Rotorman's Blog

Chris Murrays doppeltes Lottchen: Wo
sich der CD-Player schwindlig dreht

Klein-Cover

Zehn Jahre sind seit Veröffentlichungseiner ersten „richtigen“ Solo-CD vergangen. Jetzt hat Chris Murrays „Musical-Hits“ ein Brüderchen bekommen, bzw. derer zwei: „Musical-Times“.

Seinem Erstling ein Brüderchen folgen zu lassen, damit hat sich Chris Murray ziemlich Zeit gelassen. Diverse Cast-Alben und einen Weihnachts-Sampler mal nicht mitgerechnet,  sind fast zehn Jahre seit dem Erscheinen seines viel beachteten ersten Solo-Albums mit dem schlichten Titel “Musical-Hits” ins Land gegangen. Seitdem ist viel Wasser die Spree hinunter geflossen. Doch jetzt hat der Wahl-Berliner nachgelegt und einem weiteren klangvollen Baby auf die Welt verholfen. Es sind Zwillinge.  Von der Namensgebung her kommt auch diese Doppelscheibe eher prosaisch daher: “Musical-Times” (hoch 5). Aber das sind Äußerlichkeiten. Entscheidend sind die inneren/inhaltlichen  Werte. Und da gibt es nichts zu meckern. Nicht von ungefähr kletterte das mit 42 Tracks vollgepackte Werk schon kurz nach seiner Veröffentlichung auf Platz 1 der einschlägigen Charts.
Aber es ist natürlich nicht nur die Quantität, die den Duo-Silberling zu etwas Außergewöhnlichem macht. Er ragt auch von seiner Konzeption her aus der Masse der ungezählten, Genre-spezifischen Greatest -Hits-Compilations heraus. Keine reine Aneinanderreihung von Lieblings-Songs eines Künstlers, sondern eine solche, die einerseits  wesentliche seiner Karriereabschnitte und Meilensteine der vergangenen Jahre dokumentiert, und andererseits als Verbeugung vor fünf der erfolgreichsten deutschen oder in Deutschland lebenden Musical-Komponisten zu verstehen ist: Stephan Kanyar, Marc Schubring, Frank Nimsgern, Paul Graham Brown und Dennis Martin.  Jeder Einzelne aus diesem erlauchten Kreises findet übrigens in der aktuellen Spielzeit an den hiesigen Theatern mit seinen Werken Gehör. Und das Quintett, daher wohl auch das “hoch 5” im Zusatz,  war eng in Songauswahl und Produktion eingebunden. Daneben finden sich darauf aber auch Stücke dreier hierzulande noch völlig unbekannter Komponisten. Deren Beiträge rühren Teils aus  einem entsprechenden, via Facebook ergangenen Aufruf her.

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Er fällt, sein neues Album steigt – die Charts hinauf. Chris Murray hat mit „Musical-Times“ ein kleines Meisterwerk vorgelegt. Foto: Skydive Westerwald

Daraus resultieren nicht weniger als sechs CD-Uraufführungen – Songs, die noch nie aufgenommen wurden und teilweise noch nicht einmal ihre Bühnentaufe erlebt haben. Hinzu kommen einige Stücke,  die entweder erstmals auf Deutsch auf einer CD zu hören sind (CHESS), oder vorher noch nie auf einem in Deutschland produzierten Album erschienen waren (Notre Dame de Paris, Chitty Chitty Bang Bang). Auch einige weitere Raritäten, die eher selten zu hören sind, finden Berücksichtigung, “Die Erschaffung der Welt” beispielsweise.
Ein erfrischend vielseitiger, mit Bedacht zusammengestellter spannender Mix, zustande gekommen und realisiert “with a little help from his friends”.  Hier wurde nicht an der falschen Stelle gespart, auch bei der Instrumentierung nicht.  Da hat Philipp Polzin, der nach „A very Murray Christmas“ auch  bei diesem Projekt für den größten Teil der Arrangements sowie das Sound-Engineering verantwortlich zeichnete, wieder einen sauberen Job abgeliefert.
Die Gelegenheit zu zeigen, was er wirklich drauf hat, nutzt Murray weidlich und mit Lust. Der Künstler pendelt zwischen dramatisch, rockig, unkonventionell, klassisch, vorwitzig und unprätentiös, um dabei seine stilistische und vokale Bandbreite voll auszureizen, und zwar ohne hörbar an Grenzen zu stoßen. Neben all den raren Klangperlen bleibt, Raum genug für die “Kracher” des Genres, vom Opern-Phantom über den Gekreuzigten bis hin zum Hyde-Edward. Eine Pflichtübung, der Erwartungshaltung der Zuhörer geschuldet. Eine CD ohne solche oder ähnliche Klassiker, (für viele) unvorstellbar.

Klein-Szenen

Auf dem Album sind natürlich auch Songs aus den aktuellen Inszenierungen des Künstlers vertreten. So jeweils auch zwei Titel aus „Friedrich – Mythos und Tragödie“ (links) und aus „Dracula“ (rechts). Fotos: Michael Eloy Werthmüller/ Sabine Haymann

Und dazwischen die Heilige Lisbeth, Steilzahn Dracula, der La Mancha-Mann und der olle Fritz. Zauberhaftes  vom großen Houdini, Treffsicheres vom Tell-Wilhelm und Ergreifendes vom buckeligen Quasimodo. Ein nahezu repräsentativer Querschnitt durch die Stilvielfalt des Genres Musical mit all seinen unterschiedlichen Facetten.
Gesanglich unterstützt wird der Tenor u.a. von Elisabeth Hübert und der Newcomerin Angela Schlüter, aber es darf auch schon mal ein Duett mit sich selbst sein. Beispielsweise der antiphonale “Doppelte Schwur” aus Les Misérables,  bei dem Murray als doppeltes Lottchen daherkommt, nämlich als Inspektor Javert und als  Sträfling Valjean . Unbedingter Anspieltipp! Mein persönlicher Favorit.  Beide Rollen hat der Künstler ja schon in unterschiedlichen Inszenierungen verkörpert. Auch “Die Konfrontation” aus Jekyll &Hyde passt in dieses gegengesangliche Schema und ist in der Murray’schen Fassung von bestechender Intensität.
Fazit: Eine. bzw. zwei Scheiben, die auch nach mehrmaligem Hören nicht langweilig wird/werden, sondern das Zeug haben, sich auf den CD-Playern schwindlig zu drehen. Und das nicht nur auf denen ausgewiesener Fans des in Braunschweig geborenen Amerikaners. Ein kleines Meisterwerk!

Für Kurzentschlossene:  In der Titelrolle der Spotlight-Produktion „Friedrich – Mythos und Tragödie“, die bis vor kurzem mi großem Erfolg im Schloßtheater  in Fulda lief, ist der stimmstarke Künstler vom 21. bis 24. August im Theater der Rattenfängerstadt  Hameln zu erleben.

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