Rotorman's Blog

Wo die Zinken winken: Kryptische Gauner-
Kritzeleien und verschlüsselte Botschaften

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Zwischenzeitlich mal aus der Mode geraten, aber wieder im Kommen: Gaunerzinken. Die geheimen Chiffren verraten Eingeweihten, wo ein Schnäppchen winkt.

Von Jürgen Heimann

Reden wir nicht von dem beliebten, 1764 Meter hoch gelegenen Ausflugsziel in den Salzburger Voralpen, dem Hohen Zinken. Auch nicht von dem etwas überdimensionierten, von roten und blauen Äderchen durchzogenen Riechkolben in Onkel Ferdinands Gesicht. Dessen dicker Zinken verschleiert nichts, sondern offenbart. Das sind die Spuren eines exzessiven Lebenswandels. “Gaunerzinken” hingegen sind wieder etwas ganz anderes. Sie finden sich meist an weniger exponierten Stellen. Und verstehen und deuten können diese kryptischen Zeichen auch nur Eingeweihte. 

Das ist zwar auch bei der meist gut sichtbar auf dem Haustürsturz hin gekreidete Botschaft der Sternsinger so, nur dass diese eben Segen für das betreffende Gebäude und seine Bewohner erbitten:  „Christus mansionem benedicat“. Aber das ist nicht unbedingt die Intention derer, die, wenn auch etwas dezenter, daselbst ihre an Kinderkritzeleien erinnernden Graffitis hinterlassen – an Hauswänden, Türstöcken, Briefkästen oder neben dem Klingelknopf beispielsweise. Oftmals aber auch an versteckteren, nicht auf den ersten Blick einsehbaren Stellen. Meist sind es einfache, primitive Symbole, die man/frau schnell übersieht oder ihnen keinerlei Bedeutung beimisst. Aber sie haben es in sich.

Der Ausdruck “Zinken” selbst wurde erst im 18. Jahrhundert gebräuchlich, und zwar in Zusammensetzungen wie “Zinkenplatz” (wo sich Diebe treffen), Zinken stechen (Zeichen geben) oder Abzinken (kennzeichnen). Das Wort selbst leitet sich vom lateinischen “signum” (das Zeichen) ab. Die notorischen Falschspieler unter uns kennen den Begriff, wenn sie beim Mau-Mau schummeln, um mal wieder mit gezinkten Karten ihre Gegenüber abzuzocken.

Wegweiser für Einbrecher

Diese geheimen Botschaften von Spitzbuben für Spitzbuben sind auch im Zeitalter von WhatsApp, Facebook, Twitter, Google-Maps und Streetview nicht aus der Mode gekommen, wobei sie in größeren Städten häufiger Anwendung finden als auf dem flachen Land. In der Regel deutet diese Praxis auf die Aktivität organisierter Gangs mit Arbeitsteilung hin. Hier die Kundschafter, dort die “Krieger”. Jahrzehntelang schienen die Zinken aus der Mode gekommen zu sein, doch in den vergangenen Jahren tauchen sie vermehrt wieder auf. Wobei es vor allem osteuropäische Banden sind, die sie nutzen. Und es handelt sich oft nur um eine temporäre, zeitlich begrenzte Erscheinung. Die Karawane zieht nach ihren Fisch- bzw. Beutezügen schnell weiter in die nächste Stadt. Es gibt immer wieder Phasen, in denen diese Phänomene verstärkt auftreten. Die Abstände dazwischen sind unregelmäßig und daher nicht absehbar. Bei wie vielen der rund 168.000 Einbruchsdiebstähle und 71.300 Versuche, die 2015 bundesweit registriert wurden, solche Signa eine Rolle gespielt haben, weiß man natürlich nicht.

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Natürlich sind die kryptischen Zeichen meist nicht so auffällig und offensichtlich angebracht. Dieser Code verheißt dem ungebetenen Besucher „Hier gibt es etwas (zu holen)“.

Diese Form des nonverbalen, grafikgestützten chiffrierten Informationsaustausches ist nachgewiesenermaßen seit dem 16. Jahrhundert gebräuchlich – und hat die Zeiten überdauert. Praktiziert und genutzt wurde dieses System ursprünglich von Vertretern sogenannter “unehrlicher Berufe”, kriminellen Subkulturen entstammenden Aktivisten, Vaganten, Hausierern, Bettlern und Dieben, aber auch solchen Menschen, die auf der untersten gesellschaftlichen Stufe ums Überleben kämpften. In ihrer verschärften, im Ergebnis krasseren Entsprechung tauchten die Symbole während des 30jährigen Krieges als “Mordbrennerzeichen” auf. Auf diese Weise verabredeten sich Räuber und Mörder zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort, um beispielsweise ein Haus auszurauben und anschließend niederzubrennen.

Wo es sich lohnt, einmal anzuklopfen

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So kann man es auch machen. Dass das Haustürschloss mit einem Tesafilmstreifen überklebt ist, fällt eigentlich erst auf, wenn man dicht davor steht. Aber das geübte Auge erkennt sofort, dass die Bewohner nicht zu Hause sind.

Mag sein, dass der Kreis derer, die auf diese Weise untereinander und miteinander kommunizieren, heuer sogar noch breiter gestreut ist. Spendensammler, Sektenwerber, Drückerkolonnen oder von religiösem oder weltanschaulichem Missionsdrang Beseelte –  auch sie wollen im Voraus gerne wissen, wo es sich anzuklopfen lohnt, wer für ihr Anliegen empfänglich ist und wer nicht. Die entsprechenden Ausdrucksformen können durchaus variieren, was sie von Region zu Region auch tun, aber das Grundprinzip ist und bleibt (zumeist) gleich. Es beinhaltet auch Verhaltenstipps. Mit wenigen Kreidestrichen wird skizziert, wo es angebracht ist, unterwürfig aufzutreten, wo sich Forschheit lohnt, wo frommes Heucheln zielführend ist oder wo der um Mitleid Heischende stets Tag der offenen Tür hat. Ein “V” empfiehlt dem Klinkenputzer, sich als (schwer oder unheilbar) krank auszugeben, ein Plus oder Kreuz verheißt, es könnte erfolgversprechend sein, auf der frommen, religiösen Welle zu reiten. Die Bewohner seien gläubige Leute. Eine Zusammenstellung der gebräuchlichsten Codes, die natürlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, gibt es hier:

Das entsprechende “Alphabet” zu lernen und die Signale richtig zu deuten, ist so schwer nicht. Wenn man’s weiß. Einige Beispiele. Eine einfache, waagrechte Linie signalisiert “Hier ist nichts zu holen. Einbruch lohnt nicht”. Ein aus zwei senkrechten und einer waagrechten Linie bestehendes Gitter besagt das Gegenteil. Mit einem solchen Zeichen werden Örtlichkeiten markiert, an denen fette Beute winkt. Ein Gitter aus drei senkrechten und zwei waagerechten Linien weist das Gebäude als noch lukrativeres Ziel aus. Eine gezackte Linie an der Wand oder wo auch immer warnt vor einem Hund im Haus, ein auf dem Kopf stehendes “T” besagt, dass nur eine Person in besagter Hütte oder Villa wohnt.

Bei Senioren steht das „T“ auf dem Kopf

Besteht die Hausgemeinschaft nur aus alten Menschen, machen das zwei auf dem Kopf stehende “T” deutlich, während ein Pluszeichen mit Bogen verkündet, hier ist ein “Weibernest”. Dort wohnen nur Frauen. Ein einfaches Dreieck hat dieselbe Bedeutung, ebenso ein stilisierter Busen. Hat man es mit einer reinen Männer-WG zu tun, weist eine schräge diagonale Linie mit zwei Kreisen links und rechts davon darauf hin. Das ähnelt entfernt einem Prozentzeichen. Ein Kreis mit Kreuz sowie ein Kreis mit nach rechts weisenden Pfeilen signalisieren Gefahr und empfehlen: Schnell abhauen. Risiko! Möglicherweise ist der Hausherr ein “Bulle”. Eine Raute weist das Haus als unbewohnt aus, ein nach rechts hin offenes Quadrat besagt: Hier wohnen reiche Leute.

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Den Thujazweig könnte auch ein Kind in der Treppenfuge platziert haben. Tatsächlich signalisiert er aber, dass die Hausbesitzer abwesend sind und hier lohnende Beute winkt.

Eine modifizierte Variante der Gaunerzinken ist auch das Einklemmen von Werbeflyern oder eines Zettels zwischen Zarge und Tür/Wohnungstür. Ist bei einer Nachschau am nächsten Tag der Flyer immer noch da, weiß der Späher, dass niemand in der Zwischenzeit die Wohnung geöffnet hat. Die Gelegenheit für einen Einbruch scheint also günstig. Durchsichtige Klebestreifen an und vor Haustürschlössern sind eine andere Variante und dienen dem gleichen Zweck. Sind die nach ein paar Tagen noch intakt, ist wohl niemand daheim. Die Bewohner machen offensichtlich Urlaub. Nicht selten werden aber auch die Auslieferkuriere von Paketdiensten zu unfreiwilligen Komplizen des Gesindels. Die kleinen gelben (oder andersfarbigen) Zettel an der Haustüre, die besagen, dass die Zustellung nicht habe erfolgen können, weil der Eigentümer nicht angetroffen wurde, sind eine offensichtliche Einladung.

Heckenzweige und Kieselsteine

Es sind auch neuere Markierungsvarianten bekannt, die aus kleinen Steinchen, Zweigen oder Blüten bestehen, die wie zufällig vor einer Haus- oder Wohnungstür liegen und oft unbeachtet bleiben. Das können der Zweig einer Thujahecke sein, der in der Fußmatte klemmt, oder zwei aufeinander geschichtete Kieselsteine. Muss nix besagen, kann aber. Auch mit Wachsmalstift aufgetragene Markierungen kommen immer mehr in Mode. Sie sind bei Tageslicht nicht zu erkennen, erst im Schein einer Taschenlampe. Selbst ein kleiner leicht zu übersehender runder Aufkleber oder mit Filzstift aufgetragener Punkt am Briefkasten kann Unheil verheißen… Dahingehend sind die Ganoven ziemlich kreativ. Mit welchen Tricks sie arbeiten, verrät diese kleine ZDF-Dokumentation:

Und wer die Angewohnheit hat, bei Abwesenheit einen entsprechenden Zettel am Klingeltableau zu hinterlassen (“Bin erst um 17 Uhr zurück. Bitte beim Nachbarn Schmitz läuten”.), sollte nicht sonderlich überrascht sein, wenn die Wohnung nach seiner Rückkehr leer geräumt ist. Eine schmerzliche Erfahrung, die ja immer wieder auch mal Trauernde machen müssen, nachdem sie von der Beerdigung des lieben Verstorbenen zurückgekehrt sind. Dass sie zur fraglichen Zeit nicht daheim sein würden, stand ja für jeden erkennbar in der Todesanzeige in der Zeitung.

Wo es WLAN gratis gibt

Ach ja, die moderne, dem massenkommunikativen, grenzenlosen Internet-Zeitalter angepasste Spielart des “Zinkens” nennt sich “WarChalking”. Mit Farb- oder Kreidezeichen (Englisch: “Chalk” = Kreide) werden an Hauswänden, Laternenmasten oder auf dem Straßenpflaster solche Orte gekennzeichnet, an denen privates W-LAN gratis zu empfangen ist. Viele Nutzer sichern ihre Netze nämlich nicht oder nur ungenügend ab, wodurch Unbefugten Tür und Tor geöffnet werden, um auf anderer Leute Kosten zu surfen.

Aufgespürt werden diese offenen Wireless Access Points durch sogenannte “WarWalker” oder “WarDriver”, die unter Einsatz von WLAN-Sniffern danach suchen. Ein geschlossener Kreis besagt hier, dass es sich bei dem vorliegenden WLAN um ein geschlossenes Netz handelt. Zwei entgegen gesetzte Kreishälften bedeuten ein offenes, ungesichertes Netz. Rund herum sind die technischen Informationen platziert, die einem Zugang zum Netz gewähren, teilweise sogar unter Anführung der SSID und des WEP-Kennwortes. Aber das ist wieder eine ganz andere Baustelle.

 

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