Rotorman's Blog

Against the Wind(-Kraft): „Kommissar X“, Bob
Seger und die gelben Kreuze im Schelde-Delta

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Ein „X“ für ein „U“: In Oberscheld wird die Windkraft ans gelbe Schragenkreuz genagelt. Ein leuchtendes Symbol des Widerstandes gegen neue „Spargel“ auf dem Falkenstein.

Von Jürgen Heimann

Man kennt die Zeichen in anderer farblicher Ausprägung auch als “Andreaskreuze”. Und das hat jetzt weniger mit meinem missratenen Cousin Andreas zu tun, an dem dessen Mutter, meine Tante, auch ihr Kreuz zu tragen hat. Sie, also die (Andreas-)Kreuze, nicht mein Vetter, sind in ihrer neuzeitlichen Variante in der Regel weiß,  während die Enden der diagonal verlaufenden Balken rot gefärbt daher kommen. Sie halten sich bevorzugt an Bahnübergängen auf. Im Falle des Apostels  Andreas, den man einst im griechischen Patras an ein solches Konstrukt genagelt haben soll und der noch heute in Schottland, Russland und Rumänien als Nationalheiliger verehrt wird, dürfte das anders gewesen sein. Aber der Märtyrer, der sterben musste, weil er das Weib des Statthalters der Präfektur Achaia zur ehelichen Enthaltsamkeit angestiftet hatte,  gilt bis heute als ursächlicher Namensgeber dieser Schragenkreuze. Soweit alles klar, oder auch nicht. Aber da wären noch einige offene Fragen. 

Es gibt diese X-Zeichen in den unterschiedlichsten Ausführungen und Deutungsvarianten. Man findet sie u.a. als Elemente in der Heraldik, als gestalterisch-dekoratives Grundprinzip bei Fachwerkbauten, als nationales Emblem in der Flagge Schottlands oder als chemisches Gefahrensymbol für reizende, gesundheitsschädliche Stoffe. Kliniken verwenden eine solche Markierung beispielsweise zum Kennzeichnen ihrer medizinischen Abfälle, während sie in der Mathematik als Multiplikationsoperatoren gebräuchlich sind. Analphabeten unterzeichnen damit Dokumente – am besten mit einem “Triple-X”. Häufig werden auch besonders geheimnisvolle, seltsame oder unerforschte Dinge mit einem “X” markiert: „X-Strahlen“, “X-Faktor”, “Terra X”, “Generation X”, “X-Men” sowie Wahllisten. Wer dabei sein schräges Kreuzchen hinter den Namen des FDP-Kandidaten macht, und das vielleicht zum x-ten Male, steht im Verdacht, ein virtuelles X auf der Stirn zu tragen. Er gilt somit als vernagelt und nicht mehr therapiefähig – weil er sich zu leicht ein “X“ für ein „U“ vormachen lässt .

Zwischen „Xtra-Card“ und „XXL-Royal“ von McDonald‘s

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Diese „kryptischen“ Zeichen gehören inzwischen im Schelde-Delta zum gewohnten Straßenbild und prangen an vielen Häusern, Grundstückseinfriedungen und Gartenzäunen des ehemaligen Bergmannsdorfes.

Die Teledumm wirbt mit Xtra-Card und einem Xtra-Bonus, und bei meiner Sparkasse kann ich ein Xtra-Giro-Konto eröffnen. Nach der letzten erfolgreichen Diätkur passt mir auch Konfektionsgröße XXL wieder, aber auch nur, weil ich mir den „XXL Royal“ von McDonald‘s über Monate heldenhaft versagt habe.

Ja, und dann gibt es das “X” auch als gelbgestrichene hölzerne Explikation. In dieser Gestalt, jedoch  in der etruskischen, nicht der lateinischen Ausführung, prangt es an Gartenzäunen und Haustüren, an Begrenzungspfosten oder Gebäudefassaden. In einem kriegerischen Ex-Bergmannsdorf im mittelhessischen Schelde-Delta ist dieses Phänomen inzwischen in massiver Häufigkeit zu beobachten. Und nahezu täglich werden es dieser merkwürdigen Symbole mehr. Die scheinen sich zu vermehren wie die Eichhörnchen, die Symbole, nicht die Einwohner. Da staunt der Laie, und der Flachmann wundert sich…

Alte Männer und uneheliche Kinder

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Der Apostel Andreas hat das nach ihm benannte „Andreaskreuz“, wie es heuer auch an vielen Bahnübergängen zu finden ist, zwar nicht erfunden, war aber das erster prominente Opfer, das an ein solches genagelt wurde.

Aber Bergbau hin, Gruben her: Um eine Warnung vor durch alte Männer drohende Gefahren handelt es sich wohl kaum. Als “Alter Mann” (oder “Altermann”) werden im tief schürfenden Gewerbe abgesperrte Grubenbaue oder “bergmännisch erzeugte Hohlräume” bezeichnet, die erschöpft, verlassen und/oder mit Versatz gefüllt sind. So es sie hier gegeben hat – und es gab sie tatsächlich en masse –  sind sie längst idioten- und einsturzsicher abgedichtet. Alle der unterirdischen Eisenerzgewinnung dienenden Aktivitäten waren in dem heute zu Dillenburg gehörenden Ort nämlich bereits Ende der 50-er Jahre eingestellt worden. Insofern dürfte es hier inzwischen eigentlich keine gefährlichen Altlasten dieser Art mehr geben. Aber man kann ja nie wissen.

Kommissar XIn der Genealogie steht das X- Zeichen für eine uneheliche Verbindung. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand im Dorf derart plump und plakativ auf seine makelbehaftete Herkunft aufmerksam machen möchte. Als Wanderwegmarkierung dürften die Dinger ebenfalls nicht in Frage kommen. Wenngleich es in der Branche der fanatischen Genuss-Marschierer von kryptischen Zeichen nur so wimmelt. Deren Bedeutung erschließt sich dem gemeinen außenstehenden Autofahrer („Warum laufen, wenn man vier gesunde Räder hat?“) aber selten auf Anhieb. Und dass Tony Kendall, der in den 70-er Jahren wiederholt als “Kommissar X” über die Kinoleinwände huschte, in Oberscheld noch eine so große Fangemeinde haben soll, kann ich mir auch nicht vorstellen. Davon abgesehen war das Initial des cleveren Kinoschnüfflers ja ein rotes. Aber im aktuellen Fall haben wir es explizit mit Gelb zu tun. Ist ja nebenbei eine Signalfarbe, die, wie mir der Bofrost-Mann meines Vertrauens verraten hat, erst dann wahrgenommen wird,  wenn Licht mit einer spektralen Verteilung ins Auge fällt, bei der Wellenlängen zwischen 565 und 575 nm dominieren. Wahnsinn, was der Kerl alles weiß!

Ein Atomkraftwerk im Schelderwald?

Lange Rede, gar kein Sinn: Was bleibt also Erklärung? Die Jungs von “Gockl” (www.google.de) helfen da zunächst nur bedingt weiter. Man muss schon tiefer bohren und die richtigen Fragen stellen. Das gelbe X sei ursprünglich ein Symbol des wendländischen Widerstandes gegen die Atomkraft gewesen und hätte sich auch in anderen Regionen verbreitet und etabliert, erfährt man. Aha! Da scheint jetzt irgendetwas an mir vorbei gelaufen zu sein. Kriegen die in Oberscheld jetzt etwa auch so einen radioaktiven Meiler oder eine Endlagerstätte vor die Nase gesetzt? Und ist der allenthalben so dekorativ platzierte Gilb ein Signal des Protestes dagegen?

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Kombiniert mit blühender Pracht macht das gelbe „X“ auch als dekoratives Element der Gartengestaltung etwas her. Auch wenn es vom Hauseigentümer nicht aus eben diesem Grund errichtet worden sein dürfte.

Trifft es zwar nicht ganz, kommt dem Kern der Sache aber schon etwas näher. Das gelbe X hat seine Wurzeln im niedersächsischen Landkreis Lüchow-Dannenberg und entstand als Zeichen der Mobilisierung für den “Tag X”, dem Tag der ersten Atommülltransporte nach Gorleben. Heißt so viel wie “Castor niX da”, oder “Wir stellen uns quer”. Inzwischen hat sich das Zeichen verselbstständigt und gilt landauf, landab als Ausdruck des Widerstandes gegen irgendetwas. Am gebräuchlichsten ist es als Mahnung und Warnung vor (umstrittenen) Plänen der Gas-, Öl- und Energieindustrie, die nicht absehbare Folgen für Menschen, Landschaft und Natur zeitigen könnten. Bürgerinitiativen, die sich dagegen positionieren, zeigen den gute Geschäfte witternden Projektbetreibern damit die rote Karte in Gestalt des gelben Schragenkreuzes. Vereinfacht formuliert: Ein gelbes Kreuz mitten auf  einer Wiese, im Wald oder am Straßenrand platziert soll zeigen, wo die Natur in Gefahr ist.

Die Geheimsprache der Ganoven

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Hat nix mit Protest zu tun. Andere Baustelle: Gaunerzinken. In dieser Zeichensprache bedeutet ein Kreuz, das das Objekt von frommen Leuten bewohnt wird. Ein X in einem Kreis signalisiert Gefahr: „Vorsicht! Nicht vorsprechen“. Zwei Säulen auf einem waagrechten Strich weisen die Bewohner als alte Leute aus. Und ein Kreuz auf einem Halbkreis bedeutet „Kein Mann im Haus“.

Da muss man ja auch erst mal drauf kommen. Diese Erklärung macht natürlich alle anderen liebgewonnenen Verschwörungstheorien zunichte, denen zufolge die ominösen Symbole an den Häusern deren Besitzer als Angehörige einer verschwiegenen, dunkle Ziele verfolgenden  Loge oder Geheimbruderschaft ausweisen. Die Hypothese, es handele sich um eine Variation der sogenannten “Gaunerzinken”, ist ja noch weiter hergeholt. Diese Chiffren, die schon seit dem Mittelalter als Geheimcode der nonverbalen Kommunikation unter Einbrechern und betrügerischen Klinkenputzern gebräuchlich sind und Hinweise auf lohnende Zielobjekte vermitteln, sind nämlich meist viel dezenter und stechen nicht sofort ins Auge. Aber dabei gibt es, wen wundert’s, natürlich auch “Ixe”. Ein solches in einem Kreis bedeutet: “Vorsicht! Nicht vorsprechen”. Kann sein, dass dort ein Polizist wohnt, mit dem nicht gut Kirschen essen ist. Ein gerade gestelltes X hingegen, also ein “normales” Kreuz,  besagt, dass hier fromme Leute wohnen. Wenn man sich also  gläubig gibt, erhöht das die Chancen, eingelassen zu werden. Diese verklausulierten Botschaften werden meist aber nur von Eingeweihten, die danach suchen, erkannt und entsprechend gedeutet. Aber das ist wieder ein ganz, ganz anderes Thema.

Bob Seger und das St.-Florian-Prinzip

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Wollen wir nicht, brauchen wir nicht. Diese Art der Energieerzeugung hat inzwischen viel von ihrer anfänglichen jungfräulichen Unschuld verloren.

Die Gelbkreuze hingegen, meist in größerer Stückzahl aus Holz gefertigt und mittels Draht gut sichtbar befestigt, sollen keine verwerflichen Absichten verschleiern, sondern offensiv signalisieren, dass hier, in besagtem Ort, etwas im Busch ist, dass es hier Protest  gibt und gegebenenfalls Aufruhr geben könnte.  Es ist die symbolisierte, leicht modifizierte  Entsprechung des alten Bob Seger-Hits „Against the Wind(kraft)“.

In Oberscheld ist es der Kampf gegen die Errichtung weiterer Windkraftanlagen auf dem Falkenstein, der von der Bürgerinitiative “Rettet den Schelderwald” getragen wird. Wobei die Protestler keineswegs dem St.-Florian-Prinzip huldigen. Die Initiatoren fürchten nicht nur Einschränkungen der Wohnqualität, sondern auch erhebliche negative Auswirkungen auf die Natur.

Vogelschlag

Gefährlicher Spielplatz für Gefiederte. Millionen Vögel werden jährlich durch Windkraftanlagen geschreddert. Foto: Screenshot Pravda-tv

Im Schelderwald gibt es zahlreiche alte Buchenbestände, viele schützenswerte Fledermäuse und Greifvögel, die durch neue Windräder bedroht sind. Und diese Art der Energieerzeugung, die umweltfreundlichste, sauberste und sicherste überhaupt, wie man uns glauben machen will, hat ja inzwischen durch neue Erkenntnisse viel von ihrer anfänglichen jungfräulichen Unschuld verloren. Innerhalb der EU werden durch sie 11,4 Prozent des gesamten Elektrizitätsbedarfes gedeckt. Doch wo viel Licht, da auch viel Schatten. Oder wie war das gleich mit dem Wind säen und dem Sturm ernten?  Aber ernten tun vor allem erst einmal die Betreiber, vor allem jene der großflächigen Mega-Windparks. Für die ist das ein glänzendes Geschäft. Für den Kunden bzw. den Stromverbraucher eher weniger.

Schredderanlagen fürs gefiederte Volk

Reden wir erst gar nicht vom Infraschall und den Vibrationen, die bei längeren Einwirkungen bei Mensch und Tier Veränderungen in Lungen und anderen Organen auslösen (sollen), wobei sich die Auswirkungen erst mit zeitlicher Verzögerung von einigen Jahren zeigen. Daraus resultierende “vibroakustische Erkrankungen” werden erst in jüngster Zeit intensiver untersucht und erforscht. Probleme verusachen können vor allem der tieffrequente Schall und der Infraschall.Die eigentliche Gefährdung finde in den Häusern statt und werde vom Ohr gar nicht wahrgenommen, sagen Forscher. Über den Boden, der in der hiesigen Region ob seines hohen Erzgehaltes besonders gut leite, gelangten die Schallwellen in die Wohngebäude.  Bei empfindlichen Menschen kann dies zu Schlaflosigkeit, Herzrhythmusstörungen, Übelkeit, Unruhezuständen und sogar Depressionen führen.

Diese Windmühlen sind ja auch zugleich tödliche Fallen für unzählige  Vertreter der ornithologischen Fraktion, die sich in ihrem Dunstkreis aufhalten. Zigtausende von Vögeln werden so täglich geschreddert. Für Fledermäuse ist die finale Konsequenz die gleiche, nur dass sie innerlich verbluten, weil die Blutgefäße ihrer Lungen platzen. „Barotrauma“ nennt man das. Es ist bedingt durch die Luftdruckschwankungen, die entstehen, wenn die Rotorblätter den Mast passieren. Der bekannte Tier- und Dokumentarfilmer Andreas Kieling hat das in seinem Beitrag „Drama am Himmel“ anschaulich aufgezeigt:

Auf dem etwa 300 Hektar großen “Vorranggebiet” in Oberscheld könnten und dürften theoretisch  bis zu 16 Anlagen errichtet werden. Für viele  Einwohner ein alptraumhaftes Szenario. Wer, bitteschön, möchte schon im Schatten so vieler hoher aggressiver  “Spargelmasten” wohnen?

Davon abgesehen: Bis zum Beweis des Gegenteils glaube ich aber fest an die dem X innewohnende Magie und seine Potenz als Glücksbringer. Und jetzt die Lottozahlen…

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