Rotorman's Blog

„Stöffchen“ aus dem „Home Office“: In dieser
Saison fällt die Apfelernte bescheidener aus

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Zumindest dieser private Apfelbauer hat aus dem Vollen können. Die Erträge fallen aber von Region zu Region recht unterschiedlich aus. Unterm Strich hängt deutlich weniger Kernobst an den Bäumen als im vergangenen Jahr. Foto: Moorhenne/Pixelio.de

Von Jürgen Heimann

Man kann sich die Sache natürlich auch schön reden. Die Hessischen Keltereien beispielsweise erwarten 2016 eine stabile Apfelernte auf Vorjahresniveau – was dem Bundestrend entgegenlaufen würde. Der Deutsche Bauernverband rechnet nämlich mit Einbußen um die 20 Prozent, während der Verband der deutschen Fruchtsaft-Industrie mit 700.000 Tonnen Streuobstwiesenäpfeln kalkuliert, was in etwa eine halbe Milliarde Liter Most ergeben würde. Das wären Berechnungen dieser Organisation zufolge 50 Prozent mehr als im Vorjahr. Was denn nun? Aber auch Possmann, Heil und Co. verbreiten Zweckoptimismus. Ob der gerechtfertigt ist, wird man in ein paar Monaten an den Preisen fürs beliebte “Stöffche” ablesen können. 

Was und wie viel an den Bäumen hängt, ist von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich. Die Prognosen aus den einzelnen Anbaugebieten fallen denn auch recht unterschiedlich aus. Selbst innerhalb einer begrenzten Region gibt es beträchtliche Erwartungsdifferenzen. Das gilt auch für Mittelhessen, wo sich ein Nord-Süd-Gefälle abzeichnet. Im Norden sieht es mitunter mau aus, weiter unten ist das Frohlocken der Apfelbauern schon größer. Ausnahmen bestätigen hier die Regel. Aufgrund des trockenen Sommers sind die Äpfel diesmal auch etwas kleiner, aber von recht guter Qualität. Dort, wo es gehagelt hat, haben sie allerdings unschöne Dellen, was den Absatz bremst. Äpfel, die aussehen, als hätten sie Cellulitis, mag keiner essen. Werden sie jedoch verflüssigt, spielt das wirklich keine Rolle.

Nach dem Rekordjahr 2015 eine kleine Aus-Zeit

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Nachdem sich im vergangenen Jahr noch die Äste gebogen hatten, sind viele Apfelbäume in diesem Jahr weniger gut bestückt. Die Ernte fällt etwas bescheidener aus als in der Rekordsaison 2015. Auch sind die Früchte etwas kleiner

Nach dem Rekordjahr 2015, in dem sich die Äste unter der Früchtelast gebogen hatten, macht sich hier und da Ernüchterung breit. Die Natur braucht nämlich dringend eine Erholungspause, was die alte Faustregel bestätigt, der zufolge nach einer Hammerernte im darauffolgenden Jahr erst einmal Hängen im Schacht ist. Können auch zwei Jahre werden. Die Bäume benötigen eine Atempause, um zu relaxen und sich von dem Vorjahres-Stress zu erholen. Nachdem 2015 ein Großteil der Erträge ob ihrer immensen Menge erst gar nicht eingefahren und geerntet werden konnte und verfaulte, wird hier und da inzwischen jeder am Ast hängende Apfel mit Vornamen begrüßt. Vereinzelt mag dies auch auf das Konto von Krankheiten und Schädlingen gehen, aber Obstbaumspinnmilbe, Apfelblütenstecher, Frostspanner und Apfelfaltenlaus haben auch nicht mehr gewütet als sonst auch.

Viele Obstpressen fahren nur mit halber Kraft

Die vielen kleinen Obstpressen in den Ortschaften, die im vergangenen Jahr noch im Turbo-Modus gefahren waren, stellen sich auf eine entspannte Saison ein. Viele der Mini-Keltereien wollen erst gar nicht öffnen, weil es sich nicht lohnt. Zeit zum Durchatmen.

Da dürften sich alle jene unter den kleinen privaten, nur für den Eigenbedarf produzierenden Saft- und Weinherstellern selbst auf die Schulter klopfen, so sie in der letztjährigen Spielzeit keltermäßig etwas übers Ziel hinausgeschossen waren. Motto: Denke dran, schaff’ Vorrat an. Aktion Eichhörnchen. Das zahlt sich jetzt aus. Die Regale, Vorratstanks und Ballone sind zum Teil noch gut gefüllt. Da kann man auch einer Durststrecke entspannt entgegen sehen ohne Durst leiden zu müssen. Es ist noch Suppe da. Und die kann ja, sofern nach dem Pressen entsprechend erhitzt und als Saft ausgelegt, auch im Nachhinein noch zu leckerem Gelee verarbeitet werden.

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Der Kellermeister lässt grüßen. Erlesene Nischenprodukte vom Direkterzeuger.

Apfelwein, auch der selbstgekelterte, wird entgegen landläufiger Meinung nicht so schnell ungenießbar und hält sich bei entsprechend kühler und dunkler Lagerung, sofern bei Gärung, Behandlung und Abfüllung alles richtig gemacht wurde, schon zwei Jahre und länger, ohne dass er gleich zu Essig wird. Dabei spielt es keine Rolle, ob man ihn in Flaschen abgefüllt hat oder im luftdicht verschlossenen Glas- oder Kunststoffballon belässt. Hauptsache, er zieht keinen Sauerstoff. Schweb- und Trübstoffe müssen kein Indiz für schlechte Qualität sein.

Weltweit 20.000 verschiedene Apfelarten

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Gutes Stöffchen aus dem „Home Office“. Wobei der ausgereifte Äppler später ja nicht zwingend aus dem traditionellen Gerippten getrunken werden muss. Ein elegant designtes Glas verleiht dem Schoppen schon gleich eine ganz andere, exquisite Note. Fotos: Karl-Heinz Laube/pixelio.de

Weltweit gibt es, Reichsäpfel und solche der Erkenntnis nicht mit gerechnet, ca. 20.000 verschiedene Apfelarten, in Deutschland sind etwa 500. Zur Weinherstellung geeignet sind meist nur die alten Sorten, die einen hohen Säure- und Zuckergehalt aufwiesen. Dazu zählen u.a. auch der Boskop, der Trierer Weinapfel, der Bitterfelder, der Rheinische Bohnapfel, die Schafsnase, die Gewürznuike, der Grüne Fürstenapfel oder der Pferdeapfel. Nee, halt, stopp, Pferdeäpfel sind wieder etwas anderes…  Apple auch.

Auf die Sortenreinheit kommt es gar nicht an. Der gängige Apfelwein präsentiert sich stets als Konglomerat unterschiedlichster Sorten. Andererseits gibt es Spezialitätenschuppen, in denen man beispielsweise auch eine reine Brettacher Spätlese vom Dotzheimer Nordhang ordern kann. Der hat aber dann auch seinen Preis.

In Hessen 6, deutschlandweit 1,06 Liter pro Kopf

Die Zahlen, wie viel sich die Deutschen pro Jahr von dem würzig-leckeren, leicht säuerlichen alkoholischen Fruchtgetränk in den Kopf hauen, variieren. Je nachdem, wen man fragt, fallen die Mengenangaben recht unterschiedlich aus. Der durchschnittliche Pro-Kopf-Verbrauch bewegt sich irgendwo zwischen 0,85 und 1,06 Litern. Gemessen am Bierdurst der Germanskis ist das verschwindend wenig. Zum Vergleich: Der Deutsche Michel schluckt per anno rund 100 Liter Gerstensaft, aber immerhin 9 Liter Apfelsaft. Natürlich sind die Hessen beim Äbbelwoi-Schlabbern mit sechs Litern pro Schädel bundesweit Spitzenreiter. Schließlich handelt es sich dabei um ihr “Nationalgetränk”. Und das wird hier, vor allem in Frankfurt, der Deutschen Apfelweinhauptstadt, seit dem 17. Jahrhundert ausgeschenkt, auch wenn sich bei den “Schoppenpetzer” anfangs nur um arme Leute handelte, die sich “richtigen” Rebenwein nicht leisten konnten.

Dass das Zeugs vorzugsweise in gerippten Gläsern kredenzt wird, hat nichts mit Geschmack zu tun. Es bleibt sich völlig egal, ob die herzhafte Brühe aus dick- oder dünnwandigen Bechern getrunken wird, ob die sich nach oben hin verjüngen, verbeitern, lichtundurchlässig oder transparent sind. Die spezielle rautenförmige Struktur der gebräuchlichen Gefäße hat historische Wurzeln und resultiert daraus, dass die Menschen früher oft ohne Besteck mit den Fingern zu speisen pflegten. Gläser ohne Struktur wären ihnen ja dann aus den (fettigen) Händen geglitten. Was ja heute zum Teil auch noch passiert. Nur hat das dann andere Ursachen 🙂 Aber es gibt, weil das Auge schließlich mittrinkt, auch eine optisch-ästhetische Komponente. Das Dekor des typischen Äppler-Humpens wirkt wie ein Prisma, wodurch auch trübe, ungefilterte Inhalte Glanz bekommen. Skol!

Internationaler Apfelwein-Tag und „Äbbelwoi“-Messe

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Sieht nach einem Gelage aus: In vielen traditionellen Apfelweinkneipen in Frankfurt werden keine Panschereien geduldet. Das „Stöffchen“ gibt’s entweder pur, als Sauergespritzten mit Wasser oder gar nicht. Calvados mit Mispelchen als beschleunigende Dreingabe ist aber allemal drin.

Der 3. Juni hat sich inzwischen als Welt-Apfelwein etabliert und gilt als eine internationale Liebeserklärung an das beliebte Kultgetränk. Die kommerziellen Hersteller sind unermüdlich dabei, am Image ihres Produktes zu feilen. Da müssen geschmackliche Innovationen her, um Massentauglichkeit zu generieren. Was den Produzenten dazu alles an Tricks und haarsträubenden Ideen einfällt, wird sich bei der nächsten, inzwischen schon 19. Internationalen Apfelweinmesse, die im März nächsten Jahres in Mainhattan stattfindet, wieder zeigen. Genuss-Puristen sträuben sich angesichts der schier grenzenlosen Optionen, Äppelwoi zu verfeinern und zu “veredeln”, mit anderen Plörren zu mischen und zu mixen, um somit neue exotische Geschmacksnoten und -varianten zu kreieren, die Gaumenhaare. Am Main stoßen auch in dieser Hinsicht die Gegensätze von Tradition und Moderne hart aufeinander. In einigen der traditionellen Apfelweinkneipen in Sachenhausen wird der Gast schon blöd angemacht, wenn er das “heilige” gegorene Kernobstgetränk mit Cola oder Limo aufhübschen möchte. Im schlimmsten Fall bedient man den Geschmacksverwirrten hier erst gar nicht.

In der Küche ein Tausendsassa

Aber man würde den Äpfeln, von denen jeder Deutsche im statistischen Mittel pro Jahr 25 Kilogramm vertilgt, nicht gerecht werden, so man sie ausschließlich auf ihre weinselige Verwendbarkeit reduziert. Gut, man kann auch Schnaps draus machen, oder eben Apfelkorn. Aber vor allem in der Küche ist dieser Tausendsassa fast universell zu gebrauchen. Pikante Gerichte wie Pfannkuchen mit Speck oder Heringssalat verleiht er eine süße Note. Er ist als Kuchenbelag ebenso geschätzt wie in Gelee- und Marmeladenform, als Kompott oder als geschmacksverstärkende Dreingabe in Joghurt, Tee und Schokolade. Es gibt ihn getrocknet als Chips, er taucht im Brot auf und kommt als Balsamico oder auch als “Trüffel” daher.

Vitaminreich und verdauungsfördernd

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Herr Ober! Noch ‚ne Lage!

Nebenbei sind diese Früchte auch gesund. “An apple a day keeps the doctor away” heißt es nicht von ungefähr: “Ein Apfel am Tag erspart den Arzt”. Er, also der Apfel, nicht der Onkel Doktor, enthält mehr als 30 verschiedene Mineralstoffe sowie viele wichtige Vitamine. Die Fruchtsäuren wirken wie eine biologische Zahnbürste; die in der Frucht enthaltenen Farb- und Gerbstoffe schützen vor Herz- und Kreislauferkrankungen und sollen das Immunsystem stärken. Die Vitaminbomben helfen auch, das Gewicht zu reduzieren. Der Ballaststoff Apfelpektin quillt im Magen auf und sorgt so für ein Sättigungsgefühl, das lange anhält. Verdauungsfördernd sind Äpfel natürlich auch, was viele bestätigen können, die sie in ihrer flüssigen Ausprägung genossen haben.

Zwischen Sündenfall und Schneewittchen

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Die Deutschen verputzen pro Kopf im Jahr 25 Kilogramm Äpfel und trinken 9 Liter Apfelsaft. Der durchschnittliche Apfelweinkonsum liegt bei gerade mal 1,06 Litern. Foto: Pixabay

Der Apfel, der heuer nach Zitrusfrüchten, Bananen und Trauben an vierter Stelle der weltweiten von Chinesen und Amis angeführten Produktionsrangliste für Obstsorten steht, ist keine heimische Erfindung , sondern war ursprünglich in Zentral- und Westasien beheimatet. Um 10.000 vor Christus wuchsen auf dem Gebiet des heutigen Kasachstan Äpfel, die dann auch der Hauptstadt ihren Namen gaben: “Almaty”, heute “Alma-Ata”, bedeutet übersetzt “Stadt des Apfels”. “Malus” heißt der Apfel auf Latein, was so viel wie “das Böse” bedeutet. Schließlich war die Frucht in nicht unerheblichem Maße am Zustandekommen des Sündenfalls beteiligt, was die Vertreibung des Menschen aus dem Paradies zur Folge hatte. Dass Schneewittchen nach dem Verzehr eines vergifteten Exemplars ins Koma fiel, kommt erschwerend hinzu. Der Nikolaus machte das in Folge aber wieder gut, indem er brave Kinder als Belohnung mit unbehandelten Äpfeln, die solche Nebenwirkungen nicht hatten, beschenkte.

Bei den ollen Griechen galt dieses Obst gar als Aphrodisiakum. Wollte ein Hellene sich verloben, warf er seiner Angebeteten einen Apfel zu. Fing sie ihn auf, galt das als positive Zustimmung. Auch in der Hochzeitsnacht sollten Braut und Bräutigam sich einen Apfel teilen. Aber dabei ist es ja meistens nicht geblieben…

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