Rotorman's Blog

Eine Heu-schreckliche Familie: Große
Sprünge, kleine Hüpfer, biblische Plagen

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Sattelt die (Heu-)Pferde! Die Grüne Laubheuschrecke, besser bekannt unter dem Namen „Großes Heupferd“, zählt zu den größten in Mitteleuropa vorkommenden Langfühlerschrecken. Die Männchen können eine Körperlänge von 36, die Weibchen sogar bis 43 Millimeter erreichen. Sie können auch zubeißen, tun das aber nur, wenn sie sich in Gefahr wähnen. Foto: Pixabay

Von Jürgen Heimann

Den einen sind sie schon etwas unheimlich, die anderen haben sie zum Fressen gern. Wobei mich die Vorstellung, mir einen solchen Sechsfüßer, ob nun geröstet oder gedünstet, zwischen die Kiemen zu schieben, schütteln lässt. Es gibt bestimmt Appetitlicheres als am filetierten Oberschenkel eines Heupferdes zu lutschen. Aber in vielen Regionen Afrikas, Asiens und Südamerikas sind diese Viecher, weil so eiweißreich, fester Bestandteil der traditionellen Küche. Hier bei uns in Germanien weniger. Aber in diversen Exoten-Lokalen kann man sie als knackigen Braten schon ordern. Alles Geschmackssache, sagte die Frau, nachdem sie herzhaft in die Seife gebissen hatte.   Heuschrecken, deren Größenspektrum sich zwischen zwei Millimetern und 55 Zentimetern bewegt, sind eine faszinierende Spezies, von der es weltweit über 26.000 und in Deutschland etwa 80 verschiedene Arten gibt. Und damit fängt die ganze babylonische Begriffsverwirrung schon an. Denn diese Zahl schließt auch die wiederum nach Tausenden zählenden Vertreter aus der Untergruppe der Grashüpfer mit ein. Ja was denn nun? Um etwas Ordnung ins chaotisch anmutende Artenspektrum zu bringen: Man unterscheidet grob Langfühler- und Kurzfühlerschrecken. Zu letzteren zählen die Hüpfer, zu ersterer Kategorie jene mit den namensgebenden langen Antennen, die nicht selten noch die Körperlänge der Tiere übertrumpfen. Das sind meist jene in Grün, die uns beim sommerabendlichen Terrassenumtrunk so gerne erschrecken, wenn sie, wie aus dem Nichts kommend, plötzlich auf den Tisch knallen. Und dann beißen sie mitunter noch, wenn man sie streicheln will…

Diese großen grünen Springpferde sind bei uns normalerweise weit verbreitet, haben sich aber, wie ihre Vettern auch, in dem zu Ende gehenden Sommer, der keiner war, rar gemacht. Dieses kurze Video zeigt anschaulich, wie elegant sich diese Tier bewegen. Der Titel ist allerdings irreführend. Es handelt sich nicht um einen Grashüpfer, sondern um ein Heupferd, wie auch an den langen Fühlern unschwer zu erkennen ist:

Kein Grund sich zu (er)schrecken.

Mit  Oger „Shrek“ weder verwandt, noch verschwägert

Mit dem phonetisch ähnlich klingenden “Shrek”, dem tollkühnen Oger aus der gleichnamigen Animationsfilm-Reihe von DreamWorks, sind sie weder verwandt noch verschwägert. Auch meinte Franz Müntefering, als er anno 2005 in einem seiner seltenen lichten Momente von Heuschrecken sprach, damit wohl eher eine bestimmte Abart windiger Finanzinvestoren. Der Ausdruck Heuschrecke hat nichts mit Erschrecken tun. Er leitet sich aus dem althochdeutschen Begriff “Hewiscrecko” ab, in dem das Verb “schrecken” für “(auf)springen” enthalten ist. Mit diesem Begriff  wird dem außergewöhnlichen Sprungvermögen dieser Insekten Rechnung getragen, die im Übrigen, je nach “Baumuster”, auch ziemlich gut und ausdauernd fliegen können. Weitere gängige Wortschöpfungen sind Springschrecken, Springhähne und Heugümper.

Und Zikaden? Ganz andere Baustelle. Und Grillen? Und Heimchen? Jepp, die gibt es in dieser schreck-lich netten Insektenfamilie natürlich auch. Sie sind eher unscheinbar, können im Ensemble, so dieses Fischer-Chor-ähnliche Dimensionen erreicht, aber einen Heidenlärm veranstalten und zählen wiederum zur Langfühler-Fraktion. Die Barbecue-Vertreter, also Grillen der landestypischen Gattung “Meloimorpha japonica”, sind in Japan ziemlich beliebte Haus- und Heimtiere. Die Männchen werden in Nippon-Country sogar für Gesangswettbewerbe gecastet. Dafür haben wir hier bei uns ja die Kanarienvögel. Aber für beide, Grillen und Kanarien, gilt: Singen können nur die Herren der Schöpfung.

Beim Schrecken-Rap werden die Damen schwach

Grashüpfer4

Als würde E.T. grinsen: Grashüpfer zählen zur Kategorie der Kurzfühlerschrecken (Caelifera). In Mitteleuropa kommen etwa hundert verschiedene Arten vor. Sie sind fast ausnahmslos Pflanzenfresser und ernähren sich primär von Gräsern und Kräutern. Foto: Pixabay

Aber Heuschrecken tun das in erster Linie nicht zu Entertainmentzwecken, um etwa den Homo Sapiens zu unterhalten. Ihr Rap dient der Kommunikation und hier vor allem dem Zweck, die Damenwelt zu becircen. (Muss ich auch mal ausprobieren!) Damit lassen sich aber auch Rivalen einschüchtern bzw. vertreiben (Ist mir noch nie auf diese Art geglückt). Die meisten Arten geben deutliche Laute von sich, die mal ratternd, mal schwirrend und mitunter sogar melodiös daherkommen. Mit einem solchen Konzert wird das Sommerfeeling für viele Naturfreunde eigentlich erst rund.

Biene Maja / Wickie

„Flip“ aus dem Dunstkreis von „Biene Maja“ gilt als der bekannteste Grashüpfer der Welt. Foto: Screenshot

Ob ihres Gesangs waren diese Tiere im antiken Griechenland dem Gott Apollo geweiht, der ja als Erfinder der Musik gehandelt wurde. Ihre Laute werden aber nicht über bzw. durch Stimmbänder erzeugt, sondern im Wesentlichen durch Reiben der Flügel oder der Beine. Das Instrument der Heuschrecken ist damit einem (körpereigenen) Waschbrett nicht unähnlich, auf dem sie mit teils enorm schneller Frequenz herum schrammen. Grashüpfer haben eine andere “Vokaltechnik” entwickelt. Sie streichen mit einem oder beiden Hinterschenkeln über die Flügel, während die Sumpfschrecke ihre Hinterbeine nach hinten schleudert und somit einen Klick erzeugt, der wie Fingerschnippen klingt. Knarrschrecken hingegen reiben ihre Oberkiefer aneinander. Ihr “Zähneknirschen” ist aber sehr leise und nur aus kürzester Entfernung wahrzunehmen.

Das Sprungvermögen der Heuschrecken und Grashüpfer ist legendär. Dagegen nimmt sich Jeff Henderson, der Goldmedaillengewinner von Rio, mit seinen 8,38 Metern wie ein gehbehinderter Zombie aus. In Relation zur Körpergröße sind Flip und Co. da wesentlich besser aufgestellt. Nein, wir reden hier nicht von dem niederländischen Zauberkünstler gleichen Namens oder dem so benannten Cocktail. „Flip“ aus dem Biene-Maja-Cosmos ist der bekannteste Grashüpfer der Welt. Und so heißt auch ein Figurensprung beim Eiskunstlauf, was der Sache schon näher kommt. Die Kerlchen schaffen bis zu zwei Meter, und zwar aus dem Stand. Nur der Floh, der toppt da alles. Die nur zwei bis drei Millimeter großen bzw. kleinen Parasiten hauen locker 30 cm raus. Dabei beschleunigen sie mit bis zu 20 g was für den Menschen absolut tödlich wäre. Die müssten aus dem Stand auf die Spitze des Eiffelturms hüpfen, um mit der “Schubkraft” des Flohs gleichzuziehen.

Wenn der Warzenbeißer kotzen muss

Warzenbeisser

Der Warzenbeißer trägt einen für Heuschrecken eher untypischen Namen. Den Umstand, dass diese Insekten beim Zubeißende ätzende Verdauungssäfte absondern, machten sich die Menschen früher bei der Behandlung von Warzen zunutze. Foto: Pixabay

Natürlich können (Heu-)Schrecken auch zubeißen. Sie besitzen kräftige Kauwerkzeuge, die, je nachdem, ob es sich um Vegetarier oder räuberische Carnivoren handelt, unterschiedlich ausgeprägt sind. Grashüpfer beispielsweise bevorzugen Süßgräser, während Laubheuschrecken auf Mischkost eingestellt sind und sich auch schon mal kleine weichhäutige Insekten wie Raupen und Blattläuse schmecken lassen. Zu den mit 4,5 Zentimetern Länge größten Vertretern dieses Familienzweigs zählt der Warzenbeißer. Und sein Name ist bzw. war Programm. Diese Art fand früher in der Naturheilkunde Verwendung. Neben Bissen wehren sich diese Tiere bei Gefahr nämlich durch Erbrechen von braunem Magensaft. Und der galt “anno batsch” auf dem Land als probates Mittel zur Behandlung von Warzen oder zum Verätzen von Wunden.

Horrorgeschichten und Ammenmärchen

Aber auch ein ausgewachsenes Heupferd, das bis zu 42 Millimeter groß wird, kann durchaus schon mal schmerzhaft zuschnappen, tut das aber ebenfalls nur dann, wenn es sich bedroht fühlt. Der Biss durchdringt beim Menschen aber jedoch nur die oberste Hautschicht und ist nicht giftig. Alle anderen Horrorgeschichten, denen zufolge besonders aggressive Arten den Menschen förmlich anfallen, um sich an dessen Fleisch gütlich zu tun, sind Ammenmärchen. Und was bei einigen Arten wie ein Stachel aussieht, ist gar keiner. Kommt  zudem nur bei weiblichen Exemplaren vor. Dabei handelt es sich um eine auch “Ovipositor” genannte Legeröhre zur Eiablage.

Gefräßige Schwärme, verbrannte Erde

Seit sie es auf die Hit-Liste mit den zehn biblischen Plagen geschafft haben, haben diese Tiere aber gewisse Imageprobleme. Schon in vorgeschichtlicher Zeit waren menschliche Siedlungen von gefräßigen Schwärmen heimgesucht worden. Sie hinterließen verbrannte Erde. Einer der bisher größten dokumentierten Überfälle galt anno 1784 Südafrika. Am Kap überrollten damals mehr als 300 Milliarden dieser Insekten 3000 Quadratkilometer Land. Ihrer Fressgier fielen täglich rund 600.000 Tonnen Pflanzen zum Opfer. Der Wind trieb den Schwarm auf das offene Meer hinaus. Die toten Insekten wurden mit der Flut wieder an Land gespült. Sie türmten sich am Strand auf einer Länge von 80 Kilometern über einen Meter hoch auf.

Ganz schön krass, dieses Szenario. Übeltäter waren die berüchtigten Wanderheuschrecken, wie es sie mit Ausnahme der Arktis auch heute noch auf allen Kontinenten gibt. Auch bei uns im Abendland. Doch da sind sie selten und erreichen kaum mal Kompaniestärke. Im Gegensatz zu Afrika oder Australien. Einige Landstriche dort werden regelmäßig von dieser schwirrenden Plage heimgesucht. Ein einziger dieser Heuschreckenschwärme kann aus mehr als einer Milliarde Tieren bestehen. Das entspricht einem Gewicht von 1.500 Tonnen. Da diese Insekten ungefähr ihr eigenes Körpergewicht an pflanzlichem Material pro Tag vertilgen, ist der wirtschaftliche Schaden für die betroffenen Länder immens.

Solche Katastrophen bleiben uns in “good old Europe” Gott sei Dank erspart. Aber auch hier sind aus der Wärmeperiode des Hochmittelalters Wanderheuschreckeneinfälle von Ungarn bis nach Süddeutschland hinein überliefert. Massenvermehrungen vor allem der Schönschrecke gab es in Deutschland zuletzt Anfang der 30er Jahre. Aber das ist lange her.

Die Maulwurfsgrille: Keine Schönheit, aber nützlich

Maulwurfsgrille

Nicht unbedingt eine Schönheit, aber auch kein wurze3fressender Schädling, wie viele Gartenbesitzer irrtümlich meinen: die unterirdisch lebende Maulwurfsgrille. Foto: Pixabay

Heuer ist es so, dass mehr als die Hälfte der heimischen Heuschreckenarten als bestandsgefährdet gilt. Trotzdem werden sie bekämpft. Vor allem die unterirdisch lebende Maulwurfsgrille. Sie ist nicht gerade eine Schönheit, aber auch kein wurzelfressender Schädling, wie viele Gartenbesitzer irrtümlich meinen. Sie ernährt sich überwiegend fleischlich, was sie eigentlich zu einem nützlichen Mitbewohner macht. Das gilt auch für viele andere aus ihrer Verwandtschaft, wie beispielsweise die kleine Eichenschrecke. Auf der anderen Seite dienen Heuschrecken vielen anderen Tieren selbst als Nahrung: Igel, Spitzmäuse, Maulwürfe, Spinnen, Marder, Füchse und Wildschweine zeigen sich angesichts solcher Delikatessen nie abgeneigt. Für bestimmte Vogelarten ist die Menge der zur Verfügung stehenden Heuschrecken entscheidend, ob die Aufzucht der Jungen gelingt oder nicht.

In diesem Sommer haben sich die Flips rar gemacht

Da ist er wieder, der „Circle of Life“. Eins hängt am anderen. Heuschrecken sind alles andere als lästiges, überflüssiges Kroppzeugs. Man sollte sie nicht gedankenlos zerquetschen, sondern bedenken, dass sie eine wichtige Aufgabe in unserem Öko-System erfüllen. In diesem Sommer machen sie sich alle ziemlich rar, die seltenen wie auch die sonst weit verbreiteten Arten. Grund dafür sind nicht nur der  intensive Dünger- und Pestizideinsatz in der Landwirtschaft, Trockenlegungen oder andere „Erschließungsmaßnahmen“. Auch die übertriebene  “Ordnungsliebe” vieler Gartenbesitzer stecken diese Insekten normalerweise weg. Aber sie sind besonders auf trockene Wärme angewiesen. In feucht-kalten Sommern wie diesem sind viele der  grünen und braunen Hüpfer an Pilzkrankheiten gestorben. See you next year!

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