So verschlagen wie Osama-bin-Laden (Allah hab‘ ihn nicht selig!), oder IS-Terror-Guru Abu Bakr al-Baghdadis sieht er jetzt nicht aus. Gut, der Mann kann auch schon mal böse gucken, wenn’s denn von ihm verlangt wird. Und wenn die Maskenbildnerin mit ihm fertig ist, kommt er, je nach Rolle, mitunter zum Fürchten daher. Aber die Regel ist das nicht, vor allem jenseits allen Theaters. Da ist Chris Murray eigentlich ein ausgewiesener Sympath, der keiner Fliege etwas zu Leide tun kann: freundlich, höflich, zuvorkommend. Jede Omma würde ihm ohne explizite Schufa-Nachfrage sofort ein Zimmer vermieten oder ihm ihr Enkelkind zum Babysitten anvertrauen. Die Damen und Herren von der Firma Greif und Co. sehen das freilich anders. Sie sind ja darauf geschult und dazu ausgebildet, das Böse (schon aus hundert Metern Entfernung) zu erkennen, selbst wenn es sich noch so gut tarnt. Und wenn jemand solches, eben Böses, im Schilde führt, dann Murray! Ganz klar.
Der Musicalkünstler aus Berlin ist im ganzen Leben noch nicht mit dem Gesetz in Konflikt gekommen, dafür aber umso häufiger mit jenen, die es zu vertreten vorgeben. Wobei Konflikt in diesem Zusammenhang vielleicht nicht der richtige Ausdruck sein mag. Sprechen wir stattdessen lieber von Kontakt. Und meist geht die Kontaktaufnahme von jenen aus, die unser aller Sicherheit garantieren sollen: unseren tapferen Freunden und Helfern mit und ohne Uniform. Ob sie nun zur Trachtenabteilung ihrer Zunft gehören, oder zur zivilen Fraktion, macht da keinen Unterschied. Sie alle haben den Sänger offenbar in ihren Computern gebookmarked. Wo er auftaucht, sind sie nicht weit.
Stets in guter Gesellschaft
Der zweifache Familienvater aus Spree-Athen ist berufsbedingt häufig auf Achse, nicht auf eigener, sondern denen der Bahn. Zwischen den einzelnen Spielstätten, in denen der Mann auftritt, liegen mitunter viele hunderte von Kilometern. Da fährt es sich bequemer und entspannter mit dem Zug. Entspannt? Nicht immer. Der Stress beginnt jeweils beim Umsteigen oder am Zielbahnhof. Das sind ja Knotenpunkte und Umschlagplätze für Gesindel jedweder Art. Hier, zumal in den größeren ihrer Art, trifft sich das gesamte Spektrum gebündelter Zwielichtigkeit. Kleinkriminelle, Großkriminelle, Diebe, Räuber, Betrüger, und, und und. Da passt der smarte Sänger natürlich genau ins Bild und ins Raster, zumindest in den Augen bestimmter Kreise.
Gut, ein respektabler Bombenleger mit abgeschlossener Berufs- und Explosivausbildung sieht vielleicht anders aus. Aber wie denn jetzt genau? Ob in München, Hof, Bayreuth, Würzburg, Frankfurt oder Hannover, der Ablauf ist immer der Gleiche. Schema F, Polizeiausbildungshandbuch Seit 217 ff. Die Fahnder kommen aus dem Nichts. Plötzlich sind sie da. Ihre Personalien bitte. Woher? Wohin? Warum? Weshalb? Wieso? Wer gegen wen? Irgendetwas zu verzollen? Nein, halt, stopp, das ist eine andere Baustelle. Natürlich nix zu verzollen. Und die Diensthunde, die ja nur spielen wollen, sind auch meist ganz lustig und gut drauf, im Gegensatz zu Herrchen und Frauchen. Sie, also die Bellos, schnüffeln intensiv und verlieren dann das Interesse. Falsche Spur. Wuff!
Das war wieder die falsche Antwort!
Wer er denn sei? „Dracula!“ Gut, das war jetzt vielleicht die falsche Antwort! Auch wenn sie in diesem Fall sogar richtig war. (Murrays Paraderolle im gleichnamigen Musical.) Noch so eine Replik in dieser Preislage, und Toto & Harry rufen das kleine blaue Wägelchen. Besetzt mit zwei kräftigen, muskulösen Herren, die einem in solchen Fällen immer eine weiße Gratisjacke aufdrängen wollen. Ein Modell „Fix und Schnür“, bei dem die Arme auf dem Rücken verschränkt sind. Aber sich als „Casanova“, „Friedrich, der Große“, „Che“ oder gar “Jesus” vorzustellen, empfiehlt sich in solchen brenzligen Situationen auch nicht unbedingt. Gilt auch für “Scrooge”, “Radames”, “Frederick Trumper” (nicht Trump!!!!) oder “Riff-Raff”. Wobei bezweifelt werden darf, dass die eifrigen Detektive diese Namen realen Personen der Zeit-oder Theatergeschichte zuordnen können. Möglicherweise fehlt es ihnen da an den kulturellen Basics. Mit deren Identitätsfeststellung wäre ja sogar Schimanski, so er denn noch im Dienst gewesen wäre (was ja leider nicht der Fall ist), hoffnungslos überfordert gewesen.
Doch auch die Erklärung, er singe in dieser Stadt am Staatstheater, stößt meist auf ungläubige Skepsis: „Die schauen mich dann immer an, als sei ich ein Außerirdischer mit vier Armen.“ Moment bitte! Da glühen dann anschließend die Leitungen und schwingen die Funkfrequenzen, bis der schlaue Polizeicomputer diese Aussage verifiziert hat – was bisher immer der Fall war. Chris Murray durfte dann unbehelligt weiter ziehen. Bis zum nächsten Mal. Und ewig grüßt das Murmeltier…. Eine Fahnderin des Drogenauslandsdienstes hat ihn in Pforzheim sogar einmal mit dem Dienstwagen ins Hotel gebracht, weil er zu viel Gepäck hatte. Auch das gibt es.
Wachsender Beobachtungsdruck
Unter wachsenden Beobachtungsdruck sieht sich der blonde Tenor seit sieben, acht Jahren. Erst fing es ganz langsam an, aber dann… Die Controllettis sind seitdem immer eifriger geworden. Was vielleicht auch zu einem Teil Murrays flippig-bunten Outfit geschuldet sein dürfte. Denn der Mann pflegt auf Reisen bevorzugt quietschbunte, von seinen beiden Töchtern designte und/oder kolorierte Klamotten (Hosen, Sweatshirts, Hemden usw.) zu tragen, weil die ihn dann immer an die Lieben daheim erinnern. Und die Sachen sehen jetzt nicht so aus, als seien sie bei Karstadt von der Stange gekauft bzw. geklaut. Möglicherweise bevorzugen passionierte Terroristen ja einen anderen textilen Stil, aber Drogendealer beispielsweise, man kennt das ja aus amerikanischen Krimi-Serien, könnte man durchaus hinter einer solch auffälligen Dienstkleidung vermuten. Schließlich müssen sie ja für ihre Kunden auf den ersten Blick erkennbar sein. Wie die Kaufhausdetektive bei uns in der Stadt, die einheitlich rosoarote Uniformen tragen. Da weiß man/frau doch sofort, wo man/frau dran ist.