Rotorman's Blog

Ein Herz für Mörder: Kommissar Rex
und die Wurmkur des Nick Tschiller

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Die Ermittlungen laufen auf allen Kanälen. Wobei der ARD-Tatort das Flaggschiff auf dem Meer der Schnüffler ist. Foto: Geralt/Pixabay

Der deutsche Michel hat ein Herz für Mörder. Oder für jene, die ihnen das Handwerk legen. Die Ermittlungen laufen auf Hochtouren – auf so gut wie allen TV-Kanälen. Jeder Sender, der etwas auf sich hält, leistet sich ein eigenes Fahnderteam. So sehr sie sich auch vom Charakter oder dem Habitus her unterscheiden, eines ist allen gemein: Sie sind stets verdammt erfolgreich. Die Aufklärungsquote beträgt 100 Prozent! Da kann man doch gleich viel ruhiger schlafen. Sex sells! Das mag ja sein. Aber Crime noch viel mehr. Wenn es einen todsicheren Quotenbringer gibt, dann die Kriminalität, die inszenierte eher als die tatsächliche. Gefühlte hundert Kapitalverbrechen werden Tag für Tag auf allen deutschen Sendeplätzen zusammen begangen und geklärt. Vielleicht sind es sogar noch mehr. Der Aufmarsch der Damen und Herren TV-Kommissare hat längst inflationäre Dimensionen angenommen. Und trotzdem finden sie ihr Publikum. Die einen mehr, die anderen weniger. Möglicher Grund für den anhaltenden Erfolg dieses Genres: Weniges bedient das menschliche Grundbedürfnis nach Gerechtigkeit offenbar so stark wie ein rechtschaffener Kriminalfilm. Behaupten Medienwissenschaftler.
Gut, die Zeiten eines Francis Durbridge sind ein für alle mal vorbei. Anfang der 60er Jahre des vorigen Jahrhunderts flimmerte dessen Sechsteiler „Das Halstuch“ über die Bildschirme und löste eine bis dato nicht für möglich gehaltene Begeisterungswelle aus. Damals wurde der Begriff „Straßenfeger“ geboren. Wenn Inspektor Harry Yates dem Täter auf der Spur war,  erstarrte draußen vor der Tür das reale Leben. Gassen waren leer geputzt, die Cities verwandelten sich in Geisterstädte. Hin(t)z und Kunz saßen vor der Glotze und bescherten den Machern Sehbeteiligungen von über 90 Prozent. „Babeck“, ein Dreiteiler, kam ein paar Jahre später immerhin noch auf 70 Prozent. Davon können die verantwortlichen Programmdirektoren heute nur träumen. Klar, die Zeiten und Sehgewohnheiten haben sich seitdem ja auch erheblich verändert. Damals konnte von Programmvielfalt auch noch nicht wirklich die Rede sein, während das Angebot heute ja schon kaum mehr zu überblicken ist. Aber vielleicht war weniger ja doch mehr.

Der „Tatort“ als Schaumkorne auf dem Blaulicht-Meer

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Mord und Totoschlag ziehen immer und bescheren den Sendern „Mord(s)quoten“.

Auch ohne all die entsprechenden anglo-amerikanischen und inzwischen auch skandinavischen Absonderungen, von Maria Wern und Wallander bis hin zu CSI, Cold Case oder Scott & Bailey ist es schon fast aussichtslos, an der Tele-Front der Verbrechensbekämpfung den Durchblick behalten zu wollen. Und wir wollen ja erst gar nicht von den ganzen Totos, Harrys, Rosenheim-Verschnitten, Großstadtrevier-Beamten, Hafenpolizisten, SOKO-Agenten, Kriminaldauerdienst-Mitarbeitern, Autobahn-Cobras, Chefs, sowie Bullen mit und ohne Landei oder schnüffelnden Gottesmänner reden. Auch das Revier von Wolff, das der Sittenwächter vom KK 12, das des Alten oder die ganzen Derricks, Balkos, Tölz-Ochsen und Stockingers und wie sie alle heißen sind ja zusammen genommen nur Tropfen in einem riesigen Blaulicht-Meer, dessen Schaumkrone der „Tatort“ bildet.
Die letzte Folge aus Münster mit dem kongenialen Ermittler-Gespann Thiel und Boerne (Axel Prahl und Jan Josef Liefers) hat deren Status als Quoten-Könige gefestigt. Fast 13 Millionen Zuschauer waren dabei, als der Kriminalhauptkommissar und der Rechtsmediziner einem selbsternannten Superhelden, der mit dem Hammer korrupte Politiker und zynische Rotlichtunternehmer platt machte, das Handwerk legten. Das entsprach einem Marktanteil von 35 Prozent. So viel schafft heuer keine andere Serie. Überhaupt ist dieses markant charakterisierte Duo das erfolgreichste im Schnüffler-Bunde der ARD.

Mit  dem Ersten dem Täter auf der Spur

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Televisionäre Opfer bis zum Abwinken. Aber die Täter haben keine Chance. Die Aufklärungsquote der Fernsehkommissare beträgt nahezu 100 Prozent. Foto: Geralt/pixabay

Das Erste, bei dem ja auch der Polizeinotruf 110 angewählt wird, hat damit kriminaltechnisch ganz klar die Nase vorn, mit dem Zweiten (“Ein starkes Team”, “Bella Block” und “Stubbe – Von Fall zu Fall”) sieht man n/frau nicht ganz so gut, obwohl auch diese Serien immer noch beachtliche Quoten einfahren. Die Privaten haben ein weniger glückliches Händchen und sind weit abgeschlagen. Das Publikum dürstet halt nach grundsolider deutscher Ermittlerarbeit. US-Importe bzw. haus- und dann auch noch schlechtgemachte Plagiate  haben offenbar wenig Chancen, sind auch von unserer Lebenswirklichkeit zu weit entfernt. Immerhin bemühen sich die German-Cops und jene, die hinter ihnen stehen, um Authentizität. Mit dem abgehobenen Profiler-Gehabe der Yankee-Detectives vermögen die Zuschauer kaum etwas anzufangen.
Der Tatort als „Marktführer“ beschert dem 1. Öffentlich-Rechtlichen seit über 40 Jahren Mordsquoten, im wahrsten Sinne des Wortes. Dies auch, weil die einzelnen ARD-Anstalten die Folgen eigenständig produzieren und stets mit einem Schuss Lokalkolorit anreichern (können). Auch werden bei und in diesem Format mitunter gesellschaftliche Debatten aufgegriffen, ob es nun um Migration, Sterbehilfe oder Sozialkürzungen geht. Seit Start der Reihe am 29. November 1970 wurden über 900 Folgen (plus 13 österreichische Eigenproduktionen) produziert. Das „Taxi nach Leipzig“ mit Walter Richter als Kommissar Trimmel markierte den Auftakt dieser schier unendlichen Geschichte(n). Übrigens: 2010 waren 13 der 15 meistgesehenen Filme im deutschen Fernsehen „Tatorte“.
Aber nicht nur Script und Drehbuch entscheiden über Erfolg oder Misserfolg, sondern vor allem die Zeichnung der Haupt-Charaktere. Da gibt es Draufgänger und Gebrochene, sozial Gestörte, Lammfromme, Langweiler sowie Alles- und jeden- Verstehende. Der eine kokst, der andere säuft, und meist haben sie Probleme mit den Kollegen, dem unruhigen Schniedelwutz und/oder bzw. deshalb mit der Ex-Frau oder Freundin. Mit den Vorgesetzten sowieso. Das volle Programm, das ganze Panoptikum menschlicher Eigenheiten, Eitelkeiten und Schwächen.

Ohne Schimi geht die Mimi nie ins Bett

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Für mich immer noch der Beste: Horst Schimanski, Ruhrpott-Rambo und Kommissar der Herzen. Foto: Screenshot

Ob sie nun Odenthal oder Kressin, Trimmel, Haferkamp, Veigl, Marek, Baltic, Leitmayer, Ritter, Stoever, Stark, Faber, Stellbrink, Lindholm, Funk oder Schaffert heißen bzw. hießen, die Kommissare und Kommissarinnen kommen und gehen. Sie kamen und gingen. Manche bleiben länger, ganz wenige werden Kult. So wie „Schimi“, ohne den die Mimi nie ins Bett geht. Mein, zugegeben, persönlicher Favorit. Seit der Ruhrpott-Proll mit der beige-grauen M65-Feldjacke aber nur noch sporadisch ermittelt, und das auf eigene Kappe, nicht im Auftrag von Papa Staat, hat auch diese Tatort-Reihe für mich viel an Faszination eingebüßt. 46 Fälle hat der von Götz George so unvergleichlich und unnachahmlich verkörperte Schmuddel-Bulle seit seinem Ersteinsatz im Juni 1981 bestritten, meist gemeinsam mit seinem genialen und leider viel zu früh verstorbenen  Sidekick Eberhard Feik als Christian Thanner. Das müssen die Kollegen erst mal nachmachen. 15,4 Millionen sahen damals den Schimi-Erstling „Duisburg-Ruhrort“. Sogar ins Kino schaffte es der Horst, zweimal, und das waren keine Flops.
Vor Schimanski, der frischen Wind in die verstaubten ARD-Anstalten brachte,  kamen die meisten TV-Kommissare langweilig, grau, bieder, spießig und austauschbar daher. Mit und nach ihm wurde die Typen-Palette bunter und ambivalenter. Was Udo Lindenberg für die deutschsprachige Rockmusik, war G.G. für’s hiesige  Krimi-Genre – ein Wegbereiter, der sich abseits der ausgetretenen Pfade bewegte (und prügelte) und pöbelnd neue, bis dato „verbotene“ Türen öffnete. Empörte Erbsenzähler, BILD inklusive, saßen mit Griffel und Strichliste vor dem Kasten und warteten gespannt, wie oft Schimanski-Horst in einer Folge „Scheiße“ oder „Arschloch“  sagen würde. Der Aufschrei nach der ersten Episode war ein riesiger, doch die Abscheu wich bald Bewunderung, auch wenn der Duisburg-Rambo von Anfang an polarisierte. Scheiden tun sich an dieser Figur bis heute  die Geister. Immerhin: Nachdem „Loverboy“ auch schon wieder ein paar Monate zurückliegt, ist für die erste Jahreshälfte 2014  endlich wieder ein neuer Fall für den Ex-„Kommissar der Herzen“ angekündigt, der, obwohl fast 76 Lenze auf dem Buckel, noch längst nicht zum Rentner taugt.

Einschläfernd, mutlos, langweilig

Gut, ein (nuschelnder) Nick Tschiller kann ihm das Wasser nicht reichen, aber sooo schlecht, wie von vielen dargestellt, ist Till Schweiger als Hansa-Cop ja auch wieder nicht. Zumindest geht bei ihm die Post (und anderes) ab. Und er ersch(l)ießt der in die Jahre gekommenen Serie neue, jüngere Zuschauerschichten. Derzeit gibt es übrigens  17 Ermittler bzw. Ermittlerteams; insgesamt sind bereits mehr als 80 verschiedene davon in Erscheinung getreten.
Kriminalhauptkommissar Till Ritter von der 5. Mordkommission des Berliner LKA war einer von ihnen. Als solcher hat der Filmschauspieler Dominic Raacke 35 Tatort-Fälle bestritten und mehr schlecht als recht gelöst. Die meisten davon mit seinem Partner Felix Stark (Boris Aljinovic). Inzwischen hat er den Dienst quittiert. Raackes Sicht der Dinge: „Krimis im Fernsehen sind eine Plage. Es ist wie Unkraut, wuchert überall und gibt anderen Genres keine Möglichkeit sich zu entwickeln“. Er selbst jedenfalls wolle im TV noch etwas anderes sehen als eine Leiche, zwei Polizisten und einen gelösten Fall am Ende. Dieses Strickmuster sei einschläfernd, mutlos und langweilig. Der Mime nennt die Krimi-Manie eine gefährliche Mono-Kultur. Wo er Recht hat, hat er Recht. Aber er ist ein (fast einsamer) Mahner in der Wüste. Das Gros des Fernsehpublikums will genau das, was er beklagt.  Aber besser einen Tatort als „Maurer sucht Bau“, oder wie dieses phonetisch ähnlich klingende und von Jauche durchtränkte, televisonäre Kuppel-Ärgernis einschließlich geistesverwandter Ableger („Hessen flucht den Superk(n)acker“)  auch immer heißt.

Lesen ist auch keine Lösung

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Lesen ist auch keine Lösung. Wir entkommen dem Verbrechen nicht. Der Anteil an Krimis und Thrillern im Bereich der Belletristik liegt bei 27 Prozent. Tendenz steigend. Foto: Geralt/Pixabay

Warum stattdessen nicht ab und an lieber mal  etwas Gedrucktes? Aber, oh Schreck, das ist auch keine Lösung. Der Anteil der Spannungsliteratur (Krimis, Thriller) am Gesamtumfang des belletristischen deutschsprachigen Neu-Outputs liegt knapp hinter dem meist bemüht „Luschtigem“ bei derzeit 27 Prozent. Wobei die Autoren bekanntlich nicht undbedingt und vorrangig um literarischen Anspruch bemüht sind. Der ist in diesem Genre eher ein gelegentlicher Glücksfall. Hauptsache, es liegt mindestens ein Toter im Gebüsch, möglichst übelst zugerichtet.
Und was jetzt? Waldspaziergang. Erholsam und gesund. Und man(n) bekommt den Kopf frei. Doch hinter der Biegung am Rand der Erlenschonung liegt ein totes Reh. Der Jäger, der sich als Förster von Falkenau verkleidet hat, behauptet, es sei Selbstmord gewesen. Sein Rauhaardackel verstrickt sich allerdings bei seiner Aussage in Widersprüche. Trotzdem: kein Fall für Zwei. Bernhard & Bianca sind nicht zuständig. Deshalb übernimmt Kommissar Rex –  wenn er aus der Wurmkur zurück ist…

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