Mit Karl Rabe, ihrem Namensvetter aus Österreich, dem Porsche-Konstrukteur, haben sie nix bzw. wenig gemein. Auch nicht mit Schlag-mich-TV-Stefan, bei dem das „E“ am Namensende einem doppelten „A“ in der Mitte gewichen ist. Raben (und ihre Artverwandten) zählen zu den faszinierendsten Vögeln der Welt und gelten als Intelligenzbestien der globalen Fauna. Mag sein, dass es unter Primaten oder Meeressäugern Ebenbürtiges gibt, aber im IQ-Ranking der Gefiederten rangiert die Gattung „Corvus“, so der lateinische Name, unangefochten auf dem ersten Rang. „Corvus“ bedeutet übrigens Waffe. Und es bleibt sich geflogen wie gekrächzt, ob sich der Name vom mächtigen Schnabel ableitet, den die Corviden (auch) zur Attacke, aber auch zur Körperpflege nutzen, oder von ihrem Verstand. Letzteren setzen sie in allen Lebenslagen gezielt ein.
Zur weit verzweigten Familie der Rabenvögel, von denen es weltweit über hundert verschiedene Arten gibt, zählen hierzulande neben ihrem größten Vertreter, dem Kolkraben, u.a. Krähen, Dohlen, Eichelhäher, Elstern und Tannenhäher. Dass diese Schlaumeier der Lüfte zu den Singvögeln gerechnet werden, mag etwas irritieren, denn so bestechend ist ihr Vortrag nun auch wieder nicht. Bei „The Voice of Germany“ wären sie jedenfalls chancenlos, obwohl es auch dort schon schlechtere Kandidaten gegeben hat. „Wer jung wie ein Rabe schreit, wird alt nicht wie eine Nachtigall singen“, besagt ein altes Sprichwort. Volkes Mund attestiert diesem Vogel an anderer Stelle aber auch deutlich mehr Gelehrsamkeit als der kleinen so bestechend zwitschernden Vokalkönigin mit der Drei-Oktaven-Stimme. Zur Weisheit hat es jedoch noch nicht ganz gereicht. Die billigt der Mensch in der Avifauna allenfalls den Eulen zu, die, sofern sie nicht nach Athen getragen wurden, oft mit Doktorhut und Taler oder auf einem Buch sitzend dargestellt werden. Mit Rabenvögeln hingegen, denen ein ausgeprägter Hang zur Kleptomanie nachgesagt wird, assoziiert unsereins Klugheit, Cleverness, Verschlagen- und Gerissenheit. Das ist was anderes.
Todesboten und Glücksbringer
In Mythen und Sagen, Literatur, Film und Musik wurden und werden diese Tiere erhöht oder verdammt, bewundert oder verachtet. Mal sind es Todesboten, mal Glücksbringer. Der germanische Gott Odin besaß das Rabenpaar „Hugin“ und „Munin“, das Gedanke und Erinnerung verkörperte. Erst ab dem christlichen Mittelalter vollzog sich die Dämonisierung. Der Rabe wurde zum Galgen- und Höllenvogel. Die Basis für eines von zahlreichen, sich hartnäckig bis in die Neuzeit erhaltenen Vorurteilen und Redensarten, das von den (schlechten) Rabeneltern, die ihre Jungen verstoßen oder hungern lassen, ist schon in der Bibel angelegt: „Der Herr gibt dem Vieh Futter, wie den jungen Raben, die ihn anrufen und irre fliegen, weil sie nicht zu essen haben“ (Hiob 38,41). Aber hier irrt der Autor gründlich. Das Gegenteil ist der Fall, wie Studien und Beobachtungen belegen. Auch Augustinus hat schon festgestellt: „Die früheste Nachricht vom Volksglauben an die Lieblosigkeit der Rabenmutter steht wohl im Talmud, der überhaupt an unkritischen zoologischen Nachrichten reich ist“.
Zänkische Weiber und mittelalterliche Paar-Therapeuten
Ein griechischer Mythos berichtet von einem weißen Raben, der zum Schwarzwerden verdammt wurde, nachdem er seinem Chef, dem Gott Apollon, gesteckt hatte, dessen G‘schmusi Koronis hätte ihm Hörner aufgesetzt. Das hatte Auswirkung auf die gesamte Gattung. Der Farbwechsel war irreversibel, alle Versuche, ihn umzukehren, erwiesen sich in Folge als zwecklos. Daraus resultiert die Redensart „Einen Raben waschen“. Was so viel bedeutet wie eine unnütze Arbeit verrichten oder etwas Törichtes tun. Mittelalterliche Paar-Therapeuten wussten auch bereits: „Es ist leichter, einen Raben weiß zu waschen als einem zänkischen Weib das Keifen abzugewöhnen“. Aber das ist wieder ein anderes Thema.
Edgar Allan Poe hat den Größten seiner Art in seinem Gedicht „Der Rabe“ (The Rave) so beschrieben: „Sitzt mit geisterhaftem Munkeln, seine Feueraugen funkeln gar dämonisch aus dem dunkeln, düstern Schatten um ihn her…” Und auch Wilhelm Busch hat seinem „Hans Huckebein“ ein köstliches, literarisches Denkmal gesetzt. In beiden Werken kommen die Gefiederten allerdings nicht durchgehend gut weg. Rabenvögel haben einen schlechten Leumund und ein ziemlich mieses Image. Das gilt besonders für die bei uns weit verbreiteten Krähen und Elstern, denen man es ziemlich krumm nimmt, dass sie sich an den Nestern von Singvögeln vergreifen. Was sie auch tun, ebenso wie die vom Menschen so geschätzten niedlichen Eichhörnchen. Kleine Singvögel stehen jedoch mitnichten auf ihrer Speisekarte ganz oben an. Untersuchungen von Krähen-Nestern im Raum Berlin beispielsweise haben ergeben, dass Vögel unter deren Beutetieren lediglich einen Anteil von 0,4 Prozent ausmachen. Keine andere Vogelart sei also durch Krähen oder Elstern gefährdet, behauptet der dortige NABU. Diese These ist allerdings selbst unter Naturschützern nicht ganz unumstritten. So gibt es durchaus Stimmen, die besagen, Rabenvögel hätten hier und da sehr wohl Einfluss auf Bestandsrückgänge der kleineren Singfraktionen. Allerdings würden sich da Veränderungen des Lebensraumes deutlich drastischer auswirken.
Das Ergebnis eines vom Ministerium für Umwelt und Forsten Rheinland-Pfalz in Auftrag gegebenen zweijährigen Forschungsauftrags stützt allerdings die Position der Berliner. Das abschließende, u.a. Nahrungsanalysen und telemetrische Ganztagsbeobachtungen umfassende Gutachten verneint eindeutig einen Schaden durch Rabenkrähen und Elstern für Singvögel, Niederwild und Landwirtschaft. Diese Allesfresser sind keineswegs „blutrünstige Mörder“. Sie kümmern sich im Naturhaushalt um die Beseitigung von Aas. Ihnen kommt also als Hygienepolizei somit eine wichtige Aufgabe zu. Dass sie es mit dem Eigentum anderer nicht so genau nehmen, klauen wie die sprichwörtlichen Raben oder die diebische Elster, ist auch so eine Mär. Belegt hingegen ist, dass der farbenfroheste Vertreter dieser Gattung, der Eichelhäher, zur Verbreitung von Samen beiträgt und bei der natürlichen Aufforstung eine nicht ganz unerhebliche Rolle spielt. Im Herbst legt sich der Bursche Futterverstecke an, findet aber einen Teil davon später nicht mehr. Dort keimen und sprießen dann neue Sträucher oder Bäumchen. Seinen Namen verdankt der Vogel übrigens seiner Lieblingsspeise, der Eichel, von denen er bis zu zehn Stück in seinem Kehlsack transportieren kann.
Tricksen, Mogeln, Tarnen Täuschen
Was Zoologen, Ornithologen und Verhaltensforscher immer wieder von Neuem verblüfft, ist die Intelligenz dieser Tiere, mit der sie schon den antiken griechischen Dichter Äsop begeistert hatten. Es sind gefiederten Genies und sie gelten als „Krone der Vogelschöpfung“. Sie lernen schnell, benutzen (oder basteln sich selbst) zielgerichtet Werkzeuge und begreifen auch versteckte Zusammenhänge. Rabenvögel können sich gedanklich in andere Lebewesen hinein versetzen und sowohl strategisch, als auch abstrakt denken. Sie ziehen Rückschlüsse, kommunizieren Mittels Gesten und sind in der Lage zu Tricksen, zu Mogeln und Täuschen. Das man ihnen das Sprechen beibringen kann und sie dann sogar den Dialekt des Lehrmeisters nachahmen, besagt nix. Denn: Mitunter rekapitulieren auch strohdumme Beos Wörter, sofern diese ihnen nur lange genug vorgesagt wurden. Die Laute anderer Tiere täuschend echt zu imitieren, zählt hingegen zu den eher leichteren Übungen von Rab und Co.
Black ist beautiful. Das bekannteste Beispiel dafür, wie clever und ausgeschlafen diese „schwarze Brut“ ist, liefern Rabenkrähen aus Tokio. Diese haben eine ganz ausgeklügelte Technik zum Nüsseknacken entwickelt. Sollten sie sich patentieren lassen. Anstatt die Baumfrüchte einfach auf den Boden fallen zu lassen, werfen die Vögel sie auf die Straße, damit die Autos darüber fahren. Der Clou: Die Krähen bevorzugen für diese Aktionen Zebrastreifen und, sicher ist sicher, deponieren die Nüsse erst dann auf der Fahrbahn, wenn die Ampel dem fließenden Verkehr „Rot“ signalisiert und zum Anhalten zwingt. Die anschließenden Grünphase, während der die anfahrenden Autos die Schalen knacken, warten die „Crows“ ab, um schließlich beim nächsten Rot seelenruhig ihren Snack zu holen.
Die „Huckebeins“ beobachten genau und ziehen dann ihre Schlüsse
Dass man den „Huckebeins“ und ihren Verwandten kein X für ein U vormachen kann und sie sehr wohl zwischen Ursache und Wirkung unterscheiden können, belegen Beobachtungen aus dem Nord-Brandenburgischen. Dort attackierten Krähen herumfliegende Modellflugzeuge, weil diese ihren Brutgelegen zu nahe kamen. Aber sehr schnell fanden die Tiere heraus, wer die eigentlichen „Übeltäter“ waren und konzentrierten sich bei ihren Angriffen auf die Piloten, die die Flugzeuge mit ihren Funkfernbedienungen steuerten.
Rabenvögel erkennen Gesichter und können „böse“ Menschen, die ihnen mal an die Wäsche bzw. ans Gefieder/Gelege wollten, noch nach Jahren identifizieren und sind auf der Hut. Sie geben diese Erfahrungen, vor wem „man“ sich besser in Acht zu nehmen hat, auch an unbeteiligte Artgenossen weiter. Obwohl sie gemäß der EU-Vogelschutzrichtlinie geschützt sind, setzen sich die meisten Bundesländer auf Druck der Jagdlobby durch Ausnahmeregelungen und Verordnungen darüber hinweg und erlassen Jagdzeiten, die teils bis in die Brutzeiten hineinreichen. Begründung: Hohe Rabenvogelbestände würden die Population von Beutetieren herabsetzen und könnten gar zum regionalen Erlöschen einzelner Arten beitragen.
Die Statistik zeigt andererseits, dass Abschüsse auf breiter Front nicht, wie beabsichtigt und behauptet, die Vorkommen verringern. Das Gegenteil ist mitunter der Fall. Bei den verbliebenen Vögeln führt das nur zu verstärkter Bruttätigkeit, so dass der Bestand schnell wieder aufgefüllt ist oder gegenüber der vorigen Marke noch übertroffen wird. Krähenabschüsse sind so gesehen völlig sinnlos. Bei den Füchsen ist es ähnlich. Dort dient die Tollwut oder der Fuchsbandwurm als Vorwand, um durchzuladen und gegen die Reineckes ins Feld zu ziehen. Und was machen die Überlebenden? Gleichen die Verluste durch eine verstärkte Fortpflanzung aus oder wandern in Nachbarreviere bzw. Regionen aus. Wodurch die Seuche dann auch kaum eingedämmt, sondern lediglich verlagert wird. Anders ausgedrückt: Füchse gehören zu den „r-Strategen“, das sind früh geschlechtsreife Arten, die sich schnell reproduzieren können. Deren Populationen kann die Jagd tatsächlich wenig anhaben, jedoch die Populationsdynamik stark verändern, indem sie sie beschleunigt. (Dr. Karl-Heinz Loske, “Von der Jagd und den Jägern“). Das mag jetzt etwas fundierter und klüger klingen, besagt aber dasselbe.
Hierzulande, speziell in Mittelhessen, dominieren die Rabenkrähen. Sie stellen die größte Fraktion. Saatkrähen, die so ähnlich aussehen, mischen sich nur in Zugzeiten darunter. In den Sommermonaten kommen sie bei uns im Lahn-Dill-Kreis so gut wie nicht vor. Auch die Nebelkrähen, die man sehr gut an ihrem von Aschgrau beherrschten Gefieder erkennt, sind hier nicht daheim, sondern pflegen sich eher in den Regionen entlang der Elbe sowie in Brandenburg aufzuhalten. Die wesentlich kleineren Dohlen sind sowohl Wald- als auch Mauerbrüter. Als letztere empfehlen sie sich u.a. am Dillenburger Schlossberg, in Edingen, Greifenstein, Katzenfurt, Braunfels und Leun, während es Forstkolonien bei Kölschhausen, Breitscheid, Driedorf, Schönbach und Erda gibt. Der Bestand der Eichelhäher schwankt – witterungsbedingt. In strengen Wintern kann er um bis zu 50 Prozent abnehmen. Doch in der Saison 2013/14 hatte der Waldpolizist ziemlich gute Karten. Der etwas seltenere Tannenhäher, auch „Nussrabe“ genannt, bevorzugt höhere Lagen und kommt u.a. in Rittershausen und in Greifenstein vor. Bekannt sind sechs Brutreviere.
Wenn’s knallt, gibt’s Futter
„The Big Ones“, die Kolkraben, die noch bis Mitte 1940 als nahezu ausgestorben galten, haben in den vergangenen Jahren wieder zugelegt, was exemplarisch auch im Lahn-Dill-Kreis zu beobachten ist. Die Vogelkundlichen Berichte für das Jahr 2012 weisen 27 Brutreviere von Rittershausen im Norden bis Brandoberdorf im Süden aus, doch halten andere Experten diese Zahl als eher für zu niedrig gegriffen. Deutschlandweit soll es mittlerweile wieder etwa 12.000 Brutpaare geben. Diese imposanten Flugkünstler mit ihrem schwarz-metallic-glänzenden Gefieder erreichen eine Körperlänge von bis zu 67 Zentimetern und bringen es auf eine Flügelspannweite von 1,30 Metern. Sie sind somit größer als der Mäusebussard und werden bis zu 1,5 Kilogramm schwer. Und sie sind verdammt clever und verfügen über einen hervorragenden Nachrichtendienst. Wenn beispielsweise im Bereich der „Hörre“ zur Jagd geblasen wird, sind im Nu sind 20 bis 30 Exemplare zur Stelle, um sich an den Innereien der ausgeweideten Waidmanns-Beute gütlich zu tun. Dass es da etwas zu holen gibt, wissen die Tiere, sobald der erste Schuss abgegeben wurde. Wie diese Information freilich die weiter entfernt lebenden Artgenossen erreicht, ist nicht bekannt. Da könnte vielleicht sogar die NSA noch was lernen….