Rotorman's Blog

Fallschirmspringen ohne Fallschirm
Skydiver trainieren auf dem „Trockendock“

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„Headdown“ heißt diese Figur im Idiom der „Freeflyer“. Coach Michael „Plü“ Plünnecke (links) vermittelt Stefan Gessner noch ein paar Tricks. Foto: Matthias Kraft

Klappe, die Zweite! Die Momentaufnahme aus Billy Wilders Film „Das verflixte siebte Jahr“ ist legendär. Die Brise aus dem U-Bahn-Lüftungsschacht, die der hübschen Blondine unter das weiße Kleid rauscht und dabei gar Ansehnliches offenlegt, bescherte der Welt eine der berühmtesten Szenen der Kinogeschichte. Der „Aufwind“ aus dem Metro-Schacht  in Manhattens Lexington Avenue war aber nur ein laues Lüftchen gemessen an dem künstlich erzeugten Gewaltgebläse, das heulend und tosend aus dem Hades des in der Prosperstraße Nr. 297 in Bottrop-Batenbrock gelegenen Sportcenters nach oben pustet. (Dafür verfügen die Nutzer dieser außergewöhnlichen Anlage aber auch nicht über so schöne Fahrgestelle wie weiland die Monroe.) Der Bau dieses laut Eigenwerbung „modernsten Indoor-Freifall-Simulators in Europa“ hat 4,6  Millionen Euro verschlungen, die Versteigerung von Marilyns seinerzeitigem Filmkleid spülte 3,2 Millionen in die temporäre Kriegskasse des Auktionators. Das aber nur nebenbei.

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Reiten für Deutschland, Fliegen für Breitscheid: Ein Teil der Westerwälder Skydiver sieht ein Licht am Ende des Tunnels. Foto: Skydive Westerwald

Der Windkanal, auch „Tunnel“ genannt  – wo ist eigentlich das Licht am Ende des selbigen? –  wird als Spaß-Oase nicht nur von erlebnishungrigen Freizeittouristen genutzt, die auf diese Art (weitestgehend risikofrei übrigens) einmal das Gefühl des freien Falls, wie es sich beim Fallschirmspringen einstellt, auskosten möchten. Zu den Kunden der allwettertauglichen „Dropzone“ zählen nicht zuletzt die Profis, erfahrene Skydiver, die etwas an ihrer Flugtechnik feilen möchten. Auch wenn’s draußen stürmt und hagelt, hier ist Fallschirmspringen nämlich immer möglich – ohne Fallschirm allerdings.

Diese „Dropzone“ ist allwettertauglich
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Vier mächtige Turbinen im Hades der Anlage verleihen den Nutzern des Freifall-Simulators Flügel. Da ist auch schon mal ein flotter Vierer drin.

 Man /frau will ja schließlich nicht ganz aus der Übung kommen. Zumal es bis zum Saisonstart wohl noch ein Weilchen dauern dürfte. Und weil das so ist,  haben die Damen und Herren Himmelstaucher  von der Breitscheider „Hub“ ebenfalls ein paar Trainingseinheiten auf dem  Ruhrpott’schen „Trockendock“ eingeschoben. Die Westerwälder Schirmsportler waren in diesem Jahr schon zweimal vor Ort, um an ihren Freefly-Choreografien zu basteln. Binnen kurzer Zeit lassen sich so effektiv Figuren und Kombinationen in einem komprimierten Zeitfenster üben und verfeinern. In „freier Natur“ müsste man, um einen vergleichbaren Lerneffekt zu erzielen, ein Vielfaches an Zeit (und Geld) investieren.
Herzstück der 2009  in Betrieb gegangenen Anlage im Schatten des Tetraeders sind vier mächtige Turbinen, die einen gleichmäßigen (Um-)Luftstrom erzeugen, der die Nutzer in der 4,3 Meter Durchmesser zählenden und 17 Meter hohen, von Panzerglasscheiben umrandeten Flugkammer trägt. Helm ist dabei Pflicht. Bei voller Pulle lässt sich so eine Freifallgeschwindigkeit von bis zu 70 Metern in der Sekunde fingieren. Ein erfahrener Instructor oder Coach ist immer dabei, greift, falls erforderlich, korrigierend ein und analysiert das von zwei fest installierten Kameras aufgezeichnete Geschehen anschließend  im Rahmen eines De-Briefings mit den ihm Anvertrauten.

Freifall unter Laborbedingungen

Der Eindruck, mit 285 Stundenkilometern in die Tiefe zu stürzen, ist (fast) so authentisch wie bei einem echten Sprung aus 4000 Metern Höhe vor der Schirmöffnung. Aber nur fast. Was fehlt und sich (derzeit) auch nicht abbilden lässt, ist die optische Komponente, der visuelle Kick, vor einem sich grenzenlos ausdehnenden Himmel tatsächlich der sekündlich größer werdenden Mutter Erde entgegen zu rasen. Der Fixpunkt, der statische Untergrund (des Windkanal-Bodens) ändert sich ja nicht. Im realen Leben unter Echtzeitbedingungen macht Fallschirmspringen deshalb (natürlich) mehr Spaß, ist anspruchsvoller und verlangt den Luftsportlern auch  ein klein wenig mehr ab. Bottrop ermöglicht Freifall unter Laborbedingungen, in Natura hingegen hat es der Athlet jedoch noch mit vielen weiteren zusätzlichen Komponenten, Parametern und Einflüssen zu tun, die den Reiz, aber auch die Anforderungen erhöhen. Insofern kann der „Tunnel“ kein Praxisersatz sein. Aber er vermittelt Neueinsteigern einen vagen Eindruck davon, was sie im realen Outdoor-Alltag erwartet.  Nennen wir es deshalb ruhig „Einstiegsdroge“.
Die Länge pro Durchgang  in der Röhre ist frei wählbar. Sie beträgt bei Ungeübten in der Regel aber nur eine Minute, bei Profis das Doppelte. Nach maximal vier Runden ist dann für Anfänger, die allein mit der Koordination ihrer Extremitäten alle Hände und Beine voll zu tun haben, meist Schluss mit Lustig. Die körperliche Anstrengung ist nämlich enorm. Als Andenken an dieses Erlebnis nehmen die Novizen mitunter einen Muskelkater mit nach Hause, der sich gewaschen hat und noch  viele Tage später schnurrt.

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Zwischen Windkanal und freier Wildbahn

Aber selbst für „richtige“ Fallschirmspringer, die pro Besuch schon mal 30 Minuten reine Freifallzeit buchen und durchziehen, ist das Fliegen im Simulator anfangs ziemlich gewöhnungsbedürftig. Aber der Lerneffekt kann, insbesondere zur  Vorbereitung auf einen Wettbewerb, enorm sein. Zumal man sich ausschließlich auf die reine Arbeitszeit, also auf jene entscheidend kurze Phase beschränken und konzentrieren kann, die letztlich bewertet wird.  Bei Freeflyer-Teams, die diese rasante himmlische „Breakdance-Disziplin“ pflegen, bei der die Akteure mit bis zu 300 km/h abwärts rasen und haarsträubende Choreografien zelebrieren, währt  diese Spanne bei einer Absprunghöhe von 4000 Metern gerade mal 35 Sekunden. Mehr Zeit bleibt ihnen während der gesamten Freifallphase abzüglich des kontrollierten synchronen Ausstiegs aus dem Flugzeug, der Stabilisierung und der späteren Auflösung der Formation fürs eigentliche Programm nicht. Das sind zwei Minuten im Windkanal schon verdammt üppig. Um den entsprechenden „Nutzwert“ in freier Wildbahn zu erzielen, müssten sie viermal mit dem Flugzeug aufsteigen, was auch nicht ganz billig ist. Das relativiert die für die Benutzung des „Tunnels“ zu zahlenden und (nur) auf den ersten Blick happigen Gebühren schon etwas. Und wenn sich das Ganze noch durch einen Platz auf dem Siegertreppchen auszahlt, umso besser. Im vergangenen Jahr war ein Team der Breitscheider Skydiver bei der DM in Schwaben Deutscher Vize-Meister geworden. So etwas spornt  und stachelt an, weckt Ehrgeiz.

Holger Sitfly

Nein, keine Übung für den Donnerbalken: Holger Linke (links) trainiert mit seinem Coach den „Sitfly“. Foto: Stefan Gessner

Einen visuellen Eindruck, wie es und was im Bottroper Bodyflying-Headquarter abgeht, vermittelt der Video-Teaser von Stefan Gessner, der hier abrufbar ist: www.vimeo.com/flystefan/2014

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