Rotorman's Blog

Der „Herrgott vom Stützelberg“ auf
Augenhöhe mit Jorge Mario Bergoglio

Wenn es ein investigatives, der Aufklärung und Information verpflichtetes modernes Medium unserer Tage vermag, mich immer wieder von neuem in Erstaunen zu versetzen, dann ist das „meine“ Lokalzeitung. Und am Mittwoch dieser Woche haben die DILL-POST und ihre regionalen Schwesterblätter mir und den anderen treuen, wissbegierigen und nach News dürstenden Lesern wieder einen solchen nachhaltigen Aha-Effekt beschert. Ein journalistischer Lichtblick im sonst eher dämmrigen Einerlei des so lala dahinplätschernden Tagesgeschäftes zwischen Landfrauenausflügen und Sängerchorproben. Immerhin hat das Blatt deutlich an Gewicht gewonnen. Die aktuelle Sonntagsausgabe wiegt immerhin stolze 466 Gramm, was allerdings im Wesentlichen den Beilagen von Aldi, Rewe, Hellweg und Co. geschuldet war. Inhaltlich geht die proportionale Talfahrt hingegen ungebremst weiter. Das lokale Geschehen wird auf zwei mageren Seiten abgehandelt, die dritte Zugabenseite mit den Leserbriefen und dem Wort zum Sonntag mal nicht mitgerechnet. Fünf mehrspaltige Berichte mit teils vielen, großen Fotos, einige Meldungen und die unselige „Moment mal!“-Kolumne aus der Abteilung „Dinge, die kein Mensch wirklich wissen muss“, und das war’s bereits. Da bietet der Sommerlad-Prospekt deutlich mehr Lesestoff.
Zurück zum Thema: Da hat uns vergangene Woche(endlich mal wieder!) der Chef des bedeutendsten heimischen Unternehmens auf der ersten Lokalseite entgegengeblickt. Und weil dessen Flaggschiff Rittal so bedeutend und groß ist, war es das Porträtfoto von ihm selbst auch. Dreispaltig!!! D-r-e-i-s-p-a-l-t-i-g! 3-sp.! 14×14.5  cm. Die Format gewordene Dreifaltigkeit. Das hatte, wenn ich mich richtig erinnere, bisher und zuletzt nur Jorge Mario Bergoglio, besser bekannt unter seinem Künstlernamen „Franziskus“, geschafft, als er im März 2013 zum 265. Nachfolger Petri gewählt worden und als neuer Hausherr in den Vatikan einzogen war. Da wird deutlich, welchen Stellenwert man bei der Mittelhessenpresse dem Boss des global erfolgreichen Herborner Schaltschrankherstellers beimisst. Er wohnt in dem von Wetzlar-Druck aufwändig konstruierten und gezimmerten Hierarchie-Tower im Penthouse, Panoramablick inklusive.

Special-Guest am Rittal-Stand

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Damit hat der Rittal-Chefe mit Papst Franziskus gleichgezogen. Nur dem Heiligen Vater gönnte die Lahn-Dill-Presse bislang ein derart aufgeblasenes Porträtfoto auf Seite 1.

Gut, über das obligatorische, repräsentative Hannover-Messen-Foto mit „Angie“, unserer Kanzlerin, hatten wir uns ja schon ein paar Zeitungsausgaben vorher am 15. April freuen dürfen. Diesmal mit Special-Guest Narendra Modi am Rittal-Stand. Bei ihm, also Modi, nicht dem Stand, handelt es sich um den indischen Premierminister. Für „das“ Merkel im quietschgelben chicen Blazer eine willkommene Gelegenheit, erneut „die Innovationskraft des Familienunternehmens“ zu würdigen. Dann brauchte das die Zeitung nicht zu tun. Mit einer fast identischen, wenn auch schon etwas älteren Aufnahme hatte uns letztere bereits am 22. Januar beglückt, als sie halbseitig vermeldete, dass das Unternehmen auf die ebenfalls an der Leine stattfindende CeBIT zurückkehren wolle, nachdem es dort im Jahr zuvor schmollend pausiert hatte. Es handelte sich um ein Archivfoto vom Rittal-CeBIT-Stand aus dem Jahre 2010 – natürlich mit Angela, diesmal ganz graue Maus, neben dem Vorstandsvorsitzenden. Der damalige spanische Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero komplettierte die illustre Runde als Featuring. Der kleine Kerl hinter der Regierungschefin und von dieser zu wesentlichen Teilen verdeckt, könnte der üppigen Lockenpracht nach zu urteilen  Владимир Владимирович Путин gewesen sein, also Schröder-Gerds Duz-Kumpel Wladimir Wladimirowitsch Putin, der lupenreine Demokrat aus dem Kreml. Ich bin mir aber nicht ganz sicher.

Mit seinen, je nach Quelle 10.890 bzw.  11.600 Beschäftigten weltweit gebietet der fromme Oldtimer-Sammler aus Herborn nicht über ganz so viele Untertanen wie Franziskus, der R4-Fahrer. Auf der Liste des letzteren stehen immerhin 1,1 Milliarden Namen. Auch haben der Heilige Vater und die Seinen mehr Kohle. Allein in Deutschland wird der Grund-, Monetär-, Aktien- und Beteiligungsbesitz der Katholiken-Kirche auf über 270 Milliarden Euro geschätzt. Dagegen ist der BDI-Vizepräsident mit seinen 1,85 Milliarden Privatvermögen ein armer Schlucker. Aber es reicht, um als 690. reichster Mann der Welt in die aktuelle Forbesliste einzugehen. Und der laut Managermagazin 59. reichste Deutsche hat wohl gewusst, wovon er redete, als er als Referent während des 33. Deutschen Kirchentags 2011 in Dresden über das Thema „Vom Schätzesammeln und Sorgen – Was Jesus seinen Anhängern zum Geldverdienen, zur Freigebigkeit und zum Gottvertrauen zu sagen hat“ philosophierte. Reden wir nicht über die verpflichtende Sonntagsarbeit und die Tariflosigkeit in den vielen zu Imperium des gelernten Starkstromelektrikers gehörenden Firmen.

 Wir warten auf die nächste Steigerung

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Ob in Grau oder in Gelb: Mutti gilt auf den Rittal-Messeständen eine verlässliche Größe und lässt sich vom Vorstandsvorsitzenden die Welt erklären. Die Regierungschefs aus Spanien oder Indien sind als „Vorgruppe“ austauschbar.

Wie das jüngste Beispiel zeigt, sind Steigerungen immer noch möglich. Und dass dieses Porträt mit seinen panorama-perspektivischen Ausmaßen nicht mehr zu toppen ist, darauf würde ich trotzdem lieber nicht wetten wollen. Papier ist da geduldig, die Leser sind es bis zu einem gewissen Grad auch. Und da wäre ja links und rechts auf der Seite noch Platz. Nicht auszudenken, wenn Joachim Gauck dem hochdekorierten, mitunter auch „Herrgott vom Stützelberg“ genannten Manager auch noch das mit Diamanten besetzte Bundesverdienstkreuz mit Eichenlaub und Schwertern zubilligt. Das am Bande hat er ja schon. Das Samariterkreuz und den Hessischen Verdienstorden ebenfalls. Ach ja, und die Dieselmedaille des Deutschen Instituts für Erfindungswesen auch. Käme beispielsweise ein Redakteur des Wetzlar-Druck-Hauses auf die kühne Idee, Hans-Peter Wieth, den Ersten Bevollmächtigten der IG-Metall-Ortsverwaltung,  derart  format- und platzfüllend ins Blatt zu rücken, er könnte ab sofort auf 1-Euro-Jobber-Basis die Kieselsteine der Randeinfassung am Toilettenhäuschen des  BAB-Rasthofs Dollenberg  sauber lutschen. Aber weder Wieth, der für die Interessen von immerhin 10.200 hiesigen abhängig beschäftigen Gewerkschaftsmitgliedern streitet, noch diese selbst hätten auch nur irgendein Interesse an einem solchen oberpeinlichen Personenkult.

Fesche Mädels, trübe Augen

1-Neu-Interview-RittalZugegeben, auf Seite 1 der Anzeigen- und Ankündigungspostille des Wetzlarer Zeitungshauses, die nach dem Relaunch „Lahn-Dill-erleben“ und nicht mehr „Lahn-Dill-Anzeiger“ heißt, sind hoch- und großformatige Fotos die Regel. Sie bilden aber meist mehrere Personen oder ganze/halbe/viertel Landschaften ab, oder, wie in der Vergangenheit bei (der leider inzwischen eingestellten) Titelgirl-Rubrik der Fall, einzelne Mädels, meist in Ganzkörperansicht. (Die Girls, keine Frage, sahen aber auch überwiegend, wenn auch nicht immer, besser aus und kamen sympathischer rüber, als der Großformatige im aktuellen Fall). Neu ist, dass dieses Layout-Konzept, so ein ganzbesonderer Anlass gegeben ist, jetzt auf die Tageszeitung übertragen wird. Mag ja sein, dass diese inzwischen ein klein wenig an geriatrisch-bedingter Kachexie ihrer Kundschaft krankt. Aber ganz so verschwommen blicken die weniger werdenden Abonnenten auch wieder nicht aus ihren ge/betrübten Augen, als dass man derart dicke auftragen müsste wie jetzt geschehen. Dann doch lieber gleich in zackiger Blindenschrift.

Hofberichterstatter in Höchstform

Als Anlass genügte im aktuellen Fall schon die im Bundesanzeiger veröffentlichte 2013-er Bilanz jener Unternehmens-„Group“, von der der Herborner Schaltschrank- und Gehäusehersteller nur ein Teil ist und zu der 118 Tochtergesellschaften aus dem metallverarbeitenden Bereich und dem der erneuerbaren Energien gehören. Das Zahlenwerk weist einen leicht sinkenden Umsatz von 1,9 Milliarden Euro und einen Gewinn von 255 Millionen Euronen nach Abzug der Steuern aus.  Ihre entsprechenden Zahlen müssen zwar auch andere Konzerne offenlegen, aber das findet dann meist ohne solche übertriebenen mediale Paukenschläge in aller Stille, oder in einer 20-Zeilen-Meldung bzw. einem nüchternen Zweispalter seinen Niederschlag. Wenn es hoch kommt, steht ein daumennagel-großes Bild des jeweiligen Geschäftsführers dabei, ohne dass parallel dazu ein derart (inzwischen ja) systematisches Affentheater inszeniert wird. Geht es jedoch um Rittal und/oder die dahinter stehenden Person(en), laufen unsere (nicht alle) lokalen Hofberichterstatter zu Höchstform auf. Warum wohl? Frag‘ mich net…

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