroxymethylfurfural ist, das im Verdacht steht, krebserregend zu sein. Dabei handelt es sich um ein Zuckerabbauprodukt, das entsteht, wenn der Wein über 78 Grad Celsius erhitzt wird, wodurch zugleich auch das Wichtigste, der Alkohol, vernichtet wird. Dem obligatorischen dicken Kopf am nächsten Morgen nach zu urteilen müssen da aber noch ganz andere unwägbare Dinge mit im Spiel sein. Der Mann verdient sich seine Brötchen dem Vernehmen nach im Sommer als Reinigungskraft in einem Pedikürestudio….